Totgesagte leben Länger
Lange war die Landwirtschaft das Sorgenkind der Familie Hierl. Doch die Familie hielt an ihr fest. Das zahlte sich aus: Mit drei betrieblichen Standbeinen und viel Herz und Verstand ist die Familie gut aufgestellt für Krisenzeiten.
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Bereits seit über 130 Jahren erholen sich Sommerfrischler auf dem Hierlhof in Bühl am Alpsee. Schon um 1900 quartierten die Großeltern von Florian Hierl Gäste ein, damals noch im Dachgeschoss des alten Wohnhauses. Seit jeher liefern die Urlauberinnen und Urlauber ein willkommenes Zubrot zur Landwirtschaft. Denn der Milchviehbetrieb mit Jungtierzucht liegt in keinem landwirtschaftlichen Gunstgebiet. Die Flächen sind steil und nicht befahrbar, daher liegt die Hauptaufgabe der hiesigen Alpwirtschaft in der Landschaftspflege. „Es braucht Wiederkäuer, damit aus dem Allgäu nicht der Schwarzwald wird“, sagt Betriebsleiter Florian Hierl mit einem Schmunzeln. Eigentlich besteht sein Betrieb aus drei Gewerbebetrieben: Die klassische Landwirtschaft, das Hotel Garni und die Parkplatzvermietung.
Über lange Jahre stand die Landwirtschaft für Florian Hierl und seine Familie unter keinem guten Stern. Sein Vater, Kriegsheimkehrer und eigentlich ein Mann der Kunst und Kultur, übernahm den elterlichen Betrieb eher widerwillig und aus Pflichtgefühl. Anstatt in ihn zu investieren und neue Flächen zu pachten, erhielt er den Bestand. Im Ort wurde er dafür belächelt. „Wir waren ein totgesagter Betrieb“, erinnert sich Hierl. Doch in ihm weckte das die Leidenschaft für die Landwirtschaft. „Ich wusste, ich will das machen, ich will mir und den anderen beweisen, dass auch wir gute Bauern sind.“ Dieser Trotz, verbunden mit jugendlichem Leichtsinn, wie er selbst sagt, veranlassten den damals 17-Jährigen den Hierlhof zu übernehmen. Seitdem kämpft er unaufhörlich für dessen Fortbestehen. Leicht war das nicht immer, im Gegenteil. „Damals, als die Jungs noch klein waren, sind meine Frau und ich mit der Überzeugung angetreten, dass die Landwirtschaft keinen Gewinnbeitrag leisten, sondern nur die Lebenshaltungskosten decken muss“, erinnert sich der dreifache Familienvater. Aber selbst das gelang lange Zeit nicht. Nie ging es ohne Zuarbeit, immer waren Winterdienst, Landschafts- und Grünflächenpflege nötig, um die Familie über Wasser zu halten. „Wir haben finanziell schwere Leidenszeiten hinter uns. Von der Kontosperrung bis zum Bankenwechsel war da wirklich alles dabei“, berichtet er. Doch die Familie bewies Resilienz und eine ordentliche Portion Mut.
Der Hierlhof |
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Der große Wendepunkt
Der große Wendepunkt kam 2014. Nachdem sie jahrelang finanziell auf der Stelle traten, war klar: „Wenn wir selbstständig bleiben wollen, müssen wir was riskieren. So geht es nicht weiter.“ Das Ehepaar entschied sich, alles auf eine Karte zu setzen: 2,5 Millionen Euro investierten sie in den Neubau eines Hotels – und das komplett fremdfinanziert.
Bereits zuvor hatten Hierls auf ihrer Halbinsel am Alpsee für die rund 25 Milchkühe und 65 Jungtiere einen neuen Stall errichtet. Aber die Landwirtschaft weiter auszubauen und nochmal deutlich in die Milchwirtschaft zu investieren, war keine Option. „Dazu hätte die Fläche gefehlt. Die Bank wäre eine Investition in die Landwirtschaft aber auch auf keinen Fall mitgegangen“, sagt Hierl. Denn eine größere Aufstockung der Herde oder die Investition in einen Melkroboter wäre wirtschaftlich nicht darstellbar gewesen. Mit dem Hotel hat das Paar in einen Bereich investiert, in dem die Finanzierungskosten klar runtergerechnet werden können, bis aufs einzelne Hotelbett.
Eine finanzielle Gratwanderung
Im neuen Anbau sind ein Einzel-, zehn Doppelzimmer und sechs Apartments entstanden. Finanziert mit 2,5 Millionen Euro Fremdkapital. Das war nur möglich, weil der Betrieb einen entscheidenden Bonus hat: Er liegt in einer Tourismusregion, direkt am großen Alpsee. Im Falle einer Insolvenz hätte die Bank die Flächen zu guten Preisen veräußern können. „Es war klar, wenn wir das Hotel nicht zum Laufen bekommen, ist alles weg“, sagt Hierl. Doch siehe da – bereits im ersten Jahr trat die Wirtschaftlichkeitsberechnung fast zu 100 % ein. Mittlerweile hat das Hotel Garni mit 50 bis 60 % den größten Gewinnanteil. 20 bis 30 % kommen aus der Landwirtschaft, weitere 20 % aus der Parkplatzvermietung. Der Gewinn aus dem Hotel läuft komplett in die Finanzierung. Noch 14 Jahre wird das so gehen, bis die volle Summe an die Bank zurückgezahlt ist.
Mehrmals legte die Bank dem Paar nahe, die Landwirtschaft als „Klotz am Bein“ loszuwerden. Doch die beiden hielten an ihr fest. Das zahlte sich aus, nicht zuletzt während der Corona-Pandemie. Landwirtschaft und Parkplatzvermietung sorgten während des Lockdowns für kontinuierlichen Geldfluss. Und auch auf menschlicher Ebene war die Diversifizierung des Betriebes lohnenswert. „Die Landwirtschaft war physisch und psychisch eine Unterstützung“, sagt Hierl. „Man hatte eine Aufgabe, saß nicht nur in einem geschlossenen Hotel und musste der Dinge harren, die da kommen.“
Der Wunsch, das Werk seines Vaters fortzuführen, ist in Hierl tief verankert. „Ich hätte es nicht ertragen, wenn die Flächen, die mein Vater mit Blut, Schweiß und Tränen durch schwierige Zeiten geführt hat, verkauft worden wären“, sagt er. In seiner Funktion als Vorstand des Maschinenrings hält er Vorträge in Landwirtschaftsklassen. Den Schülerinnen und Schülern rät Hierl, den Hof fortzuführen, auch wenn mal harte Zeiten anstehen. „Denn der Betrieb ist die Basis für alles, was man gerne macht“, sagt er. „Ist einer zum Beispiel ein guter Automechaniker, kann er das mit der Landwirtschaft kombinieren.“ So werde die Scheune kurzerhand ausgeräumt und zur Werkstatt umfunktioniert.
Erfolgsrezept: Herz und Verstand
Entscheidend sei, dass man das, was man macht, gern mache, sagt der Landwirt. So zögerte die Familie bisher auch mit der Umstellung auf ökologische Bewirtschaftung. Denn auch hier gilt für Florian Hierl: „Umstellung nur aus Überzeugung mit Herz und Verstand, nicht allein wegen des Milchgeldes!” Aktuell zahlt sich diese Entscheidung aus. Der Hierlhof liefert konventionelle Milch an eine nahegelegene Genossenschaft, die unter anderem Emmentaler im Folienschlauch produziert. Also Käse, der sich im Discounter als Käseaufschnitt wiederfindet. „Durch die momentane Marksituation haben wir einen der besten Milchpreise in Bayern“, sagt Hierl. Anders sieht es bei vielen Spezialitätenkäsereien der Gegend aus: Viele für die Region typische und hochpreisige Produkte aus dem Alpendauergrünland wie Heumilchkäse, Alp- und Rohmilchkäse, oft in Bioqualität, haben Absatzprobleme am Markt. Das wirkt sich auf die Milchauszahlungspreise aus, die nicht mit den konventionellen Michgeldern mithalten können. Die Sorge der Verbraucher:innen vor Inflation, Rezession und steigenden Energiekosten zeigt sich eben auch in ihrem Einkaufsverhalten: Billigere Produkte haben steigende Absatzzahlen, Discounter großen Zulauf. Auf die Frage, ob er sich als Unternehmer oder Landwirt sieht, antwortet Florian Hierl ohne nachzudenken: „Hundertprozentig als Landwirt. Aber ich denke, der Landwirt der Zukunft wird Unternehmer sein, sonst wird’s ihn bald nicht mehr geben.”













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