Ruhe ist der beste Geburtshelfer
Bei schweren Geburten hat jeder seine Taktik: Der eine zieht drauf los, der andere weitet den Geburtskanal und der nächste wartet, ob die Kuh das Kalb nicht doch von selbst gebärt. Doch was ist am besten für Kuh und Kalb? Tiermediziner Prof. Dr. Holm Zerbe von der Klinik für Wiederkäuer der Universität München erklärt, was wirklich hilft.Bewahren Sie auf jeden Fall Ruhe”, erklärt Zerbe auf einem Workshop am Landwirtschaftlichen Zentrums Baden-Württemberg in Aulendorf.
- Veröffentlicht am

“Stress macht die Geburt fürs Tier nur anstrengender.” Die Geburt ist ein ganz normaler Vorgang im Leben einer Kuh und Eingriffe durch den Menschen sollten auf wenige spezielle Situationen beschränkt sein. Aber woran merkt man, dass die Geburt stockt und die Zeit zum Eingreifen gekommen ist?
Laut Zerbe vor allem daran, dass die Geburt ungewöhnlich langsam vorangeht. “Ist zwei bis drei Stunden nach dem Platzen der Fruchtblase nichts zu sehen, sollten Sie eingreifen oder den Tierarzt holen”, empfiehlt Zerbe. Ist die Geburt schon weiter vorangeschritten, sollte man die Uhr im Auge behalten: “Wenn die Klauenspitze zu sehen ist, sollte bei Färsen eine dreiviertel Stunde später der Kopf da sein”, erklärt er.
Mit Bedacht vorgehen
Bei älteren Kühen mit viel Geburtserfahrung verstreichen zwischen dem Sichtbarwerden von Füßen und Kopf meist nur 15 Minuten. Wichtig: Kommt die Nachgeburt zuerst raus, sollte die Geburt schneller ablaufen. Das ungeborene Kalb wird dann nicht mehr voll über die Mutter mit Sauerstoff versorgt. Es droht Erstickungsgefahr, wenn das Kalb zu lange im Mutterleib bleibt und keine frische Luft atmen kann.
Im Normalfall wird es aber so lange mit Sauerstoff versorgt, bis der Kopf aus dem Mutterleib schaut. Braucht die Kuh zu lange, heißt es aber überlegen und nicht drauflos ziehen. Auch ohne Tierarzt kann man als Landwirt erst eine eigene Diagnose stellen. Dazu lässt sich mit den Händen die genaue Lage des Kalbs ertasten. Die Hände müssen für diesen Vorgang absolut sauber sein – Wasser mit Seife und eine Händedesinfektion sind Pflicht.
“Schmutzige Finger haben weder im Geburtskanal, noch im Mund des Kalbs etwas verloren und führen oft zu Infektionen”, mahnt der Tierarzt. Auch die Hinterpartie der Kuh sollte gewaschen sein, damit nicht trotz sauberer Hände Keime in den Geburtsweg eingeschleppt werden.Die gängige Geburtsposition ist die Vorderendlage: Hier kommt das Kalb mit den Beinen und dem Kopf voraus und mit der Wirbelsäule parallel zur Wirbelsäule der Mutter – meistens läuft die Geburt so von selbst ab, wenn das Kalb keine Übergröße hat.
Ist nicht klar, ob das Kalb überhaupt durch den Geburtskanal passt, kann man über den Kopf des Kalbs bis zu seiner Schulter tasten. “Dieser Test muss positiv sein, ansonsten gehts nicht ohne Kaiserschnitt”, erklärt Zerbe. Lassen sich beide tastbaren Gelenke an einem Kälberfuß in die gleiche Richtung beugen, handelt es sich um die Vorderendlage. Beugen die unteren beiden Gelenke an einem Fuß in verschiedene Richtungen, hat man ein Hinterbein in der Hand.
Korrektur auf engstem Raum
Liegen die Beine oder der Kopf falsch im Geburtskanal, kann mit viel Fingerspitzengefühl das Kalb zurückgeschoben und die Lage korrigiert werden. Dazu die Beinchen leicht durchdrücken und sanft schieben oder am Flotzmaul drücken. Achtung: Die Mutter muss beim Korrigieren in jedem Fall stehen. So gleitet das Kalb im Geburtskanal zurück und hat mehr Platz.
Das macht Verletzungen der Uteruswand seltener.Manchmal sind die Beine oder der Kopf des Kalbs verlagert. Ist ein Bein des Kalbes nach hinten geklappt, kann man versuchen, dieses mit der hohlen Hand zu greifen und in einer geschlossenen Faust in Richtung der Scham zu klappen. Die geschlossene Faust minimiert das Verletzungsrisiko. In besonderen Fällen kann auch eine saubere Schlinge um das Bein gelegt und dieses behutsam in die richtige Position gezogen werden.
Ist der Kopf in Seitenlage aufs Kalb geklappt, muss man sich und die Mutter beim Korrekturversuch unbedingt vor den scharfen Zähnen des Kalbs schützen. Sonst drohen Verletzungen bei der Mutter und an den Händen. Die Gliedmaßen zum Korrigieren stets nah am Körper des Kalbs führen. Den Tierarzt sollte man spätestens rufen, wenn man die Hand nicht über den Kopf zur Kälberschulter bekommt, der zweite Korrekturversuch vergeblich oder die Geburtslage schwierig ist.
Das kann bei einer Seitenlage oder dem Austreten mit dem Hinterteil des Kalbs voraus der Fall sein. Auch Blockaden durch Füße oder den Kopf des Kalbs, die sich nicht lösen lassen, können die Erfahrung eines Tierarztes erfordern.Den Auszug vorbereitenIn den vielen Fällen lässt sich mit Geduld das Kalb in die Vorderendlage (Vorderbeine und Kopf kommen zuerst) bringen. Wenn der Kopf erst draußen ist, gibt es kein Zurück mehr.
“Für die Geburt sollte die Kuh in jedem Fall liegen”, sagt er. Dann ist die Bauchpresse besonders effektiv, mit der die Kuh in den Wehen drückt. Dabei ziehen Muskeln am Becken und weiten den Geburtskanal. “Wenn eine Kuh Ruhe und Platz hat, legt sie sich zur Geburt immer in Seitenlage hin”, bekräftigt Zerbe. Liegt die Kuh nicht von selbst, kann es ratsam sein, leicht an den Beinen des Kalbs anzuziehen oder die Kuh mit Stricken zum fachgerecht zum Liegen zu bringen.
Liegt die Kuh, gilt es, Stricke auch an den Kälberfüßen anzubringen. Stricke an den Kälberfüßen sollten oben oder unten am Fuß angebracht werden. Sitzt die Schlaufe seitlich am Fuß, besteht laut Zerbe erhöhte Frakturgefahr. Bei der Geburtshilfe gilt: Wehen- und Presspause ist Zugpause.
Sanft geht vor kräftig
Ist Geburtshilfe unausweichlich, sieht die optimale Unterstützung der Kuh so aus: Die Schamlippen heiß (aber nicht zu heiß) duschen, um das Gewebe zu weiten.Fruchtwasserersatz in der Menge von drei bis zehn Litern einpumpen, das macht den Geburtsweg nach Zerbes Angaben schlüpfrig: “Die nötige Menge kriegt man unmöglich nur mit dem Handschuh rein.”Mit beiden Handflächen stark auf den Damm in Richtung Euter drücken.Kalb in Orientierung der Wirbelsäule der Mutter ausziehen, bis das Becken des Kalbs im Becken der Mutter steckt.
Ab dann senkrecht in Richtung des Hinterfußes der Mutter weiter ziehen.Generell sollten nicht mehr als zwei Leute und nicht mehr als eine Person pro Bein an den Stricken am Kalb ziehen. “Die Kraft einer Person reicht, um eine Kuh kaputt zuziehen”, sagt der Fachmann. Ein mechanischer Geburtshelfer könne eine Erleichterung sein. Allerdings erhöht er die Gefahr, das Kalb und die Mutter zu verletzen, da sich über die Hebelwirkung immense Kräfte entfalten.
Rechtzeitig umstallen
Störungen bei der Geburt eines Kalbs kommen einen teuer zu stehen: Kosten in Höhe von 500 Euro setzt Zerbe für eine Geburtsstörung an. Offensichtlich sind meist Schäden am Kalb, die die Entwicklung beeinträchtigen können. Ein weiterer Grund für die hohen Kosten sind aber Geburtsschäden und Krankheiten wie eine Gebärmutterentzündung am Muttertier. Einige dieser Verletzungen verursache man versehentlich, wenn man zu stark am ungeborenen Kalb im Geburtskanal zieht.
Was kann man also unternehmen, um das Wohl von Mutter und Kalb zu gewährleisten und teure Folgebehandlungen zu vermeiden? Ein wichtiger Schritt ist laut Zerbe bereits das rechtzeitige Umstallen der Mutter in einen ruhigen Abkalbebereich. Die Wahrscheinlichkeit für eine Totgeburt steige von circa fünf auf mehr als 20 Prozent, wenn die tragende Kuh erst am Tag der Kalbung in die Abkalbebox kommt. “Stallen Sie mindestens eine Woche vorher um”, rät Zerbe. Wer die Kuh rechtzeitig vorbereitet, stellt also die Weichen für eine reibungslose Geburt und braucht im besten Fall nur eines: Ruhe beim Zusehen, bis das Kalb auf der Welt ist.
Zu diesem Artikel liegen noch keine Kommentare vor.
Artikel kommentierenSchreiben Sie den ersten Kommentar.