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Gemüsebau

Vor den Toren Hamburgs

Auf dem Wulksfelder Gut setzt man auf Transparenz und Vielfalt. Hier werden Biolebensmittel nicht nur erzeugt und verarbeitet, sondern auch vermarktet. Was macht den Erfolg des Bioland-Betriebs in der Metropolregion Hamburg aus?

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Bettina und Oliver Holst betreiben seit über 20 Jahren die dem Wulksfelder Gut angegliederte, selbstständige Gärtnerei.
Bettina und Oliver Holst betreiben seit über 20 Jahren die dem Wulksfelder Gut angegliederte, selbstständige Gärtnerei.Fischer-Klüver
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Die Kunden machen den Erfolg aus – davon ist Landwirt und Agraringenieur Rolf Winter überzeugt. Er ist Geschäftsführer des Wulksfelder Guts vor den Toren Hamburgs. Die Mitarbeiter identifizieren sich mit der ökologisch ausgerichteten Arbeit. Mit viel Herzblut haben sie es sich zur Aufgabe gemacht, ihre Kunden anzusprechen und zu einem Besuch in den Hamburger Norden zu locken.

Der hervorragende Standort, nur 500 Meter vor der Stadtgrenze Hamburgs, direkt bei einem schönen Naturschutzgebiet am Alsterlauf gelegen, hat sich als Kundenmagnet bewährt. Der Bioland-Betrieb zeigt sich erlebnisorientiert und vielseitig. Wer hierher kommt, genießt Landluft pur und das Bauernhofambiente mit Einkaufsbummel im Hofladen. Auch das Gutscafé, das Biorestaurant Gutsküche und der Tiergarten warten auf Besucher. Neben zahlreichen Veranstaltungen, wie thematischen Hofführungen und Angeboten für Ferienkinder und Schulklassen, können die Wanderwege im nahegelegenen Naturschutzgebiet erkundet werden. Jahreshighlights sind der Bauernmarkt zur Erdbeerzeit  und der Kartoffelmarkt.

Rolf Winter geht es darum, das Wulksfelder Gut als Marke zu etablieren. Es geht darum, Transparenz zu schaffen, den Verbrauchern zu zeigen, was wie gemacht wird, sie zu faszinieren und als Kunden zu binden. Hier wird hart gearbeitet, wo andere Urlaubstage verbringen. 1989 pachteten Rolf Winter und Hauke Rüsbüldt das sanierungsbedürftige Gut samt 260 ha verkrautetem Acker, um einen nach Bioland-Richtlinien wirtschaftenden Ökobetrieb aufzubauen. 2013 übernahmen sie 200 ha landwirtschaftlich genutzter Fläche vom benachbarten Gut Stegen. Seitdem gibt es Heidelbeeren vom Moorboden und auch die Rinderherde konnte vergrößert werden.

Statt von einem Speckgürtel spricht Winter heute lieber von einem Muskelgürtel um die Hansestadt, der die Leistungsfähigkeit dieser Region und seiner Menschen deutlich macht. Er sieht es als seine Mission, gute, gesunde Lebensmittel ökologisch herzustellen und dazu beizutragen, dass Menschen täglich von diesen satt werden.

Alles aus einer Hand

Auf dem Gut werden Lebensmittel erzeugt, verarbeitet und vermarktet. Die artgerecht gehaltenen Schweine verwerten die Pflanzenabfälle. Die gläserne Bäckerei produziert mit vor Ort gewachsenem Korn. Auch die Kartoffeln für das Kartoffelbrot, die Eier und Erdbeeren stammen aus eigener Produktion. Der 1990 eröffnete Hofladen ist mit mittlerweile 600 m² zu einem ansehnlichen Vollsortimenter geworden, der mit Hofprodukten aus der Bäckerei, der Tierhaltung, dem Obst- und angegliederten Gemüsebau zusammen mit einem großen Naturkostsortiment rund 4.500 Kunden pro Woche versorgt.

Etwa 12 % der Betriebsfläche sind für Naturschutzzwecke vorgesehen: Es gibt viele unterschiedliche Lebensräume wie Tümpel, Knicks, Wegränder, Ödland oder Feuchtwiesen. „Natürliche, wertvolle Landschaftselemente, die wir schätzen und schützen“, erklärt Winter. Die Landwirtschaft ist ein großer Verursacher des rasanten Artensterbens. Dagegen helfen auch die Ackerflächen und Wiesen, da sie nicht in Monokultur bestellt sind.

Die Corona-Pandemie konnte dem Gut wenig anhaben. Natürlich galt es, den Hygieneanforderungen Genüge zu tun –  in der Produktion und im Verkauf. Der Besucherverkehr quer durch das Gut musste deutlich eingeschränkt werden, auch aufgrund der angereisten Erntehelfer. Die größte Herausforderung sieht Winter derzeit darin, die Erntezeit mit den verfügbaren Saisonarbeitskräften gut zu überstehen. „Hoffentlich noch gesund“ sieht er das Gut in zehn Jahren. In der heutigen schnelllebigen Zeit ist die Zukunft ungewiss, wie die Corona-Pandemie zeigt. Möglicherweise gibt es morgen schon ganz andere Herausforderungen, an die heute noch keiner denkt.

Corona hat vieles durcheinander gewirbelt. Keiner weiß, was die Kunden demnächst bewegt. Im Moment gibt es keine Mitarbeiter­engpässe. „Wir werden überrannt von Anfragen, von Menschen in Kurzarbeit oder welchen, die aufgrund der Corona-Krise freigestellt sind“, so Winter. Drei Monate zuvor, als im Hamburger Raum beinahe Vollbeschäftigung herrschte, war diese Situation mit Blick auf die bevorstehende Ernte noch herausfordernd. Wie es bezüglich der Mitarbeitersituation weitergeht, ist vollkommen offen. „Vor der Krise war das Thema, einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten, sehr präsent bei den Kunden“, erinnert sich Winter. Corona hätte vieles durcheinandergewirbelt und keiner wüßte, was die Verbraucher demnächst bewegt. Die große und treue Stammkundschaft gibt da Sicherheit.

Alles, was auf dem Wulksfelder Gut produziert wird, liefert der Biolieferservice bis vor die Haustür. Ähnlich provisorisch wie der anfangs in einer Diele gestartete Produktverkauf begann der Lieferservice 1997 in einer Garage. Anfang 2020 wurden bereits rund 2.500 Kunden im Großraum Hamburg wöchentlich beliefert, in Spitzenzeiten bis zu 2.900. Die Corona-Pandemie bescherte etwa 30 % mehr Bestellungen, sodass Neukunden zeitweise nicht mehr bedient werden konnten. Ob diese zusätzlich gewonnenen Kunden bei der Stange bleiben, kann Winter derzeit noch nicht abschätzen. Neu ist das Hofladen-Onlineangebot: Die Verbraucher bestellen online bis 12 Uhr und holen das Paket am selben Tag im Hofladen zwischen 16 und 19 Uhr ab.

Gemüse wird auch produziert

Direkt am Wulksfelder Gut liegt die Bioland-Gärtnerei von Oliver Holst – eine 1A-Lage. Er war dort einer der ersten Auszubildenden in der Landwirtschaft und übernahm gemeinsam mit seiner Frau und Gärtnermeisterin Bettina 1997 die als Pachtbetrieb ausgegliederte Gärtnerei für ein umfangreiches Kräuter- und Gemüsesortiment.
Für den Start war es perfekt, dass sie jederzeit auf Maschinen und Geräte des Guts zurückgreifen konnten. Viel mehr zählte jedoch von Anfang an der gesicherte Absatz über den Hofladen und den Lieferservice des gegenüberliegenden Guts sowie drei Wochenmärkte.

Auch hier wird transparent produziert und ein enger Kontakt zu Verbrauchern gepflegt. Kultiviert werden nahezu alle Gemüsearten bis auf Kohl, für den der schwache Boden sich mit 30 bis 35 Bodenpunkten nicht eignet. Die siebenjährige Fruchtfolge beinhaltet ein Jahr Kleegras sowie nach Blattsalaten eine zusätzliche Gründüngung im Jahr. „Gradmesser sind die 1200 bis 1800 Salatköpfe pro Woche“, erklärt Holst die perfekt auf die Vermarktung ausgerichtete Produktion. Ab der ersten Woche im neuen Jahr werden die Salate ausgesät. Die ersten drei Sätze kultivieren die Gärtner in einem der Folienhäuser, die folgenden 18 Sätze im Freiland. Hinzu kommen etwa 25 bis 30 Tonnen Möhren und zehn Tonnen Rote Beete pro Jahr. Diese Mengen erwiesen sich im Corona-Jahr fast als zu wenig. Allein für den Lieferservice benötigten sie rund 40 % mehr Ware.

In je einem weiteren Folienhaus wachsen zudem Schlangengurken, Minigurken, runde Tomaten, Cherrytomaten sowie Auberginen zusammen mit Paprika. Fünf weitere Häuser beinhalten auch im Freiland zu kultivierende Arten wie Rucola, Dill, Mangold oder Lauchzwiebeln in schneller Kulturfolge. Die Folienhäuser bieten eine hohe Kultursicherheit. Über den Winter sind rund 90 % der Folienhäuser mit Feldsalat-Sätzen belegt, der hinsichtlich der Rentabilität gut mit den Hauptkulturen mithalten kann.

Grünschnitt statt Plastik

Das Fruchtgemüse ist mit Tropfbewässerung ausgestattet. „Cut & Carry“ ersetzt viel Plastik. Dabei wird der Grasschnitt als Gründüngung und Mulch zwischen den Fruchtgemüsepflanzen aufgebracht. Dadurch trocknet der Boden weniger aus und versalzt weniger. Der Wasserhaushalt verbessert sich ebenso wie die Nährstoffnachlieferung. Außerdem wird das Klima im Haus positiv beeinflusst. Die Wege sind allerdings noch mit MyPex-Folie ausgelegt, da es nicht ausreichend Grünschnitt gibt. Als Mulchmaterial wird unter anderem frischer Roggen verwendet, der dicht gesät im Winter auf dem Acker den Unkrautdruck mindert. Der Unkrautdruck des seit über 20 Jahren beschickten Ackers sinkt von Jahr zu Jahr. Außerdem trocknet so der Boden im Frühjahr schneller ab. Der Roggen erhöht zudem die Humusmasse und minimiert die Nährstoffauswaschung.

Von einem Naturland Milchviehbetrieb aus der Umgebung stammt die Gülle. Sie bringt etwa 50 Kilogramm Stickstoff pro Hektar. Zusammen mit der Gründüngung reicht diese Nährstoffzufuhr aus. Lediglich stark zehrende Kulturen wie Porree und Hokkaidokürbis erhalten zusätzlich den organischen NPK-Biodünger Phytogran Gold von Beckmann & Brehm. In den Folienhäusern werden Hornspäne und teils Vinasse entsprechend der Erträge ausgebracht.

Technik für rationelles Arbeiten

2006 wurde das Hauptanzuchthaus mit Ebbe- und Fluttischen erstellt. Es gilt in Verbindung mit der gleichzeitigen Anschaffung einer gebrauchten Erdpresstopfmaschine Unger Profi 2 als ein Meilenstein der Gärtnerei, da von dem Vermehrungssystem in Quickpots auf Erdpresstöpfe umgestellt wurde. „Das war ein großer Schritt nach vorn für uns“, sagt der technikaffine Oliver Holst, der früher einmal Physik studierte und die Technisierung  weiter vorantreibt. Er will Handarbeit weitgehend minimieren, um die Effektivität zu verbessern. Rund zwei Millionen Pflanzen ziehen die Gärtner pro Jahr in Erdpresstöpfen heran. Die etwa 250 Kubikmeter Bio-Potgrond Anzuchtsubstrat liefert Klasmann-Deilmann. Mittlerweile nennen die Gemüsegärtner auch einen Schlepper mit schmaler 10-Zoll-Pflegebereifung und Trimble-Lenksystem mit RTK-Signal ihr Eigen. Dieses bietet eine Arbeitsgenauigkeit von +/- 1 cm. „Es kostet viel Geld, macht sich aber schnell bezahlt“, freut sich Holst.

Die Folienhäuser sind mit je sechs 1,60-Meter-Beeten bestückt. Um die Wege zwischen den Reihen minimal zu halten, entwickelte Holst selbst eine Pflanzmaschine für Erdpresstopfpflanzen. Diese leicht gebaute Maschine bietet Platz für zwei Personen plus Jungpflanzenkisten und wird über eine am Hausende stehende, per Drahtseil verbundene Antriebskiste per Fernbedienung durch das Haus gezogen. Diese Maschine verkauft Holst sogar – auf individuelle Beetbreiten angepasst. Ein Beet lässt sich so von zwei Personen in relativ bequemer Arbeitshaltung in 30 bis 40 Minuten mit jeweils 3.500 Jungpflanzen recht effizient bestücken.

Holst legt sowohl auf Technik als auch auf die Gesundheit aller Mitarbeiter wert. Er versucht immer, den Mitarbeitern eine ergonomische Arbeitshaltung zu ermöglichen. Zusätzlich steht allen seit zehn Jahren zweimal wöchentlich der Besuch einer Rückenschule mit einer Krankengymnastin frei, um Rückenproblemen vorzubeugen.

Der Absatz ist gesichert

Die Stammkunden kommen sogar von weiter her, da die besondere Qualität der ökologisch produzierten Pflanzen überzeugt. Es sind viele samenfeste und Hobbysorten darunter. Das vor dem Verkaufsgewächshaus zur Straße hin sichtbare Selbstpflückfeld zieht weitere Kunden an. Die Kunden sind bereit, für gute Qualität gutes Geld zu bezahlen. Das neue VDH-Folien-Verkaufshaus von Nitsch & Sohn mit großer Seitenlüftung eignet sich perfekt für den Verkauf zur Corona-Zeit. Für den Einkauf durften die Hamburger Kunden den kurzen Weg über die Grenze nach Schleswig-Holstein übertreten. Gerade zu dieser Zeit mit sehr eingeschränkten Freizeitmöglichkeiten war der Einkauf in der Gärtnerei ein Highlight für viele.

So geht der Betrieb vermutlich als Gewinner aus der Corona-Krise. Auch auf den Wochenmärkten verkauften sie deutlich mehr. „Die Kunden sind bereit, für gute Qualität gutes Geld zu bezahlen“, beobachtet Holst die Situation. Viele Menschen hatten während des „Lockdowns“ mehr freie Zeit und wollten sich etwas Gutes tun, mit „guten“ Nahrungsmitteln. Trotzdem war die Pandemie ein Kraftakt, zumal die beiden rumänischen Saisonarbeitskräfte erst einen Monat später als geplant eintrafen. Dafür arbeiteten freiwillige Menschen aus der Umgebung mit. Es wurde in zwei Teams gearbeitet, um im Falle einer Corona-Infektion den Betrieb weiterführen zu können.

Die Zukunft des Betriebs richtet sich nach der voraussichtlich weiterhin günstigen Absatzmöglichkeit vor der Tür über das Wulksfelder Gut. Das könnte mehr Gemüse abnehmen, als vorhanden ist. Das Ziel: Weiterhin lebenswerte Arbeitsplätze zu schaffen.

Betrieb: Gut Wulksfelde

Wirtschaftszweig: Acker-, Obst-, Gemüsebau, Tierhaltung, Gastronomie
Standort: Tangstedt bei Hamburg
Internet: www.gut-wulksfelde.de
Zertifizierung: Bioland
Unternehmenssparten: Gut Wulksfelde, Gut Wulksfelde Landwirtschaft, Wulksfelder Gutsbäckerei, Gut Wulksfelde Lieferservice sowie verpachtet: Gärtnerei Gut Wulksfelde, Restaurant Gutsküche Wulksfelde
Mitarbeiter (gesamt): 168 Festangestellte, vier Auszubildende, 40 Saisonarbeitskräfte
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