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Digitalisierung in der Tierhaltung

Die transparente Weide

Dr. Jessica Werner ist Wissenschaftliche Assistentin am Fachgebiet für Tierernährung und Weidewirtschaft in den Tropen und Subtropen an der Universität Hohenheim. Sie koordiniert das Teilprojekt „Weidemanagement und Tierfütterung“ im 2020 gestarteten Projekt DiWenkLa (Digitale Wertschöpfungsketten für eine nachhaltige kleinstrukturierte Landwirtschaft), das untersucht, wie kleine und mittlere landwirtschaftliche Betriebe von der Digitalisierung in der Landwirtschaft profitieren können – unter anderem auch von der Technik der transparenten Weide.
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Jan Hendrik/Shutterstock.com
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#Ö: Frau Werner, Sie haben die Vision eines digitalen Weide- und Zufütterungsmanagements. Könnten Sie das bitte genauer erklären?

Werner: Ich finde es gut, dass Sie von einer Vision reden. Es ist im Moment wirklich noch eine Vision. Bis das praxistauglich wird, dauert es noch eine Weile. Das Beweidungs- und Zufütterungsmanagement wird von vielen Faktoren beeinflusst, zum Beispiel davon, wo der Betrieb liegt und welche Weideflächen zur Verfügung stehen. Der Landwirt muss, basierend auf seinen Erfahrungen, ein sehr komplexes System überblicken. Es wäre schön, diese Aufgabe mit Hilfe digitaler Technologien zu vereinfachen, damit er das Beweidungs- und Zufütterungsmanagement optimieren kann.

#Ö: Im Stall gibt es solche Systeme bereits.

Werner: In der Stallhaltung ist die Rationsplanung ein Hauptbestandteil der Milchproduktion, aber auch die Brunsterkennung und das Herdenmanagement werden bereits von Sensoren unterstützt. Nun schaut man, welche Technologien aus der Stallhaltung sich auch auf die Weidehaltung übertragen lassen. Das ist nicht einfach, denn eine grasende Kuh kann man nicht mit einer Kuh im Stall vergleichen. Sie verhält sich ganz anders. Aber auch die Infrastruktur drumherum ist anders. Im Stall gibt es oft W-Lan. Auf der Weide sind die Kommunikationstechniken dagegen limitiert. Zusätzlich gibt es in der Weidehaltung noch viele Unbekannte, die der Landwirt nur schätzen kann, weil es keine fundierten Messwerte gibt. Zum Beispiel, was das Tier auf der Weide frisst oder wie sich Futterqualität und -verfügbarkeit auf der Weide entwickeln. Das sind alles Fragen, die in Zukunft durch Messwerte unterstützt werden könnten.

#Ö: Die geben dann Auskunft darüber, wann ein Weidewechsel nötig ist oder wann ich was und wie viel zufüttern muss?

Werner: Genau. Die Vision ist, dem Landwirt über Daten von verschiedenen Sensoren ein Entscheidungsunterstützungssystem an die Hand zu geben. Da gibt es auf der einen Seite Informationen von der Weide: Wie ist die Futterqualität? Wie wird sich die Biomasse entwickeln, wenn man Wetterdaten und Grasaufwuchsmodelle einbezieht? Auf der anderen Seite gibt es das Tier: Wie verhält es sich? Welche Milchleistung und welchen Bedarf hat es? Wie viel hat es auf der Weide gefressen? Was muss ich zufüttern?

Der Landwirt bekäme von seinen Tieren einen Wert und könnte die Weidegröße und die Zufütterung anpassen. Zum Beispiel in einem trockenen Jahr, wenn der Weideaufwuchs am Sommerende sehr niedrig ist. So könnte er dafür sorgen, dass die Weide so gut wie möglich ausgenutzt, aber nicht überweidet wird. Das Ziel ist es, das Management so zu optimieren, dass die die Kuh so viel wie möglich auf der Weide frisst und man im Gegenzug die Zufütterung reduzieren kann.

#Ö: Das wäre wahrscheinlich gerade für den Ökolandbau interessant. So ließe sich eine bedarfsgerechte Fütterung besser umsetzen.

Werner: Der Selbstversorgungsgrad sollte im Ökolandbau möglichst groß sein. Da ist es gut, wenn man die Weide optimal ausnutzen kann und möglichst wenig Kraftfutter zukaufen muss. Das gibt auch Planungssicherheit.

#Ö: Wie könnte Technologie dabei helfen, das Futter-angebot auf der Weide besser zu verstehen?

Werner: Im DiWenkLa Projekt arbeiten wir hauptsächlich am Grasshopper-Aufwuchsmesser, der in Irland entwickelt wurde. Der besteht aus einer Platte, die auf das Gras aufgesetzt wird. Ein Sensor misst dann seinen Abstand zur Platte. So erhält man die kompressierte Grashöhe, womit der kalibrierte Grasshopper dann die verfügbare Biomasse auf der Weide schätzen kann. Da liegt auch die Schwierigkeit, weil die Kalibrierung für irische Grasbestände entwickelt wurde. In Irland bestehen Weiden hauptsächlich aus Deutschem Weidelgras, während sie in Deutschland eher heterogen sind und viele Kräuter und Klee enthalten. Wir arbeiten jetzt an einer Kalibrierung für süddeutsche Grasbestände. Die Landwirte, die den Aufwuchsmesser gerade mit uns testen, finden es gut, dass sie nun motiviert sind, jede Woche über die Weide zu laufen. Dieser Weidespaziergang gibt ihnen ein gutes Gefühl für die Weide. Weil der subjektive Eindruck von Messwerten unterstützt wird, kann man auch mal den Azubi, der noch nicht so viel Erfahrung hat, mit dem Grasshopper auf die Weide schicken. Zum Aufwuchsmesser gibt es eine App, in der alle Daten einsehbar sind. So kann man nebenbei auch gleich noch die Weidefläche vermessen.

#Ö: Wie ließe sich die Futterqualität prüfen?

Werner: Es gibt auch noch die Nahinfrarotspektroskopie (NIRS), die bereits im Ackerbau und in der Silageproduktion angewendet wird, um die Futterqualität zu bestimmten – also Trockenmasse, Rohprotein und Fasergehalt. Das Gerät sieht aus wie ein Barcodescanner, den man auf die Weide halten kann, um den Futterwert schätzen zu lassen. Wir untersuchen, wie gut das auf den frischen Weiden funktionieren könnte.

#Ö: Wenn ich weiß, was die Weide bietet, kommt es darauf an, wie die Kuh dieses Futterangebot nutzt. Welche Möglichkeiten gibt es, das Fressverhalten der Tiere zu messen?

Werner: Es gibt sehr viele Ansätze, die Futteraufnahme zu schätzen. Eine Variante sind Verhaltenssensoren. Zum Beispiel der RumiWatch Kauschlagsensor in einem Halfter, der das Fress- und Kauverhalten der Kühe misst. Wir haben ihn mit GPS und einem Pedometer kombiniert, um zusätzlich das Aktivitätsverhalten zu untersuchen. So erhält man ein sehr umfangreiches Bild davon, was die Kuh wo auf der Weide macht. Wir wollen dadurch herausfinden, wie viel die Kuh auf der Weide frisst. Für den Dauergebrauch ist der Sensor aber nicht geeignet, da er die Kuh über längere Zeit einschränkt. Von einer breiten Anwendung in der Praxis ist der Sensor wahrscheinlich noch weit entfernt, da der Anschaffungspreis zu hoch ist. Aber die Firma arbeitet an einer günstigeren Version. Das wäre vor allem etwas für die Beratung oder für Tierärzte, die dann einen Momenteindruck davon bekommen, was auf der Weide passiert und wo es Ansatzpunkte für Verbesserungen gibt.

#Ö: Das klingt gut. Aber könnte die ganze Technik den Landwirt bald überflüssig machen?

Werner: Nein! Die Landwirte sollten sich da nicht übergangen fühlen. Es lässt sich nicht alles durch Technik ersetzen. Der Landwirt mit seinen Erfahrungen ist ein sehr zentrales Element in der Betriebssteuerung. Das kann die Technik gar nicht ersetzen. Aber wir wollen ihm Werkzeuge an die Hand geben, um das Weidemanagement zu verbessern und zu vereinfachen.

#Ö: Insbesondere auf Almen werden bereits öfter Lokalisierungssysteme verwendet. Warum sollte man Weidetiere, die abends in den Stall gehen, per GPS orten?

Werner: Interessant wäre für die Wissenschaft zum Beispiel, das selektive Grasen zu untersuchen: Wo halten sich die Kühe am meisten auf, wie sieht dort die botanische Zusammensetzung aus und wie beeinflussen wiederum die Kühe die Pflanzen. Da gibt es viele Interaktionen, die wir noch besser verstehen wollen. Wenn man die Kotecken analysiert, könnte das auch in Richtung bedarfsgerechte Düngung gehen. Dann würde man dort weniger düngen

#Ö: Wobei der GPS-Standort einem ja nicht sagt, was die Kuh dort gerade macht.

Werner: Stimmt! Da käme die Kombination mit anderen Sensoren ins Spiel. Über Sinn und Unsinn beim Milchvieh kann man streiten. GPS ist vor allem auf den Almen sinnvoll, damit man die Tiere schneller findet. Ich denke aber, dass es besonders im Mutterkuhbereich weiteres Anwendungspotential gibt.

#Ö: Eine weitere Idee sind virtuelle Zäune. Hierbei wird der Bereich, in dem eine Kuh grasen darf, virtuell festgelegt. Die Kuh erhält dann über ein mit GPS verbundenes Halsband zunächst einen Vibrationsalarm, wenn sie sich der Grenze nähert. Geht sie trotzdem weiter, sollen Stromschläge folgen. Was halten Sie davon?

Werner: Meiner Einschätzung nach sind solche Systeme, zum Beispiel vom norwegischen Anbieter Nofence, eher etwas für große Weiden wie in Australien und Neuseeland. In der intensiveren Weidehaltung mit kleineren Flächen, wie hier in Europa, sehe ich das System noch nicht ausgereift genug, dass es bestehen kann. Laut kürzlich veröffentlichten Projektergebnissen der Uni Göttingen, gibt es dennoch wenig Einschränkungen für das Tierwohl. Ich denke, dass grundsätzlich nichts gegen das Tierwohl spricht, wenn die Tiere gut angelernt werden und das System verstehen. Für Kühe scheint es schwierig zu sein, wenn eine visuelle Barriere fehlt. Man muss der Kuh beibringen, dass es nun einen haptischen oder akustischen Reiz am Rande der Weide gibt. Manche Tiere begreifen das schneller, andere geraten unter Stress.

#Ö: Auch mit dem Melkroboter kommen nicht alle Tiere zurecht.

Werner: Ja und dann ist die Frage, ob man solche Tiere ausselektieren muss.

#Ö: Das ist dann wieder eine Ethikfrage.

Werner: Ja, genau. An sich finde ich das System praktisch und spannend, weil man sich nicht mehr so viel um die Zäune kümmern muss. Man muss sich aber intensiv mit dem System befassen. Ich schätze auch, dass der Schutz nicht so groß ist, wie bei einem richtigen Zaun. An einer großen Straße hätte ich zum Beispiel das Gefühl, dass eine physikalische Barriere sicherer wäre.

#Ö: Da müsste sich auch die Öffentlichkeit erst dran gewöhnen. Spaziergänger könnten in Panik geraten, wenn die Kühe ohne sichtbare Barriere neben dem Weg grasen. Und wenn eine Kuh den Stromreiz einfach ignoriert, könnte sie vielleicht davonlaufen...

Werner: Das könnte sie. Das System kann ihr ja nicht die ganze Zeit Stromschläge geben. Man kann Voreinstellungen treffen, nach wieviel Abstand das System aufhört. Aber mit dem GPS könnte man die Kuh dann wieder aufspüren. Rechtlich ist der mögliche Einsatz von virtuellen Zäunen aber noch nicht geregelt.

#Ö: Wie lange halten denn die Batterien von GPS- und Nofence-Halsband?

Werner: Das kommt darauf an, wie häufig die Geräte den Standort aufzeichnen. Der virtuelle Zaun schaltet sich oft ab, wenn die Kuh nicht in der Nähe der Barriere oder nicht aktiv ist. GPS-Halsbänder ohne virtuellen Zaun können eine Almperiode halten, wenn die Auflösung etwas reduziert wird.

#Ö: Welche Technologie wird am ehesten in der breiten Masse ankommen?

Werner: Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass der Aufwuchsmesser sich stärker verbreitet. Auch ohne die an deutsche Weiden angepasste Kalibrierung kann man schon die Grashöhe messen. Nur die verfügbare Biomasse kann das Gerät dann noch nicht berechnen. Unsere Kalibrierung wird vermutlich Ende 2021 fertig sein. Die Verhaltenssensoren sind auch interessant – je nachdem, wie genau sich die Futteraufnahme messen lässt. Das Ziel wäre, die Futteraufnahme als ein Add-On zu den schon in der Brunsterkennung genutzten Verhaltenssensoren zu bekommen. Beim NIRS-System und dem virtuellen Zaun wird es meiner Einschätzung nach eher noch dauern, bis sie sich flächendeckend durchsetzen. 

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