"Wir haben die Entwicklung der Wolfspopulation im Blick"
Das bisherige Schutzkonzept vor möglichen Wolfsangriffen wird erweitert. Das Land hat unter Mitwirkung von Rinderhaltern und Landnutzungsverbänden nun ein Konzept mit mehreren Maßnahmen vorgelegt, das künftig den zumutbaren Herdenschutz bei Rindern konkretisiert. Darin festgelegt ist eine genaue Schwelle für Rinder-Risse, ab der ein sogenannter „schadstiftender Wolf“ entnommen werden kann.
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Begleitet wird das Konzept durch ein Pilotprojekt des Badischen Landwirtschaftlichen Hauptverbandes BLHV, das der Verband mit den Kooperationspartnern Naturpark Südschwarzwald und Erzeugergemeinschaft Bio-Weiderind gestern (29. März) bei einer Veranstaltung in St. Märgen vorgestellt hat. Die gewonnenen Erfahrungen dienen dazu, das Herdenschutzkonzept und die Hilfen kontinuierlich weiterzuentwickeln.
„Ich weiß Ihr großes Engagement zu schätzen. Mir ist sehr bewusst, dass Wolf und Beweidung zahlreiche Herausforderungen bedeuten. Das beste Mittel ist ein wirksamer Herdenschutz. Deshalb ist es mir wichtig, dass nicht nur die Schaf- und Ziegenhaltung, sondern auch Betriebe mit Rinderhaltung verlässlich unterstützt werden - durch Beratung, aber auch finanziell. Denn anders sind Herdenschutzmaßnahmen für viele Betriebe nicht umsetzbar. Ich kann Ihnen versichern: Wir haben einen genauen Blick auf die Entwicklung der Wolfspopulation in Baden-Württemberg. Und wir werden weiterhin konsequent daran arbeiten, gute Lösungen für die Betriebe der Weidetierhaltenden anbieten zu können“, dankte Umweltministerin Thekla Walker allen Beteiligten bei der Pressekonferenz.
Im Südschwarzwald war kürzlich eine erste Wölfin, eine sogenannte Fähe nachgewiesen worden. Es sei deshalb davon auszugehen, dass sich schon in diesem Frühjahr ein erstes Wolfsrudel bilden werde. Dies, sowie mehrere Rinderrisse durch den "Wolf GW1129m" im Spätsommer 2022, seien der Anlass für die Weiterentwicklung des bisherigen Schutzkonzeptes gewesen. Rinder sind - im Vergleich zu Schafen und Ziegen - seltener von Übergriffen durch Wölfe betroffen. Im bundesweiten Durchschnitt handelt es sich hierbei überwiegend um junge Kälber unter acht Wochen, doch stelle der Wolf "GW1129m" hier offensichtlich eine Ausnahme dar.
Herdenschutz muss zumutbar sein
„Wir sind derzeit dabei, Lösungen für den großflächigen Herdenschutz bei Rindern zu finden. Im Schwarzwald haben wir mit schwierigen topografischen Gegebenheiten zu kämpfen und müssen zudem die Anforderungen von Erholungssuchenden und Touristen berücksichtigen. Gleichzeitig haben die Tierhalter keine freie Arbeitskapazität, um Herdenschutzmaßnahmen ohne Unterstützung umzusetzen. Dies macht allen Beteiligten deutlich, dass Lösungen an die Entwicklungen des Wolfbestandes angepasst werden müssen“, erklärte BLHV-Präsident Bernhard Bolkart. Ergänzend fügte er an: „Auch wenn Wolfsrisse bei älteren Rindern selten sind, ist ein Riss für die betroffene Tierhalterfamilie immer ein riesiger seelischer Ausnahmezustand.“
„Es ist klar, dass es eine Schwelle dessen gibt, was wir den Tierhaltern zumuten können“, betonte Ministerin Walker. Dementsprechend sei stets abzuwägen, welcher Herdenschutz den Tierhaltern zuzumuten ist. Das Umweltministerium habe daher im engen Austausch mit dem BLHV, der Erzeugergemeinschaft Schwarzwald Bio-Weiderind und dem Arbeitskreis Weidewirtschaft und Wolf Münstertal einen ersten Aufschlag für geeignete präventive Herdenschutzmaßnahmen für Rinder vorgelegt, der auch definiert, welche Maßnahmen in welcher Situation als zumutbar gelten. Dieses Konzept wurde der Arbeitsgemeinschaft Luchs und Wolf bereits vorgestellt.
Wichtig dabei: Es gibt nicht den einen „Standardschutz“ für alle. Die Betriebe können vielmehr unter verschiedenen Maßnahmen diejenige auswählen, die am besten in das bestehende Beweidungskonzept integriert werden können. Und, auch das betont das Konzept: Kommt es trotz Umsetzung von Mindestmaßnahmen mehrfach zu Rissen an Rindern, so strebt das Land die Entnahme des schadstiftenden Wolfes an.
Zumutbare Schutzmaßnahmen für Kälber und Rinder
Bei Kälbern bis einschließlich acht Wochen gelte nach wie vor ein wolfsabweisender Schutz in Form von wolfsabweisenden Zäunen als regelmäßig zumutbar, ebenso wie tagsüber Behirtung und nächtliche Unterbringung im Stall oder ein Schutz durch Herdenschutzhunde. Das Risiko eines Angriffs auf junge Kälber sei im Verhältnis hoch, weshalb hier auch die Ansprüche an die Schutzmaßnahmen höher sind.
Bei Tieren älter als acht Wochen sei das Risiko eines Angriffs deutlich geringer. Für diese Tiere werden weniger aufwendige Maßnahmen als zumutbar definiert. Regelmäßig zumutbar ist danach eine Kombination von möglichst kompakter Weideführung mit entweder erfahrenen Alttieren beziehungsweise Muttertieren, Lamas oder mit visuell abschreckenden und elektrifizierten Zäunen (sogenannte Turbo-Fladry). Die tatsächlichen Maßnahmen variieren dabei je nach Betrieb und örtlichen Gegebenheiten.
Entnahme eines schadstiftenden Wolfes
Genau definiert ist nun auch bei Rindern, wann ein schadstiftender Wolf entnommen wird: Sollte ein Wolf die zumutbaren Schutzmaßnahmen mindestens zweimal in engem zeitlichem und räumlichem Abstand überwinden, nutzt das Umweltministerium seine rechtlichen Handlungsspielräume (Paragraf 45 Absatz 7, Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG)). Ein spezialisiertes und jederzeit einsetzbares Entnahmeteam führt die letale Entnahme des Wolfes durch. Die Jägerschaft wird mit einbezogen, sofern sie dies möchte.
Förderung und Entschädigung
Wichtig zu beachten: Die Maßnahmenempfehlung ist betriebsspezifisch. Das Land stellt eine kostenlose Herdenschutzberatung zur Verfügung. Das Land fördert - wie bei Schafen und Ziegen - auch bei Rindern innerhalb der Förderkulissen Wolfsprävention die Investitionen in den zumutbaren Herdenschutz sowie den Mehraufwand bei der Weideführung. Bei der Integration von Tieren zum Schutz der Herde wie Herdenschutzhunde übernimmt das Land pauschal Kosten für den Unterhalt. Im Falle eines Risses bei Rindern erfolgt wie bisher die Erstattung.
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