
Geflügelpest: Neues Biosicherheits-Konzept für Geflügelbetriebe
Die niedersächsische Arbeitsgruppe präzisiert in einem neuen Biosicherheits-Konzept Maßnahmen zum Schutz vor hochpathogenen aviären Influenzaviren (HPAIV) in Geflügelbetrieben.
von Niedersächsische Arbeitsgruppe Biosicherheit in Geflügelhaltungen erschienen am 12.03.2024Aktuelles Risiko für Geflügelpest
In seiner „Risikoeinschätzung zur Hochpathogenen Aviären Influenza H5 (HPAI H5) Klade 2.3.4.4b“ vom 9. Februar 2024 beziffert das Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) die Zahl von Geflügelverlusten seit November 2023 europaweit auf knapp 4,4 Millionen Tiere. In Niedersachsen wurden in der Zeit von Dezember 2020 bis Dezember 2023 insgesamt 157 Geflügelpest-Ausbrüche festgestellt, die rund 2,8 Mio. verendetes oder getötetes Stück Geflügel und Kosten der Tierseuchenkasse in Höhe von 49,5 Mio. € verursachten.
Auch für den Februar 2024 stuft das FLI das Risiko von HPAIV H5-Einträgen in deutsche Hausgeflügelhaltungen und Vogelbestände in zoologischen Einrichtungen durch direkte und indirekte Kontakte zu Wildvögeln weiterhin als hoch ein, da die Meldungen von Wildvogelfällen weiterhin häufig erfolgen. Das aktuelle Gefährdungspotenzial durch Ausbrüche bei Hausgeflügel und in Gefangenschaft gehaltenen Vögeln in Europa betrifft derzeit auch private Kleinhaltungen. Der Schutz des Geflügels vor einem Eintrag und der möglichen weiteren Verbreitung von HPAIV-Infektionen hat oberste Priorität. Biosicherheitsmaßnahmen und Überwachungs- bzw. Abklärungsuntersuchungen, zu denen Geflügelhalter gesetzlich verpflichtet sind, müssen überprüft und unbedingt konsequent eingehalten werden.
Rechtsgrundlage für Maßnahmen zum Schutz vor biologischen Gefahren
„Maßnahmen zum Schutz vor biologischen Gefahren“ gehören zu den wichtigsten Präventionsinstrumenten, die den Tierhaltern und anderen mit Tieren arbeitenden Personen zur Verhinderung der Einschleppung, Entwicklung und Ausbreitung von Tierseuchen zur Verfügung stehen. Das neue Tiergesundheitsrecht der Europäischen Union (EU), Animal Health Law (AHL, Verordnung (EU) 2016/429) sowie das Tiergesundheitsgesetz (TierGesG) verpflichten daher die Tierhalter, wirksame Biosicherheitsmaßnahmen umzusetzen, unabhängig von der Betriebsgröße. Auch Kleinst- und Hobbyhaltungen müssen Mindestanforderungen für Biosicherheitsmaßnahmen erfüllen.
Zusätzlich ist grundsätzlich jeder Geflügelhalter gemäß Artikel 10 der VO (EU) 2016/429 dazu verpflichtet, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, die verschiedene Verfahren zum Schutz vor biologischen Gefahren auf seinem Betrieb umfassen. Besondere Schutzmaßnahmen gelten darüber hinaus, wenn der Ausbruch der Geflügelpest bei Wildvögeln oder gehaltenen Vögeln festgestellt wurde. Anzuwendende Rechtsvorschriften auf EU-Ebene sind das AHL sowie diverse Delegierte- und Durchführungsverordnungen. Auf nationaler Ebene sind Vorgaben zur Biosicherheit in Geflügelhaltungen im Tiergesundheitsgesetz (TierGesG), in der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung (TierSchNutztV), im Tierische Nebenprodukte-Beseitigungsgesetz (TierNebG), in der Geflügelpest-Verordnung (GeflPest-SchV) sowie in der Geflügel-Salmonellen-Verordnung (GflSalmoV) geregelt. Eine Übersicht der rechtlichen Bestimmungen zur Bekämpfung der Geflügelpest ist unter www.tierseucheninfo.niedersachsen.de zu finden.
Die „Arbeitsgruppe Biosicherheit in Geflügelhaltungen“ setzt sich aus Vertretern der folgenden Institutionen zusammen: ABICS GmbH, Bundesverband praktizierender Tierärzte (bpt), Niedersächsisches Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, Landkreise Cuxhaven, Diepholz und Vechta, Landwirtschaftskammer Niedersachsen, Landvolk Niedersachsen, Niedersächsische Geflügelwirtschaft, Niedersächsischer Landkreistag, Niedersächsisches Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Niedersächsische Tierseuchenkasse, Tierärztekammer Niedersachsen, Tierärztliche Hochschule Hannover, Universität Vechta, QS Prüfsystem.
Ausführungen des neuen Tiergesundheitsrechts
Gemäß den Ausführungen des neuen Tiergesundheitsrechts (Animal Health Law, AHL/ Artikel 10 und 11 Verordnung (EU) 2016/429) muss der Tierhalter (in den relevanten Rechtsakten als „Unternehmer“ bezeichnet) über Kenntnisse zu Tiergesundheit und Tierseuchen verfügen und sich der Verbreitungsgefahren von Tierseuchen bewusst sein. Maßnahmen zum physischen Schutz – u. a. Umzäunung, Einfriedung, Überdachung, Reinigung, Desinfektion – müssen durch ihn umgesetzt werden. Außerdem sollten betriebsindividuell Biosicherheitsmanagementpläne erstellt werden, in denen Verfahren zur Seuchenprävention beschrieben werden. Dazu gehören z. B. Verfahren, die regeln, wie Tiere, Personen und Fahrzeuge in den Betrieb gelangen, oder Verfahren für die Nutzung von Ausrüstung.
In den Aufgabenbereich der Tierärzteschaft fallen insbesondere Beratungen des Tierhalters zum Schutz vor biologischen Gefahren und anderen Tiergesundheitsaspekten, die im Rahmen von Tiergesundheitsbesuchen erfolgen sollen. Nach AHL (Artikel 12 VO (EU) 2016/429) müssen Tierärzte bei der Ausübung ihrer Tätigkeiten alle geeigneten Maßnahmen zur Verhinderung der Einschleppung, Entwicklung und Ausbreitung von Seuchen ergreifen und durch eine ordnungsgemäße Diagnose und Differenzialdiagnose das frühzeitige Erkennen von Seuchen sicherstellen. Ihnen obliegt zudem die aktive Beteiligung an der Sensibilisierung von Tierhaltern für Tiergesundheit und Wechselwirkung zwischen Tiergesundheit, Tierwohl und menschlicher Gesundheit.
Während die beschriebenen Maßnahmen bereits zu Zeiten der Seuchenfreiheit gewährleistet sein müssen, gelten im Ausbruchsfall ggf. weitere Vorgaben, die von der zuständigen Behörde genehmigt werden müssen, um Tiere aus Restriktionszonen verbringen zu können.

Niedersächsisches Biosicherheitskonzept für Geflügel haltende Betriebe
Um den neuen Anforderungen des AHL gerecht zu werden, wurde auf Initiative der Niedersächsischen Tierseuchenkasse und des Landvolks Niedersachsen am 27. Februar 2023 die „Arbeitsgruppe Biosicherheit in Geflügelhaltungen“ mit maßgeblichen Akteuren gegründet, die dazu beitragen möchte, dass Biosicherheitsmaßnahmen den rechtlichen Vorgaben des neuen europäischen Tiergesundheitsrechts entsprechen und von allen Beteiligten umgesetzt werden. Die nationale Gesetzgebung wurde bisher nur in Teilen an das AHL angepasst. Vor diesem Hintergrund richtet sich das „Niedersächsische Biosicherheitskonzept für Geflügel haltende Betriebe nach dem EU-Tiergesundheitsrechtsakt“ zunächst an Geflügelhaltungen mit über 1.000 Stück Geflügel (in Anlehnung an § 6 GeflPestSchV).
Grundsätzlich müssen jedoch alle Tierhalter Maßnahmen zum Schutz vor biologischen Gefahren ergreifen. Daher wird auch Hobbygeflügelhaltern dringend empfohlen, die hier genannten Maßnahmen zu ergreifen, um den Eintrag von Tierseuchen in ihren Tierbestand zu verhindern.
Ziel der Arbeitsgruppe war es, eine Arbeitshilfe für Tierhalter, Tierärzte und Behörden zu schaffen, die das anzuwendende EU-Recht und nationale Recht in Form eines betriebsindividuellen Biosicherheitskonzeptes abbildet:

Nach Artikel 10 und Erwägungsgrund 43 der Verordnung (EU) 2016/429 sollen die getroffenen Maßnahmen zum Schutz vor biologischen Gefahren ausreichend flexibel und auf die Art der Produktion sowie die betreffenden Tierarten und -kategorien abgestimmt sein. Weiterhin sollen sie den lokalen Gegebenheiten, technischen Entwicklungen und betriebsindividuellen Risikofaktoren Rechnung tragen. Das Konzept zur Umsetzung von betriebsindividuellen Biosicherheitsmaßnahmen ist in zehn Handlungsbereiche gegliedert:
- Angaben zum Betrieb und Lageskizze
- Kenntnisse / Sensibilisierung / Unterweisungen
- Umzäunung / Einfriedung
- Betriebsgelände inklusive Tierbereich
- Zutrittsregelungen / Hygieneschleuse (Personen)
- Fahrzeugverkehr
- Materialien (Einstreu, Futtermittel, Dung, Mist, Kadaver etc.)
- Tierverkehr
- Überwachung Tiergesundheit
- Schädlingsbekämpfung
Managementpläne für die Biosicherheit
Für die meisten Handlungsbereiche wird zwischen „Baulichen Gegebenheiten“ und „Management“ unterschieden. Für jeden der Bereiche werden die entsprechenden Vorgaben der geltenden nationalen und EU-rechtlichen Bestimmungen dargestellt. Teilweise sind „Empfehlungen“ formuliert, sofern rechtliche Vorgaben fehlen.
Die Umsetzung für jeden Betrieb und – soweit zutreffend – für jede Maßnahme ist zu beschreiben. Damit werden grundsätzlich die Anforderungen nach Artikel 10 Absatz 4 AHL (Biosicherheitsmanagementplan) und wesentliche Voraussetzungen für die Entschädigung durch die Niedersächsische Tierseuchenkasse erfüllt. Unter der Überschrift „Risikoorientiert“ sind jeweils Beispiele von ergänzenden Biosicherheitsmaßnahmen aufgelistet, die betriebsindividuell und risikoorientiert in Abhängigkeit von der Seuchengefährdungslage und den in den Betrieben bereits durchgeführten Biosicherheitsmaßnahmen zusätzlich ergriffen werden können.
Die Effektivitätsstufe schätzt anhand einer Bewertungsmatrix von 1 bis 3 (1 = gering, 2 = mittel, 3 = stark), inwieweit die entsprechende Maßnahme das Potenzial hat, das Eintragsrisiko für Tierseuchenerreger zu reduzieren.
Im Seuchenfall sind die Leistungen der Tierseuchenkassen und der EU abhängig von der Einhaltung rechtlicher Vorgaben. Das AHL sowie das TierGesG verpflichten daher die Tierhalter, wirksame Biosicherheitsmaßnahmen umzusetzen. Auch wenn der Schutz vor Tierseuchen Investitionen erfordert, sollte der daraus resultierende Rückgang an Seuchenausbrüchen und die Vermeidung der wirtschaftlichen/finanziellen, emotionalen und tierschutzrelevanten Folgeschäden die Tierhalter motivieren, diese Investitionen nicht zu scheuen. Vor diesem Hintergrund unterstützt die Niedersächsische Tierseuchenkasse tierärztliche Beratungen zum Schutz vor biologischen Gefahren mit einer Beihilfe.
Downloads zu Biosicherheits-Konzepten
Das Niedersächsische Biosicherheitskonzept für Geflügel haltende Betriebe stellt für Tierhalter, Tierärzte und Behörden die Anforderungen des EU-Rechts und nationalen Rechts dar. Mithilfe des Konzepts kann der Tierhalter betriebsindividuell prüfen, ob er diesen Anforderungen gerecht wird. Gemeinsam mit seinem bestandsbetreuenden Tierarzt kann er so sein betriebsindividuelles Management zur Seuchenprävention abbilden. Das Konzept steht zum Download auf der Homepage der Niedersächsischen Tierseuchenkasse zur Verfügung.
Als Ergänzung zum Niedersächsischen Biosicherheitskonzept Geflügel empfehlen sich die AI-Risikoampel der Universität Vechta sowie der „Niedersächsische Leitfaden zur ordnungsgemäßen Lagerung von Geflügeltierkörpern unter Berücksichtigung von Biosicherheitsaspekten“. Alle Dokumente beziehen sich auf die aktuellen Rechtsvorschriften. Im Einzelfall können weitergehende Maßnahmen durch die zuständige Veterinärbehörde angeordnet werden.