Eigenkontrolle in der Herde – so wirds umgesetzt
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Wichtiges in Kürze
Die Erhebung von geeigneten Tierschutzindikatoren ist nicht nur eine gesetzliche Pflicht, sondern kann das Tierwohl im Bestand erheblich verbessern und sich auch wirtschaftlich lohnen. Vor allem für den Milchviehbereich stehen praktikable Bewertungssysteme und Apps zur Verfügung, die eine sehr gute Basis bieten. Sie helfen beim Einstieg in die Thematik und sorgen für eine objektive Betrachtung. Auffälligkeiten, welche nicht über ein standardisiertes Verfahren erfasst werden können, sollten in Eigenregie festgehalten werden. Bei der Interpretation der Ergebnisse dürfen systemeigene Referenzwerte im Hinblick auf betriebsspezifischen Gegebenheiten durchaus hinterfragt werden. Zu guter Letzt sollte man nicht vergessen, die abgeleiteten und umgesetzten Maßnahmen zu dokumentieren.
So sieht das Projekt aus
In einem Projekt an der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft in Grub standen deshalb verschiedene Bewertungssysteme, welche sowohl Hilfestellung bei der Erhebung sowie Bewertung tierbezogener Indikatoren als auch bei der Ableitung von Maßnahmen leisten sollen, auf dem Prüfstand. Im Mittelpunkt dabei immer der Landwirt, das Tier und die Praktikabilität der einzelnen Systeme. Das Projekt trägt den Titel „Praxistauglichkeit von Indikatoren zur betrieblichen Eigenkontrolle der Tiergerechtheit in der Rinderhaltung“.
Geleitet wurde es durch das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, gefördert durch das Bayerische Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz sowie das Bayerische Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
Verschiedene Strukturen testen
16 bayerische Rinderhalter führten im Rahmen des Projektes über zwei Jahre hinweg halbjährlich die betriebliche Eigenkontrolle auf ihren Betrieben durch. Sie wurden dabei durch die Projektmitarbeiter begleitet und in regelmäßigen Abständen zu ihren Erfahrungen befragt. Von der klassischen Laufstallhaltung mit 50 Tieren über reine Anbindehaltung wie auch deren Kombination mit Weidegang oder saisonale Alphaltung im Allgäu mit lediglich 15 Tieren war dabei im Milchviehbereich fast alles vertreten. Es wurden bewusst kleinere Strukturen ausgewählt, größere Betriebe wurden durch das bundesweit laufende Projekt Eigenkontrolle Tiergerechtheit (EiKoTiGer) abgedeckt.
Auch die überwiegend fränkischen Mastbetriebe waren durch kleinere Tierbestände sowie heterogene Haltungsstrukturen gekennzeichnet, d.h. Haltungsformen und Betriebsgrößen, die über die klassischen Varianten hinausgehen. Hier kommen der Praktikabilität und aber auch Variabilität sowie Flexibilität der Bewertungshilfen eine besondere Rolle zu. Für die Durchführung der Eigenkontrolle standen drei Systeme zur Verfügung. Die „KTBL-Tierschutzindikatoren“ für Milch und Mast wurden dabei auf dem Papier im Stall erhoben und später mit Excel digitalisiert und ausgewertet. Die Managementhilfe „Q-Wohl-BW“ für Milchvieh wurde als App am Smartphone genutzt und die digitale Schwachstellenanalyse „CowsAndMore“, ebenfalls für den Milchviehbereich, als Anwendung auf dem Tablet.
Warum ein vorgegebenes Bewertungssystem nutzen?
Die Arbeit der Landwirte mit den Systemen, sowie der Austausch mit Teilnehmern aus den vor- sowie nachgelagerten Bereichen von Milch und Mast in und außerhalb Bayerns haben gezeigt, dass diese Leitfäden und Apps eine systematische, umfassende und unvoreingenommene Erfassung der Tierschutzindikatoren erleichtern. Durch die einheitliche Erfassung und Bewertung ist ein Vergleich der Tierwohlsituation mit Berufskollegen, aber auch die Entwicklung des eigenen Betriebes über die Zeit möglich. Entscheidend dabei ist, wie selbstkritisch und ehrlich man den eigenen Betrieb hinterfragen möchte. Denn jedes System kann nur so gut wie der Erfassende sein.
Inhalt, Umfang und Häufigkeit
Ein Blick auf die Systeme zeigt, dass viele Indikatoren vorhanden sind, um das Tierwohl in Bezug zur Haltungsumwelt und Management abzubilden. So bilden die Erfassung von Körperkondition, Verschmutzung, Verletzung, Klauenzustand, Lahmheit und Liegeplatznutzung einen festen Bestandteil der Beurteilung. Sie unterscheiden sich jedoch in den einzelnen Definitionen und nutzen unterschiedliche Abstufungen. So wird die Verschmutzung der Milchkühe in den meisten Systemen nach den Körperregionen Euter, unteres sowie oberes Hinterbein und Bauchregion vorgenommen. Unterteilt wird dann je nach Bewertungssystem in zwei, drei oder sogar sechs Befundkategorien. Dies bedeutet, man wählt zwischen verschmutzt und nicht verschmutzt, oder zwischen sauber, leicht und stark verschmutzt oder sogar zwischen noch feineren Abstufungen. Viele Projektlandwirte taten sich mit einer „schwarz-weiß Bewertung“ über lediglich zwei Einstufungen schwer, während sechs Kategorien teilweise schon wieder zu viel waren, da ihnen hier die Unterschiede zwischen den einzelnen Stufen verschwammen bzw. zu gering waren. Insgesamt hat es mit den drei Kategorien am besten funktioniert. Vorsicht ist jedoch geboten, man tendiert schnell dazu, bei Unsicherheit die Mitte zu wählen!
Viele Indikatoren lassen sich praxistauglich erheben, ohne aufgrund der vereinfachten Erhebung an Aussagekraft einzubüßen. Dies trifft auf Indikatoren wie Verschmutzung, Verletzungen und Körperkondition klar zu. Schwieriger wird es, bedingt durch die räumliche Distanz zum Tier, wie auch bauliche Gegebenheiten, bei der Beurteilung des Klauenzustandes, der Erfassung von Lahmheiten oder Schwanzspitzennekrosen in der Mastrinderhaltung. Auch fehlen in den genutzten Systemen teilweise noch Indikatoren für bestimmte Haltungsformen, um dort mögliche Tierwohlproblematiken ausreichend beschreiben zu können. Dies betrifft beispielweise die Freilandhaltung, die Haltung behornter Kühe oder die muttergebundene Kälberaufzucht. Für eine ganzheitliche Beurteilung des Tieres ist dies natürlich wichtig. Manchmal sind es auch gar keine systembezogenen Problematiken, sondern einfach betriebsspezifische Details, die festgehalten werden wollen. Hier wurde es von den Landwirten im Projekt begrüßt, wenn Apps die Möglichkeit geben eigene Beobachtungen bzw. Indikatoren im System festzuhalten.
Der zeitliche Rahmen der Erhebung sollte nach Befragung der Projektlandwirte nicht über zwei Stunden hinausgehen. Fachlich sinnvoll ist eine halbjährliche Erhebung zum Ende einer Haltungsperiode hin. Dann werden saisonale wie auch haltungsspezifische Einflüsse besser ersichtlich, wie beispielweise bei der Alphaltung im Sommer versus Anbindehaltung im Winter.
Tablet, Handy, oder Papier?
Für eine praktikable, aber auch „fachlich korrekte“ Erhebung des Tierwohls sind eine ausreichende Beschreibung der Vorgehensweise im Stall sowie klare Definitionen über entsprechende Bilder und Videos ausschlaggebend. Wichtig ist auch, dass die Anwendung nicht überfrachtet wirkt. Im Projekt wurde hierbei von den teilnehmenden Landwirten klar die digitale Erfassung über bebilderte Buttons am Smartphone gegenüber einer analogen Papiererfassung favorisiert.
Eine Verknüpfung zu bereits bestehenden Datenbanken objektiviert bei entsprechender Beachtung des Datenschutzes ein Stück weit die Datenlage, nutzt Synergieeffekte und mindert dabei den eigenen Erfassungsaufwand. Aus Sicht der Projektlandwirte sollten Apps eine Bereitstellung bereits digital vorhandener Daten unbedingt leisten können. Völlig nachvollziehbar bestand nur wenig Bereitschaft diese Daten nochmals von Hand in das jeweilige System zu übertragen.
Exkurs zur LKV Tierwohl App
Auch das LKV Bayern e.V. entwickelt in enger Abstimmung mit der Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL) aktuell eine eigene Tierwohl-App, um MLP Mitglieder bei der betrieblichen Eigenkontrolle zu unterstützen. Mit Hilfe der App können relevante Tierschutzindikatoren wie z. B. Körperkondition, Lahmheit und Verschmutzung einfach und schnell erfasst werden. Die App wird für Android Geräte ab Android 7.5.1 (ca. 5 Jahre alt und neuer) programmiert, das Layout wird sich an der bereits bestehenden LKV-Rind App orientieren. Die Auswertungen werden in den LKV-Herdenmanager ausgelagert, um eine Verknüpfung mit anderen tierwohlrelevanten Daten aus der MLP (z.B. Q Check-Report) zu ermöglichen. Der Landwirt kann zwischen zwei Auswertungen wählen:
- DLQ-konforme Auswertung (deutschlandweite Vergleichbarkeit)
- Bayern-interne Auswertung (bessere Berücksichtigung der bayerischen Gegebenheiten)
Weitere Infos folgen in Kürze auf den Kanälen des LKV Bayern e.V.
Exkurs zu Qualifood
Im Rinderbereich stellt die Informationsplattform Qualifood vor allem für die Rindermast eine zentrale Schnittstelle zwischen Landwirt, Schlachtbetrieb, Qualitätssicherung, Beratungsorganisationen sowie Hoftierärzten dar. Das innovative Projekt des Fleischprüfrings Bayern nutzt vielfältige Informationen aus der Schlachtung, dem Erzeugungsprozess und zur Tierhaltung, bereitet sie zentral auf und stellt sie dem Erzeugerbetrieb online wie auch mobil („Qualifood-APP“) zur Verfügung. Vielfältige Kennzahlen wie ausführliche Schlachtdaten, detaillierte Veterinärbefunde der Schlachttiere, Schlachtprotokolle, Tiergesundheitsindex oder Auditmanagement bieten jedem Erzeugerbetrieb die Möglichkeit recht unkompliziert den Gesundheitszustand der Tiere im Blick zu behalten, was im stressigen Alltag hilfreich und arbeitserleichternd ist.
Aktuell wird an einem Modell gearbeitet, das transparent und auf einen „Blick“ die wichtigsten Auffälligkeiten bei den Befundinformationen für einen Betrieb sichtbar macht. In Kooperation mit weiteren bayerischen Selbsthilfeeinrichtungen (LKV, TGD) soll durch das Befundmonitoring-Tool eine Beratungsgrundlage geschaffen werden, um den Betrieb bei Fragen des Tierwohls und der Tiergesundheit zu unterstützen.
Das Anmeldeformular, sowie weiterführende Informationen zu Qualifood finden sich auf der Projektwebsite unter www.qualifood.de.
Erfassen will gelernt sein
Es ist sinnvoll, zum Ablauf der Erhebung wie auch zur Anwendung der Systeme geschult bzw. angeleitet zu werden. Bei den Projektlandwirten kamen sowohl Online- als auch Vor-Ort-Schulungen sehr gut an. Die Schulungen vor Ort punkteten durch den zusätzlichen Austausch mit Kollegen, sollten jedoch in guter Erreichbarkeit stattfinden. Eine orts- und zeitunabhängige Möglichkeit bieten die Online-Varianten. Die KTBL-Online-Schulung, steht beispielsweise jedem, egal ob Landwirt, Berater oder Veterinär als Übungstool zur Verfügung, sogar mit abschließendem Testbereich und Ausstellung eines kursbezogenen Zertifikates. Außerdem werden auf der Lernplattform viel Hintergrundwissen und Basisinformationen angeboten. Auch die LKV Tierwohl App wird einen Schulungs-/Übungsmodus für seine Nutzer bereithalten.
Was ist bei der Interpretation der Ergebnisse zu beachten?
Bei der Durchführung, wie auch in den Gesprächen mit den Landwirten fiel auf, dass tierbezogene Indikatoren zur Erfassung des Tierwohls zwar grundsätzlich vorhanden sind, sie eine Tierschutzproblematik jedoch unterschiedlich gut beschreiben können. Somit ist es bei der Ergebniseinordnung wichtig, die betrieblichen Gegebenheiten sowie das Management in die Betrachtungen miteinzubeziehen. Ein Beispiel hierfür ist die Nutzungsdauer, welche zur Messung von frühzeitigen, ungewollten Abgängen herangezogen wird, aber eben auch geplante Abgänge beinhaltet. Dadurch kann eine kürzere Nutzungsdauer neben dem Gesundheitsstatus auch durch die wirtschaftliche Ausrichtung des Betriebes bedingt sein. So kann z.B. die Fleischnutzung junger Kühe zu einer geringen Nutzungsdauer führen, ohne ein Tierwohlproblem darzustellen. Dies gilt es bei der Bewertung zu beachten.
Für die eigentliche Interpretation der Ergebnisse gibt es zwei Möglichkeiten. Die eine ist der Abgleich mit festgelegten Ziel- und Alarmwerten. Diese scheinen in der Praxis nicht immer erreichbar, zudem ist deren Festlegung aufgrund der z.T. fehlenden bzw. nicht ausreichend breiten Datengrundlage mit Unsicherheiten behaftet. Eine weitere Möglichkeit der Ergebniseinordnung bieten Benchmarks, diese erscheinen vor allem im Hinblick auf die Motivation der Landwirte und den Erkenntnisgewinn aller Beteiligten sinnvoll.
Wichtiger Schritt: Ableitung und Umsetzung von Maßnahmen
Sind bei der Bewertung Abweichungen erkennbar geworden, die auf ein Tierwohlproblem hindeuten, so gilt es diese in einem letzten Schritt zur Verbesserung des Tierwohls zu priorisieren, um nachfolgend Maßnahmen abzuleiten und umzusetzen. Für Indikatoren wie z. B. Zellzahl oder Fett-Eiweiß-Quotient sind solche Maßnahmen bereits gesichert vorhanden. Für „neue“ Indikatoren wie z. B. Verschmutzungen oder Verletzungen sind diese derzeit noch nicht gesammelt „verfügbar“. Frei verfügbare Systeme wie „Q-Wohl-BW“ oder „Pro-Q-BW“ bieten für den Milchviehbereich interessante Ansätze, um den Landwirt bei dieser schwierigen Aufgabe zu unterstützen. Der Austausch mit Berufskollegen oder die Hinzuziehung eines Beraters kann weiterhin wertvoll sein. So merkte ein Projektlandwirt an, dass er es für sinnvoll halten würde, wenn für den Aufwand der betrieblichen Eigenkontrolle im Gegenzug Beratungsstunden bereitgestellt würden, denn damit würde es leichter fallen Maßnahmen abzuleiten und somit das Tierwohl zu steigern.
Warum die betriebliche Eigenkontrolle durchführen, auch wenn sie nicht kontrolliert wird?
Landwirte sind seit der Änderung des Tierschutzgesetzes im Jahr 2014 gesetzlich verpflichtet, geeignete Tierschutzindikatoren zu erheben. Erfolgt dies nicht, ist dieser Verstoß zwar nicht direkt bußgeldbewehrt, das Veterinäramt kann jedoch die Erhebung jederzeit kostenpflichtig anordnen. Aber auch ohne den gesetzlichen Druck lohnt es sich, hier einzusteigen. Viele Projektlandwirte gaben an, einen besseren Blick auf ihre Tiere bekommen und Schwachstellen identifiziert zu haben. Eine bessere Tiergesundheit und ein besseres Tierwohl führen auch nachweislich zu einer höheren Arbeitszufriedenheit und lohnen sich wirtschaftlich.
Warum dokumentieren, wenn es im Gesetz nicht extra erwähnt wird?
Die Dokumentation der Eigenkontrolle ist Stand heute nicht gesetzlich vorgeschrieben, ab einer gewissen Bestandsgröße ist sie aber rein aus Praktikabilitätsgründen unumgänglich. Zudem kann auch die Dokumentation der betrieblichen Eigenkontrolle inklusive Maßnahmenplan durch den zuständigen Amtsveterinär kostenpflichtig angeordnet werden.
Wer bezahlt die Maßnahmen zur Verbesserung des Tierwohls?
Hier geht es lediglich um die Einhaltung gesetzlicher Mindeststandards, d.h. um die angemessene Ernährung, Pflege und verhaltensgerechte Unterbringung der Tiere sowie das Vorhandensein der erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten des Tierhalters bzw. betreuenden Person nach § 2 Tierschutzgesetz. Dies entspricht der guten fachlichen Praxis und ist somit eine eigenunternehmerische Pflicht.
Links
| Projekt INZEIT | https://www.lfl.bayern.de/INZEIT |
| KTBL-Tierschutzindikatoren | https://www.ktbl.de/themen/tierwohlbewertung/ |
| KTBL-Online-Schulung | https://tierschutzindikatoren-schulung.ktbl.de/ |
| Projekt EiKoTiGer | https://www.ktbl.de/themen/eikotiger |
| Q-Wohl-BW | https://qwohl-bw.de/ |
| Pro-Q-BW | https://www.proq-bw.de/de/p/uber-proq-18.html |
| CowsAndMore | https://cowsandmore.com/ |
| Qualifood | https://www.qualifood.de/ |







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