Geben Sie einen Suchbegriff ein
oder nutzen Sie einen Webcode aus dem Magazin.

Geben Sie einen Begriff oder Webcode ein und klicken Sie auf Suchen.
Weideschweine

Die Sau rauslassen

Auf ihrem Hof in Eggenreuth bei Kulmbach hält Familie Berthold ihre „Kulmbacher Weideschweine“. Das Fleisch trägt zwar kein offizielles Öko-Siegel, die Tiere wachsen aber Sommer wie Winter in einer gemischten Gruppe im Freien auf.

Veröffentlicht am
/ Artikel kommentieren
Die „Kulmbacher Weideschweine“ von Familie Berthold wachsen Sommer wie 
Winter in einer gemischten Gruppe im Freien auf.
Die „Kulmbacher Weideschweine“ von Familie Berthold wachsen Sommer wie Winter in einer gemischten Gruppe im Freien auf.Cordula Kelle-Dingel
Artikel teilen:

Sie sind weiß mit schwarzen Flecken, rosa mit schwarzem Kopf und Hinterteil, schwarz wie Wildschweine oder haben rotbraune wollartige Borsten. Ihre Rüssel wühlen hingebungsvoll im Dreck und wenn sie gerufen werden, beweisen sie, dass 100 kg Körpergewicht nicht zwangsläufig eine träge Masse sind. „Kommt, Schweine, kommt“, ruft Ben Berthold und im Schweinsgalopp geht es ins frische Grünfutter, wo die Tiere sofort anfangen laut zu schmatzen. Seine Frau Johanna wird belagert von drei großen weißen Hunden, die sich ihre Streicheleinheiten abholen und die dreijährige Tochter Ida beobachtet fasziniert, wie herrlich Schweinekot unter den Gummistiefeln haftet. Im nächsten Moment springt sie einem der Ferkel hinterher. Schweine, die Sommer wie Winter in einer gemischten Gruppe vom Ferkel bis zum Schlachtschwein im Freien leben, viel Platz haben und täglich weiden können – das ist, was Johanna und Ben Berthold sich unter vernünftiger und artgerechter Tierhaltung vorstellen.

Alles in einer Hand

Auf ihrem Hof in Eggenreuth bei Kulmbach erzeugen sie auf diese Weise Fleisch besonderer Qualität, das unter dem Namen „Kulmbacher Weideschwein“ im hofeigenen Laden verkauft wird. Das Besondere dabei ist, dass Zucht, Mast und Direktvermarktung in einer Hand liegen und dadurch Tiertransporte vermieden werden. Beide sind Quereinsteiger in der Landwirtschaft. Ben ist ausgebildeter Physiotherapeut und Yogalehrer und hat auf dem Hof einen Raum für seine wöchentlichen Yogakurse eingerichtet. „Yogalehrer sind ja eigentlich meistens Vegetarier“, erzählt er lachend, „aber wir züchten und vermarkten Schweine“. Johanna ist studierte Sozialpädagogin und derzeit in Elternzeit für die beiden Töchter Ida und Lotta. Schon in der Jugend haben beide in der Landwirtschaft geholfen und auf verschiedenen Höfen Erfahrungen gesammelt. Zusätzlich hat Ben seine Kenntnisse nebenher im BiLa-Programm vertieft.

Den Hof in Eggenreuth hat das Paar 2016 gekauft, davor drei Jahre einen benachbarten Hof gepachtet. Selbstversorgung mit Gemüse, Obst und Fleisch aus guter Herkunft war das Ziel. So starteten sie mit zwei Schweinen für den Eigenbedarf, eines davon Wollschwein Lotta, die auch heute noch als Zuchtsau auf dem Hof lebt. Freunde und Bekannte waren begeistert von der Art der Tierhaltung und dem Fleisch, schnell stiegen Nachfrage und Zahl der Schweine. Heute leben auf dem Hof der Bertholds 130 Schweine, zehn davon als Zucht-, die anderen als Mastschweine.

Bio-zertifiziert ist der Hof nicht, obwohl er in vielen Aspekten die Anforderungen der Verbände trifft, manche Vorgaben sogar übertrifft. Doch Bürokratie und Kosten schrecken die Betriebsleiter ab. „Zudem kaufen wir einen Teil vom Futtergetreide von unseren Nachbarn zu, welche nicht alle bio sind“, erklärt Ben Berthold. Unterstützung bei der Arbeit auf dem Hof bekommt die Familie von Freunden und Freiwilligen, darunter regelmäßig Wwoofer (= World-Wide Opportunities on Organic Farms).

Robuste alte Rassen

Um die Tiere das ganze Jahr problemlos im Freien halten zu können, suchten die Bertholds Schweinerassen, die robust und widerstandsfähig sind, außerdem sollten sie leichtfuttrig sein und gutes Wachstum bei bester Fleischqualität haben. Fündig geworden sind sie bei alten Rassen, neben dem Mangalica-Wollschwein leben inzwischen auch Bunte Bentheimer, Schwäbisch-Hällische, Husumer und Duroc-Schweine auf dem Hof.
Mangalica-Wollschweine als eine der ältesten Schweinerassen sind bekannt für ihre hervorragende Fleischqualität und ihr intramuskuläres Fett, das als Geschmacksträger dient. Für Kunden, die etwas fettärmeres Fleisch bevorzugen, haben die Bertholds Bunte Bentheimer, Schwäbisch-Hällische und Duroc eingekreuzt. Deren Fleisch ist deutlich magerer und trotzdem von hoher Qualität. Die Unterschiede der Rassen zeigen sich nicht nur im Fleisch, sondern auch in Verhalten, Futterbedarf und Wachstum. So sind Bentheimer und Schwäbisch-Hällische sehr sanftmütig, Wollschweine dagegen haben mehr Urinstinkte und sind im Umgang ruppiger, außerdem sind sie kompakter und wachsen langsamer.

Viele Ferkel auf dem Hof sind Kreuzungen aus den genannten Rassen, weil jeweils nur ein Eber zum Einsatz kommt. Derzeit sorgt Bentheimer Eber Anton für den Nachwuchs bei neun Zuchtsauen. Da der Genpool bei den alten Rassen sehr klein ist, wird gezielt gekreuzt. Anton ist inzwischen der dritte Eber und die Muttersauen werden je nach Verhalten und Erfolg der Verpaarung ausgetauscht oder über einen längeren Zeitraum zur Zucht eingesetzt.

Alle Zuchtschweine leben in einem von den Mastschweinen getrennten Areal ganzjährig draußen. Als Schutz vor Wind und Wetter dienen – wie bei den anderen Schweinen auch – Holzhütten mit Stroh darin. Die Tiere lassen sich problemlos anfassen und bleiben auch zum Abferkeln in der Gruppe, inklusive Eber. Das Abferkeln läuft generell gut. „Ferkelverluste durch Erdrücken liegen eher am Verhalten der Sau“, erklärt Ben, „manche weisen gar keine Verluste auf, andere stellen sich ungeschickt an und werden dann nicht weiter zur Zucht eingesetzt.“
Die Wurfgröße liegt im Mittel bei vier bis sieben Ferkeln, das ist deutlich weniger als bei hochgezüchteten Rassen, hat aber den Vorteil, dass die Muttersau alle Ferkel problemlos mit Milch versorgen kann. Mit sechs bis acht Wochen werden die Ferkel abgesetzt und kommen in die Gruppe der Mastschweine. Dort leben sie in einer Gruppe von rund 120 Schweinen auf einem acht Hektar großen Gelände.

Gut geschützte Gruppe

Früher war Freilandhaltung von Schweinen üblich, heute ist sie nur unter Auflagen des Veterinäramtes möglich. Um die Übertragung von erregerbedingten Schweinekrankheiten von Wildschweinen auf die Weideschweine zu verhindern, muss die Freilandanlage mit einem doppelten Zaun umgeben sein. Für zusätzlichen Schutz der Herde sorgen die drei Pyrenäenberghunde, sie leben das ganze Jahr zusammen mit den Schweinen und verhindern, dass Wildschweine, angelockt vom guten Futter oder einer rauschigen Sau, sich unter dem Zaun durchwühlen. Auch Kolkraben werden von den Hunden verscheucht, die Vögel können bei den Ferkeln für Verletzungen sorgen. Von den Herdenschutzhunden profitieren auch die Hühner, die auf dem gleichen Gelände leben.

Innerhalb des Zaunes wird die Fläche mit Elektrozaun in einzelne Parzellen geteilt, die Schweine bekommen jeweils eine Parzelle zur Verfügung, auf den anderen wächst das frische Futter nach. Sie erhalten hier so viel frisches Grünfutter wie möglich, eine angesäte Mischung aus Hafer, Gerste, Erbsen, Senf und Klee. Täglich bekommen die Schweine ein paar Meter davon zum Abweiden zugeteilt. Ist nach einiger Zeit eine Parzelle komplett abgefressen und umgewühlt, wandern die Tiere zur nächsten Fläche. Übrig bleibt ein durchgearbeiteter Acker, der von Ben zweimal gegrubbert, eingesät und gewalzt wird. Das wiederholt sich mehrmals jährlich.
Die Tiere sollen langsam wachsen und nicht hochgemästet werden.

Zusätzlich bekommen die Schweine gedämpfte Kartoffeln, geschrotetes Getreide, Futterrüben, Eicheln, Nüsse, Äpfel und Kürbisse. Natürliches regionales Futter, teils aus Eigenanbau, teils von den Nachbarn angebaut. Damit die Schweine auch im Winter bei Frost getränkt werden können, wurden Erdtanks eingegraben, aus denen mittels einer 12-V-Pumpe Wasser nach oben gefördert werden kann.

Das geschrotete Getreide bekommen die Schweine in einem Fressstand aus Holz. Der hat eine Einlasskontrolle: Die Öffnung zum Stand lässt sich in der Weite regulieren, so dass nur die kleineren Schweine durchpassen. So kann gesteuert werden, dass die Schweine in der Endmast nicht mehr zu viel fressen. Für sie gibt es einen separaten Futtertrog, der nicht ganz so üppig gefüllt wird. Die Tiere sollen langsam wachsen und nicht hochgemästet werden. In der Industrie nehmen die Tiere pro Tag bis zu 1 kg zu und sind nach fünf bis sechs Monaten schlachtreif, hier werden sie erst mit 14 bis 18 Monaten geschlachtet. Auf den Einsatz von Wachstumsbeschleunigern oder Antibiotika wird dabei verzichtet. Das langsame Wachstum und die viele Bewegung wirken sich positiv auf Gesundheit und Fleischqualität aus.

Arteigenes Verhalten fördern

Das Wühlen im Boden dient nicht nur der Nahrungssuche, sondern auch dem Erkundungsverhalten. Gleichzeitig mit Würmern und Wurzeln werden wichtige Mineralien aufgenommen. Zur Gesunderhaltung dient auch, dass Hütten und Futterstände regelmäßig umgesetzt, Wurmkuren durchgeführt und keine Schweine von außen zugekauft werden. Wird ein neuer Eber geholt, kommt er zunächst in Quarantäne.

Alle Mastschweine leben zusammen in einer großen Gruppe und führen ihre arteigenen Verhaltensaktivitäten wie fressen, ruhen und wühlen gemeinsam aus. Auch die strohgefüllten Holzhütten sind als Gruppenhütten konzipiert. Die abgesetzten Ferkel haben zusätzlich einen abgetrennten Bereich, den sie durch einen Ferkelschlupf erreichen und in dem sie eine Extraportion Futter bekommen können. Dort können sie sich in eine eigene Hütte zurückziehen, wenn ihnen danach ist. Meist wuseln sie aber zwischen den großen Schweinen umher. Damit sich die Tiere richtig wohlfühlen, steht auf der Fläche eine Suhlwanne aus Metall, groß genug, dass ein Dutzend Schweine gemeinsam hineinpassen. Innen mit einer Schicht Lehm angefüllt, wird an heißen Sommertagen Wasser eingelassen und sobald der erste Wasserstrahl aus dem Schlauch spritzt, kommen die Schweine und klettern in die flache Wanne, legen sich genüsslich in den Schlamm oder lassen sich abspritzen.

Der Aufwand lohnt sich

Die Weidehaltung ist wesentlich aufwendiger als die Haltung im Stall, wird aber von den Kunden geschätzt. Die Nachfrage nach Fleisch und Wurst ist kontinuierlich gestiegen, die Familie hat inzwischen auf dem Hof eine eigene Metzgerei eingerichtet. Einmal im Monat kommt ein Metzger für drei Tage, dann werden drei Schweine im nahegelegenen Schlachthof Kulmbach geschlachtet, die Schweinehälften in der hofeigenen Metzgerei zerlegt und verarbeitet, um anschließend im Hofladen oder per Onlineshop vermarktet zu werden. Das Fleisch gibt es für die Kunden nur auf Vorbestellung, so bleibt nichts übrig und es muss nichts gelagert werden.

Das Sortiment umfasst neben Frischfleisch auch Schinken, Salami, Pfefferbeißer und ein umfangreiches Wurstsortiment im Glas, das von Leberwurst, Göttinger, Blutwurst, Jagdwurst bis hin zu einer Spezialkreation „Eggenreuther Saugut“ reicht. Alle Wurstsorten werden ohne industrielle Fertiggewürzmischung hergestellt, Metzger Jens hat eigens dafür Rezepte errbeitet. Auch Nitritpökelsalz und Phosphat werden sehr sparsam eingesetzt.

Neben dem Verkauf der Fleisch- und Wurstprodukte gibt es noch weitere Wege der Vermarktung: Kunden können für 55 Euro Monatsrate ein Schwein leasen und nach einem Jahr „ihr“ Schwein schlachten lassen oder auch gleich ein Ferkel kaufen. Die Leasingschweine bekommen eine Nummer und wenn gewünscht einen Namen – auch wenn nicht jedem frischgebackenen Besitzer spontan einer einfällt – daher heißt eines der Leasingschweine „Keine Ahnung“. Jeden ersten Sonntag im Monat um 16 Uhr können die Schweine besichtigt werden, dann gibt es für die Besucher Erklärungen zu Haltung und Fütterung und anschließend eine Verkostung der Produkte. Obwohl der Preis von Fleisch und Wurst deutlich höher ist als der von herkömmlichem Schweinefleisch, unterstützen viele Kunden diese Art der Tierhaltung ganz bewusst durch ihren regelmäßigen Einkauf.

Der Wendepunkt ist erreicht

Die ersten Jahre auf dem Hof waren Aufbauphase, in der das Haupteinkommen der Familie noch aus ihren anderen Berufen kam und in die Landwirtschaft investiert wurde. Ziel war aber, dass die Schweinehaltung sich tragen und Plus machen soll. Nach sechs Jahren ist nun ein Wendepunkt erreicht und die Familie blickt optimistisch in die Zukunft.„Das ist unser Traum: Schweine so zu halten und Kunden zu haben, die diese Art der Fleischerzeugung schätzen“, sind sich Ben und Johanna einig. Und die Schweine grunzen zufrieden bei ihrer abendlichen Portion Futterrüben und Kleegras.

Zur Autorin

Cordula Kelle-Dingel ist freie Fotografin und Autorin. Nach einem erfolgreichen Studium der Forstwissenschaften war sie zunächst freiberuflich im Bereich Forst/Naturschutz tätig. Für #Ö - ökologisch erfolgreich war sie kürzlich bei Familie Berthold in Kulmbach zu Gast. In einer der nächsten Ausgaben wird sie zudem über die Weidewelt Frankenwald berichten.

0 Kommentare
Was denken Sie? Artikel kommentieren

Zu diesem Artikel liegen noch keine Kommentare vor.
Schreiben Sie den ersten Kommentar.

Artikel kommentieren
Was denken Sie? Artikel kommentieren
Ort ändern

Geben Sie die Postleitzahl Ihres Orts ein.