Anbindeställe: Der Druck wächst
Ob berechtigt oder nicht: Die Anbindehaltung von Rindern gerät zunehmend unter Druck. Zwar strebt der Gesetzgeber derzeit kein konkretes Verbot an, aber es gab bereits Initiativen auf Länderebene, zumindest die ganzjährige Anbindehaltung mit einer Übergangsfrist von zwölf Jahren zu verbieten. Im April 2016 hat der Bundesrat hierzu eine Entschließung gefasst. Dieser ist der Bund jedoch mangels Folgenabschätzung nicht gefolgt. Letztere wird inzwischen erarbeitet, so dass weitere Gesetzesinitiativen zu erwarten sind.
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Der Druck wird allerdings von einer anderen Seite schon heute wirksam. Die großen Firmen des Lebensmitteleinzelhandels versuchen über Nachhaltigkeitsstrategien, ihr Image gegenüber Verbrauchern zu profilieren, um sich dadurch im Wettbewerb besser zu positionieren. In diesen Konzepten spielt das Tierwohl eine große Rolle. Um diesen Ansprüchen gerecht zu wer-den, formulieren immer mehr Molkereien Anforderungen an die Produktionsbedingungen von Milch.
Zahl der Anbindebetriebe geht zurück
In den letzten 20 Jahren hat sich in Deutschland die Anzahl an MLP-Betrieben mit Anbindehaltung um rund 80 Prozent reduziert. Weniger als ein Viertel aller Milchkühe stehen noch in Anbindehaltung. Der Strukturwandel erzielt seine oft zitierte Wirkung. Das hilft den aktiven Milcherzeugern mit Anbindehaltung jedoch nicht unbedingt. In Baden-Württemberg sind es schätzungsweise circa 2500 Milchviehbetriebe (35 Prozent) und rund 50.000 Milchkühe (15 Prozent), die in diesem System gehalten werden. Ungefähr 1600 Betriebe halten ihre Rinder ganzjährig in Anbindehaltung.
Regional gesehen ist der Regierungsbezirk Freiburg besonders im Fokus, denn aufgrund der vorhandenen kleinen Betriebsstrukturen gibt es Landkreise mit über 50 Prozent Anteil Milchviehhalter mit Anbindehaltung. In Bayern liegt der Anteil an Milchviehbetrieben mit Anbindehaltung bei 60 Prozent was etwa 19.000 Betrieben entspricht. Mit über 15.000 Milchviehhaltern wirtschaftet dort fast die Hälfte aller Milchviehbetriebe noch mit ganzjähriger Anbindung. In Österreich und der Schweiz gibt es rund 70 Prozent Anbindehaltungsbetriebe in der Milcherzeugung, jedoch nur drei Prozent können in Österreich ihren Tieren keinen Weidegang oder Auslauf bieten.
Aus verschiedenen Gründen können nicht alle Milchviehhalter mit Anbindehaltung kurz- bis mittelfristig auf Laufstallhaltung umstellen. Auch ist bekannt, dass die Anbindehaltung durchaus Vorteile besitzt, zum Beispiel eine individuelle Fütterung und Tierbetreuung, die Gewöhnung an Fixierung bei Bedarf (Besamung, Behandlung), Ruhephasen und Vermeidung von sozialem Stress für rangniedrige Tiere, weniger Stress im direkten Umgang mit dem Tier (enger Mensch-Tier-Kontakt), nicht zuletzt die Existenzsicherung für landwirtschaftliche Familienbetriebe und den Landschaftserhalt. Eine Stallbauinvestition bei kleineren Beständen ist außerdem häufig betriebswirtschaftlich nur schwer darstellbar. In manchen Regionen kommen zudem Erschwernisse von Seiten des Baurechts und Denkmalschutzes bei Um- und Erweiterungsbauten hinzu.
Verschiedene Strategien
Stark betroffene Molkereien setzen deshalb auf andere Mehrwerte ihrer Milchprodukte wie Weidegang, Regionalität, Herkunft, GVO-Freiheit, Öko- oder bäuerliche Milcherzeugung. Das Stallhaltungssystem wird im Marketing dadurch eher in den Hintergrund gedrängt. Diese Strategie kann vorübergehend zum Erfolg führen. Eine entscheidende Voraussetzung bezüglich der Milcherzeuger ist dafür jedoch, dass die Haltungsbedingungen für die Milchkühe nach außen gut vorzeigbar sind. Und das bedeutet: eine ganzjährige Anbindehaltung, Lang- oder Mittellangstände sowie Kuhtrainer sind im Grunde nicht vertretbar. Elektrische Kuhtrainer sind ohnehin verboten. Aber auch die unmittelbare Umgebung für die Kuh muss tiergerecht sein.
Neben diesen technischen Anforderungen steht uns heutzutage mit den sogenannten tier-bezogenen Indikatoren ein Werkzeug zur Verfügung, um tatsächlich den Nachweis zu füh-ren, dass es den Tieren im jeweiligen Stall gut geht. Nichts spricht eine deutlichere Sprache als saubere, gesunde Tiere ohne Technopathien, denen ein weitgehend artgerechtes Ver-halten möglich ist. Damit kann man gegenüber Verbraucher und Molkerei punkten. Diese Möglichkeit ist eine Chance, der zum Teil berechtigten Kritik offensiv entgegenzutreten.
Mittel- bis langfristig wird jedoch die Option Umstellung auf Laufstall ernsthaft geprüft werden müssen.
Die Molkerei Berchtesgadener Land setzt zum Beispiel über Milchpreiszu-schläge für Weidegang, Auslauf und Laufstallhaltung gezielt Anreize, um die Milcherzeu-ger in die gewünschte Richtung zu bewegen. Von den beiden erstgenannten Zuschlägen können auch Anbindebetriebe profitieren.
Mittel- bis langfristig Laufstall
Um den Schritt zum Laufstall überschaubar zu gestalten, bieten sich verschiedene Entwicklungsstufen im System an. Denkbar wäre zum Beispiel, dass zunächst ein Laufhof für den zeitweisen Auslauf der angebundenen Kühe eingerichtet wird. Dieser kann nach Ergänzung um einen Melkstand als Warteraum fungieren und letztlich um Liegeboxen ergänzt werden, während die Tiere im alten Anbindestall ihren Fressplatz haben.
So wächst der Laufstall in kleinen Abschnitten organisch, wenn es der Standort erlaubt. Ein einfacheres Konzept wäre die Beibehaltung des Melkens und Fressens im Anbindestall mit der Ergänzung des Gebäudes um Liegeplätze. Automatische Fütterungssysteme und Futterbänder ermöglichen heutzutage meistens die Weiternutzung des alten Futtertisches, auch wenn diese schmal sind oder sein sollen, um Platz für den Standplatz der Tiere beim Fressen zu schaffen.
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