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Interview mit Dr. Olaf Zimmermann, Entomologe

Unberechenbarer Plattwurm

Zeitgleich mit dem Tag des Regenwurms am 15. Februar 2022 kursierte eine Meldung, die aufhorchen lässt: Ein Eindringling aus Südamerika bedroht den heimischen Regenwurm. Wie ist die Meldung einzuordnen? Dazu befragten wir den Experten für invasive Schädlinge am Landwirtschaftlichen Technologiezentrum (LTZ) Augustenberg, Dr. Olaf Zimmermann.
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Der räuberische Plattwurm Obama nungara stammt aus Südamerika. Er tritt in Europa seit 2008 auf, unter anderem in Frankreich und Italien
Der räuberische Plattwurm Obama nungara stammt aus Südamerika. Er tritt in Europa seit 2008 auf, unter anderem in Frankreich und ItalienDr. Olaf Zimmermann/LTZ
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#Ö: Ein Eindringling aus Südamerika mit dem Namen des früheren nordamerikanischen Präsidenten macht sich genüsslich über unsere Regenwürmer her. Mich hat die Meldung erschreckt. Wie schätzen Sie die Gefahr ein?

Olaf Zimmermann: Mich haben die ersten Beobachtungen des Plattwurms ebenfalls erschreckt und gleichzeitig fasziniert. Als ich den Erstfund des Plattwurms Obama nungara in Deutschland im Oktober 2020 zur Bestimmung auf dem Tisch hatte und bei mir im Labor mit einem Regenwurm konfrontierte, machte sich Obama sofort daran, diesen zu umklammern und mit seinem ausgestülpten Magen zu verdauen. Der Angriff geschah für Würmer in großer Geschwindigkeit und sehr gezielt. Was in Gärtnereien oder der freien Natur geschieht, können wir im Moment noch nicht abschätzen.  

#Ö: Warum nicht?

Olaf Zimmermann: Zum Auftreten in Deutschland gibt es trotz einzelner Funde keine gesammelten Daten. Dadurch läuft die Invasion durch diesen neuen Wurm unbeobachtet ab. Der Wurm läuft unter dem Radar, da sich auf Nachfrage keine Behörde zuständig fühlt, sich darum zu kümmern, was die invasiven Neuankömmlinge im Boden bei uns anrichten können. Ein Anfang wäre ja zumindest eine Art von behördlicher Risikoabschätzung. Eine Ausrottung dürfte aber schon nicht mehr möglich sein.

#Ö: Auf welchen Wegen ist der Wurm zu uns und zu Ihnen gekommen?

Olaf Zimmermann: Im Herbst 2020 fand ein aufmerksamer Mitarbeiter einer Gärtnerei einige Exemplare an der Unterseite des Topfs einer Pflanze und leitete ihn über die Baumschulberatung an unser Diagnoselabor am LTZ Augustenberg weiter. Über Gärtnereien und Baumschulen scheint der Wurm unbemerkt weiterverbreitet zu werden. Der Obama-Wurm mag feuchte Bedingungen, wie sie bei der Anzucht von Baumschulpflanzen und anderen Pflanzen optimal gegeben sind. Damit übersteht er auch lange Transportwege im Handel.

#Ö: Haben Sie Hinweise, dass sich der Plattwurm ausbreitet?

Olaf Zimmermann: Ausgehend von der weiten Verbreitung in Frankreich, die 2020 veröffentlicht wurde, und Funden im Elsass ist mittelfristig mit einer Etablierung des Obama-Wurms im Freiland im Südwesten zu rechnen, jederzeit aber auch in wärmeren städtischen Bereichen in ganz Deutschland. Drei Funde in Baden-Württemberg sind uns bekannt sowie je einer aus Bayern und dem Saarland. Außerdem gab es bereits 2020 Funde in Schaugewächshäusern, zum Beispiel in München. Da es keine offizielle Pflicht zur Beobachtung gibt, kann man aber von einer weiteren Verbreitung ausgehen.

#Ö: Die Meldung vom Februar kam aus der Schweiz. Sie sprechen von Frankreich. Gibt es dort schon mehr Erfahrungen? Werden diese Erfahrungen ausgetauscht?

Olaf Zimmermann: Derzeit läuft zumindest in der Schweiz mit derzeit acht Fundmeldungen ein Aufruf zu Meldungen. Eine offizielle Zusammenarbeit oder konkrete Ansätze zur Bekämpfung gibt es leider noch keine. Damit könnte man zumindest die Ausbreitung über den Handel ein wenig einschränken.

Da der Obama-Wurm keine rechtliche Einordnung - zum Beispiel als „Quarantäneschädling“ - bekam, gibt es auch keine offizielle Verpflichtung, ihn zu beobachten oder zu bekämpfen und entsprechend ebenfalls keine EU-Beihilfen für diese Maßnahmen.

Den Betrieben kann man also keinen Vorwurf machen. Selbst vielen Fachleuten im Pflanzenschutz und Naturschutz ist der Obama-Wurm weiterhin unbekannt. Der Austausch über die Funde in Europa findet derzeit nur über den Kontakt der interessierten Wissenschaftler untereinander statt.  

#Ö: Es sieht so aus, als ob sich der Wurm eher auf Topfkulturen im gärtnerischen Bereich beschränkt. Kann er bei uns überwintern und auch auf Ackerböden sein Unwesen treiben?

Olaf Zimmermann: Ja, er überlebt offenbar unsere Winter, da er beim Erstfund im Außenbereich auftrat und man sich erinnerte, dass er im Jahr zuvor, also 2019, auch schon vereinzelt auftrat. Die zunehmenden Fundmeldungen in Deutschland und der Schweiz zeigen ebenfalls, dass hier eine Ausbreitung abläuft.

Meldungen aus Gärtnereien und Baumschulen sind natürlich häufiger, weil man dort enger an den Pflanzen arbeitet. Zuhause im Garten oder am Balkon dreht in der Regel keiner den Topf um und sucht nach dem Wurm, der anfangs ja auch nur 1 bis 2 cm klein und unauffällig braun ist und nur ausgewachsen bis zu 7 cm lang wird.
Aus dem Freiland haben wir keine Angaben zum Auftreten. Das heißt aber nicht, dass es den Obama-Wurm nicht auch schon im Freiland in Deutschland gibt.

Als mein französischer Kollege Jean Luc Justine eine gezielte Studie durchführte, konnte er den Wurm in 75 % der französischen Departments nachweisen. Es gibt also durch den globalen Handel nicht nur neue Insektenarten, allergieauslösende Pflanzen und Krankheiten an Gehölzen, sondern auch neue Würmer in Deutschland.

Plattwurm Obama nungara

Der räuberische Plattwurm Obama nungara stammt aus Südamerika. Er tritt in Europa seit 2008 auf, unter anderem in Frankreich und Italien. Er ist drei bis sieben Zentimeter lang und variiert in der Färbung von hellbraun zu schwarzbraun, mit einem marmorierten Muster. Sein Name ist auf die indigene Tupi-Sprache in Brasilien zurückzuführen, da er „flach wie ein Blatt“ ist. Er wird regelmäßig dabei beobachtet, wie er Regenwürmer oder Gehäuseschnecken frisst.

Verdachtsfunde können jederzeit als Foto geschickt werden an: obama-wurm@ltz.bwl.de oder an den lokalen Pflanzenschutzdienst gemeldet werden.

Fotos von Funden können auch über die APP „iNaturalist“ hochgeladen werden, die über das National Geographic und die University of California weltweit für die Kartierung von Tieren und Pflanzen genutzt wird.


 

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