Am Regal erdacht, am Hof gemacht
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Der Biomarkt in Deutschland wächst seit Jahren, in der Gesellschaft hat bio einen hohen Stellenwert, auch weil in den Medien positiv über diese Bewirtschaftungsform der Landwirtschaft berichtet wird. In vielen Betriebszweigen reicht die heimische Produktion noch nicht aus, um die Nachfrage zu stillen. Es muss nicht nur für den Verbraucher produziert werden, auch Futtermittel und Exportware in Bioqualität werden gesucht.
Regionalität ist ein unschlagbares Argument für Direktvermarktung, mit unterschiedlichem Stellenwert in den Regionen Deutschlands. In Baden-Württemberg hat der Ab-Hof-Verkauf einen guten Ruf. Für Bioprodukte aus dem Ländle gibt es ein spezielles Zeichen: Das Bio-Zeichen Baden-Württemberg, dessen Vorgaben über dem EU-Ökostandard liegen. Die Direktvermarktung ist oftmals die Variante der Wahl, wenn es darum geht, eine möglichst hohe Wertschöpfung zu erzielen. Spezielle Kulturarten, wie beispielsweise alte Kartoffel-sorten, müssen über diese Schiene vermarktet werden, da der mögliche Erlös über Erzeugergemeinschaften dem in keinster Weise nahe kommt.
Wertschöpfung muss beibehalten werden
Das Angebot an heimischer Produktion reicht aber nicht aus, um die Nachfrage zu stillen. Marktstand, Hofladen, Naturkostfachhandel, aber auch Lebensmitteleinzelhandel (LEH) und Discounter bieten Bio-Lebensmittel an. Über die Hälfte des Umsatzes wird mittlerweile im LEH erzielt. Betriebsorganisation, Standort und persönliche Neigung haben bei der Auswahl des geeigneten Absatzweges für die einzelnen Betriebe Bedeutung.
Rohwaren sind in unterschiedlichen Mengen vorhanden – vom Überangebot bis zur Knappheit – zeigt auch der Biomarkt all seine Facetten. Die hohe Dynamik und die strukturellen Veränderungen in der Bio-Vermarktung tragen dazu bei. Der Discount setzt auf die Austauschbarkeit der Ware. So findet man dort seltenst gelabelte Produkte von Verbänden. Das einheitliche EU-Siegel ermöglicht den Verkauf von Bioware. Leider gilt auch hier, wie im konventionellen Markt, dass der günstigste Anbieter zum Zug kommt. Die Zusammenarbeit von Erzeugern mit Verarbeitern und Händlern wird gewinnt an Bedeutung. Nur wenn es gelingt, dass man nicht ausgetauscht werden kann, wird eine höhere Wertschöpfung erreicht und ein Mehrwert geschaffen. Leider geht dieses Konzept meist nur auf Kosten der Vielfalt auf.
Ackerbauern haben gute Vermarktungsaussichten auf einem relativ stabilen Preisniveau. Viehhaltende Betriebe stellen um und suchen Futter für die neuen Bio-Tiere. So ist die Futterversorgung in den letzten Jahren knapp geworden, die Getreideimportzahlen sind trotz zunehmendem Angebot an Umstellerware angestiegen.
Auf den Acker, fertig, los – Bio-Qualität ist gesucht
Die Getreidefläche im ökologischen Landbau ist nach leichten Einschränkungen wieder auf Wachstumskurs. Trotzdem stellt die Ernte von Bio-Getreide nur einen Anteil von 1,5 Prozent an der deutschen Getreideernte. Getreidearten kommt im ökologischen Anbau oftmals eine andere Bedeutung zu als im konventionellen. So wird Sommergerste für Brauzwecke und weniger als Futter- und Speiseware angebaut. Als Futter spielt Wintergerste eine deutlich kleinere Rolle. Leguminosen, Körnermais und Ölsaaten sind oftmals gesucht. Körnermais wird für die Geflügelhaltung benötigt, die
stetig steigt. Ölmühlen suchen nach deutschem Bio-Raps. Da der Krankheits- und Schädlingsdruck und das Anbaurisiko bei Raps jedoch hoch ist, wagen nur wenige Landwirte den Anbau der Ölsaat.
Auf zehn Prozent der deutschen Gemüsefläche wird Biogemüse angebaut, in Baden-Württemberg auf rund 1300 ha, und der Markt bietet bei Verarbeitungs- und Frischmarktgemüse durchaus gute Perspektiven für heimische Anbauer. Ein Selbstläufer ist deutsches Biogemüse allerdings nicht, da in vielen Verkaufsregalen Gemüse aus dem Ausland liegt. Um als Erzeuger erfolgreich zu sein, muss man sich intensiv mit dem Marktgeschehen auseinandersetzen sowie verlässliche Marktpartner suchen und finden. Qualitativ hochwertige Ware ist gefragt und im Bioanbau nur durch professionelle Produktion zu erreichen. Kleine Fehler können schnell teuer werden, da es wenige Eingriffsmöglichkeiten gibt. Auch im ökologischen Landbau verschwinden immer mehr Äcker im Frühjahr unter Abdeckungen aus Vlies und Folie. Der Gemüseanbauer verspricht sich eine frühere Ernte und gutes Geld zum Saisonstart. Einsteiger sollten hier jedoch noch Vorsicht walten lassen, da Materialien und Techniken die ein oder andere Tücke bereithalten.
Bio-Fleisch ist nicht immer und überall zu bekommen. Meist findet man es bei Direktvermarktern oder abgepackt in Kühltheken. Bei Fleisch in der Frischtheke ergibt sich für den LEH das Problem, dass jede Theke einzeln zertifiziert werden muss. Das kostet Geld und macht die Vermarktung oftmals unrentabel.
Bio-Fleischmarkt bietet Chancen für Erzeuger Die Nachfrage kann trotz aller Widrigkeiten oft nicht gedeckt werden. In der Bio-Rindfleischproduktion wurden männliche Absetzer aus Öko-Mutterkuhbeständen oft konventionell gemästet, ebenso wie die männlichen Kälber aus Milchviehbeständen. Die Anteile, die auf diese Art aus dem Ökomarkt gewandert sind, wurden 2015 kleiner. Es werden mehr Tiere in Biobetrieben gemästet und auch als Biotiere verkauft. So kann die steigende Nachfrage besser bedient werden.
Um den Bio-Schweinemarkt ist es noch schlecht bestellt – aus Verbrauchersicht. Das Angebot ist knapp, da nach der Reduzierung der Sauenbestände in 2013 sich der Markt noch nicht wieder erholt hat. Zwar werden aktuell Sauenställe gebaut, auch größere, die Lieferung von den von Mästern gesuchten Ferkeln läuft jedoch nur schleppend an.
Trotz steigender Marktanteile ist der Biogeflügelmarkt weiterhin nur eine Nische. Das liegt vor allem daran, dass in Deutschland der Hähnchenmarkt enorm groß ist und hier beträgt der Bioanteil lediglich 0,9 Prozent. Bei Suppenhühnern ist dieser mit 9,0 Prozent deutlich höher. Den höchsten Bio-Anteil unter den Mastgeflügelarten haben schon über Jahre hinweg die Gänse. Trotz höherer Bio-Anteile bei Gänsen, Puten und Enten, lag der Fleischanteil 2015 bei nur einem Prozent.
Geflügelmarkt wächst stetig und bleibt eine Nische
Putenbestände sind am Biomarkt gesucht, doch finden sich wenig Umstellungswillige. Meist scheitert es an für den Ökolandbau geeigneten Putenrassen, die für langsameres Wachstum, extensives Futter und Freilandhaltung geeignet sind. Der Bio-Geflügelmarkt konzentriert sich fast ausschließlich auf Frischware, die vielmals in Direktvermarktung (DV) oder im Naturkosthandel angeboten wird. Bio-Geflügel ist beim Verbraucher gefragt und er ist auch bereit, hohe Preisaufschläge dafür zu zahlen.
Deutlich besser ist die Situation am Eiermarkt. Knapp zehn Prozent der Eier stammen in Deutschland aus Biohaltung. Da kleineren Öko-Betrieben eine größere Rolle zukommt als in der konventionellen Haltung und immer mehr Betriebe mit Hühnermobilen in der DV aktiv sind, unterscheiden sich die beiden Wirtschaftsweisen stark. Heute reicht das „Warenzeichen“ Bio-Ei meist jedoch schon nicht mehr für eine höhere Wertschöpfung aus. Der Eiermarkt wurde schon früh von ökologisch wirtschaftenden Betrieben bedient. Ein Mehrwert wird verlangt, den die Verbraucher offen einfordern: Tierwohl ist das Schlagwort. Von Erzeugern müssen neue Marktprinzipien erlernt werden. So wurde beispielsweise die „Gockeler Wurst“ in Hoßkirch geboren. Mit dem Konzept „Wir bringen den Gockel nicht ums Egg“, muss ein Teil der Bruderhähne aufgezogen werden. Lediglich 20 g/Tag nehmen die Hähne zu, bei modernen Masthybriden sind es bis zu 60 g täglich. Auch die Futterverwertung ist noch längst nicht so, wie sie sein sollte. Das erhöht die Kosten, die deshalb über den Eierverkauf mitfinanziert werden müssen. Weiter sind auch Nebenprodukte wie Bruch- oder Flüssigei von Legehennenhaltern bei der Erstellung der Vermarktungsstrategie zu berücksichtigen.
Der Absatz von Biomilch wird in den nächsten Jahren weiter steigen. Nicht nur die private Nachfrage in Deutschland, sondern auch die Exportnachfrage zeigt Potenzial. Da jedoch von vielen Molkereien nicht abgeschätzt werden kann, wie sich die Milchanlieferung der bestehenden Lieferanten als auch die Vermarktung entwickelt, gibt es derzeit kaum Abnahmeverträge für Umsteller. Trotz stark steigender Zahlen in 2016 beträgt der Anteil der Biomilch an der Gesamtanlieferungsmenge von Kuhmilch nur 2,6 Prozent – in Baden-Württemberg sind es immerhin schon 5,8.
Milchvermarktung auf verschiedenen Kanälen
Seit über 25 Jahren bewirtschaftet Familie Schäfer den Birkenhof in Bodelshausen. Der Betriebsschwerpunkt liegt in der Milchviehhaltung mit Grünlandwirtschaft. Das ist nicht alles: Pensionspferdehaltung, Öffentlichkeitsarbeit (Lernort Bauernhof, Bundesprogramm Ökolandbau) sowie Direktvermarktung sind weitere Standbeine der Diversifizierung. Dem Betriebsleiter Thomas Schäfer ist bewusst, dass er seinen Biomilch-Preis absichern muss. „Die vergangenen Milchkrisen waren nicht lang genug, dass es zu einer Umsteigerwelle gekommen ist. Das war nun anders: Viele Milchviehhalter, auch solche, von denen man diesen Schritt nie erwartet hätte, sind heute in der Umstellphase. Das kann noch zu Problemen beim Absatz von Biomilch führen“, analysiert er. Mit dem Biomilchmarkt hat Schäfer viele Erfahrungen gesammelt. Seit 20 Jahren betreibt er einen Milchautomaten auf dem Hof. Täglich kann von 17 bis 19 Uhr Rohmilch gezapft werden. Nüchtern betrachtet er das Geschäft: Eine große Menge kommt hier nicht zusammen. Schafft man im Schnitt 20 bis 30 Liter pro Tag zu vermarkten, ist das gut, vor allem, wenn der Standort nicht an einer Straße liegt. „Das Konzept ist machbar, wenn jemand da ist, der die Milch regelmäßig nachfüllt und den Automat reinigt“, führt er weiter aus.
Direktvermarktung über Lieferservice ist viel Arbeit
Vor 15 Jahren hat Familie Schäfer zudem den „Milchmann“-Lieferdienst ins Leben berufen. Zweimal wöchentlich wird betriebseigene Milch pasteurisiert und in Makrolon-Flaschen (1- und 2-Liter-Gebinde) abgefüllt. Im Umkreis von sechs Kilometer haben die Milchmanns heute rund 450 Haushalte, die angefahren werden. Die Lieferung wird früh morgens ab 1:45 Uhr vor die Haustüre gestellt. Die Abrechnung erfolgt monatlich über ein Lastschriftverfahren. Über die Schiene Lieferservice konnte Schäfer im letzten Jahr rund 100.000 Liter Biomilch absetzen. Das war nicht immer so: Rund fünf Jahre brauchte die Familie, um 300 Kunden zu gewinnen. „Der Anfang war hart“, erinnert sich Schäfer zurück. „Wir haben vor alle Haustüren im Dorf eine Milchflasche gestellt, mit einem Infoflyer und einem Abholdatum für das Leergut. Bei der Abholung haben wir dann das Gespräch mit den Konsumenten gesucht und so Kunden für Kunden gewonnen.“ Die 70 Kühe produzieren jedoch mehr, als sich über diese Schienen vermarkten lässt. Wohin mit der restlichen Milch?
Ganz traditionell vermarket der Betrieb an eine Bio-Molkerei. Das war bis 2009 Allgäuland in Tübingen. Die Molkerei geriet in Schieflage und wurde verkauft. Fünf Biolandbetriebe aus dem Tübinger Umkreis haben eine alternative Vermarktungslösung für die Milch von insgesamt 250 Kühen gesucht. Die Idee der „TüBio“ ist entstanden. Da auf dem Birkenhof eine kleine Molkerei existierte, wurde der Standort um eine „große“ Molkerei erweitert. Um die Investitionen in Höhe von 850.000 Euro (Baukosten, Abfüllanlage, Verrohrungen, etc.) tätigen zu können, wurde Geld benötigt. 300.000 Euro konnten über Genussrechte (Anteile ohne Eigentumsrechte) durch eine Bürgerbeteiligung abgedeckt werden, der Rest über eine Hausbank finanziert. Die TüBio vermarktet ausschließlich pasteurisierte Milch mit acht Tagen Haltbarkeit in standsicheren Beuteln an den Handel. Ein stimmiges Konzept – schwer in der Umsetzung. Der Lebensmitteleinzelhandel (LEH) betrachtet Frischmilch skeptisch: Das Produkt muss innerhalb kurzer Zeit verkauft, Bestellmengen regelmäßig an den Absatz angepasst und die Kühlkette muss strikt eingehalten werden. Wird die Milch über einen Großhändler vermarktet, so reduziert sich die Vermarktungszeit weiter und es bleiben oft nur noch fünf Tage in der Kühltheke übrig.
Frischmilch eignet sich nicht für alle Absatzwege
Die in der Finanzierung geplanten Absatzmengen wurden in den ersten beiden Jahren nicht erreicht, die Bank erhöhte den Druck. „Nach den Erfahrungen mit der Hausbank, bin ich zu dem Schluss gekommen, dass man besser mit mehreren Banken fährt“, stellt Schäfer ernüchternd fest. Heute ist TüBio auf einem guten Weg. Neben dem Rohstoff Milch entstehen weitere Kosten von 50 bis 55 Cent pro Beutel. 300.000 Liter TüBio-Milch wurden 2016 vermarktet, zwei Millionen Liter von den Kühen produziert. Der Großteil der Milch geht noch immer an eine Molkerei – heute Gropper. Die Molkerei führt die Erfassung durch: Die Milch der fünf Landwirte wird in eine Kammer des Milchwagens gezogen, die jeweilige Bedarfsmenge – von dem LEH an Schäfer gemeldet – auf dem Birkenhof wieder in den Lagertank der TüBio entladen. „So haben wir gewährleistet, dass Milch von allen fünf Betrieben in der Verpackung ist, die Milch ordnungsgemäß erfasst wurde und wir eine solide Abrechnung haben“, erklärt Schäfer die Vorgehensweise.
Ein letzter Schritt zum Durchbruch wird kommen, ist sich der Vermarkter sicher. Von alleine funktioniert das aber nicht. Es wird in eine Marketingagentur investiert, die nun die Frischmilch im LEH bewerben soll, um weitere Kunden zu gewinnen. Die TüBio steht in vielen Supermarktregalen nicht an prominenter Stelle und reiht sich in eine Sammlung von Biomilch-Angeboten ein. Doch der Geschäftsführer ist sich sicher, dass der Verkaufspreis auch bei Preisdruck im Biomilch-Sektor bestehen kann. „Ich bin das Gesicht zum Beutel und bin regional im Absatzgebiet der Milch bekannt“, erläutert Schäfer. Damit hat er eine Kundenbindung geschaffen – der Käufer weiß, wo die Milch produziert wird. „Den 120 mit Genussrechten an der Molkerei Beteiligten geht es glücklicherweise nicht um eine hohe Verzinsung, sondern um die Sache“, resümiert Schäfer abschließend und erinnert sich an das gemeinsame Grillfest im letzten Sommer zurück, nachdem die erste eigene Molkereikrise gemeistert war.







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