"Folgen der Enthornung können über die Akutphase hinausreichen"
In einer Studie der Vetsuisse-Fakultät der Universität Bern ist die Entstehung von akuten und chronischen Schmerzen nach der Enthornung bei Kälbern untersucht worden. Die bereits bekannte Studie, die nun publiziert worden ist, zeige, dass trotz optimaler Betäubung und Schmerzausschaltung sowohl eine akute wie auch eine chronische Schmerz- und Überempfindlichkeit bei Kälbern entstehen könne.
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-Die Enthornung ist ein Verfahren, das weltweit bei neugeborenen Kälbern bis zu einem Alter von acht Wochen angewandt wird. Dabei werden die Hornanlagen mit einem sogenannten Thermokauter ausgebrannt, was zu Verbrennungs-wunden führen. Bei Menschen, so die Wissenschaftler, könnten solche Wunden langfristige sensorische Defizite und chronische Schmerzen verursachen.
Die Leiterin der aktuellen Studie, Claudia Spadavecchia vom Departement für klinische Veterinärmedizin, Abteilung Klinische Anästhesiologie der Vetsuisse Fakultät der Universität Bern, erklärt hierzu: "Mehrere Studien haben gezeigt, dass die Enthornung bei Kälbern Verhaltens- und hormonolle Veränderungen, auslöst, die auf akute Schmerzen hinweisen. In der Schweiz ist eine Schmerzausschaltung während der Prozedur deswegen gesetzlich vorgeschrieben."
Hingegen sei bis jetzt über längerfristige Konsequenzen des Verfahrens nur wenig bekannt gewesen. "Insbesondere stellte sich die Frage, ob chronische Schmerzen bei Kälbern nach der Enthornung auftreten können", macht die Wissenschaftlerin deutlich.
Primäres Ziel der nun im Fachjournal «Physiology & Behavior» publizierten Studie war zu untersuchen, ob die Enthornung, durchgeführt unter einer optimalen, in der Schweiz obligatorischen Schmerzausschaltung, zur Entwicklung von akuten sowie chronischen Schmerzen bei Kälbern führen kann. Das zweite Ziel war, zu evaluieren, ob der Zeitpunkt der Enthornung der Kälber (im Alter von einer Woche gegenüber vier Wochen) einen Einfluss auf die Schmerzentwicklung hat.
Die Studie wurde an 34 männlichen Kälbern durchgeführt. Am Tag der Enthornung wurden alle Kälber sediert, und Analgetika wurden lokal und systemisch verabreicht. Tatsächlich enthornt wurde aber nur ein Teil der Kälber, der Rest wurde schein-enthornt. Spadavecchia erklärt: "Das wurde gemacht, um den möglichen Einfluss der Handlung am Kalb und den Einfluss der lokalen Schmerzbehandlung von der Wirkung der Enthornung selber unterscheiden zu können."
Um gleichzeitig die Rolle des Alters der Kälber auf die Entwicklung chronischer Schmerzen zu untersuchen, wurden die Kälber in drei Gruppen eingeteilt: die «Gruppe früh» wurde im Alter von einer Woche enthornt, und es wurde eine späte Schein-Enthornung im Alter von vier Wochen durchgeführt; die «Gruppe spät» wurde früh schein-enthornt (im Alter von einer Woche), und es wurde eine späte Enthornung im Alter von vier Wochen durchgeführt; die Kontroll-Gruppe schließlich wurde im Alter von einer und von vier Wochen schein-enthornt.
Da Schmerzen von komplexer, subjektive Natur sind, und die Kälber selbst ihren Schmerz nicht mit Worten beschreiben können, wurden das Schmerzempfinden der Kälber mit verschiedenen neuartigen Methoden evaluiert. Diese erlaubten es auch in der Humanmedizin, eine objektive Quantifizierung von typischen, schmerzbegleitenden Symptomen vorzunehmen. Die Messungen begannen jeweils vor dem Eingriff und dauerten bis zu 105 Tage danach.
Chronische Übermpfindlichkeit bei 38 Prozent der enthornten Kälber
Im ersten Studienteil, der bereits im Februar 2018 in der selben Fachzeitschrift publiziert worden war, waren die ersten 24 Stunden nach dem Eingriff untersucht worden. "Wir konnten zeigen, dass die Kälber trotz optimaler Betäubung und Schmerzausschaltung unmittelbar nach der Enthornung eine trigeminale Allodynie entwickelten, das heißt eine Schmerzempfindung, die auf an sich nicht schmerzhafte Reize hin entsteht. Zudem stellten wir eine sogenannte Hyperalgesie fest, das heißt eine übermässige Schmerzempfindlichkeit." Dabei zeigten Kälber, die im Alter von einer Woche und solche, die im Alter von vier Wochen enthornt wurden, ähnliche Werte.
Im zweiten Teil der Studie wurden die längerfristigen Folgen der Enthornung untersucht. Dabei wurde festgestellt, dass 38 Prozent der enthornten Kälber eine chronische, trigeminale Überempfindlichkeit entwickelten. Kälber aus der «Gruppe früh» und der «Gruppe spät» waren in den 38 Prozent gleichermaßen vertreten. Die Schmerzscores sowie die lokale Hyperalgesie und Allodynie seien bei den enthornten Kälber deutlich höher im Vergleich zu den schein-enthornten Kälbern gewesen, und dies während der ganzen Studiendauer bis zum Alter von 105 Tagen. Darüber hinaus zeigten die enthornten Kälber und besonders die Kälber der «Gruppe spät» eine Beeinträchtigung des endogenen Schmerzmodu-lationssystems. Dazu Spadavecchia: "Wir schließen daraus, dass die Folgen der Enthornung weit über die Akutphase hinaus reichen können. Einzelne Tiere können unabhängig vom Alter und der Schmerzausschaltung zum Zeitpunkt der Enthornung von einer chronischen trigeminalen Überempfindlichkeit und somit von chronischen trigeminalen Schmerz betroffen sein."
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