Der Agroforst als Ökosystemimitat
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Benedikt Bösel fragt nicht, sondern macht das, wovon er überzeugt ist. So begann er vor drei Jahren damit, auf seinem 3000 Hektar großen Betrieb „Gut&Bösel“ im brandenburgischen Alt Madlitz für Forschungszwecke Agroforstsysteme anzulegen. Auf Förderungen für den Agroforst verzichtete er – es gab ohnehin keine passenden. Statt sich zu beklagen, ist der „Hausmeister“, wie er sich selbst nennt, kreativ geworden, hat eine Stiftung gegründet und Forschungs-, Förder- und Stiftungsgelder von anderen Stiftungen und Firmen eingeworben. Für einen kurzen Moment lehnt er sich zufrieden hinter seinem Schreibtisch zurück. Dann spricht er hastig weiter, rollt auf seinem Stuhl vor und zurück und klickt auf dem Kuli herum. Ganz der Hausmeister kommt er nicht zur Ruhe, stets gibt es etwas zu tun.
Seine Aufgabe sei es, dafür zu sorgen, dass all die tollen Leute, die auf seinem Betrieb arbeiten, tun können, was sie eben tun, erklärt Bösel. Denn er selbst kommt als Agrarökonom mehr aus der Finanzbranche. Das hat auch Vorteile. Viele Vorstellungen über die Landwirtschaft hätte er zum Beispiel nie gelernt. „Dadurch bin ich offen für andere Dinge und denke anders als ein klassischer Landwirt oder eine klassische Landwirtin“, erklärt der Betriebsleiter.
“Beyond Farm, beyond sustainability, beyond food” hat er sich und dem Gut auf die Fahnen geschrieben und die Agroforstwirtschaft ist ein Mittel der Wahl. Bösel will dazu beitragen, wieder mehr Leute aufs Land zu ziehen. Landwirtschaft sei nicht nur Primärproduktion sondern DER größte Hebel (eben mehr als eine Farm), um die großen Probleme unserer Zeit zu lösen: Gesundheit, Klimawandel, Diversität, Ernährung, Bildung, Gleichheit. „Erst wenn wir das verstehen, werden wir in der Lage sein, die Landwirte mit dem auszustatten, was sie brauchen, damit sie das tun, was wir von ihnen wollen. Denn von all denen, die immer quatschen, sind Landwirte diejenigen, die es wirklich machen!“, verkündet Bösel. „Nachhaltig“ zu sein ist dem großen Mann mit den großen Ideen zu unkonkret. Sein Anspruch ist es, alles besser zu übergeben als es vorher war.
Eine Ode an die Vielfalt
Während ich mich in einem seiner noch jungen Agroforstsysteme umsehe, bemerke ich, dass das zwar pathetisch klingt, aber keineswegs nur so dahergeredet ist. Der Acker ist eine Ode an die Vielfalt. Die Blüten von Malven, Sonnenblumen, Beinwell, Fetthenne und Physalis leuchten an diesem sonnigen Oktobertag. Dazwischen verfärben sich die ersten Blätter der Obstbäume und Pappeln. Bösel beginnt, einige der 1900 Pflanzen, die hier in 19 Reihen wachsen, aufzuzählen: „17 Pflaumensorten, vier Birnensorten, Maulbeeren, Goji, Sanddorn, Feigen, Brombeeren, Radieschen und dazwischen Kräuter.“ Das Ziel war eine große Diversität, die den Insekten das ganze Jahr über viele Blüten bietet. Nur die Hälfte der Pflanzen ist für die menschliche Ernährung gedacht, der Rest soll dem Agroforstsystem dienen. Die Radieschen zum Beispiel haben in erster Linie die Aufgabe, schon früh im Jahr den Boden zu beschatten.
Hinter den komplexen Agroforstanlagen steckt Renke de Vries, der als Forstwirt, Gärtner und Baumpfleger reichlich Erfahrung mitbringt. Das, was de Vries, Bösel und ihr Team aufbauen wollen, sind multifunktionale, syntropische Systeme, die ein natürliches Ökosystem imitieren und sich durch die vielfältigen internen Wechselbeziehungen selbst am Leben halten sollen. Die Schichten – Wurzelgemüse, krautige Pflanzen, Büsche und Bäume – ermöglichen im besten Fall vier Ernten pro Jahr und begünstigen sich gegenseitig, indem sie sich und die Bodenorganismen vor Sonne und Austrocknung schützen. Das ist im trockenheitsgeplagten Brandenburg bitter nötig.
Das Schicht-System möchte Bösel später auf den Ackerbau zwischen den Gehölzreihen erweitern – zum Beispiel mit zwei unterschiedlich hohen Roggensorten und einer Untersaat. „Jede Schicht hat einen Einfluss auf die Bodentemperatur und damit auf die Wasseraufnahmefähigkeit“, ist er überzeugt. Noch wächst auf den zehn Meter breiten Streifen Kleegras, das als Kuhfutter geschnitten wird.
Zurzeit liegt der Hauptfokus des Naturland-Betriebs im Agroforstbereich auf der wissenschaftlichen Forschung. Noch wird erprobt, welche Arten und Sorten angesichts der geringen Niederschläge von 350-450 mm im Jahr und der Sandböden hier gut zurechtkommen – daher die extreme Vielfalt. Auch die Erntezeiten sollten so aufeinander abgestimmt werden, dass es immer etwas zu ernten gibt. „Keines der Systeme haben wir aus dem Glauben heraus entwickelt, dass DAS jetzt das System für unseren Standard ist. Sondern wir versuchen herauszufinden, was das sein kann“, erklärt Bösel. Die Ergebnisse sollen anderen Landwirten dann bei der Berechnung helfen, ob sich ein Agroforstsystem für sie lohnt.
Ein günstiges und resilientes System
Auf dem nächsten Agroforst-Versuchsfeld ist de Vries noch einen Schritt weiter gegangen: Hier hat er das System überwiegend per Saat etabliert. Dank dieser geringen Anfangsinvestition sei das aufwendige System überraschend günstig. Nur die Pioniergehölze – Sanddorn, Pappel und Birke – wurden als zweijährige Sämlinge gepflanzt. Alle anderen Pflanzen, auch Bäume wie Pflaume, Kornelkirsche und Eberesche, wurden gesät. Die Samen stammen allesamt aus der Umgebung. Zur Vorbereitung der Saat wurde der Boden tiefengelockert und in den Reihen gefräst.
Inzwischen sind so viele Samen gekeimt, dass alle paar Zentimeter ein kleines Bäumchen steht. Allein das ist ein Erfolg, wenn man bedenkt, dass es im vergangenen Sommer zwei Monate nicht geregnet hat und die mit 25 Bodenpunkten wenig fruchtbare Fläche weder gedüngt noch gewässert wird. Auch Bodenbearbeitung wird hier über Jahre nicht mehr stattfinden.
Für de Vries sind die vielen Sämlinge eine gute Sache, weil auch in der Natur viele Pflanzen keimen, von denen am Ende nur die stärksten übrigbleiben. Falls eine Art versagt, steht so immer ein Backup zur Verfügung. „Das ist genau andersherum als es heute üblich ist, wenn jedes Saatgut mit Dünger und Co. durchgebracht wird“, erklärt der Agroforstplaner. Seine Vision: Aus der anfänglichen Sanddornplantage wird sich mit den Jahren eine Apfel-Pflaumen-Hochstamm-Plantage mit Kornelkirschen entwickeln. Darunter werden Hühner im Schatten der größeren Bäume scharren. Für de Vries ist das der einzige Weg, in Zukunft Nahrungsmittel zu erzeugen „und auch der einzige Weg, der Spaß macht, weil man nicht gegen, sondern mit der Natur arbeitet!“, sagt er.
Den Bäumen hat er krautige Pflanzen an die Seite gestellt, die die zarten Sämlinge zu Beginn beschatten – darunter Artemisia, Fingerhut und Sonnenblumen. „Das sind außerdem gute Mykorrhizierer“, erklärt de Vries. Vieles, was der Agroforstplaner tut, ist auf den Boden und seine Lebewesen ausgerichtet. Die Kleegrasmischung zwischen den Baumreihen wird zweimal im Jahr an die Bäume geschwadet. „Kohlenstoffaufbau passiert so gut nebenbei“, bemerkt Bösel. Die Mulchschicht vermindert die Evaporation und schützt die Organismen im Boden vor Hitze und UV-Strahlung. „In unseren europäischen Böden sind genug Nährstoffe vorhanden. Sie müssen nur durch die Mikroben mineralisiert werden. Indem wir so komplexe Systeme pflanzen und die Mikrobiologie fördern, brauchen wir langfristig keinen Input“, ist de Vries sicher. Den Boden aktiv mit Phosphatdünger zu versorgen, hält er deshalb für überflüssig.
In zwei bis drei Jahren werden die Obst- und Nussbäume groß genug sein, um sie auf dem Feld zu veredeln. Danach wird de Vries sie wieder ein paar Jahre beobachten, ehe er die besten Bäume für die finale Plantage auswählt. „Mit der Saat kann man extrem günstig extrem resiliente Systeme mit viel größerer Vielfalt anlegen“, stellt er fest. Die diversen Unterlagentypen der Obstgehölze schützten zum Beispiel vor massivem Virusbefall. An Ort und Stelle gekeimte Bäume seien außerdem resilienter gegen Trockenheit und könnten sich Nährstoffe besser verfügbar machen.
Mit Baumstreifen der brandenburgischen Trockenheit trotzen
Neben diesem bunten Garten Eden gehört auch ein vergleichsweise simples Agroforstsystem zum Betrieb. Der 30 Hektar große Acker, der alle 36 Meter von insgesamt sieben Gehölzstreifen unterbrochen wird, wirkt im Vergleich mit den syntropischen Systemen zunächst nüchtern. Doch der erste Eindruck trügt, denn auch hier wird Vielfalt großgeschrieben. Zu den üblichen Pappeln gesellen sich Erle, Weißdorn, Buche, Linde und viele weitere Arten. Sie sollen, entgegen der Hauptwindrichtung gepflanzt, vor allem die Windgeschwindigkeit reduzieren. Auf diese Weise schaffen sie ein Mikroklima, das im brandenburgischen Sommer überlebenswichtig für die Pflanzen sein kann.
Wenn der Niederschlag ausbleibt und der Morgentau zur relevanten Wasserquelle wird, ist jede Minute, ehe er verdunstet, ein Gewinn. Bereits in den ersten Monaten nach Anlage der Streifen beobachtete Bösel eine steigende Wasseraufnahmefähigkeit des Bodens – für den Betrieb in einer der trockensten Regionen Deutschlands ein Fest. „Wasser ist für uns das knappste Gut. Alles, was wir tun, ist darauf ausgerichtet, das Wasser in der Fläche zu halten“, erklärt Bösel. Er ist überzeugt, dass nur ein gesundes System mit unterschiedlichen Pflanzenarten, die unterschiedliche Bedürfnisse haben, eine Resilienz entwickeln kann. Ihm gehe es nicht um die Anzahl der Bäume, sondern um intakte Ökosysteme. Und die zeichnen sich eben selten durch Monokulturen aus.




























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