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Interview mit Jochen Borchert

Der Ball liegt noch auf dem Punkt

Der ehemalige Vorsitzende des Kompetenznetzwerks Nutztierhaltung und frühere Bundeslandwirtschaftsminister traut der Regierungskoalition zu, das von der Borchert-Kommission vorgelegte Konzept umzusetzen. Elementar seien sowohl eine Förderung von Investitionen als auch eine Finanzierung der laufenden Kosten.

von age erschienen am 06.08.2025
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Zur Person
Jochen Borchert
Jochen Borchert war von 1993 bis 1998 Bundeslandwirtschaftsminister. Dem Bundestag gehörte er von 1980 bis 2009 an. Mehrere Jahre war er haushaltspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion. Im April 2019 übernahm der damals 79-Jährige den Vorsitz des „Kompetenznetzwerks Nutztierhaltung“. Im Februar 2020 legte die sogenannte Borchert-Kommission ihr Konzept für einen langfristigen Umbau der Tierhaltung vor. Die Kommission beendete im August 2023 ihre Tätigkeit, nachdem nicht zu erkennen war, dass die damalige Bundesregierung die Vorschläge aufgreift.
Herr Borchert, Sie hatten der Ampelkoalition bereits ein Jahr vor ihrem vorzeitigen Ende nicht mehr zugetraut, „eine vernünftige Umgestaltung der Nutztierhaltung“ hinzubekommen. Trauen Sie es der schwarz-roten Koalition drei Monate nach ihrem Start noch zu? Borchert: Drei Monate nach dem Start ist für mich noch völlig offen, wie die jetzige Koalition mit dem Thema umgeht. Einerseits wird eine Weiterentwicklung der Nutztierhaltung im Koalitionsvertrag nur sehr vage beschrieben. Andererseits haben sich in den ersten Haushaltsberatungen Abgeordnete von CDU und CSU sowie Vertreter der SPD eindeutig dafür ausgesprochen, die Nutztierhaltung umzustellen und sowohl den Um- und Neubau von tierschutzgerechten Ställen zu fördern als auch die laufenden Kosten zu finanzieren. Die Union hat noch Anfang Januar 2025 einen Antrag in den Bundestag eingebracht, in dem sie gefordert hat, die Empfehlungen des Kompetenznetzwerks Nutztierhaltung umzusetzen. Wie überrascht waren Sie, dass davon wenige Wochen später im Koalitionsvertrag keine Rede mehr war? Borchert: Davon war ich sehr überrascht. Die Union hatte sich vor der Bundestagswahl wiederholt und eindeutig zu den Empfehlungen des Kompetenznetzwerks bekannt, zuletzt in dem von Ihnen genannten Antrag. Ähnliche Äußerungen gab es aus den Reihen der SPD. Ich hatte fest damit gerechnet, dass sich die Koalition den Umbau der Tierhaltung auf die Fahne schreibt und was Vernünftiges zustande bringt. Hatten Sie in den letzten Monaten den Eindruck, dass sich Mitstreiter aus der Borchert-Kommission und bisherige Unterstützer „vom Acker gemacht“ haben? Borchert: Nein. Es gab Hinweise auf Änderungen in den Rahmenbedingungen und am Markt und was daraus folgen sollte. Aber unser Konzept wurde nicht infrage gestellt. Ich denke, einiges davon ist auf die unklaren Ausführungen im Koalitionsvertrag zurückzuführen. Darin heißt es, „wir stellen die notwendigen Mittel für den tierwohlgerechten Stallbau auf Grundlage staatlicher Verträge dauerhaft zur Verfügung“. Diese Formulierung ist unterschiedlich ausgelegt worden, kaum dass sie öffentlich war. Was hätten Sie sich gewünscht? Borchert: Eine klare Aussage! Wir brauchen beim Umbau der Tierhaltung Geld für die Förderung von Investitionen und zur Finanzierung der laufenden Kosten. Beides muss langfristig abgesichert sein. Nur so werden sich die Landwirte darauf einlassen. Der stellvertretende CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende, Albert Stegemann, hat erklärt, „ich war immer skeptisch gegenüber einer Unterstützung der laufenden Kosten, weil die notwendige Sicherheit nicht gegeben ist“. Er plädiert dafür, das Geld nur zur Investitionsförderung einzusetzen, „weil dieses Geld rechtssicher fließt“, wie er sagt. Ist das die Planungssicherheit, die vor allem junge Landwirte dringend brauchen und die Sie immer wieder angemahnt haben? Borchert: Nein. Das eine nützt nichts ohne das andere. Und für beides, Investitionsförderung und Unterstützung laufender Tierwohlkosten, brauchen die Landwirte Verträge mit dem Staat. Das ist eine entscheidende Voraussetzung, dass die Finanzierung langfristig gesichert ist. Der neue Bundeslandwirtschaftsminister Alois Rainer zählt die Sicherung des Tierhaltungsstandorts Deutschlands zu seinen vordringlichen Aufgaben. Gab es dazu einen Austausch zwischen Ihnen oder anderen Mitgliedern der Borchert-Kommission mit dem Minister? Borchert: Nein. Wären Sie dazu bereit? Borchert: Selbstverständlich. Unsere Gesprächsbereitschaft haben wir immer signalisiert, sowohl mit dem Minister als auch mit Abgeordneten. Wir waren und sind weiterhin bereit, unseren Beitrag zur Umsetzung der Empfehlungen zu leisten. Was würden Sie ihm raten, wenn er den Tierhaltungsstandort Deutschland sichern möchte? Borchert: Er sollte alles daran setzen, die Empfehlungen des Kompetenznetzwerks umzusetzen. Damit würden wir langfristig die Nutztierhaltung in Deutschland sichern, den Landwirten wieder eine Perspektive geben und verhindern, dass am Ende Gerichte über die Zukunft der Tierhaltung entscheiden. Minister Rainer hat sich frühzeitig gegen eine Mehrwertsteuerfinanzierung oder Tierwohlabgabe ausgesprochen. Er setzt stattdessen auf eine Finanzierung aus dem Bundeshaushalt. Ist das ein Fehler? Borchert: Ich halte das für den verkehrten Weg. Richtig wäre, er würde sich für eine der beiden Möglichkeiten entscheiden, die wir aufgezeigt haben, eine Abgabe oder eine Anhebung der ermäßigten Mehrwertsteuer. Die Mehrwertsteuerfinanzierung ist dabei deutlich einfacher. Und wir würden sowohl die einheimische Produktion als auch Importe einbeziehen. Können Sie das Argument nachvollziehen, eine Mehrwertsteueranhebung oder eine Abgabe seien in dieser Zeit nicht mehr vermittelbar? Borchert: Nein, dafür sehe ich keinen Grund. Natürlich müssen wir die Menschen überzeugen. Aber wenn 80 Prozent der Bevölkerung eine tierwohlgerechte Nutztierhaltung fordern, dann müssten sie auch bereit sein, ihren Teil dazu beizutragen und eine begrenzte Anhebung der Mehrwertsteuer zu akzeptieren. In den Koalitionsverhandlungen wurde die Summe von 1,5 Milliarden Euro pro Jahr für die Tierhaltung genannt. Sie verfolgen die Diskussion und kennen das Geschäft. Wie realistisch ist, dass diese Summe im Haushalt 2026 und den Folgejahren bereitgestellt wird? Borchert: Ich bin sicher, es wird Anstrengungen von beiden Koalitionspartnern geben, diese 1,5 Milliarden im Haushalt zu verankern. Damit wäre genug Geld vorhanden, um einen Einstieg in eine Umstellung der Nutztierhaltung zu schaffen, und zwar sowohl für die Förderung von Stallbauten als auch der laufenden Kosten. Wissenschaftler haben die Kosten eines Umbaus auf drei bis fünf Milliarden Euro veranschlagt… Borchert: Das ist aber nicht die Summe, die man jetzt braucht. 1,5 Milliarden Euro würden meines Erachtens für 2026 und vielleicht auch für 2027 ausreichen. Die Summe von vier Milliarden Euro, die in unserem Bericht genannt wird, bezieht sich auf die Kosten am Ende der Umstellung. Sollte es die 1,5 Milliarden Euro nicht im Haushalt geben, wäre der Umbau der Tierhaltung dann am Ende, noch bevor er richtig angefangen hat? Borchert: Ich fürchte ja. Dann wäre absehbar, dass wir auch in dieser Legislaturperiode nicht den Einstieg schaffen würden. In der Folge dürfte sich der Strukturwandel noch einmal dramatisch beschleunigen. Das zeichnet sich ja bereits ab. Könnte das bestehende Bundesprogramm zur Förderung des Umbaus der Tierhaltung zumindest die Möglichkeit eröffnen, das Programm auszuweiten, um später in ein umfassendes Konzept zu münden, wie es Ihre Kommission vorschlägt? Borchert: Die zögerliche Inanspruchnahme zeigt, dass die Landwirte wenig Vertrauen in die Verlässlichkeit des Bundesprogramms haben. Wie auch, wenn laufende Mehrkosten jedes Jahr beantragt werden müssen. Ohne langfristige Verträge kann es keine Sicherheit geben. Für weitreichende politische Entscheidungen gibt es immer ein Zeitfenster, in dem sie umgesetzt werden können. Hat sich dieses Zeitfenster mit dem Krieg in der Ukraine und den neuen finanziellen Herausforderungen geschlossen? Borchert: Ich bin überzeugt, dass der Umbau der Nutztierhaltung weiterhin möglich und finanzierbar ist. Aber dazu braucht es politischen Mut. Trauen Sie diesen Mut der schwarz-roten Koalition noch zu? Borchert: Ja. Der Ball liegt noch auf dem Elfmeterpunkt.
„Ich bin überzeugt, dass der Umbau der Nutztierhaltung weiterhin möglich ist.“ Jochen Borchert
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