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Dank GPS-gestützter Halsbänder

Kühe auf die virtuelle Weide schicken

Weidehaltung, ohne einen Weidezaun zu stecken? Das geht, mit virtueller Weide. Dabei kommen auch die Gesundheit und Leistung der Tiere sowie das Ökosystem nicht zu kurz. Wie das funktioniert, erklärte Biologin Juliane Horn, die an der Uni Göttingen den Forschungsverbund „GreenGrass“ koordiniert, auf einer Bioland-Veranstaltung.
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Überschreitet eine Kuh die virtuelle Weidegrenze, spielt das GPS-Halsband in einem ersten Schritt einen hochfrequenten Ton.
Überschreitet eine Kuh die virtuelle Weidegrenze, spielt das GPS-Halsband in einem ersten Schritt einen hochfrequenten Ton.Jonas Klein
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Eine tiergerechte und effiziente Weidehaltung ist keine Belanglosigkeit: Man braucht arrondierte Flächen, die Herdengröße muss für die Fläche adäquat sein und die Fütterung ist über die Weideperiode eine große Herausforderung. Wie viel werden die Tiere heute im Stall oder auf der Weide fressen? Wie viel Futter steht noch auf der Weide? Muss ich weide zugeben? 

Mehr Kühe auf die Weide, weniger Futter vom Acker

Zur Beantwortung wurde im Jahr 2019 der GreenGrass-Verbund ins Leben gerufen. Der Verbund soll Kühe und Rinder zurück auf die Weide bringen und innovative Weidesysteme mithilfe von Smart-Farming-Technologien entwickeln. Die Weide soll effizienter und nachhaltiger werden, ein rundum nachhaltiges, tiergerechtes und faires Produktionssystem. Die Kuh wird hier als ökologische Ingenieurin verstanden, die Dienstleitungen erbringt. Weidehaltung ist überdies ein Anspruch von Gesellschaft und Politik. Durch die bessere Nutzung der Weide könnte beispielsweise die Notwendigkeit sinken, auf Ackerfläche Futter zu produzieren.

Futter und Vogelnester im Blick

Gleichzeitig könnten Entwicklungen mit Smart-Farming-Technologien für die Landwirt:innen Arbeitsabläufe vereinfacht und eine genaue Kontrolle des Weidemanagements ermöglicht werden. Dazu wird auf der Fläche kontinuierlich die Futtermenge und -qualität gemonitort. Auch Habitatstrukturen wie Altgrasinseln, Blütenangebot und Vogelnester erfasst die Technik genau, damit die Biodiversität auch auf einer effizienten Weide geboostert wird. 

Damit das System funktioniert, muss von Beginn an mit Praktiker:innen beim Entwickeln der Weidesysteme zusammengearbeitet und Wissen transferiert werden. Auch ist die Einführung einer neuen Technologie stets mit wirtschaftlichen Risiken verbunden. Die virtuelle Weide wird beispielsweise durch moderne Halsbänder mit Ortungstechnologie realisiert, die angeschafft werden müssen.

GreenGras-Partner

Unter anderem sechs Universitäten, zwei Weidezaunbaufirmen, das Grünlandzentrum Niedersachsen/Bremen und drei regionale Praxisbeiräte. Gemeinsam soll Technik genutzt werden, damit Landwirt:innen ihre Weiden tagesaktuell bewirtschaften können. 

  • Weidedaten wie Aufwuchshöhe oder Vogelnester werden erfasst mit Landschaftsinfos aus der Fernerkundung.
  • Ein Informationssystem verarbeitet diese Informationen von der Weide und gibt der Landwirt:in eine Entscheidungshilfe: Möchte die Erzeuger:in heute eine gute Leistung oder Ökosystemdienstleistungen in den Vordergrund stellen? Auch können diese Entscheidungen automatisiert dokumentiert werden, um sie Behörden ersichtlich zu machen.
  • Dieses Informationstool ist mit dem virtuellen Zäunungstool verbunden. Dort wird die Weide automatisch so gesetzt, dass die oben gewählten Ziele umgesetzt werden. Der Aufenthaltsort der Tiere wird ebenfalls dokumentiert.
  • Der Marktteil des Systems preist die Premiumproduktion adäquat ein und kümmert sich darum, dass dokumentierte Ökosystemdienstleistungen honoriert werden.
  • Transformation und Entwicklung von Akteuren im Weidenetzwerk. Das Mindset aller beteiligten Praktiker:innen und Projektpartner:innen wird genau erfasst und ein Weidesystem für die Praxis geschaffen werden. 

Virtuelle Weidezäune

Diese Weidezäune sind eine Schlüsseltechnologie. Kühe tragen Halsbänder mit Positionssensoren wie GPS. Ein virtueller Zaun wird auf einer Satellitenkarte festgelegt. Nähert sich die Kuh mit ihrem Halsband dem Zaun, werden verschiedene Reize ausgelöst. Die Zaunlinie kann dabei sehr dynamisch und mit Kurven verlaufen.

Nähert sich die Kuh, wird dem Tier ein akustisches Signal gesendet. Je näher es sich auf den virtuellen Zaun zubewegt, desto lauter wird das Geräusch – ganz so wie der Rückfahrtsensor am Auto piept, wenn man einparkt. „An der finalen Weidegrenze wird ein schwacher elektrischer Impuls an das Tier abgegeben, um es daran zu hindern, diese Grenze zu passieren“, erklärte Juliane Horn. Dadurch soll die Weide effizient und bedarfsgerecht erfolgen. Auch das Zaunstecken entfällt in Zukunft, selbst kleinteilige Flächen können flexibel eingezäunt werden. 

Erprobt werden aktuell bekannte Weidesysteme im virtuellen System. So sehen die Forscher:innen, wie sich Tierverhalten, Stress, Weidenutzungsmuster und die Leistung der Tiere entwickeln. Auch werden neue Systeme erprobt. Zu den elektrischen Reizen zum Einzäunen soll eine mechanische oder optische Alternative erarbeitet werden. Vielleicht können die Rinder sogar gezielt gelenkt werden.

Schlecht sehen, hervorragend hören

Rinder verfügen nur über 30 Prozent der menschlichen Sehleistung. Ihre Sicht löst geringer auf. „Den Weidezaun sehen die Kühe auch erst aus zwei Metern Entfernung halbwegs scharf“, erklärte Horn. Dafür hören Rinder ausgezeichnet. Aus Studien weiß man, dass tiefe Töne beruhigen, hohe Töne bedeuten Gefahr, andere Rinder der Herde werden am Muhen erkannt. Daher kam die Idee, vor allem auf Geräusche zum virtuellen Einzäunen zu setzen. 

Weidefutter abschätzen

Fernerkundungssysteme (Remote Sensing), wie eine Drohne mit Lidar und Multispektralkamera, sollen die Biomasse abschätzen. Um die Sensorik zu eichen, wurden viele Aufwuchsmessungen und kleine Testernten durchgeführt. Im Laufe weniger Minuten können mehrere Hektar gescannt werden. Die Multispektralkamera kann auch die Verdaulichkeit des Aufwuchses erkennen und fürs Ökosystem wichtige Biodiversitäts-Hotspots aufspüren. Im Test hat die Abschätzung der Biomasse und Pflanzenhöhe hochaufgelöst funktioniert.

Informationen vor dem Weidegang zusammenführen

Alle Daten aus der Fernerkundung sowie die agronomischen Leistungen werden in einer Software zusammengeführt. Diese sollen, mit verschiedenen Funktionen, für Landwirt:innen, Behörden oder die Öffentlichkeit verfügbar sein. Mithilfe dieser Informationen kann die Beweidung optimiert werden. Man gibt beispielsweise sein Beweidungssystem, die Rinderzahl und die erforderliche Energie für die Tiere ein. In der Software werden agronomische Infos zum Grünland, Biomassequalität und -quantität, Verdaulichkeit und zu ökologischen Indikatoren angezeigt.

Die Software hilft dann, indem sie Flächen einliest. Die Vorschläge werden anhand von ökologischen, agronomischen und ökonomischen Daten optimiert. Sie macht Vorschläge zu Beweidungsreihenfolgen und einer alternativen Zaunsetzung und schickt die Ergebnisse direkt an die Kuhhalsbänder.

Lohnen sich virtuelle Zäune?

Auf den Modellbetrieben werden Kosten-Leistungsrechnungen für das virtuelle Umzäunen aufgestellt, um diese mit konventionellen Zaunsystemen zu vergleichen. Dabei werden nur ähnliche Varianten miteinander verglichen, also eine intensive konventionell abgezäunte Weide mit einer intensiven virtuellen Weide.

Die digitale Variante hat vor allem hohe Anschaffungskosten für Hardware, Software, Datensicherung, Datenvolumen und Service, spart jedoch letztlich Arbeit fürs Zäune stecken. Im Idealfall kann sich die Betreiber:in durch das optimierte Weidesystem zusätzlich über ökonomische und ökologische Zugewinne freuen. Die Einzäunung kann nämlich viel kleinteiliger und genauer erfolgen als beim konventionellen Zaun. Aus Versicherungsgründen muss nach heutigem Stand die Gesamtfläche jedoch nach wie vor umzäunt sein.

Akteure im Projekt

Der Erfolg von Innovationen ist nicht eine Frage der technischen Überlegenheit. Eine Innovation setzt sich nur durch, wenn die Bedürfnisse von Praktiker:innen berücksichtigt werden. In Südniedersachsen, der Wesermarsch und Havelland wird derzeit in „Living Labs“, also lebendigen Laboren, getestet. Als Bedürfnisse haben sich vor allem Arbeitszeitreduktion mit Kostenvorteilen erwiesen. Auch eine zuverlässige Funktionsweise, also ein Schutz vor Ausbruch, steht weit vorn. 

Bricht die Kuh aus, erhält sie aktuell noch dreimal Signale. Dann schaltete sich die Signalgebung ab, bis die Kuh wieder auf ihrer Weide ist – oder man erstellt Online eine „Auffangweide“ für Ausbrecherinnen außerhalb der Weidegrenze. Zudem hat jedes Tier seinen persönlichen Zaun. Anders als ein konventioneller Zaun wird dieser nicht umgetrampelt, sodass dann alle Tiere fort sind. Es ist sogar wahrscheinlicher, dass die ausgebrochene Kuh aufgrund ihres Herdentriebs wieder zur Herde innerhalb der Weide zurückkehrt. 

Halsband im Detail

Das Halsband ist mit einem Bewegungssensor, Bluetooth und GPS ausgestattet. Die Antenne bedient sich an einem amerikanischen und russischen Satellitensystem und ist zu jeder Zeit mit vier Satelliten verbunden, um eine Positionierungsgenauigkeit von mindestens 3,5 m verbunden. Auch 4G für mobiles Internet ist an Bord. 
Auch ist das Halsband mit Solarpanels ausgestattet, die den Akku wieder aufladen. „Aktuell hält der Akku für die ganze Weidesaison“, erklärte Horn. Das Halsband sendet auch die akustischen Signale mit zunehmender Frequenz (wir erinnern uns: Hohe Geräusche signalisieren für die Kuh Gefahr), wenn die Kuh zum virtuellen Zaun läuft. Abhängig von der Laufgeschwindigkeit wird der Ton 5 bis 20 s gespielt.

Weniger Strom als beim Weidezaun

Der elektrische Impuls an der virtuellen Grenze wird mit 0,2 Joule konstant am Hals abgegeben. Das ist rund ein Zehntel der Schlagleistung eines konventionellen Weidezauns. Außerdem treffen die Schläge die Tiere hier am Hals und nicht an der Schnauze. Nach dem Ausbrechen erhält das Tier noch drei Impulse, dann hört das Halsband auf, damit die Kuh in die Herde zurückkehren kann und nicht von einer Annäherung an die Weide abgeschreckt wird. Bei einem Ausbruch erhält die Landwirt:in sofort eine SMS, kann das Tier zurück treiben oder aus der Ferne direkt in der zugehörigen App einen neuen Zaun setzen. 

Weidedesign: Keine spitzen Winkel 

Wichtig ist, dass keine zu spitzen Winkel beim Weidedesign gewählt werden und keine zu engen Korridore vorgegeben sind. Das Design der Weide muss für die Tiere logisch nachvollziehbar sein. Bei der Nähe zu Baumreihen, Hanglagen und bei der Nähe zu Gebäuden muss beachtet werden, dass hier die Güte der GPS-Signale abnimmt. Im Zweifelsfall kann man mit dem Halsband in der Hand die virtuelle Grenze ablaufen und sehen, ob das Halsband überall Empfang hat. Nach einer kurzen Eingewöhnungszeit sind die Tiere dann bereit für die virtuelle Weide – sofern die Mobilfunkabdeckung in Hofnähe stimmt.

Das Projekt ist unter dem Benutzernamen @GreenGrass2050 auf Twitter aktiv.
 

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