Özdemir steht Obstbauern zur Seite
Mit dem Appell an die Verbraucher, mehr regionale Produkte einzukaufen und der Zusage, sich für mehr Fairness im Wettbewerb am Markt einzusetzen, hat sich Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir bei seiner Ansprache auf der Fruchtwelt Bodensee an die Seite der Obstbauern gestellt. Der Besuch des Ministers wurde von einem massiven Polizeiaufgebot begleitet. Doch es blieb alles ruhig. Lediglich ein knappes Dutzend Demonstranten reckten ihre Schilder beim Rundgang durch die Hallen in die Höhe.
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Die stummen Protestanten wandten sich gegen Flächenfraß, plädierten für einen fairen Dialog mit dem Handel oder richteten sich an die Medien mit ihrem Appel für mehr Meinungsvielfalt. Frontalangriffe an die Politik oder die Bundesregierung waren nicht zu lesen und es gab auch keine lautstarken Äußerungen. Bei seinem Rundgang durch die Hallen erlebte die Messe einen gut gelaunten und wissbegierigen Minister, der sich für neue Forschungsprojekte ebenso interessierte wie für die Anliegen der Brenner oder die Fragen zu den Vergütungssätzen bei der Agri-PV.
Landwirtschaft über Gebühr belastet
Bei seiner anschließenden Ansprache ging der Minister auf die Herausforderungen im Obstbau ein und streifte auch die derzeitige Protestwelle der Landwirte. „Ja, es war falsch, dass die Bundesregierung ohne vorherige Absprache die Kfz-Steuerbefreiung aufzuheben und den Agrardiesel abzuschaffen“, räumte er unumwunden ein. Damit sei die Landwirtschaft über Gebühr belastet worden und dies bei einer Branche, die ihre CO2-Einsparungen erbracht habe. Die Korrekturen an den Plänen aber seine wenigstens etwas. Mittlerweile richte sich der Protest aber nicht mehr nur gegen den Agrardiese, sondern gegen alles, was in den letzten Jahren liegen geblieben sei.
Mit Bezug auf die Vorfälle in Biberach nahm Özdemir die Landwirte in Schutz. „Das waren nicht die Landwirte. Das waren Trittbrettfahrer. Die deutsche Landwirtschaft macht das zivilisiert“, erklärte er unter dem Applaus des Publikums, das die Stuhlreihen vor der Bühne komplett füllte.
Özdemir setzt auf Agri-PV
Bei den Energiekosten, die den Obstbau stark belasteten, werde die Absenkung der Stromsteuer helfen. Beim nötigen Ausbau der erneuerbaren Energien plädierte er für Agri-PV, statt der Installation auf Freiflächen, die die Konkurrenz um wertvollen Ackerboden nur weiter antrieben. Er schlug vor, eine Auswertung zu machen, um zu sehen, an welchen Punkten es bei Agri-PV nach der nun beschlossenen Privilegierung noch klemme. Zuvor hatte der Maschinenring Tettnang den Rundgang bereits genutzt, um den Minister auf die nötige Stromvergütung in Höhe von 9,5 Cent/Kwh aufmerksam zu machen. Diese ist zwar in der EEG-Novelle vorgesehen, steht derzeit aber beim Koalitionspartner FDP noch in der Kritik.
Ferner will sich der Bundeslandwirtschaftsminister auch für fairere Wettbewerbsbedingungen einsetzen. Mit der nun verpflichtenden Kennzeichnung könnten nun auch Fruchtsäfte und Trockenfrüchte mit ihrem Ursprungsland gekennzeichnet werden. Gegen unlautere Praktiken helfe das Lieferkettengesetz insbesondere bei verspäteten Kaufpreiszahlungen. Hier belegten Auswertungen, dass bereits Verbesserungen erreicht wurden, die aber noch nicht ausreichten.
Neue GAP muss unbürokratischer werden
Auch in puncto Bürokratieabbau machte Özdemir den Landwirten Hoffnung. Ganz ohne Kontrollen und Dokumentationspflichten werde es zwar nicht gehen, doch die derzeit in Brüssel bereits laufenden Gespräche zu den Regeln der nächsten GAP müssten landwirtschaftsfreundlicher und praxisnaher werden.
Als weiteres Negativbeispiel verwies er auf die nun von der EU-Kommission eingestampfte SUR-Regelung. Das Ziel, eines nachhaltigen Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln sei zwar grundsätzlich richtig, aber die Umsetzung hätte dazu geführt, dass ein Obstbau nicht mehr möglich gewesen wäre. Sollte es zu einer neuerlichen Auflage komme, habe er die Bitte an Brüssel, das Rad nicht neu zu erfinden, sondern das baden-württembergische Biodiversitätsstärkungsgesetz als Blaupause zu verwenden.
Was neue Züchtungstechniken betrifft, plädierte der Bundeslandwirtschaftsminister dafür die Frage der Koexistenz und der Patente zu klären. Dann lasse sich für die neue Gentechnik ein guter Weg der Mitte finden.
Wettbewerbsverzerrungen durch Mindestlohngefälle
Bereits eingangs der Ansprache hatte Thomas Heilig, einer der beiden Vorsitzenden der Obstregion Bodensee, von einem guten Austausch in einem einstündigen Gespräch mit dem Minister berichtet. Thematisiert wurde dabei der unterschiedliche Mindestlohn in Europa, der massive Wettbewerbsverzerrungen zur Folge hat. Ein Lohnunterschied von sieben Euro für Erntehelfer im Vergleich zu Spanien verteure beispielsweise die Erdbeerproduktion um 20.000 bis 25.000 Euro pro Hektar, führte Heilig ein Beispiel ins Feld und plädierte für einen Nettolohn, bei dem die Sozialversicherungsbeiträge herausgerechnet werden. „Zehn Euro würden uns hier schon sehr helfen. Das wäre auch gerechter gegenüber Festangestellten“, erklärte er. Eine überbordende Bürokratie beklagte er auch für den Nachweis der Sozialversicherungsfreiheit bei kurzfristigen Beschäftigungen. Er schlug vor, 3500 Euro als Lohnobergrenze einzuziehen, unterhalb derer die Beschäftigung von Saisonarbeitern sozialversicherungsfrei bleiben sollte. Schließlich beklagte er den sich verschärfenden Mangel an Pflanzenschutzmitteln, ohne die aber weder ausreichende Mengen noch die vom Markt geforderten Qualitäten beim Obst produziert werden könnten.
Kosten zehren Mehrerlöse auf
Die Wettbewerbsverzerrungen auf der Kostenseite hatte bereits am Vortag Obstregionsvorsitzender Erich Röhrenbach bei der Eröffnung der Messe beklagt. Auch wenn ein freundliches Marktumfeld aufgrund moderater Apfelmengen in der EU zu besseren Preisen geführt habe, würden diese durch Kostensteigerungen wieder aufgezehrt. „Wir erreichen damit nur ein knapp kostendeckendes Niveau“, erklärte Röhrenbach. Als weiteres Problem nannte er die fehlende Planungssicherheit. Für den Vorsitzenden mit ein Grund für die rückläufigen Ausbildungszahlen im Obstbau. „Immer neue Belastungen und Auflagen – das muss aufhören“, forderte er unter dem Beifall der Zuhörer. Stattdessen solle man wieder Vertrauen in die Landwirte und deren Ausbildung und Wissen haben.
Stumme Kritik mit gelben Westen
Um ein Zeichen für die belastende Situation der Obstbauern zu setzen, waren in den Reihen der Zuhörer plötzlich viele gelbe Warnwesten zu sehen. Die Aufschrift „Letzte Generation Landwirt“ war als stumme Kritik gegen die überbordende Bürokratie und Regelungswut der Politik zu verstehen. „Wir stehen im Obstbau vor großen Herausforderungen und suchen nach Lösungen. Dabei dürfen wir nicht von der Politik durch ein enges bürokratisches Korsett ausgebremst werden“, so Röhrenbach abschließend.
Dr. Manfred Büchele, Geschäftsführer des Kompetenzzentrums Obstbau Bodensee (KOB), über das die Messe begleitenden Bodensee-Obstbautage mitorganisiert werden, beklagte einen fehlenden Zusammenhalt der Gesellschaft. „Die vergangenen Wochen haben gezeigt, dass es den Landwirten um mangelnde Wertschätzung ihrer Arbeit geht. Sie erwarten zurecht gerechte Preise und mehr Respekt“, machte er deutlich. Dass es Zukunftsperspektiven gibt, machte er an Forschungsbereichen wie der Agri-PV, dem von der Praxis angestoßenen Nachhaltigkeitsprojekt Fairdi sowie den Märkten für Birnen und Öko-Obst deutlich, bei dem es nach einer Nachfragedelle wieder aufwärtszugehen scheine. Gespannt dürfe man ferner auf neue Aspekte der Digitalisierung und Automatisierung als Antwort auf steigende Kosten sein.
„Ich werde alles dafür tun, dass wir nicht die letzte Generation sind“, beteuerte Jens Stechmann, Vorsitzender der Bundesfachgruppe Obstbau in seinem Grußwort. Es sei die Summe aller Belastungen, die diese miese Stimmung in der Branche ausmache. Regionalität sei zwar gefragt, aber zu Weltmarktpreisen, Produktions- und Umweltstandards gewollt, aber bei Importware scheine dies egal zu sein, monierte er.
Ersatzlösungen für den Agrardiesel keine Option
Die von der Politik ins Spiel gebrachten Ersatzlösungen für die Abschaffung des Agrardiesels sind für den Obstbau laut Stechmann keine Lösung, weder die Tierwohlabgabe noch die Aussetzung der Stilllegungsverpflichtung und auch nur bedingt die Tarifglättung oder Risikoausgleichsrücklage, denn letztere greifen nur in Jahren mit Gewinnen. Als Hilfe für den Obstbau forderte er eine Förderung und Wertschätzung des integrierten Anbaus analog der Bioförderung, eine Verbesserung bei der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln sowie praktikable Regelungen zur Beschäftigung von Saisonarbeitskräften.
Franz Josef Müller, Präsident des Landesverbandes Erwerbsobstbau, betonte, dass die Streichung der Agrardieselrückerstattung das Fass zum Überlaufen gebracht habe. Hier handle es sich um keine Subvention, sondern um eine Steuerentlastung. An den baden-württembergischen Landwirtschaftsminister richtete er die Bitte, auch in einem Landeshaushalt mit Sparzwängen die Frostschutzversicherung fortzuführen.
EU-Kommission scheint verstanden zu haben
Die ausgeteilten gelben Westen sollten als Warnsignal verstanden werden, unterstrich Minister Hauk im Anschluss. „Nach gelb muss wieder grün kommen und nicht rot und dazu ist mehr Wertschätzung für die Bauern und ihre Produkte nötig“, stellte er fest. Die EU-Kommission mit ihrer Ankündigung, dass 50 Prozent der Kontrollen entfallen sollen, scheine verstanden zu haben. Die Proteste zeigten Wirkung. Kritik übte er an der Bundesregierung, wo bislang wenig Umdenken erfolgt sei. „Mein Wunsch wäre es, dass auch der Bundeskanzler der Arbeit der Landwirte Respekt zollt und die Produktion im Land fördert“, meinte er.
Kritik übte er auch an der Umsetzung bei der Agri-PV. Trotz der erfolgten Privilegierung hofnaher Flächen, herrsche Stillstand. Er sieht die Landratsämter am Zug, eine praktikable Genehmigungspraxis umzusetzen. Bei Glyphosat forderte er von der Bundesregierung, dass die Wassergefährdung des Mittels gestrichen wird. Bislang sei ihm kein Fall bekannt, wo der Wirkstoff das Grundwasser negativ beeinträchtigt habe. „Ich erwarte, dass das Totalverbot in Wasserschutzgebieten wieder ein Stück weit gelockert wird“, forderte Hauk. Ferner nahm er den Handel in die Pflicht. Nicht die landwirtschaftlichen Erzeugerpreise seien der Inflationstreiber, vielmehr wachse die Spanne zwischen Erzeuger- und Ladenpreisen, wie eine Untersuchung belegte. „Hier verdient jemand gut, aber das ist nicht die Landwirtschaft“, regte er dazu an, dem Handel mal auf die Finger zu schauen und nicht immer nur der Land- und Forstwirtschaft.
Handel in die Pflicht nehmen
In der anschließend von Manfred Ehrle moderierten Diskussionsrunde mit dem Landwirtschaftsminister, dem Regionsvorsitzenden Heilig, dem Geschäftsführer Tim Strübing von der Obst vom Bodensee Vertriebsgesellschaft und Robin Halle von der Chefredaktion der Schwäbischen Zeitung kamen die Bauernproteste ebenso zur Sprache wie Ansätze für Änderungen bei den Absatzwegen und Fairdi, das von den Obstbauern initiierte Nachhaltigkeitsprojekt. Dabei klang auch an, dass angesichts des begrenzten Regalplatzes im Handel eine vernünftige Sortenstrategie aufgebaut werden müsse. Bislang flüchte sich der Handel allzu sehr auf Exklusivsorten. Gleichzeitig müsse man ihn aber auch in die Pflicht nehmen, damit mehr Wertschöpfung bei Bauern ankomme.
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