Ein Hektar Zusammenhalt
Der Gemeinschaftsgedanke ist auf Schloss Blumenthal allgegenwärtig. Seit 2017 setzen die Blumenthaler ihn auch in ihrer Solidarischen Landwirtschaft um. Dafür haben sie ihr eigenes Beteiligungsmodell entworfen.
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Knapp 30 Kilometer östlich von Augsburg zwischen den Örtchen Aichach-Klingen und Sielenbach liegt das Schloss Blumenthal. Einige Jahre stand das ehemalige Fuggeranwesen leer bis im Jahr 2006 acht Familien das Schloss erwarben. Ihre Idee: eine Mehrgenerationen-Gemeinschaft in welcher Menschen verschiedenen Alters, verschiedener Herkunft und Religion gemeinsam leben und arbeiten. Mittlerweile leben 43 Erwachsene und 22 Kinder in Blumenthal. Neben einem Gasthof, einem Seminarhaus und einem Hotel gibt es hier seit Anfang 2017 die Solidarische Landwirtschaft (Solawi) Blumenthal.
Angefangen hat alles als Hobby einiger Blumenthaler. Zum Eigenverbrauch bauten sie Gemüse an. Nach und nach reifte die Idee, einen eigenen landwirtschaftlichen Betrieb zu gründen. Dass dieser dem Gemeinschaftsgedanken und den Überzeugungen der Blumenthaler entsprechen muss war klar. So wurde bereits 2015 ein Solawi-Berater hinzugezogen. Ein Businessplan wurde ausgearbeitet und im Januar 2017 ging es los.
Ökolandwirte mit Leib und Seele
Ein Hektar Freilandgemüse sowie 400 Quadratmeter im Gewächshaus bewirtschaftet die Solawi Blumenthal. Angebaut werden rund 40 verschiedene Arten. Im Freiland sind das unter anderem Salate, Wintersalate, Kohl, Rote Beete, Karotten, Pastinaken, Kürbis, Sellerie, Mangold, Petersilie, Schnittlauch und Zucchini. Tomaten, Auberginen, Gurken, Paprika, Spinat und mehr wächst im Gewächshaus.
Die Bewirtschaftung übernimmt Biggi Häussler. Die 53-jährige Blumenthalerin ist studierte Landwirtin. Unterstützt wird sie von zwei Teilzeitkräften und einer Aushilfe. Zudem gibt es einige ehrenamtliche Blumenthaler, die Teile der Öffentlichkeitsarbeit und Verwaltung der Solawi übernehmen.
Von Beginn an bewirtschafteten die Blumenthaler nach Ökorichtlinien. Die ersten 1,5 Jahre nach EU-Bio, seitdem nach Bioland-Richtlinien. Nach zweijähriger Umstellungsphase sind die Flächen seit 2019 zertifiziert. „Der Acker wurde ehemals konventionell bewirtschaftet, also Maisanbau mit schwereren Maschinen“, sagt Häussler. „Das dauert ein paar Jahre bis der lockerer wird. Wir wissen aber worauf wir uns eingelassen haben.“
Ansonsten stellt die ökologische Bewirtschaftung für die Solawi kein Problem dar. Biggi Häussler ist selbst auf einem Hof aufgewachsen, hat in den letzten 30 Jahren auf Biohöfen gearbeitet, war in der Demeter-Beratung tätig und hat bei der Kontrollstelle Zertifizierungen für alle Öko-Verbände vorgenommen. Bereits seit 2012 baute sie in Blumenthal zunächst hobbymäßig eine kleine Gärtnerei und Landwirtschaft auf. Die zwei Teilzeitkräfte haben einen ähnlichen beruflichen Hintergrund. Alex Trum und Meike Karl sind Gärtner und haben beide auf Bio-Betrieben gelernt. Der „Maschinendoktor“ Lorenz Jäger ist studierter Landwirt und hat jahrelang auf einem Bio-Ziegenbetrieb gearbeitet.
Auch für den Anbauplan ist Biggi Häussler zuständig. Auf der Jahreshauptversammlung der Solawi wird dieser jedes Jahr den Solawi-Mitgliedern vorgestellt. Sie können Änderungen anregen oder eigene Ideen einbringen. Bisher wurde der Plan allerdings immer abgenickt. Häussler würde sich über mehr eigene Ideen seitens der Mitglieder freuen. So wie beim Malabarspinat. Der war 2018 ein Versuch. Die Rückmeldung war eindeutig - in Zukunft bitte nicht mehr!
Die Mitglieder entscheiden, wie viele Anteile sie wollen
Auf der jährlichen Hauptversammlung werden den Mitgliedern außerdem die geplanten Kosten fürs kommende Jahr vorgestellt. Das umfasst unter anderem die Kosten für Maschinen, Löhne, Saat- und Pflanzgut und Investitionen. Die Gesamtsumme wird auf alle Mitglieder umgelegt, hieraus ergibt sich der monatliche Beitrag für einen Ernteanteil. Die Mitglieder können frei wählen wie viele dieser Anteile sie beziehen. Ein Ernteanteil bemisst sich an der Menge, die ein durchschnittlicher Singlehaushalt pro Woche mit drei- bis viermal Kochen konsumiert.
Derzeit beträgt der Grundbetrag für einen Ernteanteil 58 Euro monatlich. Dieser Preis setzt sich aus einem Sockelbeitrag von 20 Euro und einer Gemüseoption für 38 Euro zusammen. Der Sockelbeitrag bietet die Grundlage für den Landwirtschaftlichen Betrieb und finanziert die Gebäude- und Maschinenabschreibung, Arbeitskräfte in der Verwaltung, Pacht und Bodenvorbereitung. Der Beitrag für die Gemüseoption finanziert die Produktionsmittel der Solawi, also Saatgut, Jungpflanzen, Löhne und Nützlinge. Darüber hinaus können Mitglieder eine Kartoffel-, Honig- oder Zitronenoption dazu buchen. Die Kartoffeln kommen von einem kooperierenden Demeter-Bauern, die Orangen und Zitronen von einem ökologisch bewirtschafteten Betrieb aus Sizilien und der Honig von einer benachbarten Demeterimkerei.
Mitglieder haben auch die Möglichkeit einen Förderbeitrag zu entrichten. Ein Mitglied zahlt dann freiwillig mehr als den monatlichen Grundpreis. Ein einkommensschwächeres Mitglied profitiert davon und zahlt weniger. Hier zeigt sich einmal mehr der Gemeinschaftsgeist der Solawi. Bisher gibt es mehr Mitglieder, die diesen Förderbeitrag zahlen, als Leute, die ihn in Anspruch nehmen.
Die Gemeinschaft sorgt für schwarze Zahlen
Im ursprünglichen Businessplan wurde mit 50 Quadratmeter pro Ernteanteil gerechnet um die Betriebsflächen voll auszuschöpfen. Dies entspricht 160 Solawi-Mitgliedern. Mittlerweile wurden die Zahlen angepasst, die ursprüngliche Kalkulation war etwas knapp bemessen. 65 bis 70 Quadratmeter werden nun pro Ernteanteil gerechnet, 110 Mitglieder- und 40 Gasthaus-Ernteanteile sollen erreicht werden. Im ersten Jahr machte die Solawi noch Schulden, da nicht alle Ernteanteile verteilt waren. Für dieses Jahr ist Biggi Häussler aber zuversichtlich. „Die monatlichen betriebswirtschaftlichen Analysen zeigen, dass wir dieses Jahr wohl in den schwarzen Zahlen landen werden.“
Dass die Solawi Blumenthal so schnell aus den roten Zahlen kommt liegt daran, dass die Anfangsinvestition von der Gemeinschaft getragen wurde. Die Blumenthaler Gemeinschaft ist Besitzer der Solawi, also auch aller Maschinen und Produktionsmittel. „Wir müssen darauf achten, dass die Maschinen ihren Wert behalten, aber zurückkaufen müssen wir sie nicht“, erläutert die Agraringenieurin.
Inzwischen hat die Solawi 105 Mitglieder, darunter Blumenthaler und Externe. Dennoch ist der Betrieb voll ausgelastet, da auch das Blumenthaler Gasthaus zu den Mitgliedern zählt und jährlich 40 Ernteanteile bezieht. Die übrigen Waren kauft der Gasthof über den Bio-Großhandel zu. Der Preisunterschied zwischen Solawi- und Großhandelspreisen wird von der Blumenthaler Gemeinschaft subventioniert. Das wurde bei der Gründung der Solawi zunächst für drei Jahre beschlossen und wird seither jährlich auf dem Jahresfinanzplanungstreffen der Gemeinschaft verlängert. Wie es danach weitergeht, werden die Blumenthaler noch diskutieren.
Der Gemeinschaft ist es ein Anliegen regionale und nachhaltige Produkte zu fördern. Die Gäste sollen auf lange Sicht umerzogen werden: Mehr regionale, nachhaltige und saisonale Produkte sollen konsumiert werden. Im Gasthaus zeigt sich das schon am Angebot der Speisekarte: im Winter gibt es zum Beispiel Chinakohl statt Paprika und Krautsalat statt Tomaten. Ab September gibt’s Kürbis, der im Februar wieder von der Karte verschwindet.
Nicht Effizienz, sondern Miteinander im Vordergrund
Für die Blumenthaler ist die Solidarische Landwirtschaft der richtige Weg. „Dadurch dass der Verbraucher den tatsächlichen Preis der Güter zahlt, nicht irgendeinen Billigpreis, lastet nicht so ein wirtschaftlicher Druck auf uns“, erklärt Häussler. Hier steht nicht Effizienz, sondern das Miteinander im Vordergrund. Ein Ernteausfall bedeutet unter diesem Solidarischen Prinzip nicht den wirtschaftlichen Ruin, sondern wird von allen Mitgliedern getragen. „Unser Ziel ist es, dass der Betrieb rund läuft und die Solawi sich weiterentwickeln kann – nicht große Gewinne einzufahren“, fügt die 53-Jährige hinzu.
Das Gemeinschaftsprojekt kann aber auch Hürden mit sich bringen. „Ich habe nicht die alleinige Entscheidungshoheit wie ein selbstständiger Landwirt“, meint die Agraringenieurin. Stehen Investitionen an, werden diese erstmal in der Gruppe besprochen, diskutiert und zur Abstimmung gebracht. „Bisher funktioniert das super, den Businessplan haben wir ausführlich besprochen. Aber wenn der erstmal abgearbeitet ist wird es spannend.“
Im Gegensatz zu vielen anderen Solawis wurde die Blumenthaler nicht von Seite der Verbraucher, sondern von Landwirten gegründet. „Bei uns ist das halt andersrum, wir waren eine Landwirtschaft und haben uns dann den Verbraucherkreis gesucht“, meint Häussler. Da merkt man schon einen Unterschied. „Wenn die Verbraucher eine Solawi gründen, ist der Gemeinschaftsgedanke von Anfang an stark. Ich hoffe bei uns bildet er sich noch weiter aus“, sagt sie.
Die Mitglieder der Solawi sind bunt gemischt. Viele junge Familien mit Kindern, aber auch Rentner befinden sich darunter. „Die haben die Zeit zum Kochen und Mitmachen“, mein Häussler schmunzelnd. Durch Feste und gemeinsame Aktionen wie Kochabende oder Diskussionsrunden versuchen die Blumenthaler den Zusammenhalt weiter zu stärken. Bisher ist das noch nicht zur vollen Zufriedenheit Häusslers gelungen, was auch an der räumlichen Distanz zu einigen Mitgliedern liegen mag. Fünf Depots unterhält die Solawi rund um Blumenthal. Zudem kann das Gemüse auch direkt in Blumenthal abgeholt werden. Am weitesten entfernt liegt mit rund 50 Kilometern das Depot in München.
Häussler ist dennoch optimistisch. „Wir haben in 2018 und 2019 in jedem Depot ein Treffen angeleiert und wollen auch 2020 wieder welche organisieren“, sagt Häussler. Das scheint Früchte zu tragen: „Die Mitglieder innerhalb mancher Depots vernetzen sich bereits mehr untereinander, kennen sich und tauschen Rezepte aus.“ Auch feste Helfergruppen gibt es inzwischen: so werden Bohnenpflücken, Einkochen, Gewächshauspflege und Infostände von den Mitgliedern übernommen. Jede Helfergruppe wir von einem Solawi-Mitglied koordiniert.
An den Zukunftsplänen wird bereits getüftelt
Die Solawi steckt noch in den Kinderschuhen. Dennoch läuft nach gerade mal drei Jahren der Anbauplan schon sehr gut. Und auch der Schritt in die schwarzen Zahlen ist fast geschafft. Woran es jetzt noch fehlt sind Maschinen. Am dringendsten bedarf es einer Beregnungsanlage. Auch ein Miststreuer und ein Wasserfass sollen angeschafft werden. Sind diese Punkte aus dem Businessplan abgearbeitet, steht aber schon der nächste Plan ins Haus: Beim Erwerb des Blumenthaler Schlosses erhielt die Gemeinschaft auch das Vorkaufsrecht auf die umliegenden landwirtschaftlichen Flächen. Gemeinsam mit anderen Bio-Bauern kauften die Blumenthaler diese. Auf 27 Hektar soll in der Zukunft ein Ziegenbetrieb mit eigener Käserei entstehen. Zudem sind der Anbau von Kräutern und Beeren sowie ein Hofladen geplant. Das alles wird nicht über die Solawi laufen, aber auch hier greift der Gemeinschaftsgedanke: Für Solawi-Mitglieder soll es zum Beispiel eine Ziegenmilch-Option geben. Der Rest soll hauptsächlich über Direktvermarktung, aber auch über regionale Bioläden an die Konsumenten gehen.













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