Low Stress Stockmanship
Anja Hradetzky ist Trainerin für wesensgemäße Tierhaltung und Demeter-Bäuerin. Auf ihrem Betrieb in Stolzenhagen halten sie und ihr Mann Janusz 170 Rinder, darunter 40 Milchkühe. Im Umgang mit den Tieren wendet Anja das Low Stress Stockmanship (LSS) an. Sie ist überzeugt, dass lautes Rufen oder der Griff zum Stock beim Treiben der Rinder nicht nötig sind.
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Wie und wann kamen Sie zum Low Stress Stockmanship (LSS)?
Hradetzky: Ich habe mich schon früher mit Horsemanship und Dogmanship beschäftigt. Nach meinem Bachelorstudiengang Ökolandbau und Vermarktung an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde bin ich dann nach Kanada geflogen, um dort mit Pferden Rinder zu treiben. Ich bin auf einer Ranch gelandet, deren Betriebsleiterin die Methode des Low Stress Stockmanships von Bud Williams selbst gelernt hat. Im Winter war ich alleine mit ihr auf dem Hof, nur noch eine Tränke funktionierte und alle 150 Tiere mussten an diese Tränke. Da hatte ich dann mein Training.
Woran erkennen Sie, dass das Konzept auf Ihrem Betrieb gut funktioniert? Welche Vorteile bringt es?
Hradetzky: Ich kann immer alleine mit meinen Kühen arbeiten. Selbst wenn sie mal durch den Zaun gehen, ist es ist kein Problem, sie zurückzutreiben. Sie denken immer pro Mensch, also was möchte der Mensch gerade von mir und wie kann ich das erfüllen? Das ist sehr angenehm, einfach eine gute Kooperation. Ich habe kürzlich von einem Freund Schlachtkühe übernommen. Gehe ich auf diese Weide, rennen die Tiere erstmal ins Gebüsch. Das würden meine Kühe nicht machen.
Wie schaffen Sie es, den Tieren so zu begegnen, dass sie ruhig bleiben und nicht in Hektik geraten?
Hradetzky: Es geht darum, die Impulse so zu dosieren, dass es für das Tier passt. Das läuft nicht immer bei allen Tieren gleich ruhig ab. Gerade Milchkühe sind oft sehr abgestumpft und gehen von alleine nicht mehr in den Melkstand, dann werden oft automatische Treiber benutzt. Dieses Verhalten fängt schon an, wenn sie Kälber sind. Bei uns sind die Kälber mit den Kühen zusammen, dadurch lernen sie von Anfang an mit der Kuh getrieben, zum Beispiel aufgeladen zu werden. Für sie ist der Umgang mit dem Menschen daher nie aufregend. Sie wissen, wenn ich einen Schritt auf sie zu mache und sie weichen, haben sie danach wieder ihre Ruhe. Ich adaptiere die Sprache der Tiere. Das hilft.Kuhsprache? Können Sie das konkretisieren?Hradetzky: Kühe sind Herdentiere, sie laufen hinter anderen Kühen her. Ihre Hörner haben sie auch, um den Eindruck dessen, was sie den anderen Tieren mitteilen wollen, zu verstärken. Sie muhen nicht, um zu sagen ‚hau ab‘, sondern bewegen sich einfach nur. Das mache ich nach, wenn ich sie treibe.
Ist es ein Vorteil für das Low Stress Stockmanship, dass Sie die Kälber kuhgebunden aufziehen?
Hradetzky: Es würde auch gehen, wenn ich das nicht machen würde, aber ich denke, die Lernkurve ist dadurch etwas steiler. Gerade wenn es um schwierige Sachen geht, zum Beispiel Panels aufgestellt sind und die Tiere durch ein kleines Tor gehen sollen. Wenn ein paar Kälber das bereits können, ist es für die anderen leicht, zu folgen. Es ist im natürlichen Verhalten der Tiere verankert, wie sie mit Ranghöheren sozial interagieren. Sie wissen zum Beispiel, dass sie Ranghöheren weichen sollten. Werden sie im natürlichen Herdenverband gehalten und kommunizieren in diesem, wird dieses Verhalten geschult. Werden sie jedoch immer in altersgleichen Gruppen gehalten, können sie den Umgang mit Ranghöheren nicht üben, dadurch verkümmert das Gespür dafür. Wir haben bei uns zum Beispiel kaum Rangkämpfe, wenn die Färsen in die Kuhherden integriert werden. Sie kennen das und verhalten sich sozial angebracht, sie provozieren nicht, gehen weg, wenn jemand Ranghöheres das vorgibt.
Machen wir es an einem konkreten Beispiel fest: Wie lade ich ein Tier in den Hänger?
Hradetzky: Ich sage einfach „geh rein“ und das Tier geht rein. Ich gehe also einen Schritt auf das Tier zu und gebe ihm so den Impuls, einen Schritt zu laufen. Zudem stelle ich alles kuhpsychologisch sinnvoll auf. Das Tier geht gern dahin zurück, wo es herkam und wo es sich sicher fühlt. D.h. dass ich es nicht von der Herde wegtreibe, so dass es allein ist, um es dann in den Hänger zu treiben. Ich treibe die ganze Herde in einen Bereich, dort steht der Hänger. Dann kann ich entweder mehrere Tiere aufladen und die anderen wieder rauslassen oder ein Einzeltier selektieren. Dadurch, dass es für das Tier nie stressig ist, sondern eine angenehme Erfahrung, geht das wie von Zauberhand.
Mit „sagen“ meinen Sie Impulse geben?
Hradetzky: Genau, ich meine die Körpersprache. Es gibt drei Zonen: außen die neutrale Zone, hier ist es dem Tier egal, ob sich jemand darin aufhält. Dann gibt es die Beobachtungszone. Bewegt man sich in diese hinein, sieht man, dass das Tier die Ohren wegklappt und den Bewegungen mit den Augen folgt. Und schließlich die Bewegungszone. Trete ich in diese ein, bekommt das Tier den Impuls, sich zu entfernen. Ich bewege mich also einen Schritt in die Bewegungszone des Tieres hinein und auch wieder raus.
Wie verhalten Sie sich, wenn Sie die ganze Herde bewegen wollen?
Hradetzky: Will ich eine einzelne Kuh bewegen, die abseits steht, mache ich einen Schritt auf den Hüftknochen zu und sage dem Tier so „geh“. Hinter der Herde würde ich dann aber im Zickzack laufen. Dadurch gehe ich immer wieder in die Bewegungszone der einzelnen Tiere hinein, aber auch wieder raus und erzeuge somit keinen Dauerdruck. Geht man hinter der Herde, ruft konstant und macht Geräusche, sorgt man für Dauerdruck, die Tiere stumpfen eher ab. Durch LSS habe ich den dossierten Impuls, aber muss nicht auf jede Kuh einzeln zugehen. So wie man es auch bei Hütehunden sieht, die machen das allerdings etwas schneller. Sie können das also allein ohne zusätzliche Treiberinnen und Treiber machen?Hradetzky: Genau, das ist ja der Vorteil. Bei den Mutterkuhbetrieben ist es normal, dass bei sowas die komplette Mannschaft ran muss, alle sind am Ende dreckig und total durchgeschwitzt. Aber es geht auch alleine. Als wir noch nicht auf der Weide schießen durften, habe ich selbst Bullen allein zum Schlachter gebracht.
Wie zeitaufwändig ist es, sich die Methode anzueignen?
Hradetzky: Natürlich muss die Basis erstmal gelegt werden. Gerade Menschen, die sonst eher wilder getrieben haben, sind in einer Art Raubtiermodus. Um da rauszukommen, braucht es Training, das fällt am Anfang meist schwer. Schafft man es aber, dann ist wirklich jede künftige Interaktion mit den Tieren Übung. In den Melkstand holen, Tierarztbesuche, alles ist Übung, somit bedarf es keines expliziten Trainings. Ich geh nie auf die Weide und trainiere meine Rinder. Wenn ich Koppelkontrolle mache, steige ich einfach nochmal kurz aus dem Auto, schaue mir meine Tiere an und bewege sie ein wenig, um zu sehen, ob eines verletzt ist oder humpelt. Es braucht anfangs nur etwas Geduld, da der Mensch sich umstellen und umgewöhnen muss.
Der Mensch ist also der Knackpunkt bei der Umsetzung der Methode, nicht das Tier?
Hradetzky: Für die Kühe geht das schnell. Auf einem fremden Betrieb kann ich sofort mit den Kühen arbeiten, sie brauchen keine Umgewöhnung, weil es ja ihre Sprache ist, die ich spreche. Wie schnell der Mensch das umsetzen kann, ist sehr verschieden. Gerade Menschen, die viel frei mit Pferden gearbeitet haben, sind meist schnell in der Umsetzung, sie haben eine sehr gute Körpersprache. Wenn Menschen sehr forsch sind, fällt es hingegen schwerer. Ich bin selber sehr forsch, da fällt es manchmal schwer, sich zurückzunehmen. Es kann von einer halben Stunde bis drei Tage dauern. Wird man rückfällig und greift zwischendurch doch wieder zum Stock, dann dauert es eben länger. Wie lange haben Sie gebraucht, um es zu verinnerlichen?Hradetzky: Ich habe damals in Kanada mit der Rancherin trainiert. Wir haben erstmal Kälber sortiert, was ja sozusagen die hohe Kunst ist, da die Kälber sensibler sind. Die Rancherin sagte mir nach fünf Minuten: Wenn du so weitermachst, springen sie gleich alle gegen die Gitter und schlagen sich die Nasen blutig. Stand like a tree – steh wie ein Baum. Also habe ich gelernt, zu stehen wie ein Baum und nur meine Schulter leicht zu drehen. So treibe ich sensibler, die kleinsten Bewegungen reichen oft aus.











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