Streit um Verursacherprinzip für nitratbelastete Gebiete
Auf mindestens 30 % veranschlagt die Bundesregierung die Ausdehnung der nitratbelasteten Gebiete in Deutschland, sollte die EU-Kommission dem deutschen Vorschlag einer Ausweisung der „Roten Gebiete“ auf Grundlage realer Messwerte ohne Berücksichtigung des Verursacherprinzips folgen.
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Das federführende Bundesumweltministerium (BMUV) hat der EU-Kommission am 18. Februar 2022 seine Vorstellungen für eine Neuausweisung der belasteten Gebiete übermittelt.
Die Brüsseler Administration hatte dafür eine Frist bis zum 18. Februar 2022 gesetzt. Zwar haben die Ministerien in den letzten Wochen eingehend mit der Generaldirektion Umwelt (DG ENVI) der Kommission darüber verhandelt, wie ihren Bedenken gegen das bisherige Verfahren Rechnung getragen werden kann. Ob die Kommission den nunmehr präsentierten Vorschlag akzeptiert, ist allerdings offen.
Mögliche Strafzahlungen für Deutschland von rund 850 000 Euro am Tag stehen damit weiter im Raum.
Abgrenzung der Roten Gebiete nach Verursacherprinzip
Die Brüsseler Kommissionsbeamten hatten dem Vernehmen nach unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass sie die sogenannte „Emissionsmodellierung“ bei der Gebietsausweisung als nicht vereinbar mit der EU-Nitrat-Richtlinie ansehen und nicht mehr akzeptieren wollen. Diese Haltung sei als klar und nicht verhandelbar gegenüber der deutschen Seite kommuniziert worden, hieß es.
Die Emissionsmodellierung berücksichtigt landwirtschaftliche Emissionen bei der Gebietsausweisung und soll so für mehr Verursachergerechtigkeit bei der Abgrenzung der belasteten Gebiete sorgen. Die Anwendung hat dazu geführt, dass sich die Roten Gebiete in Deutschland insgesamt mehr als halbiert haben.
Nicht in Frage gestellt wird von der EU-Kommission die Binnendifferenzierung der Roten Gebiete. Diese soll aber künftig allein auf der Grundlage der Nitratkonzentration in Grundwassermessstellen erfolgen.
Forderung nach Beibehaltung des aktuellen Verfahrens
Eine harte Haltung erwartet der agrarpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Albert Stegemann, von der Bundesregierung in der Auseinandersetzung mit der Europäischen Kommission.
Die Regierung dürfe „nicht ohne Not und ohne ernsthaft mit der EU-Kommission zu verhandeln, die bereits beschlossenen praxisnahen und wirksamen Maßnahmen zur Nitratreduktion im Grundwasser über Bord werfen“, forderte Stegemann.
Einseitigen Nachteil der Landwirtschaft verhindern
Seiner Auffassung nach würde ein nunmehr vorgesehenes Verfahren zur messstellenbasierten Binnendifferenzierung de facto zu einer Ausweitung der Roten Gebiete in den Bundesländern führen. „Der vielbeschworene Schulterschluss zwischen Bundesumwelt- und Bundeslandwirtschaftsministerium darf sich nicht zum einseitigen Nachteil der Landwirtschaft bemerkbar machen“, warnte Stegemann. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir müsse sich vor die Landwirte stellen und dürfe sich nicht hinter dem BMUV verstecken.
Özdemir müsse dem BMUV, aber auch gegenüber der EU-Kommission deutlich machen, dass das aktuelle Verfahren der Modellierung fachlich und wissenschaftlich nachvollziehbar sei. Den Ländern gehe es bei der bisherigen Modellierung zudem nicht darum, die betroffene landwirtschaftliche Gebietskulisse zu verkleinern, sondern verursachergerechte und praxisnahe Lösungen zu finden.
Bauernverband erwartet massiven Unmut der Bauern
Auch der Deutsche Bauernverband (DBV) hat mit scharfer Kritik auf die Vorschläge der Bundesregierung für die künftige Ausweisung von nitratbelasteten Gebieten reagiert. Die vorgesehene abermalige Änderung der Gebietsabgrenzung sei „das Gegenteil von Klarheit“ und führe zu massivem Unmut bei den Bauern, erklärte DBV-Generalsekretär Bernhard Krüsken.
„Für die Ausweisung riesiger Roter Gebiete nur auf der Basis von statistischen oder mathematischen Verfahren und vor allem ohne Berücksichtigung des Verursacherprinzips haben wir kein Verständnis“, betonte Krüsken. Solche weitreichenden Einschränkungen ohne Berücksichtigung wasserwirtschaftlicher Zusammenhänge seien nicht verhältnismäßig und würden vermutlich noch die Gerichte beschäftigen.
Neue Gebietsabgrenzung zum Nachteil der Landwirte
Basis für eine genaue und differenzierte Gebietsabgrenzung muss dem Generalsekretär zufolge ein breites Messstellennetz sein. „Wenn mit der neuen Gebietsabgrenzung Landwirte ungerechtfertigt in großen pauschalen Gebieten mit zusätzlichen Auflagen überzogen werden, ist dies die Verantwortung der Länder, zu wenige Messstellen für eine genaue Binnendifferenzierung eingerichtet zu haben“, so Krüsken. Eine enge räumliche Abgrenzung von Grundwasserkörpern sei wasserwirtschaftlich geboten, vermeide Übermaßregelungen und werde auch von der EU-Kommission ausdrücklich unterstützt.