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Interview mit Prof. Dr. Teja Tscharntke

Ist Ökolandbau gut für die Biodiversität?

Prof. Dr. Teja Tscharntke veröffentlichte im Sommer 2021 zusammen mit einem internationalen Forschungsteam eine Stellungnahme. In dieser stellen die Expert:innen infrage, dass der Ökolandbau die grundlegende Alternative zur konventionellen Landwirtschaft ist, um Biodiversität in Agrarlandschaften zu fördern. #Ö hat nachgefragt.

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Prof. Tscharntke, könnten Sie die Kernaussagen Ihrer Stellungnahme kurz zusammenfassen?

Tscharntke: Der Ökolandbau wird oft als ein Win-win-win-Modell des Landbaus gesehen. Er sei die grundlegende Alternative für die konventionelle Landwirtschaft und für alle Bereiche, sei es Biodiversitätsschutz, Lebensraumschutz, Ertrag, Qualität oder soziale Aspekte, die beste Lösung. Bei näherem Betrachten gibt es aber Maßnahmen, die im Einzelfall deutlich effektiver sind, die aber jenseits der Zertifizierung liegen. Dazu zählen beim Biodiversitätsschutz zum einen Maßnahmen auf den Produktionsflächen, wie die Diversifizierung des Anbaus mit weiten Fruchtfolgen und dem Anbau einer größeren Vielfalt an Früchten, um eine größere Heterogenität in den Agrarlandschaften zu erzielen. Zum anderen sollten die Felder deutlich kleiner werden. Hat man eine Mosaiklandschaft mit vielen Rändern, hilft das gerade auch den Insekten, die ja 2/3 unserer Tierarten ausmachen und besonders bedroht sind. Außerdem sind naturnahe Elemente von zentraler Bedeutung. Auch sie sind nicht Teil der Öko-Zertifizierung. Kurzum: Die Öko-Zertifizierung erfordert nicht einen Anbau auf kleinen Flächen oder die Diversifizierung des Anbaus oder die Berücksichtigung von Flächen mit naturnahen Elementen, obwohl diese Maßnahmen zu den wichtigsten gehören, um die Artenvielfalt in unseren Landschaften zu erhöhen. Wichtig ist auch, dass diese Biodiversitäts-fördernden Maßnahmen auf Landschaftsebene erfolgen. Will man Biodiversität schützen, ist das nicht auf der Ebene des einzelnen Feldes getan.

Biodiversitätsschutz sollte verbindlich in die Öko-Zertifizierung aufgenommen werden, fordert der Agrarökologe Prof. Teja Tscharntke. ©  Landpixel

Welchen Anteil hat die Landwirtschaft am Verlust der Artenvielfalt?

Tscharntke: Die Umwandlung von naturnahen in landwirtschaftliche Flächen ist bei uns, aber auch global, der mit Abstand wichtigste Faktor für das Artensterben. Selbst der Klimawandel kommt da nicht ran, zumindest noch nicht. Man muss allerdings berücksichtigen, dass es zu den Auswirkungen des Klimawandels auf die Artenvielfalt noch relativ wenige Studien gibt und die Situation sich in den nächsten Jahren und Jahrzehnten vermutlich dramatischer darstellen wird. Im Augenblick liegt der weitaus größte Teil der Ursachen jedoch in der Ausweitung und Intensivierung der Landnutzung, insbesondere durch die Landwirtschaft.

Seit dem Zweiten Weltkrieg ist bei uns viel passiert: Die zunehmende Intensivierung der Landwirtschaft mit der sogenannten Grünen Revolution, also dem höheren Düngereinsatz, leistungsfähigeren Sorten und einem höheren Pestizideinsatz. Dazu kam die Flurbereinigung, die die Felder immer größer gemacht und die meisten naturnahen Elemente aus den Landschaften rausgeschmissen hat. Selbst noch in den 60er Jahren gab es viele Landwirte, die sich dagegen gewehrt haben, Gift auf Flächen zu spritzen, auf denen Lebensmittel produziert werden. Diese Haltung hat sich spätestens in den 70er Jahren gewandelt, als man gesehen hat, wie effektiv diese Intensivierung für den Ertrag und das landwirtschaftliche Einkommen ist.

Hat der Ökolandbau dieser Entwicklung einen Riegel vorgeschoben?

Tscharntke: Nur sehr verhalten. Die Verpflichtung im Ökolandbau bezieht sich im Wesentlichen darauf, auf synthetische Pestizide und Dünger zu verzichten, also auf synthetische Agrochemikalien.  GMO-Pflanzen dürfen auch nicht genutzt werden usw. Viele andere, Biodiversitäts-freundliche Maßnahmen wie die Diversifizierung des Anbaus und der Erhalt natürlicher Landschaftselemente werden zwar empfohlen, sind jedoch nicht verpflichtend. Nach einer Meta-Analyse sind die Fruchtfolgen im Ökolandbau weltweit gerade mal 15 Prozent länger sind als im konventionellen Landbau. Wir leben in Zeiten, in denen der Ökolandbau eine zunehmende Intensivierung und Kommerzialisierung erfährt, zum Beispiel durch den Anbau in großen Monokulturen statt in kleinteiligen Betrieben.

In der Gemüseabteilung eines Supermarktes finden Sie viele Ökoprodukte aus dem Mittelmeergebiet, zum Beispiel aus Andalusien. Die Paprika ist dann zwar ökozertifiziert, stammt aber oft aus Landschaften, die komplett von Plastikplanen überdacht sind. Das hat mit Biodiversitäts-freundlichem Anbau nichts zu tun. In vielen Fällen wurde diese Paprika auch gespritzt. Es ist ein Mythos, dass im Ökolandbau keine Pflanzenschutzmittel zum Einsatz kommen. Auch im Ökolandbau sind hunderte Mittel zugelassen, die als natürlich gelten, wobei Kupfermittel gegen Schaderreger eine besonders wichtige Rolle spielen, aber zum Beispiel auch Pyrethroide gegen Schadinsekten. Ökologisch zertifizierte Apfelplantagen und Weinbaugebiete werden sehr oft mit Kupfermitteln gespritzt, bis zu zigmal im Jahr, weil Pilzbefall eine große Rolle spielt. Viele Konsumenten sind sich darüber leider nicht im Klaren, obwohl natürliche Pestizide auch giftig sind. Die starke Pestizid-Reduktion durch die Vermeidung des Einsatzes von Unkrautvernichtungsmitteln ist ein großer Gewinn, aber bei bestimmten Kulturen (Gemüse, Obst, Wein, Kartoffeln) werden teilweise kritische Mengen zugelassen.

Es ist nicht mehr so, dass man sich Ökolandbau immer als idyllischen, kleinteiligen Familienbetrieb vorzustellen hat. Ökolandbau findet oft auch auf riesigen Flächen statt, beispielsweise auf riesigen Getreidefeldern von 20 Hektar und mehr. Holländische Tomaten, gewachsen unter Glas oder in Plastikgewächshäusern, haben mit einer Förderung der Artenvielfalt nichts zu tun. Kurzum, es findet auch im Ökolandbau eine Intensivierung der Bewirtschaftung statt, so dass es wichtig ist, weitere Kriterien in die Zertifizierung einzubeziehen.

Was wäre bei gleicher struktureller Kleinteiligkeit ökologisch sinnvoller: öko oder konventionell?

Tscharntke: Wenn alle Randbedingungen gleich sind, kommen auf einem Biofeld mehr Arten vor als auf einem konventionellen Feld. Aber die Randbedingungen können sehr unterschiedlich sein. Manche Felder liegen in bunten Landschaften, andere in aufgeräumten, die einen wirtschaften auf kleinen, die anderen auf großen Flächen. Anders gesagt: Wenn Sie auf sehr kleinen Flächen konventionell wirtschaften, dann fördern Sie mehr Arten auf der Fläche, als wenn Sie große Flächen ökologisch bewirtschaften, wie wir gerade in einer Untersuchung gezeigt haben. Um mal die Dimension zu nennen: reduziert man die mittlere Flächengröße in Agrarlandschaften von sechs Hektar auf einen Hektar, erzielt man ungefähr eine Versechsfachung der Artenvielfalt von Insekten und Pflanzen. Gezeigt wurde das in unserer Studie in acht Regionen von Europe und Nordamerika, die auf insgesamt 435 Feldern durchgeführt wurde. Landschaften mit vielen kleinen Feldern, also mit sehr vielen Rändern, wiesen bis zu zehnfach mehr Wildbienen auf als Landschaften mit großen Feldern. Bei kleinen Feldern spielen zwei Faktoren eine Rolle: Es gibt mehr Ränder und häufig auch mehr grasige Randstreifen. Allein schon die Vermehrung der Ränder führt zu sehr viel mehr Artenvielfalt, da sich die Durchlässigkeit der Landschaften für die sich ausbreitenden Tiere stark erhöht.

Aber nehmen wir an, die Randbedingungen wären dieselben...

Tscharntke: Vergleicht man eine Ökofläche mit einer konventionellen Fläche, dann finden sich auf der Ökofläche durchschnittlich ein Drittel mehr Arten. Allerdings wird im Ökolandbau ungefähr 20 % weniger produziert als im konventionellen Anbau. Die Höhe des Ertragsverlusts kommt aber sehr auf die Kultur an; es gibt Kulturen, bei denen das keine große Rolle spielt. Bei Getreide dagegen hat man im Ökolandbau oft 50 Prozent weniger Ertrag. Sie haben also auf einem Ökoweizenfeld bei uns 1/3 mehr Arten, aber auch 50 % weniger Ertrag. Wenn wir den Artenzahl-Gewinn aber nicht auf die Fläche, sondern auf den Ertrag beziehen, dann bräuchte man nur die Hälfte des konventionellen Feldes bestellen und könnte die andere Hälfte für Hecken, Brachen oder ähnliches reservieren. Natürlich haben Sie bei einer 10ha-Fläche, die zur Hälfte konventionell bewirtschaftet wird und zur anderen Hälfte aus naturnaher Landschaft besteht, ein Vielfaches an Artenvielfalt im Vergleich zu einer 10ha Fläche, die nach den Kriterien des Ökolandbaus bewirtschaftet wurde.

Bei Vergleichen zwischen öko und konventionell sollte immer auch die Bezugsgröße betrachtet werden. Felder im Ökolandbau speichern zum Beispiel mehr CO2 als Felder der konventionellen Landwirtschaft. Bei so einem Vergleich wird aber nicht der Anteil an Hecken oder Baumreihen berücksichtigt, da sie nicht unter die Zertifizierung fallen. Sie sorgen aber für eine viel größere Biomasse und stärkere CO2-Speicherung. Mit der Begeisterung für den Ökolandbau verlieren viele aus den Augen, dass es für die gewünschte Vielfalt an Leistungen im Einzelfall durchaus effektivere Alternativen gibt.

D.h. ihre zentrale Forderung richtet sich an die Anbauverbände: Man sollte derartige Vorgaben in die Richtlinien aufnehmen?

Tscharntke: Genau, und zwar verbindlich. Empfehlungen gibt es viele, aber man muss schon Nägel mit Köpfen machen, um dem Ganzen eine gewisse Durchschlagskraft zu geben.

Kleine Felder weisen laut Studien bis zu zehnfach mehr Wildbienen auf.  ©  Landpixel

Welche Forderungen leiten Sie daraus für die politische Ebene ab?

Tscharntke: Zum einen, dass bei politischen Konzepten die Landschaftsebene ins Auge gefasst werden muss, da das Überleben der meisten Arten nicht auf der Ebene des einzelnen Feldes oder Hofes zu sichern ist. Es geht zum einen darum, großräumig Veränderungen herbeizuführen. Zum anderen sollte es in den Agrarlandschaften ein Minimum von 20 % naturnahen Elementen wieder hergestellt oder erhalten werden. Viele Untersuchungen zeigen, dass dies ein wichtiger Grenzwert ist. Weiterhin sollten Anreizsysteme für die Bewirtschaftung auf kleinen Feldern geschaffen werden, und zwar auf Feldern deutlich unter 6ha, am besten 1ha, auch wenn das mit höheren Bewirtschaftungskosten einher geht. Zudem sollte es Anreizsysteme für eine Diversifizierung im Kulturpflanzenanbau geben.

Macht aus Ihrer Sicht das EU-Ziel 25 % Ökofläche bis 2030 Sinn?

Tscharntke: Ich finde das Maßnahmenpaket hat eine einseitige Orientierung auf den Ökolandbau. Ich fände es wichtiger, die Maßnahmen, die ich eben genannt habe, stärker zu berücksichtigen – sowohl für den konventionellen, wie auch den ökologischen Landbau. Wir brauchen grundlegende Veränderungen auf 100% der Fläche.

Aber viele synthetische Mittel haben eine ganz andere Umweltwirkung als natürliche. Zudem werden im Ökolandbau häufig Nützlinge anstatt Pflanzenschutzmittel eingesetzt.

Tscharntke: Wenn man natürlich gewonnene Pyrethroide spritzt, dann ist deren Giftwirkung sehr nah an artifiziellen Pyrethroiden, die im konventionellen Landbau gegen Insekten gespritzt werden. Aber Sie haben schon Recht, wir müssen versuchen, auch durch weitgehenden Pestizidverzicht möglichst große Populationen von vielen natürlichen Gegenspielern in den Agrarlandschaften zu erhalten oder wieder anzusiedeln. Die lokale Bewirtschaftung sollte so gestaltet sein, dass die biologische Schädlingsbekämpfung und auch die Bestäubung von Kulturpflanzen optimal funktioniert. Die Bestäubungsleistung bei Kulturpflanzen zum Beispiel hängt entscheidend davon ab, wie die Landschaften aufgebaut sind. Wir haben hierzu einige Versuche in konventionellen Kirsch- und Erdbeerbetrieben gemacht: Plantagen, in deren Umgebung es viele naturnahe Landschaftselemente gibt, hatten oft einen doppelt so hohen Ertrag. Das liegt daran, dass dort viel mehr Wildbienen vorkommen.

Sie hatten vorhin angeführt, dass Ökolandbau deutlich weniger Ertrag auf die Fläche bringt. Wenn konventioneller Landbau kleinteiliger strukturiert ist, sinken da nicht auch die Erträge?

Tscharntke: Nein, das muss nicht sein. Wir haben Untersuchungen entlang der Grenze zwischen Thüringen und Niedersachsen, dem ehemaligen Eisernen Vorhang, durchgeführt. Im Osten sind die Flächen traditionell durch die Kollektivierung nach dem zweiten Weltkrieg sehr viel größer, im Mittel 20 ha. Im Westen sind sie deutlich kleiner, im Mittel 3 ha. Untersucht wurden jeweils Felder mit ökologisch und konventionell angebautem Weizen, gepaart in allen Landschaften. Das Resultat war eindeutig: der Ertrag war ungefähr halb so groß im Ökolandbau, sowohl auf den großen wie auch den kleinen Flächen.

Allerdings sind die Kosten durch die kleinteilige Bewirtschaftung rund 50 % höher in beiden Bewirtschaftungsformen. Der Profit im Ökolandbau war trotz des geringeren Ertrages höher, da die Vermarktungsbedingungen so viel besser sind als im konventionellen Anbau. Der Ökolandbau wird zwar durch Prämien unterstützt, die größte Unterstützung erfährt er aber durch die Bereitschaft der Konsumenten, mehr zu zahlen. Das Vertrauen der Konsumenten in die Zertifizierung ist groß, ebenso ihr Glaube, damit etwas Gutes zu tun. Es wäre schön, wenn sie mit ihrer Kaufentscheidung auch Entscheidendes zum Schutz der Artenvielfalt beitragen würden. Wenn die oben genannten Maßnahmen unter die Zertifizierung fallen würden, wäre sehr viel gewonnen.

Ketzerisch gefragt: Was ist im Hinblick auf Artenvielfalt in Ihren Augen der richtige Weg für die Zukunft der Landwirtschaft – bio oder konventionell?

Tscharntke: Das ist die falsche Alternative. Eine Landwirtschaft muss produktiv sein, das steht außer Frage. Entsprechend ist die Ertragsminderung im Ökolandbau ein Problem, auch weltweit. Ein großer Vorteil im Ökolandbau ist aber, dass keine Herbizide im Ackerbau eingesetzt werden. Das hat positive Auswirkungen auf viele Tierarten. Insofern wäre am besten ein Ökolandbau, der produktiv ist und bei dem zur Zertifizierung gehört, auf kleinen Flächen zu produzieren, viele Kulturarten zu berücksichtigen und viele naturnahe Elemente zu schaffen oder zu erhalten.

Prof. Dr. Teja Tscharntke ist Soziologe, Biologe und Pro­fessor für Agrarökologie an der Georg-August-Universität in Göttingen. Er befasst sich vor allem mit Bio­diversität in gemanagten und natürlichen Ökosystemen. ©  Tscharntke

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