Herr der Alb-Würste
Weniger Fleisch, dafür bessere Qualität: Das ist ein Trend, der den handwerklichen Herstellern von Wurst- und Fleischwaren zugutekommt. So ist es nicht verwunderlich, dass Erzeuger und Verarbeiter auf der Schwäbischen Alb eine Renaissance erleben. Ihre Produkte sind gefragt. Dennoch sind sie in ihrer Existenz bedroht.
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Die Schwäbische Alb, bekannt durch ihre Wachholderheiden, ist nicht nur dünn besiedelt und verfügt über Naturschätze. In diesem Reservat versuchen Landwirte, Mühlen, Bäckereien oder Metzgereien dem Strukturwandel zu trotzen. So ist in dem von der Unesco ausgewiesenen Biosphärengebiet Schwäbische Alb – das sich von Reutlingen, Metzingen über Kirchheim Teck, Westerheim, dem ehemaligen Truppenübungsplatz nach Münsingen, Schelklingen bis Ehingen und über Zweifalten, Gomadingen, Lichtenstein bis Pfullingen erstreckt – die Metzgerdichte noch vergleichsweise hoch. „Wenn die Menschen in und um St. Johann wüssten, wie toll sie versorgt sind, die könnten sich alle eine Krone aufsetzen“, findet Ludwig Failenschmid.
Hausgemacht mit Herz und Hand
Der Albmetzger aus Gächingen wirbt mit dem Slogan „Hausgemacht mit Herz und Hand“. Heute noch wird in der seit 1740 bestehenden Metzgerei selber geschlachtet. In der Wurstküche herrscht eine hohe Betriebsamkeit. Begonnen wird mit der Schweineschlachtung mittwochs ab 5 Uhr und mit der Zerlegung donnerstags ab 3 Uhr. Rechtzeitig zum Wochenende gilt es, frische Ware in die Ladentheken bis nach Stuttgart und Reutlingen zu bringen. Die Rinder, hin und wieder auch junge Alb-Büffel vom „schwäbischen Cowboy“ Willi Wolf, werden am Donnerstag abgeholt und am Freitag geschlachtet. Failenschmid legt Wert darauf, dass die Tiere entspannt getötet werden. Wenn sie Stress haben, verlieren sie ihren Muskelzucker. Dieser aber sei wichtig, damit das Fleisch zart bleibt. Ohne Zucker keine Reifung und ohne Reifung kein gutes Fleisch.
Maultaschen, Saitenwürste oder Kartoffelsalat: in der Wurstküche wird so ziemlich alles selber hergestellt. Sorgfältig von Hand werden die Maultaschen gewickelt, gekocht und nach einer etwa einstündigen Abkühlphase verpackt. Mit seiner Multiverpackungsmaschine, dem Tiefzieher, wie Failenschmid das Gerät nennt, wird die Haltbarkeit durch das Vakuum um rund eine Woche verlängert. „Wir müssen ein handwerkliches Produkt industriell verpacken, damit die Kunden keine Scheu haben, uns auszuwählen“, ist Failenschmid überzeugt.
Die Salami kommt für einige Tage in die Reifekammer zur Fermentierung – bei 22 Grad Celsius und 85 Prozent Luftfeuchtigkeit. Danach reift und lagert sie neben der klassischen Schwarzwurst im Klimaraum. Sie wird dabei fester und gibt Wasser ab, das durch einen speziellen Stoffdarm entweichen kann.
„Eine sechs Monate alte Salami schmeckt so intensiv, da muss man automatisch weniger essen, um satt zu werden“, meint Failenschmid und fügt selbstbewusst hinzu: „Wir zählen in Sachen Lufttrocknung zu den besten Metzgern in Deutschland und wurden in der aktuellen Ausgabe des Gourmet-Magazins (Der Feinschmecker) als Landessieger Baden-Württemberg ausgezeichnet.“ Er ist unterwegs gewesen in Norddeutschland, in der Schweiz, Italien, Griechenland und Amerika, um zu lernen, wie in anderen Ländern Wurst hergestellt wird.
Jede Menge Erfahrung
Beim Rauchfleisch habe man es früher gerne mit dem Räuchern übertrieben. Geschmacklich sei das oft eine Katastrophe gewesen. Heute wird jeder Schinken einzeln eingesalzen, dosiert je nach Größe und in einen Beutel gepackt. Nach zwei Monaten wird der Beutel aufgehängt, der Schinken abgetrocknet. Zehn Tage lang wird er gepresst und nochmal drei Monate aufgehängt. Dann wird er weiter luftgetrocknet oder geräuchert – mit einem nur schwachen Rauch überzogen bei einer niedrigen Temperatur. „Der Rauch muss kalt sein, am besten aus Buchenholz mit Wacholdersägemehl. Dann wird der Schinken wunderbar“, verrät Failenschmid. Bis der Schinken endlich verkaufsfertig ist, vergeht ein ganzes Jahr.
„Meine Intention ist, einem hochwertigen Produkt genügend Zeit zum Reifen zu geben“, erklärt der Metzger. Dabei sei die Qualität des Schlachttieres ganz entscheidend. Wie wurde das Tier gefüttert und gehalten? Wie kommt es zur Metzgerei? „Ich versuche aus dem Tier das Beste zu machen, was es hergibt“, so sein Credo. Seine Lieferanten sitzen im Umkreis von rund 40 Kilometern. „Mein Vater hatte 80 bis 100 Bauern als Lieferanten, wir haben heute 25 Betriebe. Pro Woche schlachtet der Albmetzger acht bis zehn Rinder und 60 bis 70 Schweine. Dennoch muss er rund 15 Prozent des Fleisches vom Schlachthof in Mengen zukaufen, meist Edelteile wie Filet oder Rostbraten. Schweinehälse zum Beispiel friert er den Winter über ein, um im Sommer zum Beispiel für Dorffeste genügend Ware vorrätig zu haben.
Insgesamt gibt es im Biosphärengebiet rund 70 Metzger, Landmetzger, Fleisch- und Wurstproduzenten, sagt Ulrich Klostermann vom Landesinnungsverband für das Fleischerhandwerk in Stuttgart. Im Vergleich zur Einwohnerzahl (unter 1,0 Million auf 85.000 Hektar) ist das eine hohe Zahl, zumal wenn man sich vor Augen hält, dass heute 95 Prozent der Tiere industriell geschlachtet werden und kleinere und mittlere Handwerksbetriebe immer mehr verschwinden. Deutschlandweit dürften es nur noch knapp 2000 Handwerksfleischer sein, die selber schlachten.
Gleich im Nachbarort von Failenschmid, in St. Johann-Lonsingen, sitzt die Landmetzgerei Rapp. Auch hier wird noch selber geschlachtet. Neben Schinkenspezialitäten und Maultaschen gibt es Angusprodukte aus eigener Aufzucht. Keine 20 Kilometer entfernt in Sonnenbühl ist die Metzgerei Allmendinger. Marco Allmendinger führt den Betrieb mit 16 Mitarbeitern in der vierten Generation und Vater Hermann Allmendinger unterzeichnete bereits 1986 als erster Metzger in Baden-Württemberg einen Vertrag mit dem Bioland-Verband. Allmendinger schlachtet auch im Lohn, unter anderen für die Schäferei von Mackensen GbR in Gomadingen. Über diese Schäferei gibt es spezielles Bio-Lammfleisch aus dem Biosphärengebiet, das auch unter der Marke ALBGEMACHT angeboten wird.
„Unsere Schwäbische Alb“
Mitglied im Verein ALBGEMACHT ist auch die Metzgerei von Oskar Zeeb aus Reutlingen. „Unsere Schwäbische Alb“, lautet der Slogan auf der Homepage. Zeeb unterhält mit seinen über 320 Mitarbeitern mittlerweile 28 Filialen in der Region Neckar Alb, also auch rund um Stuttgart. „Der Trend geht wieder zum Fachgeschäft. Das Bewusstsein der Verbraucher ändert sich in Richtung regionale Produkte mit hoher Qualität und Wertschätzung der Landwirtschaft“, erlebt Oskar Zeeb. Er lässt am Schlachthof in Mengen schlachten. Seine Philosophie lautet: „Die Bauern tragen Sorge dafür, dass unsere Rinder und Schweine nur mit sorgsam zusammengestellten Futtermitteln aufgezogen werden. Das garantiert die Aufzucht von gesunden Tieren.“
Selbst wenn Ende 2020 der Schlachthof in Metzingen geschlossen wird, können die Schlachtungen von den regionalen und auch den umliegenden Schlachtbetrieben in Göppingen, Mengen, Biberach oder Ulm stückzahlmäßig problemlos übernommen werden, sagt Richard Riester von der LEL Schwäbisch Gmünd. Allerdings können dadurch die Transportwege im Einzelfall deutlich länger werden. Dies trifft insbesondere die Direktvermarkter im Reutlinger und Uracher Raum.
Sämtliche Bemühungen um die Metzgervermarktung und um den langfristigen Erhalt und die Sicherung der Möglichkeit zur regionalen Schlachtung der Tiere von kleineren wie größeren landwirtschaftlichen Betrieben im Biosphärengebiet laufen im Zukunftsforum „Fleischerzeugung und Fleischkonsum: regional und nachhaltig“ zusammen. Dieses Forum, das im Mai 2019 stattfand, war das letzte von insgesamt vier Zukunfsforen im Biosphärengebiet. Hier wurde unter anderem überlegt, inwieweit ein regionaler Schlachthof zukunftsfähig sein könnte. Woher kommt unser Fleisch? Wie wird sich die Fleischerzeugung im Biosphärengebiet entwickeln?
Ermöglicht haben diese Zukunftsforen Sondermittel, die die Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und CDU der Geschäftsstelle Biosphärengebiet Schwäbische Alb zur Verfügung gestellt haben, berichtet Adelheid Schnitzler, die sich in der Geschäftsstelle in Münsingen um Vermarktungsprojekte von regionalen landwirtschaftlichen Produkten kümmert. Ziel ist es, auszuloten, wie man den Standort Schwäbische Alb wirtschaftlich, sozial und ökologisch besser aufstellen kann.
„Wir wollen die Fleischvermarktung und – verarbeitung in der Region sichern“, bestätigt auch Gebhard Aierstock, Vorsitzender beim Kreisbauernverband Reutlingen. Viele Direktvermarkter mit ihren Hofläden seien auf die Metzgereien dringend angewiesen, nach dem Motto: „Wer schlachtet mir meine Tiere und bringt die Wurst in die Dose?“
„Alle wollen angeblich regionale Lebensmittel. De facto macht die Politik das Gegenteil, wenn sie weiter zu einseitig auf industrielle Produktion und Welthandel setzt“, kritisiert Failenschmid. In vielen Sonntagsreden werde ein Tuch der Vertuschung über das gelegt, was seiner Ansicht nach wirklich auf dem Land los ist. Dass vieles, was man sich in den Amtsstuben ausdenkt, nicht automatisch funktioniert, konnte er im eigenen Betrieb erfahren. Als er 1995 die Metzgerei vom Vater übernehmen sollte, wollte man die Schlachtungen zentralisieren. So sollte Failenschmid nach Wunsch der Veterinärbehörden die eigene Schlachtung aufgeben und seine Tiere am Reutlinger Schlachthof schlachten lassen. Der Schlachthof in Reutlingen, heute längst geschlossen, galt damals als zukunftsträchtig. Seine Hartnäckigkeit, das Schlachten nicht aufzugeben, woran der Betrieb damals fast zerbrochen war, sieht Failenschmid heute als Teil seiner Erfolgsgeschichte. Die Produkte sind gefragt. „Der Laden läuft unter Vollstrom“, so der Metzgermeister.
Sorgen um die Zukunft
Nachdenklich wird Failenschmid beim Blick in die Zukunft. „Die Frage ist, mit welchen Menschen treibt man so einen Laden künftig um?“, sagt er und fügt hinzu: „Wurst kaufen ist einfach, aber Wurst selber herstellen, wie wir das machen, gibt es immer weniger.“ Denn gerade beim Töten von Nutztieren zeige sich, welch tiefer Riss durch die Gesellschaft geht und wo sich Werte verschieben. Es kommt zu einer Entfremdung zwischen der realen Welt des Schlachtens und einer Schweinwelt, in der diese Realitäten gerne ausgeblendet werden.
Failenschmid hat heute 110 festangestellte Mitarbeiter, darunter 13 Metzger, neun davon sind Metzgermeister. Angesichts des Fachkräftemangels werde es für ihn schwierig werden, dieses Niveau zu halten. Selber schlachten: Wie soll das künftig gehen? Viele der Metzgerkollegen hätten heute schon nicht mehr das Know-how, um das Produkt so zu machen, wie man es traditionell gelernt hat. „Wenn die ersten guten Leute in den Ruhestand gehen, wird es schwierig, diese Lücke zu schließen“, sagt Failenschmid.
Ironie der Geschichte: In diesen Tagen kam eine Gruppe von EU-Veterinären, um sich das Schlachten, Zerlegen und Verkaufen bei Failenschmid anzuschauen. Sie seien auf der Suche nach Betrieben, die noch alles in einer Hand machen. Dass es solche Betriebe in anderen Regionen schon längst nicht mehr gibt, liegt an den EU-Gesetzen. Verschärfte Auflagen haben in den vergangenen Jahrzehnten dazu geführt, dass immer mehr Handwerksbetriebe aufhören mussten. „Wir zählen hier zu den Dinosauriern,“ sagt Failenschmid.
Fakt bleibt: Mit einem kleinen Schlachthäusle lässt sich kein Geld verdienen. „Wir können uns das nur deshalb noch leisten, weil wir alles in einer Hand haben“, sagt der Metzger. Unterhält er doch einen eigenen Landgasthof und verfügt mit fünf Filialen über zahlreiche kaufkräftige Kunden. Die Gewinnspanne ist dennoch gering. „Wir müssen deutlich höherpreisig fahren, sonst kommen wir von den Kosten her nicht raus.“ Laut Failenschmid funktioniert die Zusammenarbeit mit der Erzeugerseite hervorragend. „Ich will wissen, was ich vom Bauernhof bekomme, muss den Menschen kennen und möchte wissen, wie er tickt,“ sagt er. So verbinde ihn mit seinen Mästern ein langjähriges Vertrauensverhältnis. „Wir suchen die Tiere aus und holen sie mit unserem Viehanhänger ab,“ sagt Failenschmid. Die Schweine nimmt er gerne etwas schwerer, mit 120 bis 140 Kilogramm Lebendgewicht.
Die Idee der Alblinsenschweine wurde unter anderen vom Gasthof Herrmann in Münsingen vorangetrieben, einer der Hauptabnehmer. Man wollte den Abfall beim Linsenanbau, das eiweißhaltige Linsenschrot, über die Schweine verwerten. Heute sind rund 250 Schweine pro Jahr auf dem Markt. An die Gastronomie stelle dieses Premiumfleisch höchste Ansprüche.
Bio und konventionell
„Rund zehn Prozent unserer Rinder und zwei Prozent der Schweine sind heute schon Bio-Tiere,“ sagt Failenschmid. Extra ausgewiesen wird Bio bei ihm nur beim Alblinsenschwein. Er zahlt den Biopreis zwar auch bei anderen Bio-Tieren, macht aber bei seinen Produkten einen Mischpreis, weil er sie angesichts der Vielfalt nicht separat ausweisen kann. Und: „Wir haben eine große Bandbreite an Kunden. Meine Aufgabe ist es, dass ich sie alle zufrieden stelle“, sagt Failenschmid. Der Büffelschinken zum Beispiel, in Gächingen fast unverkäuflich, sei in Stuttgart der Renner.










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