Zwischen Hightech und Naturromantik
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In unserer hypermodernen, sich beschleunigenden und digitalisierenden Welt mit medialer Reiz- und Informationsüberflutung suchen immer mehr Menschen Antworten und Auswege in verklärten Naturgefühlen. Beim Thema Landwirtschaft prallen dann romantische Vorstellungen auf scheinbar damit nicht vereinbare Realitäten und sind Ausdruck einer Entfremdung von Bauern und weiten Teilen der Gesellschaft. „Darauf müssen Sie Antworten finden“ sagte Dr. Andreas Möller beim Bauerntag Rottweil-Tuttlingen in Dietingen. Er hat in seinem Buch "Zwischen Bullerbü und Tierfabrik" einen Blick von Außen auf Landwirtschaft und Gesellschaft geworfen.
Bezug verloren gegangen
Für den Kommunikationschef des Maschinenbauers Trumpf ist das verlorengegangene Wissen um die bäuerliche Arbeit und die Zusammenhänge zwischen einer funktionierenden Landwirtschaft, deren Abhängigkeit von der Witterung und immer vollen Ladenregalen ein Hauptgrund für die heute und vielfach an der Wirklichkeit vorbeilaufenden Diskussionen und Schuldzuweisungen. „Bilder entstehen aus der täglichen Normalität und bei einem Anteil der in der Landwirtschaft Tätigen von nur noch 1,4 Prozent liegen die Folgen auf der Hand“, sagte Möller. Arbeitete zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch jeder Zweite in der Landwirtschaft, waren es nach dem zweiten Weltkrieg noch 25 Prozent der Bevölkerung. Und: Seit etwa zehn Jahren leben erstmals mehr Menschen in den Städten als auf dem Land.
Parallel dazu wünschen sich die Menschen angesichts eines kaum mehr begreifbaren rasanten technischen Fortschritts und medialer Überflutung mit Krisenmeldungen aus aller Herren Länder im Minutentakt eine heile und greifbare Welt. Der Wunsch nach Naturnähe und Beständigkeit wächst. Begriffe wie 'Land' und 'Heimat' haben Hochkonjunktur und rücken vermeintlich schöne Bilder einer Landwirtschaft aus dem vergangenen Jahrhundert ins Wahrnehmungsfeld.
Verlogene Debatten
Auf der anderen Seite werde der individuelle Nutzen einer Technik oder eines Mainstreams überhaupt nicht hinsichtlich der möglichen Aus- und Nebenwirkungen hinterfragt. „Vor dem Haus ein schöner Steingarten, in dem jeder Löwenzahn mit Roundup aus dem Baumarkt bekämpft wird, und ein 3000 Euro teurer Weber-Grill, auf dem für 69 Cent das Schweineschnitzel aus dem Supermarkt brutzelt. Das zeigt die ganze Verlogenheit der Debatten, die im Ton immer härter und mit sinkenden Hemmschwellen ablaufen“, kritisierte Möller.
Um das Zerrbild Landwirtschaft zu verändern, müsse diese mit einer neuen Kommunikation und Lobbyarbeit reagieren. „Sie brauchen positive Geschichten, festgemacht an Menschen, die die Vielfalt der Landwirtschaft auch auf emotionaler Ebene widerspiegeln. Dazu bedarf es Mut, Selbstironie und die Bereitschaft zur Selbstkritik gleichermaßen. Denn es gibt auch Dinge, die schieflaufen. Kommunikation ist ein Produktionsverfahren wie Weizenanbau,“ stellte Möller in den Raum. Mit Blick auf die Großdemonstrationen warnte der Möller davor, zu überziehen. Das Pendel des Zuspruchs in der Öffentlichkeit könne sehr schnell kippen. Besser wäre es, im ganzen Land viele kleine Feuer zu entzünden und den Dialog mit Kraft und positivem Willen zu führen.
Im Berufsstand zusammenstehen
Dass die bisherigen Bauernproteste so friedlich verlaufen sind, sei lobenswert, erklärte der Rottweiler Kreisvorsitzende Manfred Haas. Er selber habe und werde aus persönlichen Gründen zwar an keiner Schlepperdemo teilnehmen, es fasziniere ihn aber, dass vor allem die Jungbauern wieder aktiv werden. Deshalb sollte man ihnen auch nicht den Weg versperren. Das Gebot der Stunde sei, im Berufsstand zusammenzustehen. Dies unterstrich auch Andreas Haberer von der Land schafft Verbindung (LsV). In der vor einem Jahr sich formierenden Bewegung mit inzwischen 17.000 Facebook- und 100.000 WhatsApp-Nutzern liefen sich die jungen Leute warm, um künftig Verantwortung zu übernehmen. Er kritisierte scharf das laufende Verfahren um die Verschärfung der Düngeverordnung. Es sei skandalös wie ideologisch gefärbt unter Missachtung von wissenschaftlichen Erkenntnissen und mit verfälschten Ergebnissen eine Branche an die Wand gefahren werde. Statt Fehler einzugestehen, komme die Politik mit der Bauern-Milliarde. „Wir wollen das Geld nicht, sondern EU-einheitliche Produktionsstandards“, sagte Haberer. Die Milliarde reiche drei Jahre lang für die Strafzahlungen an Brüssel. Diese Zeit sollte man nutzen und ein vernünftiges Grundwassermessnetz aufbauen.
Am Rande der Belastungsgrenze
Die politischen Entwicklungen in den vergangenen Monaten mit Agrarpakt, Diskussionen um die Düngeverordnung, Verschärfungen bei der Nutztierhaltung und Volksbegehren haben die bäuerlichen Familien moralisch zermürbt, machte Kreisvorsitzender Haas deutlich. Er befürchtet einen sich beschleunigenden Strukturwandel als Folge. Bei der Umsetzung des Eckpunktepapiers gelte es, sich bestmöglich einzubringen und die Federführung nicht den Umweltaktivisten zu überlassen. Schließlich seien die Bauern die wahren Umweltschützer. Haas wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass mit dem Eckpunktepapier nicht mehr die Landwirtschaft als alleiniger Sündenbock für den Verlust der Artenvielfalt dastünde. Bald gehörten auch Steinwüsten in Wohngebieten und Hausgärten der Vergangenheit an. Es könne nicht angehen, dass von den Bauern verlangt werde, ihre Wiesen nur noch zweimal pro Jahr zu mähen, wenn in den Gärten der Rasen mehrmals in der Woche geschnitten werden.
Haas kritisierte auch den ungebrochenen Flächenfraß in Deutschland, der täglich rund 500 Einwohnern die Nahrungsgrundlage entziehe. Aber das sei auch nicht schlimm, da niemand hier verhungern werden, denn dank Merkosur-Freihandelsabkommen blieben die Regale voll. So kämen zusätzlich rund 100.000 Tonnen Rindfleisch aus Südamerika und 35.000 Tonnen aus den USA auf den Markt. Und dies zu Zeiten, in denen ein Kalb weniger kostet als ein Meerschweinchen.
Verständnis für die Sorgen und Stimmungslage der Bauern äußerte der Rottweiler Landrat, Dr. Wolf-Rüdiger Michel. Er mahnte an, dass die Wertschätzung der Bauern auch gesellschaftlich sichtbar werden müsse und lobte, dass sich im Kreis immer Betrieb fänden, die ihre Hoftore für die Bevölkerung im Rahmen der Gläsernen Produktion öffneten. Im vergangenen Jahr waren dies die Betriebe Petra und Jörg Schittenhelm aus Dietingen sowie Johannes und Samuel Sauter aus Epfendorf, die mit einer Urkunde geehrt wurden. Eine solche erhielt auch Kreisvorsitzender Manfred Haas für seine 25-jährige Tätigkeit als Berichterstatter für das statistische Landesamt.
Ein Bild von der Verbandsarbeit in der Region zeichneten Kreisgeschäftsführerin Lisa Guth und Landfrauenvorsitzende Ute Haag. Laut Lisa Guth haben die Kreisverbände Tuttlingen und Rottweil zusammen knapp 1200 Mitglieder. Ein Schwerpunkte der Arbeit auf den Geschäftsstellen waren neben den Beratungstätigkeiten die Aktivitäten rund um Pro-Biene, das Engagement auf der Südwest Messe sowie die Gläserne Produktion. Dass Landfrauenarbeit mehr als Kochen und Basteln ist, machte Kreisvorsitzende Ute Haag deutlich. Mit über 600 Mitgliedern ist der Kreisverband ein starkes Netzwerk von Frauen für Frauen auf dem Land und bietet ein umfangreiches Programm an Weiterbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen. Das laufende Jahr stehe unter dem Motto „Digitalisierung nutzen Verantwortung leben – Wissen teilen“.
Den Schlusspunkt unter die Versammlung setzte der Tuttlinger Kreisvorsitzender Wilhelm Schöndienst. Er appellierte an seine Berufskollegen, sich in diesem Zeiten nicht auseinanderdividieren zu lassen und stellte klar: „Unser Land bracht Bauern mit Zukunft, genauso wie andere Wirtschaftsbereiche auch.“
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