
Jeder zweite deutsche Apfel aus dem Ländle
In einem von Wetterextremen geprägten Jahr 2024 hat die genossenschaftliche Obst- und Gemüsewirtschaft in Baden-Württemberg weniger Umsatz gemacht – und dennoch besser abgeschnitten als im Bundesschnitt.
von BWGV erschienen am 09.04.2025Insgesamt 368.500 Tonnen Obst und Gemüse haben die genossenschaftlichen Erzeugermärkte inklusive ihrer Vertriebsgesellschaften im vergangenen Jahr vermarktet, neun Prozent weniger als 2023. Der Gesamtumsatz ist um 1,6 Prozent auf 480 Millionen Euro zurückgegangen. „Die wirtschaftliche Situation der Betriebe hat sich 2024 nicht verbessert. Neben den witterungsbedingten Herausforderungen belasten vor allem die unverändert hohen Betriebskosten die Branche“, betont Dr. Ulrich Theileis, Präsident des Baden-Württembergischen Genossenschaftsverbands (BWGV).
Ausnahme vom Mindestlohn gefordert
Bei der Jahrespressekonferenz der baden-württembergischen Obst-, Gemüse- und Gartenbaugenossenschaften machte Theileis am Dienstag in Karlsruhe deutlich: „Die Kluft zwischen finanziellem Aufwand und Ertrag wird immer größer. Hohe Energiekosten, großer bürokratischer Aufwand und steigende Lohnnebenkosten machen den Erzeugerbetrieben und den Genossenschaften zu schaffen. Eine weitere Erhöhung des Mindestlohns würde die Situation noch einmal massiv verschärfen.“
Theileis fordert daher für die Landwirtschaft eine Ausnahme vom gesetzlichen Mindestlohn für einfache Arbeiten, die keine Ausbildung erfordern, und Saisonarbeitskräfte, die nur kurz in Deutschland leben. „Baden-Württemberg ist das Land der Sonderkulturen. Im Obst-, Gemüse-, Garten- und Weinbau machen die Lohnkosten aufgrund des hohen Anteils an händischen Arbeiten bis zu 60 Prozent der gesamten Produktionskosten aus. Dies muss die neue Bundesregierung berücksichtigen.“
Betriebe gefährdet
Dies gelte umso mehr vor dem Hintergrund der bedeutend geringeren Lohnkosten in anderen europäischen sowie außereuropäischen Ländern. In Polen sei der Mindestlohn halb so hoch wie in Deutschland, in Italien gebe es gar keinen Mindestlohn. „Wenn Unternehmen aus anderen Ländern zu deutlich günstigeren Kosten produzieren können, ist dies ein echtes Problem – zumal deren Ware direkt mit Produkten unserer regionalen Erzeuger konkurriert“, so der BWGV-Präsident. Er stellte heraus: „Ohne faire Wettbewerbsbedingungen ist die Existenz vieler heimischer Betriebe gefährdet – mit allen Konsequenzen. Letztendlich drohe eine weitere Verlagerung der Produktion ins Ausland. Deutschland würde von seinem ohnehin geringen Selbstversorgungsgrad bei Obst (20 %) und bei Gemüse (33 %) noch mehr einbüßen.“ Der BWGV-Präsident begrüße daher die Unterstützung des Stuttgarter Landwirtschaftsministers bei Ausnahmeregelungen zum Mindestlohn, die möglichen Berliner Kollegen müssten noch überzeugt werden.
Pflanzenschutz immer dringender vermisst
Außerdem bewertet der BWGV den weiteren Rückgang verfügbarer Pflanzenschutzmittel im Sonderkulturbereich kritisch. Seit Jahren verlieren immer mehr Pflanzenschutzmittel die Zulassung. Gleichzeitig werden aufgrund hoher Auflagen immer weniger neue Pflanzenschutzmittel zugelassen. Diese seien aber zwingen erforderlich, da nicht zuletzt aufgrund des Klimawandels immer mehr neue Schaderreger aufkommen, für die keine Wirkstoffe zur Verfügung stünden. Dies führe zu Ertragsminderungen bis hin zum Totalausfall der Ernte.
Pflanzen und Ernten bestmöglich zu schützen, sei mit Blick auf den Versorgungsauftrag der regionalen Land- und Ernährungswirtschaft eine wichtige Aufgabe. Gerade, wenn Wetterextreme die Erträge schmälerten. So hatten die Erzeugerinnen und Erzeuger 2024 stark mit Spätfrösten, Hagel, Starkregen und langanhaltender Nässe zu kämpfen. Unterm Strich ist die baden-württembergischen Obst- und Gemüsewirtschaft jedoch mit einem blauen Auge davongekommen“, fasste Theileis das Jahr zusammen. Bundesweit war die Obsternte 2024 die zweitschlechteste der vergangenen zehn Jahre.
Die genossenschaftlichen Erzeugermärkte hatten vergangenes Jahr rund 251.000 Tonnen Obst vermarktet – zehn Prozent weniger als im Jahr zuvor (278.500 Tonnen). Die Umsätze reduzierten sich um 1,3 Prozent auf 228 Millionen Euro, berichtete der regionale Genossenschaftsverband.
Regionale Einschätzungen vom Bodensee
„Die Vermarktungssituation im Obstbereich war im ersten Halbjahr 2024 geprägt von guten, stabilen Absatzmärkten. „Bedingt durch die kleinere Ernte im Jahr 2023 waren die Lager gut geleert, sodass die Ernte im Jahr 2024 auf eine gute Nachfrage stieß“, erklärte Jürgen Nüssle, Geschäftsführer der Württembergischen Obstgenossenschaft Raiffeisen (WOG). In Kombination mit dem nahezu kompletten Ernteausfall in Ostdeutschland und der kleineren Ernte in Norddeutschland führte dies zu einer guten Nachfrage nach Obst aus Baden-Württemberg im Herbst 2024. Hinzu kam: Der durch Unwetter und Pilzkrankheiten ausgelöste Mangel an Orangensaftkonzentrat führte zu einem deutlich höheren Preis für Mostobst im Herbst 2024. Schwächere Qualitäten konnten so direkt der Verarbeitung (Apfelsaft) zugeführt werden.
Die neue US-Zollpolitik verdeutliche laut Nüssle den unschätzbaren Wert des europäischen Binnenmarkts. Die Europäische Union müsse jetzt fest zusammenhalten, angemessene Gegenmaßnahmen beschließen und sich dennoch weiterhin verhandlungsbereit zeigen. Nüssle: „Durch das zufriedenstellende Jahr 2024 darf man sich aber nicht blenden lassen: Die heimischen Erzeuger sind gegenüber den Wettbewerbern aus dem Ausland durch Personalkosten, Auflagen beim Anbau und Bürokratieerschwernissen deutlich benachteiligt. Hier müssen sich die Bedingungen grundsätzlich verbessern.“
Wachsende Konkurrenz am See
Mengenrückgänge von rund 7 Prozent verzeichnet die genossenschaftliche Gemüsewirtschaft in Baden-Württemberg. Insgesamt wurden rund 118.000 Tonnen zur Vermarktung angeliefert, etwa 9.000 Tonnen weniger als ein Jahr zuvor. Der Umsatz sank um zwei Prozent auf 252 Millionen Euro.
Im Gemüsebereich war die Situation 2024 erneut von mehreren belastenden Faktoren geprägt. „Besonders hervorzuheben ist der zunehmende Wettbewerbsdruck durch preisgünstige Importware, der insbesondere in den Sommermonaten für starken Preisdruck gesorgt hat“, betonte Johannes Bliestle, Geschäftsführer Reichenau-Gemüse. Trotz hoher Qualitätsstandards und großer Anstrengungen der Erzeugerinnen und Erzeuger habe dieser Wettbewerbsdruck in Verbindung mit witterungsbedingten Ertragseinbußen zu einem weiteren Mengenrückgang geführt. Der gesunkene Umsatz spiegelt diese Entwicklung wider. Die Witterungsverhältnisse – unter anderem Starkregen, Hagel und zeitweise Trockenheit – beeinträchtigten die Kulturen in entscheidenden Phasen und führten zu teils deutlichen Ertragseinbußen.
Bliestle: „Insgesamt zeigt sich, dass der Gemüsebau in Baden-Württemberg unter schwierigen Rahmenbedingungen steht. Umso wichtiger ist es, die Wettbewerbsfähigkeit unserer regionalen Erzeugung weiter zu stärken – durch gezielte Förderung, faire Marktbedingungen und eine stärkere Wertschätzung regionaler Produkte durch Handel und Verbraucher.“
Gartenbaugenossenschaften stabil
Die Gartenbaugenossenschaften in Baden-Württemberg spüren ein nach wie vor zurückhaltendes Käuferverhalten. Die Verbraucher haben 2024 eher zu langlebigeren Pflanzen wie Stauden oder grünen Zimmerpflanzen gegriffen und dafür weniger Schnittblumen gekauft. Der Umsatz lag mit 30,4 Millionen Euro leicht über Vorjahresniveau (30,1 Millionen Euro).
„Vorfahrt für regionale Produkte“
„Auch wenn sich die Inflation im Jahresverlauf 2024 etwas abgeschwächt hat, so ist nach wie vor eine generelle, hohe Verunsicherung bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern zu spüren“, betonte Ulrich Theileis. Daher plädiert er dafür, die im Strategiedialog Landwirtschaft erarbeiteten konkreten Maßnahmen und Ziele zum langfristigen Erhalt der Landwirtschaft in Baden-Württemberg nun konsequent zu verfolgen: „Beim Strategiedialog ist es gelungen, dass sich alle relevanten Stakeholder über einen Gesellschaftsvertrag klar zur heimischen Landwirtschaft bekennen. Das beinhaltet: Vorfahrt für regionale Produkte.“ Das produktübergreifende Siegel „Gutes aus deutscher Landwirtschaft“ biete Verbraucherinnen und Verbrauchern eine schnelle und einfache Informationshilfe beim Einkauf. „Unsere heimische Landwirtschaft produziert unter höchsten Standards hochwertige und bezahlbare Lebensmittel. Gerade in einem von Wetterextremen gekennzeichneten Jahr 2024 zeigt sich, mit welch hoher Professionalität und enormem Einsatz die Erzeuger ihrem Versorgungsauftrag nachkommen. Es muss in unser aller Interesse sein, dass ihre Arbeit auskömmlich ist und die Betriebe Perspektive und Zukunft haben“, so Theileis.
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