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VR-Agrartag in Oedheim

Immer mehr Bauern leiden unter Burn-out

Immer mehr Bauern leiden unter psychischen Erkrankungen. Sie sind mittlerweile die zweithäufigste Ursache für Erwerbsminderungen bei Landwirten. 17 Prozent aller Landwirte, die sich krank melden, leiden an einer Depression oder einem Burn-out. Unter dem Titel „Ackerst du noch oder lebst du schon?“ nehmen sich die diesjährigen Agrartage der Volk- und Raiffeisenbanken (VR) diesem sensiblen Thema an. Sie zeigen, welche Risikofaktoren zu psychischen Erkrankungen führen können und welche Möglichkeiten es gibt, diese zu verhindern.

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Wege und Methoden, um Burn-out oder andere psychischen Erkrankungen zu verhindern, diskutierten beim VR-Agrartag v. l.: Moderator Oliver Knab, die Expertinnen Helma Ostermayer, Maike Aselmeier, Landwirt Michael Pelkum und LBV-Vizepräsident Gerhard Glaser.
Wege und Methoden, um Burn-out oder andere psychischen Erkrankungen zu verhindern, diskutierten beim VR-Agrartag v. l.: Moderator Oliver Knab, die Expertinnen Helma Ostermayer, Maike Aselmeier, Landwirt Michael Pelkum und LBV-Vizepräsident Gerhard Glaser.Bernauer
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Bei der Auftaktveranstaltung am 9. November in Oedheim ging Dr. Ansgar Horsthemke, Generalbevollmächtigter und Bereichsleiter Waren- und Dienstleistungsgenossenschaften beim Baden-Württembergischen Genossenschaftsverband (BWGV), auf das herausfordernde Umfeld ein, das Landwirte an die Grenzen ihrer Belastbarkeit und darüber hinaus führt. Sie kennen keine geregelte 40-Stunden-Woche. Hinzu kommen wirtschaftlicher Druck, niedrige und stark schwankende Preise, stetig höhere bürokratische Anforderungen und fehlende öffentliche Wertschätzung. Selbst die Natur sorgt noch dafür, dass nicht alles nach dem Wunsch der Bauern geht. Die Bertriebe werden immer größer und die Nachfolge muss geregelt werden. In der Konsequenz führt dies manchmal in die Sackgasse, weil man versucht, finanzielle Engpässe durch noch mehr Arbeit zu überwinden. Geht hier die Balance verloren, droht der Burn-out, warnt Dr. Horsthemke.

Sicherheit wichtig auf der finanziellen Seite

Da starke Preisschwankungen in der Agrarwirtschaft zum Alltag gehören, müsse man sich laufend mit Liquiditätsfragen auseinandersetzen. Weil dabei die Fremdfinanzierung an Bedeutung gewinnt, werden die Banken als Partner immer wichtiger. Horsthemke verwies auf die Verlässlichkeit der Genossenschaftsbanken über die rein finanziellen Angelegenheiten hinaus. „Sie kennen die Sorgen und Nöte ihrer Kunden. Die regionale Nähe und oft jahrzehntelange Zusammenarbeit haben eine Basis des Vertrauens geschaffen.“ Dies ist nach Ansicht des Genossenschaftsverbandes die beste Grundlage für eine erfolgreiche Zusammenarbeit, betonte Horsthemke.

Arbeit und Ehrenämter – von allem reichlich

Seinen Burn-out schilderte Landwirt Michael Pelkum (45). Im Gespräch mit dem Moderator Oliver Knab zeigte der verheiratete Milchviehhalter aus Dülmen und Vater von vier Kindern sehr offen, wie der Burn-out sein Leben verändert hat. Nach dem Schlaganfall seines Vaters stand er sehr früh in der Verantwortung. Von ursprünglich 70 Hektar und 80 Kühen hat er seit 2007 den Betrieb auf 120 Hektar, 170 Kühe und eigener Nachzucht erweitert. Er bewirtschaftet ihn heute zusammen mit sechs Aushilfskräften. Darüber hinaus engagierte sich Pelkum bis zu zwei Tagen in der Woche in verschiedenen Gremien des örtlichen Bauernverbandes, zuletzt als Vorsitzender.

Von Hundert auf Null

Der schlimmste Tag in seinem Leben kam für den Milchbauern im Jahr 2014, als er den Grubber an seinen Traktor anbauen wollte und auf einmal nichts mehr ging. „Ich stand da, wusste nicht mehr, was ich eigentlich tat und fing einfach an zu heulen.“ Er fühlte sich aufgewühlt. „Das war ich eigentlich schon lange zuvor“, fügte Pelkum an. Seine Frau nahm schon mindestens zwei Jahren zuvor seine Veränderung wahr. „Ich war ruppig, mit mir selbst nicht zufrieden“, schilderte Pelkum seinen damaligen Gemütszustand. „Morgens nahm ich schon 20 Telefongespräche entgegen und konnte mich anschließend kaum mehr an die Personen und die Themen erinnern. Ich konnte nachts nicht mehr schlafen, bin aufgestanden und habe irgendwelche Büroarbeiten erledigt, die weder Hand noch Fuß hatten.“

Pelkum erinnert sich, dass er in der ersten Nacht in der nahegelegenen psychiatrischen Klinik, in die ihn seine Frau umgehend gebracht hatte, so gut geschlafen hat, wie schon lange nicht mehr. „Diesen Schlaf, den ich mir damals nicht gegönnt habe, brauche ich heute noch.“

Loslassen können

In seinem vierwöchigen Klinikaufenthalt hat Pelkum gelernt, runter zu kommen und loszulassen. Beides Dinge, die ihm zuvor äußerst schwer gefallen sind. Er nimmt sich heute Zeit für die Mahlzeiten, anstatt wie früher in Spitzenzeiten alle auf den Acker mitzunehmen oder sich bringen zu lassen. Als Fehler bezeichnet der Landwirt, dass er sein früheres Hobby, das Kutschenfahren und -bauen, völlig vernachlässigt hat. Heute findet er seinen Ausgleich bei der Jagd. Mit der Krankheit sehr offen und direkt umzugehen, habe ihm sehr geholfen. Er wurde auch immer wieder gefragt, wie alles begonnen hat. Inzwischen liegen ihm Rückmeldungen von Leuten vor, die deshalb früher in Behandlung gegangen sind und schneller geheilt wurden als er.

Die Landwirtin und Psychologin Maike Aselmeier aus Freiburg (siehe Interview BWagrar 45/2017 S. 10) zeigte Maßnahmen auf, wie ein Ausbrennen verhindert werden kann. „Der Mensch wird in unserem Steigerungssystem zum Bremser. Denn der Mensch braucht im Gegensatz zur Maschine immer zu viel Zeit“, erklärte Aselmeier. Doch Zeit sei die einzige Ressource, die sich nicht vermehren lässt. Anstatt mit der Technik zu kooperieren, tritt der Mensch immer mehr in Konkurrenz zu ihr. Jeder Siebte verzweifelt am fehlenden technischen Know-how. Jeder Sechste fühlt den Zwang, schneller arbeiten zu müssen und jeder Fünfte ist erschöpft und ausgebrannt.

Die eigene Situation immer wieder hinterfragen

Ähnlich wie bei seinen Maschinen sollte man sich selbst regelmäßig einer Wartung unterziehen, empfahl die Psychologin. Der Standortbestimmung dient hierbei die Frage: Wer bin ich und was sind meine Stärken und Schwächen? Tatkraft, Energie und Leistungsfähigkeit werden mobilisiert, wenn man was weiß, was man will. Denn nur wer weiß, wer er ist und was er will, wisse auch, wie er sein Ziel erreicht, so Aselmeiers Schlussfolgerung. Hierbei werde allzu oft vergessen, Ziele nicht allein in der Ökonomie, sondern auch für die Lebensqualität zu setzen. Letztlich folge die entscheidende Frage, wie diese Ziele zu erreichen sind. „Besonnen und ohne auszubrennen“, hieß die Antwort der Expertin.

Ganz nach dem ökonomischen Prinzip stelle sich somit auch die Frage nach dem optimalen, sparsamen Umgang mit der wichtigsten Ressource, nämlich einem gesunden, vitalen Körper. Unter ‚besonnen‘ versteht die Psychologin aber auch, die Ziele mit Hilfe anderer zu erreichen und nicht immer sofort, sondern zum optimalen Zeitpunkt. Besonnen heiße ebenso, die Balance zwischen Anspannung und Entspannung zu finden. Außerdem müssen zeitliche Puffer eingebaut werden, „damit wir nicht schon bei Kleinststörungen scheitern oder ins Wanken geraten“, so der Rat der Referentin.

Mehr Zeit für die wesentlichen Dinge

Helma Ostermayer überbracht den rund 350 Tagungsteilnehmern zunächst eine ernüchternde Botschaft: „Sie können Ihre Zeit nicht managen. Sie können nur Ihr Verhalten und Ihren Umgang mit der Zeit managen.“ Dazu stellte die Sozialpädagogin Methoden und Werkzeuge des Selbst- und Zeitmanagements vor, um mehr Zeit für die wesentlichen Dinge zu finden. Es sei wichtig, Ziele in allen Lebensbereichen zu formulieren. Dies sei die Voraussetzung, um Prioritäten unter den verschiedenen Aufgaben setzen zu können. Auf diese Weise kann es gelingen, Zeit für jene wichtigen Aufgaben zu gewinnen, die im Alltagsgeschäft auf der Strecke bleiben. Als Beispiel nannte Ostermayer alle strategische Planungen zur Entwicklung, Fortbildung oder Erholung, Vorsorge und andere Ziele, die einem persönlich wichtig sind.

Mehr Effizienz beim "Zeitfresser" Bürokratie

In der abschließenden Diskussionsrunde freute sich Gerhard Glaser, Vizepräsidenten des Landesbauernverbandes, dass die angesprochenen Themen mittlerweile auch in den berufsbildenden Schulen aufgegriffen werden. Die Bauern stehen allerdings mit ihren Kosten dem Weltmarkt mit seinen volatilen Preisen alleine gegenüber. Berufsstand und alle Bauern müssten die Politik bestürmen, dass die Antwort darauf nicht nur mehr Bürokratie heißen kann, die zu einen „unheimliche Zeitfresser“ geworden ist. „Es muss hier effizienter zugehen, damit wir wieder zu unseren wirklich wichtigen Arbeiten kommen“, fordert Glaser.

Weitere VR-Agrartage finden am 21. November in Öhringen, am 28. November in Laupheim und am 30. November in Sigmaringen statt.

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