„Wir haben es in der Hand“
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Unter dem Leitthema „Agrarstandort Deutschland – Weltmarkt, Premiummarkt, Marktausstieg?“ zog die Veranstaltung rund 1.000 Landwirte und Landwirtinnen sowie Fachleute aus Wissenschaft und Beratung in die westfälische Metropole. „Neben einer Diversität der Arten sollten wir auch eine Diversität bei den landwirtschaftlichen Geschäftsmodellen anstreben“, forderte Paetow. „Für jeden Standort und Betriebstyp wird es einen erfolgreichen Weg in die Zukunft geben, er ist nur nicht für alle derselbe. Politik und Gesellschaft sollten die Rahmenbedingungen so setzen, dass sich möglichst viele Betriebe entsprechend ihrer Stärken im Wettbewerb entwickeln können. Der DLG-Präsident empfiehlt dafür flexible zielorientierte Maßnahmen statt starres Ordnungsrecht. Hubertus Paetow zeigte die unterschiedlichen Entwicklungspfade für die landwirtschaftlichen Märkte auf:
Option Marktausstieg
Großbritannien hat heute einen Selbstversorgungsgrad mit Nahrungsmitteln von 60 Prozent, der Anteil der Landwirtschaft an Bruttosozialprodukt liegt bei 0,5 Prozent. Agrarexporte finden nur in geringem Umfang statt. Nur diejenigen Nahrungsmittel werden noch selbst produziert, mit denen man international wettbewerbsfähig ist. Damit gibt man aber sukzessive die Kompetenzen in den anderen Feldern auf. Vor allem hat man es nicht mehr in der Hand, unter welchen Standards die Nahrungsmittel erzeugt werden, die man verbraucht. In Deutschland ist ein Marktausstieg im Beispiel der Sauenhaltung schon jetzt zu spüren: Hier kommen heute nur noch 60 Prozent der gemästeten Ferkel aus dem Inland. Andere Länder haben dagegen stark auf die Erzeugung von Ferkeln für den deutschen Markt gesetzt. „Wenn wir auf die chirurgische Kastration verzichten, wird sich der Anteil der Importe noch weiter erhöhen, und es wird für den deutschen Verbrauch kein einziges Schwein weniger kastriert. Wer die globalen Aspekte der Nachhaltigkeit bei Tier- und Klimaschutz oder Biodiversität im Blick hat, dem bietet der Marktausstieg keine Lösungen“, so Paetow.
Option Weltmarkt
Um im internationalen Agrarhandel weiterhin eine Rolle spielen zu können, sollte die deutsche Landwirtschaft weiterhin versuchen, möglichst viele von den Fortschritten in den Agrarwissenschaften zu nutzen. Dazu gehören neue Pflanzenschutzmittel, die noch zielgenauer die Schädlinge und Unkräuter regulieren, ebenso wie neue Züchtungstechnologien, mit denen man das Spektrum der marktfähigen Kulturarten erweitern könne. Das müsse gar nicht zu einer weniger umweltverträglichen Produktion führen. „Und wir müssten versuchen, die Nachhaltigkeit der Produktion als Produktionsmerkmal mit zu verkaufen. Gerade auch auf internationalen Märkten, dort, auf denen Verbraucher bereit sind, für garantierte Nachhaltigkeit auch mehr zu bezahlen“, meinte Paetow. „Das ist gar nicht so unwahrscheinlich, wenn man sieht, dass zum Beispiel deutsche Milchprodukte in China nach diversen Skandalen um einheimische Produkte hoch im Kurs stehen. Die Agrarproduktion für den Weltmarkt, eingebettet in ein globales System der nachhaltigen Entwicklung, kann also auch für ein Land wie Deutschland ein sinnvolles Ziel sein.“
Option Premiummarkt
Der Premiummarkt ist das Segment, das in der Gesellschaft heute als der Weg einer zukunftsfähigen Landwirtschaft gesehen wird. „Warum machen wir nicht alle nur noch ökologisch erzeugte, regionale Produkte und verkaufen diese dann kostendeckend an die Verbraucher, die das doch alle wollen? Leider ist dieser letzte Punkt der Pferdefuß an der Sache. Inzwischen wissen wir aus Feldstudien unter realen Bedingungen ziemlich genau, wie viele, oder besser, wie wenige Verbraucher tatsächlich bereit sind, für Premiumprodukte auch Premiumpreise zu bezahlen. Und wir wissen auch, dass es gar nicht mehr so einfach ist, eine neue Marke so zu platzieren, dass die Botschaft bei den Verbrauchern ankommt. Das geht noch am besten bei der Direktvermarktung, aber schon bei den Angeboten im LEH ist die Nische für das regionale Produkt schon eng“, resümierte der DLG-Präsident nachdenklich.Beim Ökolandbau wachse die Nachfrage aber leider auch nicht in den Himmel, zumindest nicht zu den heutigen Preisen. Paetow sieht hier eine Lösung, wenn es gelänge, die Ertragslücke zwischen klassischem und ökologischem Anbau zumindest zum Teil zu schließen, so dass die notwendigen Preisaufschläge und Subventionen langfristig sinken könnten. Eine solche Entwicklung sei im Moment allerdings nicht in Sicht, die Ertragslücke im Ackerbau werde aktuell eher größer.
Klöckner stellt Ergebnisse der Borchert-Kommission vor
Dass diese unternehmerischen Eigenschaften auf einer DLG-Wintertagung spürbar sind, stellte einen Tag vorher Julia Klöckner, Bundesministerin für Landwirtschaft und Ernährung, in ihrer Rede vor der DLG-Mitgliederversammlung fest: „Die einen sagen, so schlimm war es nie, die anderen – ich glaube das war bei der DLG – sagen, so spannend war es nie.“ Sie hatte die DLG-Mitglieder über die Ackerbau-Strategie des BMEL und die Ergebnisse der Borchert-Kommission informiert. Mit nationalen Dialogforen soll die Kommunikation von Land und Stadt gefördert und ein gesellschaftlicher Konsens für die Landwirtschaft gefunden werden.
Grethe wirft Politik Tatenlosigkeit vor
Laut Professor Dr. Harald Grethe von der Humboldt-Universität Berlin sei die Landwirtschaft gefordert, Konzepte vorzulegen, zum Beispiel eigene Nachhaltigkeitskriterien zu definieren. Die Führungs- und Tatenlosigkeit in der Agrarpolitik beschrieb Grethe mit dem Bild „Der Bus ist voll besetzt und fährt irgendwo hin. Und erst jetzt schauen wir zum Fahrerplatz und sehen, dass er leer ist.“ Er kritisierte, dass viele Ökonomen, die sich in der Diskussion zu Wort melden, ein zu eingeschränktes Bild der volkswirtschaftlichen Zusammenhänge hätten. Es gebe, neben Angebot und Nachfrage, auch den Tatbestand des Marktversagens und der externen Effekte. Es klaffe eine Gestaltungslücke in der Politik, die die Branche schnell mit eigenen Ideen unter Aushandlung mit den Stakeholdern schließen solle.
Staat könnte Leistungen beim Landwirt einkaufen
Dass der Markt die von der Gesellschaft gewünschten Leistungen der Landwirtschaft honoriere, sei eine vergebliche Hoffnung, machte der Professor für internationalen Agrarhandel und Entwicklung deutlich: „Die Verbraucherpräferenzen unterscheiden sich von den Bürgerpräferenzen.“ Er hält es für besser, dass der Staat die gewünschten gesellschaftlichen Leistungen beim Landwirt einkauft und zum Beispiel über Tierschutzprämien oder Geld für Umweltleistungen honoriert. Diesen Markt für Gemeinwohlleistungen könnten unternehmerische Landwirte bedienen wie andere Produktionszweige auch. Grethe rechnete vor, dass 30 bis 35 Prozent des heutigen Produktionswertes der Landwirtschaft über die Bereitstellung von Gemeinwohlleistungen erlöst werden können. Die klassische Lebensmittelproduktion als Geschäftsmodell könnte seiner Meinung nach künftig für viele Betriebe nicht mehr zum Überleben reichen.
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