Zwetschgenschwemme gab den Anstoß
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Wenn es um den Kauf von Lebensmitteln geht, ist Regionalität heute ein wichtiges Stichwort. Das war nicht immer so. Insbesondere nicht im Jahr 1992. Damals hingen die Zwetschgenbäume voll mit Früchten. Die Ernteaussichten waren bestens. Auch in Südbaden, dem Kerngebiet des baden-württembergischen Zwetschgenanbaus. Doch was die Obstbauern zunächst freute, sollte sich schnell ins Gegenteil verkehren, es sollte regelrecht zum Desaster werden.
Handel hatte kein Interesse an heimischer Ware
40 Spankörbe der frühen Sorte Ersinger hatte Gerdi Staiblin in diesen Julitagen aufgeladen, um sie an der Obstannahmestelle in Königschaffhausen abzuliefern. Ersinger, eine gute Sorte, um Zwetschgenkuchen zu backen. Für den nächsten Tag war die doppelte Erntemenge anvisiert. Aber es sollte anders kommen, wie sich die damalige Vorsitzende der Landfrauen Südbaden und spätere baden-württembergische Landwirtschaftsministerin noch allzu gut erinnert. Am Markt angekommen, wurde sie vom Marktleiter mit dem Satz empfangen: „Gerdi, geh besser mit deinen Kindern ins Schwimmbad. Ich kann deine Zwetschgen nicht verkaufen.“ Der Satz saß. Gerdi Staiblin war wie geschockt über den Annahmestopp an der Außenstelle des Erzeugergroßmarktes Kaiserstuhl-Breisgau. Doch dort stapelte sich die Ware bereits und auch in der Hauptstelle des Marktes in Oberrottweil war es nicht anders. Das durfte doch wohl nicht wahr sein. Die mühevolle Arbeit, sollte alles umsonst gewesen sein? „Unsere guten südbadischen Zwetschgen unverkäuflich, während in den Handelsketten Zwetschgen aus Italien im Angebot waren. Das durfte einfach nicht wahr sein“, durchfuhr es sie.
Daraufhin nahm Staiblin das Heft des Handelns in die Hand. Sie alarmierte Landfrauen aus den Nachbargemeinden, organisierte eine Pressekonferenz und konnte dabei mit berufsständischer Unterstützung sogar den damaligen Landwirtschaftsminister Gerhard Weiser dazu bewegen, nach Königschaffhausen zu kommen. Die Demonstration war eindrucksvoll. Fast 500 Landwirte und Bäuerinnen brachten ihren Unmut zum Ausdruck. Dabei wurde vor allem an die Verbraucher appelliert, bei ihrem Einkauf doch Früchte aus dem Obstgarten Baden in ihren Einkaufskorb zu legen.
Konzept für erste Verkaufsschulung
Parallel dazu starteten Landfrauen eine Initiative. Mit weißer Bluse, buntem Rock und einem Strohhut bekleidet marschierten sie nach Rücksprache mit den Marktleitern in die Lebensmittelgeschäfte. Dort suchten sie das Gespräch mit den Kunden und verkauften die „Blauen“ aus Südbaden. Die Aktion war erfolgreich. Allerdings merkten die Frauen schnell, dass von den Verbrauchern auch Fragen kamen, die nicht ganz so einfach zu beantworten waren. Etwa die Frage, wieso Zwetschgen überhaupt blau sind. Oder die Kunden wollten genauer wissen, wie produziert wurde und mit welchem Pflanzenschutzkonzept. Nach und nach reifte die Erkenntnis, dass dieser Verkaufsförderungsaktion ohne eingehende Anleitung keine lange Zukunft beschieden sein würde. Daraufhin wurde das Konzept für eine Verkaufsschulung erstellt, die vom Land, von der CMA, der damals noch bestehenden Centralen Marketing-Gesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft und vom Landfrauenverband finanziert wurde. Das Projekt der Agrarbotschafterin war aufs Gleis gesetzt. Am ersten Kurs in Waldshut-Tiengen nahmen 13 Frauen teil, allesamt Meisterin der Ländlichen Hauswirtschaft.
Als Frau der ersten Stunde war Ilse Stiefel aus Freiburg-Opfingen im Zwetschgeneinsatz mit dabei. „Wir haben Zwetschgenkuchen gebacken und uns dann nach Rücksprache mit den jeweiligen Marktleitern mit unseren Zwetschgenkörben in den Lebensmittelgeschäften platziert“, erzählt die heute 79-Jährige, die noch bis vor zwei Jahren als Agrarbotschafterin unterwegs war. Einen Marktstand, wie sie bei den Einsätzen heute üblich sind, gab es damals noch nicht. „Informiert wurde über die Produktion, vor allem aber über die Verarbeitung von Zwetschgen zu Marmelade oder Zwetschgenkuchen. Das hat den Absatz beflügelt“, weiß sie von ihrer erfolgreichen Arbeit zu berichten. Schon damals, so hat sie es erlebt, wusste längst nicht mehr jeder Kunde, wie die blauen Früchte am heimischen Herd am besten verarbeitet werden. Mit der wachsenden Zahl der Einsätze wuchs das Interesse der Marktleiter, denn es zeigte sich: Überall wo die Landfrauen auftauchten, stieg auch die Zahl der Kunden.
Zahl der beworbenen Produkte wuchs
Diesen Erfolg wollten wenig später weitere Lebensmittelhersteller auf den Plan rufen. Einer der ersten war die Freiburger Breisgaumilch, heute Schwarzwaldmilch. Schnell kam man mit dem Milchwerk überein, dass in Fruchtjoghurts künftig neben der Milch aus dem Schwarzwald Früchte aus dem Markgräflerland und des Kaiserstuhls enthalten sein sollten. Der Einstieg erfolgte mit Kirschen und Erdbeeren. Bei der Markteinführung der Produkte, die das Herkunfts- und Qualitätszeichen des Landes (HQZ) trugen, waren wiederum die Landfrauen aktiv.
Doch unabhängig vom Produkt, Ziel der Agrarbotschafterin war damals wie heute, die Verbraucher zur Wertschätzung heimischer Produkte zu bewegen, ob das nun Milcherzeugnisse, Obst, Wein, Spargel oder zu Zeiten der BSE-Krise das Rindfleisch war. Rasant nahm das Projekt Fahrt auf. Bereits 1996 lag die Zahl der Landfraueneinsätze bei über 300, wie sich Ilse Stiefel erinnert. Auch unter den Landfrauen mehrte sich die Zahl der Interessentinnen für solche Einsätze, nachdem dafür geworben wurde. Schließlich machte die Aktion der Landfrauen Südbaden Schule und das Projekt wurde auf die beiden anderen Landfrauenverbände und damit flächendeckend auf ganz Baden-Württemberg ausgedehnt. Selbst bundesweit fand es Resonanz. Ilse Stiefel erinnert sich dabei an so manch schönen Einsatz zur Werbung für badischen Wein in Berlin, der Landfrauen aus verschiedenen Landesteilen des Bundesgebietes zusammenbrachte.
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