Landwirte leben Verantwortung
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Neidlingen (Landkreis esslingen), 15. Februar 2020
Kreisbauerntag des Kreisbauernverbandes Esslingen
Landwirte leben Verantwortung
Buchautor Möller: Fehlender Bezug zur Landwirtschaft als Kernproblem
Der fehlende Bezug vieler Menschen zur Landwirtschaft bilde das Kernproblem der Bauern. So sei das Leben heute von idealisierten Naturbildern bestimmt. Das erklärte Dr. Andreas Möller, Kommunikationschef des Maschinenbauers Trumpf und Autor des Buches "Zwischen Bullerbü und Tierfabrik“ beim Bauerntag des Kreisbauernverbandes Esslingen am Samstag, dem 15. Februar 2020, in der Reußensteinhalle in Neidlingen. Dennoch macht er Mut, im Alltag das in der Öffentlichkeitsarbeit zu tun, was möglich sei. Und dazu gehöre auch gute fachliche Praxis.
Die Landjugend Nürtingen hat gerade den Kreisbauerntag mit ihren Tanzeinlagen schwungvoll an diesem sonnigen Samstagnachmittag im Februar eröffnet. Da erklärt schon Vorsitzender Siegfried Nägele anschaulich die Herausforderungen, denen sich die Landwirtschaft aktuell zu stellen hat.
Reizthemen belasten mehr als Arbeit
Die Frage, ob das abgelaufene Jahr gut oder schlecht gewesen sei, lasse sich nicht so einfach beantworten. 2019 sei zumindest „ein aufregendes Jahr“ gewesen. Das Volksbegehren Artenschutz „Rettet die Bienen“, Dünge-Verordnung, Biodiversität, Nutztierhaltung und ähnliche Themen würden inzwischen „doch fast mehr als die Ernte zur Frage beitragen, ob es ein schlechtes oder gutes Jahr war“, gibt Nägele zu denken. „Sofern es keinen Totalausfall der Ernte gibt, belasten diese teils unerträglichen Diskussionen um die Landwirtschaft die Bäuerinnen, Bauern, Hofnachfolgerinnen und -nachfolger manchmal fast mehr als die Arbeit, zumindest emotional.“
Bauern leben Verantwortung – und zwar nachhaltig
So stellt Nägele, der gemeinsam mit Tobias Briem den Kreisbauernverband Esslingen führt, den diesjährigen Kreisbauerntag unter das Motto „Wir, die Landwirtschaft, wir leben Verantwortung – und zwar nachhaltig. Wir leben Verantwortung für unsere Tiere, die Böden, Natur und Produkte, jeden Tag und Nacht, und das seit Generationen. Und wir leben diese Verantwortung auch für morgen, in der Veränderung und im Wandel. Wir machen das und sind auch weiterhin bereit dazu.“
Die Probleme gemeinsam angehen
Das sei der Unterschied zu denen, „die nur darüber schwätzen und die Verantwortung und Schuld anderen zuweisen“. Das könne übertragen werden auf den Unterschied zwischen dem Volksbegehren „Rettet die Bienen“ und dem Volksantrag der Bauern, den Bauernverbänden mit Obstbau- und Weinbauverband „Gemeinsam unsere Umwelt schützen“. Das Volksbegeh-ren hätten diejenigen initiiert, „die nur darüber schwätzen, die Schuld und Verantwortung von sich weisen, und den anderen, den Bauern, vorgeben wollen, was zu tun sei, ohne selber etwas zu machen“. Beim Volksantrag der Bauern, der sich an die Landesregierung richtet, sei es das Ziel, die Probleme gemeinsam anzugehen.
Doppelmoral und schöner Schein
Nägele verweist auf den Dramatiker Henrik Ibsen (1828-1906). Dieser prangerte Ende des 19. Jahrhunderts die scheinheilige Doppelmoral und das krampfhafte Festhalten am schönen Schein an, der nicht der Realität entspricht. Der Umgang der Politik und der Gesellschaft mit der Landwirtschaft seit in diese Kategorie zu packen, „sich etwas vorzumachen, was es so nicht gibt, die Vorstellung von einer Scheinlandwirtschaft. Dabei die Realität und Zustände außerhalb Deutschlands vollkommen außer Acht lassend.“
Erst, wenn etwas nicht mehr da ist, lernt man es zu schätzen
„Erst, wenn man etwas nicht mehr hat, lernt man es zu schätzen“. Das gelte auch für die Landwirtschaft. So „wäre es vielleicht doch gut, der einheimischen Landwirtschaft nicht vollends die Luft zuzudrehen, so dass Bäuerinnen und Bauern die Zukunftssorgen nicht mehr ertragen. Erst wenn sie nicht mehr da ist, unsere Landwirtschaft, wird man merken, was fehlt“, befürchtet der Kreisvorsitzende. Hierzu sei er auf die Ausführungen des Gastreferenten gespannt, leitet er zu Dr. Andreas Möller über.
Der Kommunikationschef beim Maschinenbauunternehmen Trumpf in Ditzingen beschäftigt sich viel mit der Kommunikation und auch „Nichtkommunikation“ zwischen Gesellschaft und Landwirtschaft. Bekannt ist er durch sein Buch „Zwischen Bullerbü und Tierfabrik. Warum wir einen anderen Blick auf die Land-wirtschaft brauchen“.
Verbraucher schauen, wo sie sparen können
Entscheidend für die Landwirtschaft sei, wie sich der gesellschaftliche Rahmen weiterentwickelt. Möller zählt einige Faktoren auf. So die liberalen Weltmärkte und das robuste, relativ unflexible Verhalten der Verbraucher beim Einkauf, „die schauen, wo sie sparen können.“ Bei der Miete täten sie das so wenig wie bei der Mobilität. „Das ist die Crux, in der wir in der Landwirtschaft stehen“, erklärt Möller.
Fehlender Bezug zur Landwirtschaft
Den Leuten, die ihr „Kreuz“ beim Volksbegehren Artenschutz machten, dürfe man keinen Vorwurf machen. Wer wäre schließlich nicht für die Rettung der Bienen. Der Vorwurf sei an die Initiatoren zu richten, die die ganzen Folgen für die Landwirtschaft nicht bedacht hätten. Aktionen, die so angelegt und deren Fragen so formuliert seien wie beim Volksbegehren, seien nämlich besonders mobilisierungsfähig: „Nicht ich muss mich ändern, sondern die anderen“, zeigt Möller die Ambivalenz des Verbrauchers auf und benennt das Kernproblem für die Bauern in heutiger Zeit: Der fehlende Bezug vieler Menschen zur Landwirtschaft. So wird der Erfolg moderner Landwirtschaft zugleich zu ihrem größten kommunikativen Problem.
Leben von idealisierten Naturbildern
An zahlreichen Beispielen erläutert der Kommunikationsexperte den fehlenden Bezug heutiger Menschen zur Landwirtschaft. So sind heute beispielsweise kaum noch Kenntnisse über Getreidesorten, Fische oder Flugbilder von Beutegreifern wie dem Milan bekannt. „Wir leben in einer Zeit, in der viele nur noch von idealisierten Naturbildern leben“, erklärt Möller.
Ungleiche Wirkungen durch Technisierung
Beruflich verfolgt Möller die Kommunikation in sozialen Medien „Was da so kommt, ist schlicht der Wahnsinn“, weiß er aus Erfahrung. Die Bauern seien dabei nicht allein. So sei das Verhältnis zwischen Automobilwirtschaft und Bürgern auch nicht mehr so wie vor zehn Jahren. Heute würden selbst Ministerpräsidenten wegen überhörter Grenzwerte beim Feinstaub auf Gefängnisstrafe angeklagt. Energieversorger müssten heute mit ansehen, „wie Klimaaktivisten den Tagebau stürmen und an den Grundfesten der Energieversorgung rütteln“. Es bestünde „kein lustiger Ton mehr zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen“, meint Möller.
Nutze man heute Twitter neben dem „Tatort“, wüsste man nach zwei Minuten alles. Ein einziger „Post“ von Prominenten mit dem Inhalt „Mein Kind hat sich danach unwohl gefühlt“, zeige Millionen mal mehr Wirkung als noch so viele positive Erfahrungen durch das Impfen. Die Technisierung der Kommunikation führe zu ungleichen Größenverhältnissen und Wirkungen, erklärt der Kommunikationsprofi.
Genug, ständig angeprangert zu werden
„Wir Landwirtsfamilien haben mehr als genug davon, ständig angeprangert zu werden, ohne dass unsere Leistungen anerkannt werden“, hat Nägele in seiner Begrüßung betont. „Wir sind und haben uns schon massiv und sind weiterhin bereit, uns zu verändern und weiter zu entwickeln“, versichert er vor zahlreichen Gästen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.
Mit Fortschritt in die Zukunft
Nägeles Aufforderung an die Politik, Wissenschaft, Verwaltung und Gesellschaft lautet: „Wir wollen die Möglichkeit, die Landwirtschaft nach vorne zu entwickeln, nicht in eine nicht vor-handene Alt-Idylle, sondern nach vorne modern, angepasst, zukunftsfähig im ökologischen, sozialen und ökonomischen Bereich. Wir brauchen den positiven Forstschritt, die Weiterentwicklung auf beherrschbaren und rentablen Betrieben in verlässlichen Rahmenbedingungen. Dann haben die Umwelt, das Klima, die Artenvielfalt, die Landschaft, die Menschen und wir Bauern und Bäuerinnen und die nachfolgenden Generationen eine Zukunft!“ Nägele schließt mit einem Zitat des amerikanischen Schriftstellers Mark Twain (1835 bis 1910): „Bewahrt Land. Gott erschafft keines mehr!“
Gemeinde der 30.000 Streuobstbäume
Klaus Däschler, Bürgermeister von Neidlingen, bezeichnet in seinem Grußwort die Landwirtschaft als „wichtiges Bindeglied“ in der Gemeinde. Auf der Gemarkung der Reußenstein-Gemeinde stehen rund 30.000 Streuobstbäume, darunter 20.000 Kirschenbäume. Die Baum- und Landschaftspflege wird groß geschrieben. Däschler dankte den Mitgliedern des Obst- und Gartenbauvereins für die Bewirtung der Teilnehmer des Kreisbauerntages und die schöne Dekoration der Reußensteinhalle.
Gläserne Produktion so aktuell wie am 1. Tag
Dr. Marion Leuze-Mohr, Erste Landesbeamtin des Landkreises Esslingen erklärt in ihrem Grußwort, die „Gläserne Produktion“ sei in ihrem 30. Jahr auch in Zeiten neuer Produktionsmethoden „so aktuell wie am 1. Tag“. Den Teilnehmern ruft Sie zu: „Sie leisten mit ihrer Beteiligung einen wichtigen Beitrag, machen sichtbar, wie gut Landwirte ausgebildet sind, wie bedarfsgerecht sie Pflanzen ernähren und schützen.“
Im Wind Segel setzen
In „agrarpolitisch stürmischen Zeiten“ zitiert Leuze-Mohr Laotse (vermutlich 6. Jh. v. Chr.): „Wenn der Wind der Veränderung weht, bauen die einen Mauern, die anderen setzen Segel.“ Das Volksbegehren Artenschutz „Rettet die Bienen“ sei ein gutes Beispiel, „wie Sie Fäden in die Hand genommen und mit der Diskussion begonnen haben“. Das Volksbegehren hatte weitreichende Folgen für die Landwirtschaft gehabt. Intensivobstbau wäre „nur unter sehr erschwerten Bedingungen“ möglich gewesen. Das Eckpunktepapier der Landesregierung sei ein guter Kompromiss.
Die Qualität anpreisen
Leuze-Mohr meint, der Handel solle nicht nur den Preis, sondern auch die Qualität anpreisen. Die Erste Landesbeamtin ärgert sich über Radiowerbung für „preiswertes“ Fleisch. Sie verweist auf die Förderung des Landes bei den Versicherungsprämien zur Absicherung gegen Frostschäden in Wein und Obst. Der Förderantrag sei bis 1. März 2020 zu stellen, betont sie. Den Landwirten und Jägern sagt Leuze-Mohr herzlichen Dank für ihre Arbeit. Dem Kreisbauernverband verspricht sie „weiter gute Zusammenarbeit. Das Landratsamt wird weiterhin ein verlässlicher Partner sein.“
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