Sorge um Existenz der Höfe
Alois Gerig sieht die Politik in der Pflicht, Perspektiven für die Bauern zu sichern. „Die Landwirtschaft darf nicht benutzt werden, um ideologische Stimmung zu machen!“ Das erklärte der Vorsitzende des Ernährungsausschusses im Bundestag beim Kreisbauerntag Göppingen am 20. April 2016 in Ottenbach (Landkreis Göppingen). Er verweist auf die Leistungen der Bauern von der Lebensmittelerzeugung bis zur Landschaftspflege.
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Durchaus gewürzt mit Selbstkritik an die politische Zunft, den Berufsstand und die Gesellschaft, fragt sich Gerig:
- „Warum schaffen wir es nicht, aus der Defensive herauszukommen?“
Seine Antwort: „Wir müssen Sorge dafür tragen, dass die Landwirte wieder Perspektiven sehen.“ Beispielhaft nennt der CDU-Bundestagsabgeordnete die Schweineproduktion und die Anbindehaltung bei Rindern. „Wenn die Betriebsleiter nicht die finanziellen Möglichkeiten haben, ihre Betriebe zu sichern, geht der Strukturwandel umso schneller.“ Das sei nicht nur für die Landwirtsfamilien verheerend, sondern ebenso für die Verbraucher. „Was haben Verbraucher und Tiere davon, wenn bei uns abgebaute Legehennen-Käfige im Osten wieder aufgebaut und dann die Eier von dort bei uns gegessen werden?“
- „Warum schaffen wir es nicht, in den Köpfen zu verankern, dass Kunden mit dem richtigen Griff ins Regal etwas für ihr Wohl, die Landwirtschaft, das Tierwohl und die Landwirtschaft in der Region tun können?“
Darauf müsse man sich konzentrieren. Es gelte zu erkennen, was Lebensmittel wert sind. Der Lebensmitteleinzelhandel zeige dabei „kein gutes Spiel“. Hier stellte sich auch die Frage von Ethik und Moral. Gerig bedauert die Entscheidung von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel zur Übernahme von Kaiser's Tengelmann durch Edeka. Einen guten Ansatz der Branche sieht Gerig bei der Initiative Tierwohl.
Gesellschaft muss bezahlen
Wenn die Dünge-Verordnung und die Vorschriften zur Lagerung von Jauche, Gülle und Silagesickersaft (JGS) „so kommen wie geplant, haben wir erneut ein Strukturbereinigungs-Programm“, ist Gerig überzeugt. Man solle „ein paar Problemfälle nicht dramatisieren und alle über einen Kamm scheren“.
Zum „Reizthema“ Grüne Gentechnik meint der Bundestagsabgeordnete: „Wir brauchen ein gutes Miteinander von Öko- und konventionellen Landwirten und Imkern. Aber die Gesellschaft muss unsere Leistungen bezahlen!“
Bei der Transatlantischen Handels- und Investitions-Partnerschaft (TTIP) müsse man kritisch sein. Die Standards in Europa dürften nicht abgesenkt werden. Zudem sei eine bessere Produktkennzeichnung notwendig. Aber dieses Handelsabkommen sei auch zum Nutzen der Land- und Ernährungswirtschaft.
Die Energiewende eröffne Chancen für den ländlichen Raum. Doch bei der Weiterentwicklung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) seien Fehler gemacht worden; Biogas habe einen schlechten Ruf erhalten. Doch Biogas und die Bioenergien insgesamt würden gebraucht, um die wetterabhängige Sonnen-und Windenergie auszugleichen, unterstreicht Gerig.
Mehr Mittel für die Landwirtschaft
Bei der Halbzeitbewertung 2017 der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) in der EU glaubt Gerig "nicht an den großen Wurf". Es gelte jedoch, Korrekturen bei den Bagatellgrenzen vorzunehmen. Zudem müssten die Regeln ab 2020 gerechter sein und die Standortgegebenheiten besser abbilden.
Das Förderprogramm für Agrarumwelt, Klimaschutz und Tierwohl (FAKT) des Landes bringe den konventionellen Kollegen "nicht viel“. Deshalb müssten die Mittel in der Zweiten Säule besser verteilt werden. Dort seien zu viele Maßnahmen für die Landwirtschaft herausgenommen worden, kritisiert Gerig.
"Wir brauchen mehr Marketing", ist Gerig überzeugt. Zudem sei ein größerer Zusammenhalt in der Branche notwendig, wenn es auch nicht einfach sei, „alle Interessen unter einen Hut zu bringen“. Die Zeiten seien für die Landwirtsfamilien "hart". Da will Gerig "nichts beschönigen". Er will sich weiter intensiv für die bäuerlichen Belange einsetzen und ruft den Teilnehmern des Kreisbauerntages zu: „Halten Sie durch!“
Tief in der Krise
Drei Problembereiche skizziert Hermann Färber, Vorsitzender des Kreisbauernverbandes Göppingen, in seiner Einführung.
- In einer der tiefsten Krisen in den vergangenen drei Jahrzehnten befindet sich die Landwirtschaft. Wichtige Märkte sind weggebrochen. Dennoch wurden mehr Agrargüter als je zuvor exportiert, allerdings auf gesunkenem Preisniveau. Bei Milch sieht er keine Lösung in einer staatlichen Mengensteuerung. Er erinnert an das Jahr 2006, als sich die Mitgliedsstaaten in der EU nicht über die weitere Ausgestaltung der Milchquote hatten einigen können, sodass diese Ende März 2015 ausgelaufen ist. Bei den Lieferbeziehungen müssen Milcherzeuger und Molkereien „über Mengen und Preise reden“, meint Färber.
Die Einkommenssituation habe immer mindestens zwei Seiten: Einnahmen und Ausgaben. In diesem Zusammenhang kritisiert der Kreisvorsitzende die "teuren Auflagen und Vorschriften“. Diese schlagen sich negativ auf die Kosten nieder, gibt er zu bedenken.
- Das Programm "Flächeninformation und Onlineantrag“ (Fiona) habe dieses Jahr große Anlaufschwierigkeiten. Das sei „sehr ärgerlich, auch für die Verwaltung. Den Antragstellern darf aus dieser Situation kein Nachteil entstehen“, appelliert Färber an die anwesenden Landtagsabgeordneten.
- Die Kampagnen gegen die Landwirtschaft, gegen die Massentierhaltung, gegen vermeintliche Pflanzenschutzmittelrückstände in Muttermilch usw., bewegen vor Ort die Bauernfamilien. Radikale Tierrechtsorganisationen, welche jegliche tierische Produktion von Milch und Fleisch grundsätzlich ablehnen, verlegen ihre Aktivitäten zunehmend von Nord nach Süd, stellt Färber mit Sorge fest. Jeder möge an seiner Stelle dieser Imageschädigung entgegenwirken, appelliert er.
Gute Zusammenarbeit mit der Kreisverwaltung
Die Kreisverwaltung weiß die Zusammenarbeit mit der Landwirtschaft und dem Kreisbauernverband „sehr zu schätzen“. Die Landwirte hätten als Lebensmittelproduzenten eine „ganz wichtige Funktion“. Das erklärt Landrat Edgar Wolff zu Beginn des Kreisbauerntages nach den Grußworten von Bürgermeister Oliver Franz und Nicole Razavi, welche stellvertretend für die Abgeordneten im Landtag spricht.
Ihm selbst und der Landkreisverwaltung sei die Situation in der Landwirtschaft "sehr wohl bewusst“, welche derzeit „alles andere als rosig“ sei. Im vergangenen Jahr 2015 hatte der Landkreis etwa 800 Gemeinsame Anträge mit einem Volumen von elf Millionen Euro bearbeitet. Die Direktzahlungen hätten termingerecht zum Jahresende ausbezahlt werden können, versichert der Landrat. Den landesweiten Unmut über Fiona, auch in der Verwaltung, spricht er an. Sorge bereitet ihm die Entwicklung der betrieblichen Standorte „in unserer dicht besiedelten Region".
Für die musikalische Umrahmung des Kreisbauerntages sorgten die Reiterlichen Jagdhornbläser aus Donzdorf. Diese hatten Ende März ihr 40-jähriges Jubiläum gefeiert, lobt Hermann Färber deren langjähriges musikalisches Engagement. Besonders gratuliert er den drei Gründungsmitgliedern, die heute noch aktiv dabei sind.
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