Geben Sie einen Suchbegriff ein
oder nutzen Sie einen Webcode aus dem Magazin.

Geben Sie einen Begriff oder Webcode ein und klicken Sie auf Suchen.
Lichtmesstagung 2023

Neues Selbstverständnis

Das Erzeugen von Nahrungsmitteln, die Energiewirtschaft, der Klima- und Artenschutz: Die Aufgaben der Landwirtinnen und Landwirte sind vielfältig. Wie man diesen Herausforderungen im Kreis Reutlingen begegnet, wurde auf der Lichtmesstagung in St. Johann-Würtingen vorgestellt. Eingeladen hatte der Kreisbauernverband Reutlingen. Das Hauptreferat „Der Zukunftsbauer – Zurück in die Mitte der Gesellschaft – hielt Professor Matthias Kussin von der Hochschule Osnabrück.

Veröffentlicht am
/ Artikel kommentieren
Volle Halle bei der Lichtmesstagung vom KBV Reutlingen am 1. Februar in Würtingen. Das Bild zeigt vorne den Vorsitzenden Gebhard Aierstock (2.v.l) und Geschäftsführer Thomas Pfeifle (rechts), dahinter Landrat Dr. Ulrich Fiedler (links), Michael Donth MdB CDU (3.v.r.) sowie Elke Weidinger (2.v.r.), Leiterin des Landwirtschaftsamts Münsingen.
Volle Halle bei der Lichtmesstagung vom KBV Reutlingen am 1. Februar in Würtingen. Das Bild zeigt vorne den Vorsitzenden Gebhard Aierstock (2.v.l) und Geschäftsführer Thomas Pfeifle (rechts), dahinter Landrat Dr. Ulrich Fiedler (links), Michael Donth MdB CDU (3.v.r.) sowie Elke Weidinger (2.v.r.), Leiterin des Landwirtschaftsamts Münsingen.Borlinghaus
Artikel teilen:

„Zeitenwende ist das Wort des Jahres 2022. Und tatsächlich leben wir in einer Zeit mit enormen Veränderungen und Herausforderungen,“ so der KBV-Vorsitzende Gebhard Aierstock am 1. Februar in der gut gefüllten Gemeindehalle in Würtingen. Als Stichworte nannte er die überbordende Bürokratie, den Fachkräftemangel, die Inflation, die Zinswende, das geringe Wirtschaftswachstum sowie die Abhängigkeiten von teuren Energieimporten. Um mit der Zeit zu gehen, wird das landwirtschaftliche Tun ständig hinterfragt. Die richtige Abstimmung der Sorten, der Pflanzenschutz, die Düngung der Kulturen: Auf den landwirtschaftlichen Versuchsfeldern im Kreis zum Beispiel werde die Komplexität des Agrarbereichs mit all seinen Facetten gut deutlich. Dabei handelt es sich um ein Zusammenspiel, dessen Kompliziertheit Außenstehenden in der Regel nicht annährend bewusst ist. „Wir entwickeln unsere Bewirtschaftungsmethoden kontinuierlich weiter, hinterfragen Anbau- und Haltungssysteme und werfen einen kritischen Blick auf die Auswahl unserer Kulturen“, so Aierstock.

Komplexität und Vielfalt

Komplexität und Vielfalt der Landwirtschaft zogen sich wie ein roter Faden durch die Tagung. Immer komplizierter zum Beispiel werden die Regelungen der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP). Das Auflagenniveau steigt, bei gleichzeitig sinkenden Direktzahlungen. Dafür wird die Kontrolle optimiert. „Alle zehn Tage werden unsere Flächen überflogen. Selbst gut informierte Betriebe kommen mit dem Übermaß an Bürokratie nicht mehr klar“, meinte Aierstock. Auf der Geschäftsstelle des Kreisverbandes nimmt der Beratungsbedarf entsprechend der vielen Auflagen und Regelungen deutlich zu, wie Geschäftsführer Thomas Pfeifle berichten konnte. Dauerthema ist weiterhin die Düngereform. Aierstock kritisierte die Vorgehensweise bei der Kartierung der Roten Gebiete, für die betroffenen Betriebe gebe es erhebliche Einschränkungen im Pflanzenbau. Zudem müssten Betriebe ab 20 Hektar ab diesem Jahr eine Stoffstrombilanz erstellen. „Bei den derzeitigen Düngerpreisen kann sich keiner eine Luxusdüngung leisten, da frage ich mich schon, inwieweit so eine Bilanz überhaupt Sinn macht“.

Erzeugerpreise weiter unter Druck

Trotz einem Rückgang der Weltmarktpreise für Agrarrohstoffe machen Lebensmittelverarbeiter und -hersteller in Deutschland ihren Kunden wenig Hoffnung auf sinkende Preise. Gleichwohl hat Aldi zum Beispiel den Butterpreis ab 1. Februar auf 1,59 Euro für das 250-g-Päckchen zurückgenommen. Und auch bei Getreideprodukten könnten die Preise ebenfalls fallen, befürchtet Aierstock. Unterm Strich geraten besonders die Erzeugerpreise wieder einmal mehr unter Druck. Vor allem in der Tierhaltung gibt es weiter jede Menge Unsicherheiten. Auch der Ausbau der Bioproduktion bleibe weit hinter den Erwartungen zurück, was gerade auch viele Bio-Betriebe und Direktvermarkter im Biosphärengebiet zu spüren bekämen. Bio- und Premiumware bleibe derzeit häufig im Regal liegen, weil sich Verbraucher dagegen entscheiden.

Engagement für die Nachwuchskräfte

„Nur wenn unsere jungen Landwirte Perspektiven haben, hat die Landwirtschaft hierzulande eine Zukunft“, ist Aierstock überzeugt. Als Vorsitzender des Bildungsausschusses im Landesbauerverband setzt sich Aierstock unter anderen auch für eine gute Ausstattung der Berufsschulen ein. „Der Wettbewerb um Auszubildende ist enorm groß. Da müssen wir uns als Landwirtschaft gut aufstellen.“ Falls die jungen Betriebsleiter nicht mehr investieren können, werden immer mehr Betriebe aufhören, so die Gefahr. Ein Problem sei, dass der Umbau der Tierhaltung nicht vorankommt, weil man sich in Berlin nicht auf die Finanzierung einigen könne. Wer an überzogenen Standards festhalte, betreibe Symbolpolitik zum Schaden von Menschen und Tieren, so Aierstock.

Regionale Schlachtung vor dem Aus

Regionale Erzeugung- und Verarbeitungsstrukturen zu erhalten, werde auch im Kreis immer schwieriger. Beispielhaft dafür stehe die Schlachthofschließung in Metzingen, für dessen Erhalt sich der Kreisverband Jahre lang eingesetzt hatte. „Sämtliche Lösungsansätze für eine Neukonzeption fanden bis heute keine breite Unterstützung“, berichtete Pfeile. Aktuell laufen weitere Befragungen bei den Metzgereien. Der Kreisverband unterstützt und begleitet diese Initiativen für eine regionale Schlachtstätte.

Ausblick auf 2023

Im Kreis wird derzeit mit den Gemeinden über eine Erweiterung des Biosphärengebietes diskutiert. Für die Landwirtschaft kann das Einschränkungen nach sich ziehen. „Da gibt es noch einiges zu diskutieren, was geht und was nicht geht“, so Aierstock. Insgesamt sieht Aierstock die Entwicklung der Landwirtschaft im Biosphärengebiet positiv, weil sich immer wieder jede Menge interessante Möglichkeiten bieten, die man sich aber jedes Mal auf‘s Neue erarbeiten müsste. Ähnlich sieht er es bei der Bereitstellung von Flächen für PV- und Windkraftanlagen. Hier müsse man im Einzelfall genau hinschauen und die Projekte behutsam gemeinsam mit den Gemeinden vorantreiben – so, dass möglichst wenig fruchtbare Ackerböden verloren gehen.

Die Vielfalt – eine besondere Herausforderung

Im Gegensatz zur Industrie ist Vielfalt charakteristisch für die Landwirtschaft, findet Professor Matthias Kussin, Medien- und CSR-Kommunikation, von der Hochschule Osnabrück. Entsprechend dieser Vielfalt sei es schwierig, für die Landwirtschaft ein klares Zukunftsbild zu zeichnen, mit dem sich alle identifizieren können. Kussin hielt seinen Vortrag in Form einer Gesprächsrunde gemeinsam mit sechs jungen Landwirtinnen und Landwirten. Über das vom Deutschen Bauernverband initiierte Projekt „Zukunftsbauer“ möchte man die Kommunikation auf jedem einzelnen Hof sowie auf allen Ebenen der Verbandsarbeit anschieben, um so zu einem neuen gemeinsamen Selbstverständnis zu finden. Fest steht: Die eine Landwirtschaft gibt es nicht. Je nach Region sind die Betriebe unterschiedlich aufgestellt, genauso wie jede Landwirtin und jeder Landwirt seine eigene Sichtweise hat.

Stimmen aus der Praxis

Jungbäuerin Elisabeth Köckert zum Beispiel denkt bei Landwirtschaft vor allem an Tiere. Sie arbeitet gerne mit Tieren, sagt sie, und möchte sich in tiergestützte Therapie und Erlebnispädagogik weiterbilden. Ihr Ziel ist es, etwas zu bewirken, in dem sie ihren Kunden etwas Positives über Landwirtschaft mit auf den Weg gibt.

„Draußen arbeiten mit Tieren und mit Technik“, das begeistert Junglandwirt Jonas Weiss, der aller Widerstände zum Trotz in die Landwirtschaft einsteigen möchte und in der Herstellung von Lebensmitteln eine wichtige Aufgabe sieht. Viele in seinem Umfeld sagen: „Was, Du machst Bauer! Aber ich stehe dazu“, sagt Weiss über seine Beweggründe. Für ihn sei „Learning by Doing“ das A und O. Von Praktikas und der Zusammenarbeit mit Schulen verspricht er sich viel.

Jakob Klein sieht es als Stärke an, dass die Landwirtschaft aus vielen verschiedenen Bereichen besteht, die sich untereinander ergänzen. Dazu gehört für ihn aber auch, dass man sich intensiv mit den Arbeitsbereichen auseinandersetzt. Allein das fachgerechte Ausbringen von Gülle sei heutzutage alles andere als trivial, findet Klein. Viele in seinem Umfeld zeigten sich überrascht, wie viel Wissen für die praktische Landwirtschaft erforderlich sei.Umso wichtiger ist es für ihn, dass im öffentlichen Diskurs Praktiker zu Wort kommen. Anstatt, wie unlängst geschehen, dass Schauspieler wie Sky du Mont in einer Diskussionsrunde auftreten und mit ihren Aussagen zur Tierhaltung bundesweit eine breite Welle der Empörung auslösen. „Wenn solche „Experten“ meinen, sie müssten die Tierhaltung erklären, ist das katastrophal,“ findet Klein. Er sagt: „Was hier innerhalb von einer halben Stunde an gutem Ruf für den Berufsstand kaputtgemacht wird, kann nur schwer wieder gut gemacht werden.“ Vielleicht motivieren solche Entgleisungen jüngere Landwirte über die sozialen Medien mehr Aufklärungsarbeit zu leisten, hofft Klein. Wichtig ist für ihn, dass nicht nur Bilder in die digitalen Kanäle hochgeladen werden, sondern auch mal ein fachlicher Beitrag gepostet wird, um zu zeigen, dass man ganz nah dran ist am Tier, an der Pflanze und am Boden.

Auch Andreas Kloker versucht die kleinen Strukturen und die oftmals verschiedenen Geschäftsfelder der Betriebe als Stärke zu sehen. „Die einen machen in einen Verbund auf Landschaftspflege mit Ziegen oder Schafen, die anderen setzen auf Heumilch. Wir haben bereits viele Zukunftsbauern im Verband“, freut sich Kloker. Viele Betriebe diversifizieren sich, es gibt aber auch welche, die ihren konventionellen Weg konsequent weitergehen. Laut Kloker habe man es in der Vergangenheit vielfach versäumt, die Gesellschaft genügend mitzunehmen. Das müsse jetzt nachgeholt werden und dazu sei jeder Einzelne aufgerufen, mitzumachen. Kloker erinnerte daran, dass vor dem russischen Angriffskrieg kaum einer von Ernährungssicherheit gesprochen hat. Heute hat diese Kernaufgabe der Landwirtschaft wieder einen hohen Stellenwert. Um das Bild der Landwirtschaft in der Öffentlichkeit zu verbessern müssten alle aktiv werden und sich zu Wort melden, und dabei wenn nötig auch mal laut werden.

„Die Menschen, die bei uns auf den Betrieb kommen sind in der Regel sehr interessiert und offen“, erlebt Lukas Münch. Für ihn ist es teilweise schon erschreckend, wie wenig viele Besucher über Landwirtschaft wissen, er freut sich aber sehr über deren Nachfrage und das Interesse. Melanie Sautter-Bazlen bewirtschaftet einen Betrieb, bei dem auch eine Pensionspferdehaltung und eine Brennerei dabei sind und hat deshalb vergleichsweise viel Kundenkontakt. Sie sagt, dass speziell diese Kunden eher nah an der Landwirtschaft dran sind und deshalb über recht gute Kenntnisse verfügen. Die Junglandwirtin, die zwei Ausbildungen und den Meister gemacht und dafür rund neun Jahre investiert hat, erinnerte daran, wie gut junge Landwirte heutzutage ausgebildet sind. „Man darf nicht unterschätzen, was da alles dahintersteckt“, findet sie.

Wertschätzen und überzeugen

„Wenn Ernährungssicherung nicht ausschließlich das ist, was die Gesellschaft von der Landwirtschaft erwartet, dann muss ich umdenken und mein Selbstbild als Ernährer relativieren“, sagt Kussin. Wichtig sei, mit Bürgerinnen und Bürgern im Gespräch zu bleiben, um Impulse aufzunehmen und mitzureden. Im Biosphärengebiet Schwäbische Alb sei man in diesem Punkt schon sehr weit, findet Kussin. Alles, was technisch und ökonomisch an Neuem kommt, müsse durch eine Kultur und durch eine gute Kommunikation begleitet werden. Das führe zu einer Veränderung im Denken und im Selbstverständnis. Dazu gehöre auch, offen über Fehler zu sprechen, um daraus zu lernen. Entsprechend ist der Zukunftsbauer seiner Einschätzung nach emphatisch, holistisch (ganzheitlich) und ökologisch. Er ist Unternehmer und Dienstleister, der aktiv gestaltet und als Problemlöser auftritt. Zum Beispiel: „Wenn der Kunde uns für Naturschutz bezahlt, dann machen wir das, wollen aber am Ende auch Rechnungen schreiben“, so Kussin.

Mehr zum Thema:
0 Kommentare
Was denken Sie? Artikel kommentieren

Zu diesem Artikel liegen noch keine Kommentare vor.
Schreiben Sie den ersten Kommentar.

Artikel kommentieren
Was denken Sie? Artikel kommentieren
Ort ändern

Geben Sie die Postleitzahl Ihres Orts ein.

HTTP/1.1 500 Access violation at address 036B850F. Write of address 036B850F Server: Microsoft-IIS/10.0 Date: Thu, 03 Jul 2025 20:34:11 GMT Connection: close Content-Type: text/html Content-Length: 206 Internal Server Error 500

Internal Server Error 500


Exception: EAccessViolation
Message: Access violation at address 036B850F. Write of address 036B850F