Kapieren statt kopieren
Die Nachricht traf die Landwirtschaftsbranche unerwartet - am 11. Februar 2022 ist Josef Hägler, der Agrarpionier, der mit seiner Hägler-Methode über die Landesgrenzen hinaus bekannt wurde, überraschend verstorben. Noch im vergangenen Sommer besuchte unser Autor den passionierten Landwirt und ließ sich von ihm schildern, wie er seine Böden fruchtbar hält. In Erinnerung an das Oberpfälzer Urgestein Hägler veröffentlichen wir an dieser Stelle den im August 2021 enstandenen Artikel.
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Oberpfalz, August 2021
Viele „ou“ in der Aussprache, schräge Witze – wer auf den Hof von Josef Hägler kommt, muss sich auf ein „Oberpfälzer Urgestein“ (Hägler über Hägler) gefasst machen. Der Betriebsleiter ist gerade noch mit Aufräumen beschäftigt. Er bespricht sich mit der Praktikantin Verena Lottner. Die Agrarstudentin möchte ihre Bachelorarbeit über die Luzerne schreiben; einer Leguminosenart, die auf Häglers Betrieb eine wichtige Rolle einnimmt: „Wir bauen Luzerne-Gras an, trocknen es, pressen es in Ballen und verkaufen es als Eiweiß- und Strukturfutter“, erklärt er. Die Wärme für die Heutrocknung bezieht er von einer benachbarten, direkt am Ortsrand von Deindorf bei Wernberg-Köblitz gelegenen Biogasanlage. Auf der Gegenseite führt er mit seinem Agrarservice Lohnarbeiten für den Biogaserzeuger aus.
2017 hat Hägler den Hof auf Ökolandbau – und in dem Zuge die Tierhaltung von Milchvieh auf Kalbinnenaufzucht und -mast auf Stroh umgestellt. Er füttert seine Tiere hauptsächlich mit Heu. Hinzu komme nur wenig Kraftfutter und Mais, den er siliert und dann trocknet. „Dadurch ist die Futteraufnahme höher. Ich hab seit vier Jahren keinen Tierarzt mehr auf dem Hof gehabt. Das führe ich drauf zurück, dass im Boden alle Mineralien und Spuren-Nährstoffe in einem ausgewogenen Verhältnis drin sind“, sagt der Oberpfälzer, der damit bei seinem Lieblingsthema angekommen ist: dem gesunden Boden. Der 61-jährige ist im Lauf der Jahre zum Bodenexperten geworden. Er hält Vorträge zu Bodenfruchtbarkeit und Humusaufbau und er gehört zu den Referenten der vom Bioland-Verband organisierten „Bodenpraktiker“-Kurse.
Vom Glasmeister zum Bodenpionier
Sein Weg zum Bodenkenner war aber kein geradeaus führender: „Ich bin kein gelernter Landwirt. 20 Jahre lang hab ich in der Glasbranche gearbeitet“, erzählt Hägler, der sich einst zum „Industriemeister Glas“ ausbilden lassen hat. In der Glasindustrie habe er viel über Spurenelemente und Chemie gelernt. Anfang der 2000er nahm er fünf Jahre lang als Praxisbetrieb an einem Versuch der Lufa Augustenberg zur Gülleaufbereitung teil, bei dem die Auswirkungen auf Tier und Boden untersucht wurden. Das weckte sein Interesse am Mikrokosmos unter unseren Füßen. Der nächste Schritt war dann, sich mit den Albrecht/Kinsey-Bodenuntersuchungen zu beschäftigen. Seit 2009 beprobt Hägler seine Böden nach den Methoden der Wissenschaftler William Albrecht und Neal Kinsey und düngt sie dementsprechend.
„Die Standard-Bodenprobe mit pH-Wert, Phosphor und Kali reicht nicht aus, um die Ursache eines Problems zu finden. Wichtig sind auch Elemente wie Schwefel, Bor, Magnesium, Natrium oder Zink und ihr Verhältnis zueinander“, argumentiert Hägler. Er strebe an, Nährstoff-Unter- und auch -Überversorgung zu vermeiden: „Die ist schlechter als Unterversorgung, weil sich Nährstoffe gegenseitig blockieren können. Darum muss ich eine Bodenanalyse machen lassen, um zu wissen, was zu viel ist. Die meisten Landwirte denken: ‚Viel hilft viel‘. Aber das ist falsch.“
Den Kühlschrank nachfüllen
Bei der Albrecht-Methode werde die Kationen-Austauschkapazität (KAK) ermittelt. Hägler vergleicht den Boden hier mit einem Kühlschrank: „Die KAK entspricht nicht der Bodenfruchtbarkeit, sondern der Größe eines Kühlschranks. Es kommt drauf an, wie der Kühlschrank bestückt ist: mit Wurst, Käse, Eiern, Gemüse und Obst. Die Pflanzen können sich an den Nährstoffen bedienen, die sie für ihr Wachstum brauchen. Dann müssen die entnommenen Nährstoffe wieder nachgefüllt werden. Dabei geht es aber nicht, dass zum Beispiel Käse mit Gemüse ersetzt wird.“
Außerdem seien Ton-Humus-Komplexe wichtig für die Bodenfruchtbarkeit: „Die Tonmineralien sind gottgegeben, aber den Humus können wir aufbauen“, stellt Hägler klar. Humus könne sämtliche Kationen (Kalzium, Magnesium, Kalium, Natrium) und auch Anionen (Stickstoff, Phosphor und Schwefel, aber auch Bor) binden und der wachsenden Pflanze zur Verfügung stellen. Das Nährstoff-Haltevermögen sei dreimal höher als bei der gleichen Menge Ton. Zudem könne Humus das Zehnfache seines Eigengewichts an Wasser halten. Er erzählt von einem Test auf seinem Feld, bei dem auf einem Quadratmeter 100 l Wasser ausgeschüttet worden und innerhalb von sechs Minuten versickert seien. In Bezug auf manch fantastische Humusaufbaurate gibt Hägler zu denken: „Man muss genau schauen, ob es wirklich Humus ist, der da aufgebaut wird, oder nur organische Substanz, die mit dem Kohlenstoff-Gehalt Corg gemessen wird.“ Es gehe auch um Wurzelausscheidungen und das richtige Kohlenstoff:Stickstoff-Verhältnis. Ideal wären 10:1. Die Zusammensetzung müsse stimmen, damit der Humus auch seine Funktionen erfüllen könne. Sonst sei es kein Dauerhumus, sondern nur Kohlenstoff.
„Wichtig für den Humusaufbau ist, keine Fäulnis in den Boden reinzukriegen“, rät Hägler, „deshalb sollte kein Grünmaterial in den Boden eingearbeitet und der Wirtschaftsdünger aufbereitet werden.“ Gärrest und Gülle müssten behandelt werden, damit sie für den Boden verträglich seien. „Gärrest hat ein sehr enges C:N-Verhältnis. Die Biogasproduktion zieht den Kohlenstoff raus. Der Stickstoff ist nicht gebunden und dadurch schnell verfügbar. Wenn er nicht sofort von der Pflanze verwertet werden kann, geht er verloren.“ Ein weiterer Aspekt beim Wirtschaftsdünger sei das Kalium: „Es ist wasserlöslich, tauscht Kalzium aus und löst dadurch die Krümelstruktur auf.“ Früher setzte der Landwirt zur Gülleaufbereitung Leonardit ein; ein huminstoffreiches Koppelprodukt aus dem Braunkohleabbau.
Mist nach System Witte
Heute hat Hägler keine Gülle mehr, dafür Mist, den er nach dem System von Walter Witte aufbereitet. Der Kalbinnenmist enthalte viel Stroh, damit er nicht zu nass sei. „Mit dem Miststreuer abstreuen, damit Luft reinkommt, und eine zwei Meter hohe Miete aufsetzen“, erklärt er. Das Ganze werde dann mit dem Radlader angedrückt, damit es außen verschlossen sei. Es stelle sich eine Temperatur von bis zu 55 °C ein: „Nährstoffe gehen so nicht verloren. Huminstoffe bilden sich. Die Miete wird nicht abgedeckt und auch nicht umgesetzt, damit das CO2 nicht in die Luft geht. Ich hab mit einem CO2-Messgerät schon über 20.000 ppm CO2 gemessen. Also: Das CO2 bleibt drin.“ Nach rund zwölf Wochen Reifezeit könne der aufbereitete Mist mit bis zu 10 t/ha*a ausgebracht werden. Er habe ein für das Pflanzenwachstum optimales C/N-Verhältnis von 16:1: „Das heißt, er wirkt schnell.“
Auf den Pflug wird verzichtet
Seit 2014 bearbeitet Hägler seine Böden ohne Pflug: „Wir müssen die Bakterien im Boden erhalten; die, die Sauerstoff wollen, bleiben oben und die anderen unten.“ Um Kleegras, Untersaaten, wintergrüne Zwischenfrüchte und auch Maisstoppeln in Flächenrotte oder zur schnelleren Umsetzung zu bringen, setzt er eine „Hackfräse“ ein. Die Maschine habe eine andere Messerstellung als herkömmliche Bodenfräsen, erläutert der Lohnunternehmer. Er zeigt die Arbeit der Maschine an einem gemähten Luzerne-Grasbestand: Die Fräse schneidet den Boden in 3 bis 4 cm Tiefe ab und wirft das Material durch den offenen Deckel aus. Der Feinboden liegt dann unten, das organische Grobmaterial oben, wodurch es sicher absterben soll. „Damit das funktioniert, haben wir die Maschine weiterentwickelt“, sagt der Oberpfälzer. Für die modifizierte Fräse des italienischen Herstellers Celli hat er den Exklusivvertrieb in Deutschland.
Häglers Fräse hat eine Arbeitsbreite von 5,50 m und 10 mm dicke Messer. Der Leistungsbedarf liegt über 200 PS. „Wenn man viele Steine auf dem Acker hat, so wie bei uns in der Oberpfalz, müssen die Messer so dick sein“, sagt Hägler. Wichtig sei, Rotordrehzahl und Fahrgeschwindigkeit genau aufeinander abzustimmen, damit der Boden nicht verschmiere. Außerdem solle nur im völlig trockenen Boden gefräst werden. Auch die nächsten zwei Tage sollte schönes Wetter sein. Nach fünf Tagen sei das Fräsmaterial dann abgestorben und könne mit dem Grubber eingearbeitet werden. „Damit werden meine zigtausende Mikroorganismen im Boden gefüttert. Durch die Zusammensetzung des Pflanzenbestands und die Arbeitsweise der Fräse brauch ich keine Fermente zur Rottelenkung. Ich bin nicht überzeugt davon, dass die Arten an Mikroorganismen in einem Ferment genau meine Mikroorganismen abbilden können.“
Schlagkräftige Maschinen
Ohnehin sei er kein Freund von Präparaten: „Ich kann die Bodenfruchtbarkeit mit Untersaaten und Zwischenfrüchten beeinflussen. Mir ist es wichtig, die Ursache von Problemen im Boden zu finden und dementsprechend zu handeln. Das muss gehen, ohne öfters mit der Spritze raus zu fahren. Ich gebe da kein Geld aus.“ Untersaaten und Zwischenfrüchte würden immer auf die Folgefrucht abgestimmt. Wo es passe, bringe er eine Untersaat aus: „Bei der Rapssaat zum Beispiel bringen wir zuerst eine leguminosenreiche Zwischenfrucht aus. Im Frühjahr wird diese rausgehackt und wir bringen dann eine Untersaat ein.“
Hägler kann die Zwischenfrucht in einem Arbeitsgang zwischen die Reihen säen. Er hat eine sechs Meter breite Horsch-Drillmaschine, die auch modifiziert ist: Neben den Zwischenreihensaaten könne sie auch das Saatgut direkt bei der Saat flüssig beimpfen. Vor der Saat und beim Grubbern empfiehlt er, den Boden rückzuverfestigen. Hägler hat eine Nachlaufwalze an der Sämaschine und eine 8,5 t schwere Cambridge-Walze. „Wir haben trotz des Arbeitsgewichtes eine gute Bodendurchkrümelung“, sagt er und zeigt eine Spatenprobe auf einem Rapsfeld. Hier ist auch die Untersaat mit 90 % Weidelgras und 10 % Klee schön aufgegangen.
„Die Vielfalt macht’s“, lautet Häglers Leitspruch bei Zwischenfrüchten. Er verwendet Mischungen mit über 20 Arten, zum Teil abfrierend und zum Teil wintergrün. „Bei Zwischenfrüchten immer die Wurzeln anschauen“, rät er, „auf die kommt es an. Wurzel-Kohlenstoff hat das 2,3-fach stärkere Humusbildungspotenzial als Kohlenstoff aus oberirdischer Biomasse.“ Kleegras und Luzerne-Gras werde auf Böden mit Phosphor- und Kali-Überschüssen angebaut: „Hier düngen wir mit Schwefel und Bor. Das Kleegras fördert die Bodenstruktur.“
Trotz der vielen Empfehlungen warnt Hägler davor, Vorbilder kopieren zu wollen. „Jeder Boden ist anders. Jeder hat andere Voraussetzungen bezüglich des Klimas, zum Beispiel hat einer mehr Nordhänge als ein anderer.“ Konkret sei das ideale Kalzium:Magnesium-Verhältnis von 68:12 abhängig von der Bodenart: „Sandige Böden können etwas mehr Magnesium haben, bei tonigen Böden sollte es unter 12 % liegen. Zusammen sollen es aber immer 80 % sein.“ Auch die Unterschiede in der Tierhaltung müssten immer berücksichtigt werden: „Deshalb funktioniert es nicht, eine Art ‚Mustersystem‘ zu stricken und das jedem Bauern überzustülpen.“ Wichtig ist ihm, kompetente Partner an der Seite zu haben: Hägler arbeitet mit Christoph Felgentreu von der IG gesunder Boden und der Bodenberaterin Dr. Sonja Dreymann zusammen. Er rät: „Wer umstellen will, soll auf kleinen Flächen anfangen und das dann in kleinen Schritten ausweiten.“
„Wenn die Nährstoffe im Gleichgewicht sind und mit bodenschonender Bearbeitung die Bodenstruktur gut ist, läuft der Betrieb“, sagt Hägler. So lange auf trockenem Boden gearbeitet werde, sei auch das Gewicht von Maschinen nicht so entscheidend. Bei einer guten Struktur stecke der Boden viel weg. „Bodenchemie, -physik und -biologie müssen als Gesamtsystem betrachtet werden. Das ist wie ein Getriebe, bei dem die Räder ineinander greifen“, lautet sein Fazit. An erster Stelle steht für ihn die Bodenchemie: „Sie muss zuerst stimmen. Dann kann die Biologie anspringen und der Kreislauf geschlossen werden.“






















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