Mit Guyot auf dem Weg zur Fruchtwand
Die Frage nach dem besten Anbausystem beschäftigt den Obstbau bereits seit mehreren Jahrhunderten. In den vergangenen Jahren hat sich das Interesse nochmals deutlich verstärkt. Dies ist vor dem Hintergrund steigender Produktionskosten und verschärfter Vorgaben zum Pflanzenschutz nicht verwunderlich. Das Ziel neuer Anbausysteme liegt vor allem in der Reduzierung der teuren Handarbeit durch mehr Mechanisierung.
Mit der bisher üblichen Spindelerziehung stoßen aktuell entwickelte technische Verfahren sehr schnell an ihre Grenzen. In neuen Anbausystemen, bei denen versucht wird, einen Baum mit mehreren Achsen ausschließlich in zwei Dimensionen zu erziehen, fehlt die Baumtiefe und dies vereinfacht eine Mechanisierung erheblich. Zweidimensionale Bäume in Form einer Fruchtwand versprechen darüber hinaus auch größere und besser gefärbte Früchte.
Vierjährige Testphase
Angetrieben durch den bewährten regen Austausch der Obstbauern am Bodensee mit ihren Kollegen in Südtirol, die bereits intensiver mit zweidimensionalen Anbausystemen in der Praxis experimentieren, wurden verschiedene Testanlagen mit unterschiedlichen Apfelsorten aufgepflanzt. Um eine Übersicht über die Eignung dieser Bäume für den Anbau am Bodensee zu erhalten, wurden sie über die vergangenen vier Jahre intensiv beobachtet. Dabei handelt es sich nicht um eine wissenschaftliche Untersuchung, sondern um Erfahrungen aus der Praxis, die im Wesentlichen mit den Sorten Gala, Nicoter-Kanzi® und GS66-Fräulein® gemacht wurden. Auf die Darstellung der erhobenen Daten und deren Statistik zu Wachstum, Ertrag, Fruchtqualitäten, Erstellungskosten und Arbeitsaufwand wird bewusst verzichtet.
Seitentriebe als senkrechte Achsen
Im Gegensatz zur herkömmlichen Spindelerziehung mit einer senkrechten Achse oder mit zwei Achsen wie beim Bi-Baum, wird beim Mehrachsensystem der Baum in die Waagrechte gebogen und Seitentriebe als senkrechte Achsen an einem Drahtgerüst fixiert. Derart formierte Bäume werden oft als Multileader-Bäume oder als Guyot-Bäume bezeichnet, in Anlehnung an das von Jules Guyot entwickelte Erziehungssystem für Reben.
Die Triebe auf der Oberseite, aber auch auf den Seiten der waagrechten Stammverlängerung wachsen verstärkt nach oben und es entstehen senkrechte Achsen. Der Abstand zwischen den einzelnen Achsen beträgt 25 bis 30 cm und damit ergeben sich im Normalfall Baumabstände in der Reihe von 1,25 m bis 1,50 m. Dieser Baumabstand kann bis auf 2,50 m erhöht werden, wenn mit einem Bi-Baum auf zwei überkreuzten Waagrechten die Anzahl der senkrechten Achsen verdoppelt wird. Das stellt zwar eine Möglichkeit dar, mit möglichst wenig, eventuell sehr teurer oder begrenzt verfügbarer Pflanzware, ein Maximum an Produktionsvolumen aufzubauen, unter den Anbaubedingungen am Bodensee birgt dies aber das Risiko, dass für die herkömmlichen Sorten-Unterlagen-Kombinationen die Triebleistung nicht mehr für eine geeignete Baumhöhe ausreicht.
Engere Reihenabstände möglich
Allgemein bleiben die Mehrachsensysteme niedriger und schmäler als normale Spindelanlagen und damit sind engere Reihenabstände ohne Beschattungsverluste möglich. Auch wenn rechnerisch der Reihenabstand 2,50 m betragen könnte, wurde in den Testanlagen der regionsübliche Reihenabstand von +/- 3,0 m beibehalten. Mit dem größeren Baumabstand führt dies zu weniger Bäumen und damit zunächst zu weniger Ertragsvolumen pro Hektar. Für den Maschinenpark und die Hagelnetze sind aber somit keine Anpassungen erforderlich.
Drähte bilden das Stützgerüst
Bei Mehrachsensystemen erhält nicht jeder Baum einen Pfahl, vielmehr bilden mehrere Drähte das Stützgerüst. Weil auf diesem deutlich mehr Gewicht lastet, sollte bei einer Neuanlage der Abstand der Hagelstangen auf sechs Meter reduziert werden. Bei bestehenden Gerüstsystemen mit acht bis zehn Meter Stangenabstand muss durch einen Zwischenpfahl die Stabilität erhöht werden.
Der unterste Draht in 60 cm Höhe dient zur Befestigung der Stammverlängerung. Weil er von allen Baumdrähten die größte Last übernehmen muss, sollte ein 2,7 mm oder 3,0 mm Zink-Aluminium-Draht verwendet werden. Über diesem Basisdraht werden im Abstand von 15 cm und dann alle 40 cm weitere Drähte gespannt (siehe Grafik). Die Belastung ist bei diesen Drähten nicht mehr so groß, sodass ein Standardbaumdraht mit einer Stärke von 2,5 mm ausreichend ist. Je nach angestrebter Baumhöhe sind somit circa sieben Baumdrähte bei drei Meter hohen Bäumen erforderlich.
Schematische Darstellung eines Mehrachsensystems
Wahl des Baummaterials
Grundsätzlich eignet sich jedes Pflanzmaterial zur Erziehung eines Mehrachsensystems. Bei Birnenbäumen ist es seit Langem regulär möglich, dass man Jungbäume mit mehreren Achsen bestellen kann, bei Apfelbäumen ist dies noch die Ausnahme. Sogenannte „preformed Multi Leader Trees (pMLT)“ werden zum Beispiel unter der Bezeichnung FlagTree® oder GuyotTree® von italienischen Baumschulen angeboten. Dabei handelt es sich um speziell vorgefertigte Bäume für die Mehrachsenerziehung, die den Erziehungsaufwand verringern können. Diese Bäume zeigen bereits eine Neigung der Stammverlängerung mit einseitigen Seitentrieben und können einfacher in die waagrechte Form gebunden werden.
Aufgrund der höheren Baumpreise und der begrenzten Verfügbarkeit an gewünschten Sorten und Mutanten wurde in den beobachteten Testparzellen meist auf herkömmliches Pflanzmaterial zurückgegriffen. Bei klassischen Knipp-Bäumen mit dickem Stamm ist die Gefahr groß, dass sie an der Knipp-Stelle abbrechen, während bei einjährigen Bäumen oder Neun-Monatsbäumen oft zu wenig starke Triebe vorhanden sind.
Pflanzung in Schräglage
Je schräger die Bäume gepflanzt werden, umso leichter ist es, die Bäume waagrecht zu fixieren. Bei schräg gepflanzten Bäumen ist allerdings die mechanische Bodenbearbeitung erschwert. So ist beispielsweise der Einsatz von Fadengeräten in der Baumstreifenbehandlung nicht ohne Stammverletzungen möglich. In Anbetracht der Forderungen nach einer Reduktion des Herbizideinsatzes lautet die Empfehlung, möglichst senkrecht, maximal mit 30°-Schräge zu pflanzen. Das Umbiegen darf nicht sofort nach dem Pflanzen in der Vegetationsruhe durchgeführt werden, sondern sollte in zwei Schritten erst dann erfolgen, wenn die Bäume im Saft stehen.
Wie bei allen Erziehungssystemen wird auch beim Mehrachsensystem eine Nord-Süd-Pflanzung empfohlen. Die Waagrechte sollte immer nach Süden umgebogen werden. Deshalb ist bei Knipp- und Zwischenstamm-Bäumen bereits bei der Pflanzung darauf zu achten, dass sich der Austrieb unterhalb der Knipp-Stelle immer auf der Nordseite, also gegenüber der Biegerichtung befindet. Wird all dies beachtet und vorsichtig gebogen, lassen sich Bruchstellen nahezu völlig vermeiden. Bei Ost-West-Pflanzungen empfehlen wir, die Bäume nach Westen und bei Pflanzungen am Hang hangaufwärts zu biegen.

Falls die Höhe der neugepflanzten Bäume nicht ausreicht, um nach dem Umbiegen den gewünschten Baumabstand auszufüllen, darf im Pflanzjahr nicht waagrecht gebunden werden. In waagrechter Stellung würde der Baum kein Wachstum mehr an der ursprünglichen Baummitte zeigen, es würden nur die senkrechten Triebe in der Länge zunehmen.
In leichtem Winkel fixieren
Die ursprüngliche Mitte des Baumes muss eine der fünf bis sechs Achsen bilden und nach dem Umbiegen und Hochbinden auch der höchste Punkt des Baumes sein. Es bietet sich an, dass der umgebogene Stamm nicht genau waagrecht liegt, sondern in leichtem Winkel noch oben fixiert wird.
Die richtige Auswahl und das korrekte Fixieren der Seitentriebe als zukünftige Achsen sind sehr wichtig, um eine gleichmäßige Obstanlage zu erhalten. Es sollten möglichst gleich dicke, kräftige Seitenäste ausgewählt werden. Da der Baum zu verstärktem Wachstum an der ersten gebogenen Stelle am Stamm neigt, sollte man entweder einen etwas kürzeren Trieb auswählen oder einen verwenden, der nicht auf der Oberseite steht, sondern seitlich herauswächst.
Überzählige Triebe entfernen
Wenn die fünf bis sechs Äste als Achsen ausgewählt und in gleichmäßigem Abstand von 25 bis 30 cm fixiert sind, sollten die überzähligen Triebe, die nach oben zeigen, weggeschnitten werden. Gleiches gilt für sämtliche Triebe, die an der Waagrechten nach unten wachsen. Triebe, die seitlich stehen, werden auf die Hälfte eingekürzt und für Anfangserträge genutzt. Die Achsen werden nicht angeschnitten, damit sie ihre Apikaldominanz nicht verlieren und ungewollte starke Seitentriebe bilden. Es ist anzustreben, die Endhöhe schnell, möglichst im vierten Standjahr zu erreichen. In Ausnahmefällen kann es aber notwendig werden, eine Blütenknospe als Endknospe zu entfernen, damit diese nicht die Langtriebbildung durch Blühen und Fruchtansatz verzögert.
Reibestellen vermeiden
Zum Anbinden kann herkömmlicher Bindeschlauch oder zum Beispiel Treefix verwendet werden. Durch spezielles Befestigungsmaterial, das in verschiedenen Größen angeboten wird, lässt sich die benötigte Arbeitszeit zum Anbinden deutlich verringern.
An den Kontaktstellen der Achsen mit dem Metalldraht kann es zu Reibestellen kommen, die zu Obstbaumkrebs führen können. Es wird deshalb empfohlen, dass beim Anbinden mindestens eine Windung mit dem Befestigungsmaterial um den Draht gemacht wird. Dadurch vermeidet man den direkten Kontakt zwischen Metall und Holz und zusätzlich verrutscht die Fixierung nicht auf dem Draht.
Wenn, wie empfohlen, der Baumdraht über dem ersten Basisdraht im Abstand von 15 cm installiert wurde, können auch kurze Triebe bequem in die Senkrechte fixiert werden. Bei zu großem Abstand der Drähte sind aufwändige Behelfsanbindungen erforderlich. Nur Triebe, die senkrecht am Draht befestigt werden, wachsen gut und bilden die gewünschte Fruchtachse. Das regelmäßige Festbinden der Achsen an den Drähten ist daher zwingend notwendig, auch wenn keine Früchte daran hängen.

Wachstum der Seitentriebe ankurbeln
International wird zur Steigerung des Triebwachstums bei Mehrachsensystemen eine Mischung der beiden Pflanzenhormone Cytokinin und Gibberelline (zum Beispiel Promalin) als Punktbehandlung der Triebspitze eingesetzt. In Deutschland ist Promalin im IP-Anbau regulär zugelassen, in Apfelkulturen aber nur zur Verminderung der Fruchtberostung und zur Förderung der Fruchtgröße bis zum Junifruchtfall. Nach den Ergebnissen der Versuchsansteller in Südtirol haben Punktbehandlungen von oben an die Triebspitze während des Triebwachstums (Mai bis August) mit Promalin NT (1,5-prozentig) im Abstand von 14 Tagen im Pflanzjahr kaum einen Effekt. Erst bei Anwendungen in den Folgejahren kann mit einer signifikanten Steigerung des Längenwachstums gerechnet werden.
Entscheidender für das möglichst schnelle Erreichen der Endhöhe ist neben dem Vereinzeln der Triebspitze sowie geeigneter Dünge- und Bewässerungsmaßnahmen ein konsequenter Pflanzenschutz. Besonders der Befall mit Läusen oder Apfelmehltau in der Triebspitze kann dazu führen, dass die Baumentwicklung eines ganzen Jahres verloren geht und sich die Zeit bis zum Vollertrag weiter verlängert.
Zu hohe Anfangserträge sind ebenfalls schädlich für das schnelle Erreichen der Endhöhe. Es lohnt sich, auf Anfangserträge zugunsten des Triebwachstums zu verzichten. Erst ab dem dritten Standjahr sollten Früchte an den senkrechten Achsen belassen werden. Da der Fruchtansatz an den stark wüchsigen, senkrechten Trieben generell schlecht ist, bleibt die Ertragsbildung ohnehin zunächst auf die Basistriebe beschränkt.
Höherer Arbeitsaufwand am Anfang
Im Vergleich zu einer praxisüblichen Spindelanlage fallen für die Erstellung eines Mehrachsensystems nur unwesentliche Mehrkosten an. Wenn der Reihenabstand nicht auf 2,50 bis 2,75 m reduziert wird, sind die Investitionskosten durch die geringere Baumanzahl sogar niedriger. Durch den geringeren Abstand der Hagelstangen (6,0 m statt 8,0 m) ist der Bedarf im Mehrachsensystem um ein Drittel höher. Der höhere Bedarf an Baumdrähten wird durch den Wegfall der Pflanzpfähle kompensiert. Der größte Unterschied entsteht durch die höheren Arbeitskosten zur Erziehung eines Mehrachsensystems. Für das Flachbiegen der Bäume und das Aufbinden der Achsen muss im ersten und zweiten Standjahr mit einer Mehrarbeit von 250 bis 300 Stunden pro Hektar gerechnet werden. Erst im Vollertrag können durch das einfachere Erziehungssystem und mehr Mechanisierung erhebliche Arbeitskosten eingespart werden.
Die Kulturmaßnahmen zum Baumaufbau folgen den gleichen Prinzipen wie bei der hohen, schlanken Spindel, nur dass jede Achse wie ein eigenständiger Baum betrachtet werden muss. Es sollte angestrebt werden, dass gesunde, gleichmäßige Achsen über die gesamte Standzeit der Bäume genutzt werden. In früheren Empfehlungen wurde noch der wiederholte Austausch empfohlen. Dazu wurde die zu entfernende Achse auf einen Zapfen an der Waagrechten abgeschnitten. Der Baum reagiert in der Regel mit einem starken Trieb, der die Endhöhe in wenigen Jahren wieder erreicht. Sowohl das Entfernen einer Achse wie der Wiederaufbau erfordern viel Handarbeit und der Nutzen ist meist nicht erkennbar.Neben dem schnellen Erreichen der Endhöhe ist es auch wichtig, dass jede Achse gleichmäßig mit möglichst vielen kurzen Fruchtspießen garniert ist. Das funktioniert bei den meisten Sorten sehr gut und oft deutlich besser als bei Spindelbäumen. Bei schlecht verzweigenden Sorten könnte man durch Kerben zu mehr Seitentrieben kommen.

Seitentriebe erneuern
Während die Achsen bis kurz vor Erreichen der Endhöhe nicht angeschnitten werden, muss das Seitenholz regelmäßig erneuert werden. Beim händischen Winterschnitt werden dabei alle langen Seitentriebe auf einen Zapfen zurückgeschnitten. Gleiches gilt für zu steile oder zu dicke Seitentriebe. Die kurzen Triebe mit abgeschlossener Endknospe sollten nicht geschnitten werden.
Weil die Bäume eine einheitliche und übersichtliche Struktur aufweisen, sind auch die Schnittmaßnahmen unkompliziert und klar und können nach kurzer Einweisung auch von unkundigem Personal schnell erledigt werden. Der Zeitaufwand für den Schnitt ist aber durch die hohe Anzahl an Achsen im Vergleich zur schlanken Spindel eher etwas höher.

Maschineller Schnitt
Beim maschinellen Schnitt wird im Abstand von weniger als 25 cm zur Achse geschnitten und damit die Baumbreite vorgegeben. Da die Maschine nur in einer Ebene arbeiten kann und weder die Stellung und die Dicke noch das Alter der Äste berücksichtig, ist es empfehlenswert einen Ergänzungsschnitt von Hand durchzuführen. Dieser benötigt aufgrund der Übersichtlichkeit nur wenig Zeit und führt zu einer wesentlichen Optimierung des Baumaufbaus. Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass sich die Nachteile des mechanischen Schnitts bei der Mehrachsenerziehung kaum zeigen und die Vorteile wie bei keinem anderen Erziehungssystem dominieren.
Effektiverer Pflanzenschutz
Bedeutsam sind die Vorzüge eines Mehrachsensystems bei den regelmäßigen Kulturmaßnahmen über die gesamte Vegetationszeit hinweg. Durch die fehlende Baumtiefe kann der Pflanzenschutz präziser auf alle Pflanzenteile durchgeführt werden. Bei optimaler Applikation mit angepasster Luftmenge ist von einem Einsparpotenzial an Wasser- und Wirkstoffmenge von 20 Prozent auszugehen. Wenn die gleiche Ertragskapazität mit geringerer Baumhöhe in einer Fruchtwand realisiert wird, erniedrigt sich die zu behandelnde Kronenhöhe und auch die zwangsläufig zu behandelnde Nicht-Zielfläche zwischen den Bäumen. Eine geringere Applikationshöhe bedeutet auch immer ein geringeres Risiko für Abdrift.
Insgesamt zeigen die jungen Mehrachsensysteme eine verbesserte Durchlüftung und damit eine schnellere Abtrocknung, sodass unter Umständen ein Teil der Infektionsphasen für Pilze reduziert wird. Die schmalen Achsen bieten weniger Deckung für bestimmte Schädlinge, wie zum Beispiel die Blutlaus, aber leider auch für Nützlinge, wie etwa den Ohrwurm. Unter eher feuchten Bedingungen mit hohem Pilzdruck haben jedoch die Vorteile des Mehrachsensystems in allen Beobachtungen überwogen.

Intensivere Ausdünnung
Aus den Erfahrungen zur chemischen Fruchtausdünnung bei Bibäumen war bekannt, dass in Mehrachsensystemen die optimale Terminierung auf das richtige Entwicklungsstadium der Blüte oder der jungen Früchte leichter ist. Es zeigen sich innerhalb des Baumes nur geringe Entwicklungsunterschiede. Die Wirkung der chemischen Ausdünnmittel ist deutlich stärker als bei Bäumen mit ausgeprägtem Bauminneren und Baumäußeren. Die Dosierung der Präparate zur Ausdünnung kann um ein Viertel reduziert werden, ohne Wirkungsverlust.
Ganz besonders deutlich wird der Unterschied zwischen einer Spindel und einem Mehrachsensystem bei der mechanischen Ausdünnung. Die Fäden der Ausdünnmaschine können nahezu alle Stellen des Baumes treffen und eine starke Blütenausdünnung bewirken. Man sollte deshalb niemals mit der gewohnten Maschineneinstellung ausdünnen, sondern eine geringere Intensität wählen.
Einfachere Handausdünnung
Weil es in einem korrekt erstellten Mehrachsensystem keine verborgenen, im Inneren hängende Früchte gibt, sondern alle übersichtlich außen hängen, ist die Handausdünnung sehr einfach. Man erhält durch das Zählen der Früchte an den Säulen sehr schnell einen Überblick über den Behang und kann auf rund zehn Früchte pro Meter Achsenhöhe ausdünnen.
Die gute Übersichtlichkeit des Erziehungssystems zeigt sich auch zur Ernte, was in der Zukunft eine Grundvoraussetzung für den Einstieg in die Ernte mit Robotern ist. Da die Früchte überwiegend groß, einheitlich reif, gut gefärbt im Sichtbereich hängen, was zu kurzen Greifwegen führt, kann mit einer regulären Handernte eine hohe Pflückleistung überwiegend vom Boden aus erzielt werden. Die Früchte im Mehrachsensystem zeigten sich bislang einheitlicher im Reifegrad und besser in der Größe und Ausfärbung. In den ersten vier Jahren, vermutlich aber über die gesamte Standzeit, kann durch die höhere Lichtausbeute mindestens eine Pflücke im Vergleich zur Spindel eingespart werden.
Weniger Ertrag – mehr Qualität
Das Mehrachsensystem zeigt eindeutige Vorteile in der Fruchtqualität, aber geringere Erträge. Zum einen liegt das an der geringeren Pflanzdichte, zum anderen verbleiben nach der Fixierung der Achsen weniger Seitentriebe, da alle nach unten stehenden Triebe entfernt werden und für die Ertragsbildung nicht mehr zur Verfügung stehen. Nach aktuellen Erfahrungen ist davon auszugehen, dass Mehrachsensystem mehr als vier Standjahre benötigen, um auf das Ertragsniveau einer guten Spindel zu kommen.
Regelmäßige Erträge
Die hier dargestellten Erfahrungen zu Mehrachsensystemen basieren auf dem aktuellen Kenntnisstand. Auch wenn durch ständig neue Entwicklungen Anpassungen erforderlich werden, bleiben die biologischen Grundlagen weiterhin bestehen. Es hat sich gezeigt, dass bei Mehrachsensystemen überwiegend fruchtbare Kurztriebe entstehen, die zu einer regelmäßigen Produktion führen.
Grundsätzlich kann das beschriebene Mehrachsensystem an jedem Standort erstellt werden. Falls auf einem schwachen Boden allerdings ein geringes Wachstum zu erwarten ist, ist es nicht unbedingt geeignet. Inwieweit stärkere Unterlage (zum Beispiel G11) dieses Problem ausgleichen können, lässt sich mit den bisherigen Erfahrungen nicht beantworten. Von einem Wechsel zu starken Unterlagen mit geringerer Fruchtbarkeit als M9 ist aber abzuraten.
Für alle Sorten geeignet
Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass man alle Sorten in Mehrachsensystemen erziehen kann, außer wenn es sich um Spurtypen oder sehr schwachwüchsige Sorten handelt. Besonders geeignet erscheinen wüchsige, zweifarbige und kleinfrüchtige Sorten. Hohe Hektarerträge sind bei einem Mehrachsensystem mit weiteren Pflanzabständen nur bei geringeren Reihenabständen möglich. Das Einsparpotenzial bei Pflanzenschutzmaßnahmen ist angesichts der derzeitigen Diskussion in Politik und Gesellschaft sehr interessant und muss dringend durch wissenschaftliche Untersuchungen verifiziert werden. Ein Anbausystem mit schneller Abtrocknung und geringerem Pilzdruck, kann besonders für den Bioanbau sehr interessant sein, da dort verträgliche und wirksame Fungizide fehlen. Ferner wird durch den weiteren Baumabstand die mechanische Bodenbearbeitung erleichtert.
Noch Forschungsbedarf
Die bisherigen Erfahrungen in der Praxis zeigen, dass Mehrachsensysteme durchaus viele Vorteile haben. Sie zeigen aber auch, dass mit der üblichen Spindelerziehung auch nicht alles falsch gemacht wurde. Egal, ob mit einem schlanken, lichtdurchfluteten Spindelbaum, einem Bi-Baum oder einem Guyot-Baum, wichtig bleibt, dass mit möglichst niedrigen Kosten regelmäßig hohe Erträge in sehr guter Qualität produziert werden. Neben den zahlreichen Ergebnissen verschiedener Forschungseinrichtungen sind in den kommenden Jahren die Resultate aus wissenschaftlichen Versuchen vor Ort am Kompetenzzentrum Obstbau Bodensee in Bavendorf zu erwarten. Dann sollte sich zeigen, unter welchen Voraussetzungen die Umstellung der Spindelerziehung auf ein zweidimensionales Mehrachsensystem dem Obstbauer einen Vorteil bringen kann.