Mehr Platz für die „Königinnen“ in der Herde
Behornte Kühe im Laufstall? Geht das, ohne dass Mensch und Tier Gefahr laufen, sich immer wieder zu verletzen? Aufschluss darüber soll ein Forschungsprojekt von Bioverbänden geben. Noch läuft die bundesweite Datenerhebung, doch eines steht bereits jetzt fest: Knackpunkte sind Fressplätze und Wartebereich. Hier sollten sich die Kühe ausweichen können. Ansonsten scheint das Unterfangen nicht unmöglich zu sein. Vorausgesetzt, man lässt sich vorurteilsfrei darauf ein.
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Dürfen Kühe ihre Hörner behalten oder müssen die Wiederkäuer enthornt werden? Eine Frage, die Rinderhalter seit jeher umtreibt. Biolandwirte ganz besonders. Allen voran Milchviehhalter, die sich dem Demeter-Verband angeschlossen haben. Denn beim ältesten deutschen Bioverband ist es generell verboten, Kühe zu enthornen. Bei Bioland sind dagegen Ausnahmeregelungen möglich. Doch auch konventionelle Milchviehhalter treibt das Thema um. Sei es, weil sie ihren Betrieb von der Anbinde- zur Laufstallhaltung weiterentwickeln, den Hof umstellen wollen oder ganz grundsätzlich über das schon jetzt Cross Compliance (CC) relevante, schonende Enthornen ihrer Jungtiere nachdenken. Die vorherrschende Lehrmeinung, die Hornanlagen von Laufstallkühen zu veröden oder gleich auf genetisch hornlose Tiere zu setzen, scheint inzwischen nicht mehr selbstredend zu sein.
„Das Thema bewegt die Milchviehhalter“, macht denn auch Ulrich Mück, Demeter-Berater, auf einer Praktikertagung im Rahmen der Tagungsreihe „Horntragende Kühe im Laufstall – so gehts“ vorvergangene Woche im Landwirtschaftlichen Zentrum (LAZBW) in Aulendorf (Landkreis Ravensburg) deutlich. Vorausgegangen war der Tagung ein 2015 gestartetes und mittlerweile auf drei Jahre angelegtes Forschungsprojekt der Universität Kassel, dem Demeter- und Bioland-Verband. Gefördert wurde die Studie im Bundesprogramm Ökologischer Landbau (BÖLN). 39 Ökomilchviehbetriebe mit im Schnitt 13 bis 135 Kühen beteiligten sich an der Datenerhebung.
Für das Projekt wurden die Tiere auf Schäden (haarlose Stellen, Kratzer, Wunden) untersucht, ihr Verhalten im Zusammenhang mit Auseinandersetzungen erfasst, Haltung und Management der Herden dokumentiert. Die ersten Ergebnisse lassen aufhorchen. „Sackgassen spielen anscheinend kaum eine Rolle“, zieht Mück eine erste Zwischenbilanz. Hier sei es entgegen der weitverbreiteten Annahme nicht zu mehr Konflikten unter den Kühen in den begutachteten Laufstallherden gekommen. Hinzu kommen die folgenden Einflussfaktoren:
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Haltungsbedingungen (Stallbereiche, Dimensionierung, Einrichtung),
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Herdenmanagement (Integration neuer Rinder, Abläufe, Umgang mit den Tieren),
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Herdenführung in Bezug auf eine stabile Rangordnung in der Herde (Fütterung, Situation der Tiere untereinander, Tränkezugang, ruhige Liegeplätze).
So verhalten sich Kühe laut der Studie an ihren Fressplätzen ruhiger, wenn sie mit Heu gefüttert werden. Kühe, die regelmäßig auf die Weide ausgetrieben werden, weisen zudem weniger Verletzungen durch Hornstöße auf, als wenn sie beispielsweise im Winter nur unregelmäßigen Auslauf haben.
Warten fördert Rangeleien
Das Zusammenspiel aller Faktoren erhöht den Erfolg für die Haltung horntragender Kühe im Laufstall. Dem Betriebsleiter kommt eine entscheidende Rolle zu“, schlussfolgert Mück. Eine Maßnahme allein reiche jedoch nicht aus und Patenrezepte sind Mangelware. Auf jeden Fall muss den Tieren genügend Platz bereitgestellt werden. Das betrifft vor allem die Fressplätze und den Wartebereich. „Dort steigt das Verletzungsrisiko. Ranghöhere Kühe wollen rangniederen Artgenossinnen das Futter streitig machen. Und: Kühe warten nicht gerne, sie wollen fressen“, erklärt der Demeter-Berater.
Peter Bloching ist einer der 39 Projektbetriebe, die an dem bundesweiten Forschungsprojekt teilnehmen. Mit seiner Frau Heike bewirtschaftet der Landwirt einen Bioland-Laufstallbetrieb mit 60 Fleckviehkühen. 70 Prozent der Kühe sind behornt. Seit der Umstellung vor acht Jahren enthornen sie die Kälber auf dem Hof in Uigendorf, unweit von Riedlingen (Landkreis Biberach), nicht mehr. „Wir wollen mit unseren Tieren ganzheitlich in der Natur arbeiten“, erläutert der oberschwäbische Milchviehhalter die Motive von sich und seiner Familie. Dazu passe es nicht, wenn man den Tieren die Hörner nimmt. Ganz abgesehen von den Tierschutz-Diskussionen, denen er und seine Frau zuvorkommen wollten, wie er auf der Tagung darlegt.
Ein Stall, der zu den Kühen passt
„Anfangs hatten wir viele Kühe mit Striemen. Das ist mittlerweile besser, seit wir umgebaut und die Kühe mehr Platz haben“, erinnert sich Bloching an den Start der behornten Herde. Entscheidend sei es, den knappen Faktor im Stall zu kennen. Gibt es zu wenig Liegeplätze? Fehlt es an Fressplätzen? „Eine Überbelegung geht gar nicht“, macht der Bioland-Landwirt deutlich.
Die Kühe müssen sich ohne Stress hinlegen und in Ruhe fressen können, ist er überzeugt. Damit das Melken ohne Schieben und Rammen auskommt, sei es wichtig, die Tiere zügig zu melken, so dass sie danach schnell zum Fressen kommen. Rangeleien im Wartebereich verhindert ein vergrößertes Platzangebot.
Wenn die Kühe im Sommer auf der Weide gemolken werden, unterbindet ein neugestalteter Kopfbereich das gegenseitige Anschubsen. Bewährt habe sich zudem, die Kühe in dem Liegeboxenlaufstall phasenweise laufen zu lassen beziehungsweise zu fixieren. „Ein Drittel der Kühe läuft, ein Drittel frisst und säuft, ein Drittel der Tiere liegt in den Liegeboxen“, beschreibt Bloching das von ihm und seiner Frau ausgetüftelte Management der horntragenden Tiere. „Erziehung ist das A und O“, sagt und erlebt der Landwirt.
Intensive Betreuung und mehr Platz als üblich
Ganz ähnliche Erfahrungen macht Johann Ellenrieder, der in Ustersbach in der Nähe von Augsburg einen Biolandbetrieb bewirtschaftet. Seit nunmehr 30 Jahren. „Woher nehmen wir uns das Recht, die Hörner der Kühe zu entfernen?“, habe er sich gefragt und nach einer Antwort gesucht, wie sich der Eingriff an den Tieren vermeiden lässt. Auch Ellenrieder nimmt an dem Projekt „Horntragende Kühe im Laufstall“ teil.
Der 50-jährige Fleckviehzüchter setzt auf mehr Platz in dem Liegeboxenlaufstall, auf den regelmäßigen Austrieb der Kühe auf die Weide und, wie sein Kollege Bloching auf Fangfressgitter, um die Tiere während der Futteraufnahme zu fixieren. „Natürlich gibt es trotzdem Phasen, da läuft es nicht so gut“, räumt er ein. Beispielsweise dann, wenn junge Kühe in die Herde integriert werden müssen. „Dagegen verhalten sich die Tiere umso ruhiger, je älter sie sind.“
Erfolg versprechen für Ellenrieder die folgenden Maßnahmen:
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Würdevoller und ruhiger Umgang mit der Herde.
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Ein großzügig dimensionierter Wartebereich.
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Schnelles Melken.
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Mehr Absperrgitter als üblich.
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Mehr Liegeboxen als Tiere.
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Ständig frisches Futter.
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Hohe Ansprüche ans eigene Management.
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