Nervosität am Milchmarkt steigt
Teuerungen und Rohstoffknappheit sowie die Unwägbarkeiten in der Energieversorgung waren bei der Süddeutschen Butter- und Käse-Börse e.V. auf der Mitgliederversammlung am 13. Juli in Kempten die beherrschenden Themen. Im Gastvortrag referierte Professor Dr. Holger Thiele vom Kieler ife-Institut über die Lage der Milchwirtschaft im Jahr 2022.
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„Klima, Dürre, Inflation, Energieversorgung: Es ist schon so, dass wir uns in einer sehr turbulenten Phase befinden. Die Situation ist keine einfache“, meinte der scheidende Börsenvorsitzende Heinz Hahn. Als er vor zehn Jahren den Vorsitz übernahm, war das Milchangebot groß und die Nachfrage dafür eher schwach. Heute ist die Situation eine völlig andere. „In der Milcherzeugung wird wieder Geld verdient. Und da ist es wichtig zu betonen, dass es lange Phasen gab, in denen man wenig oder gar kein Geld verdient hat“, berichtete Holger Thiele. Ein wichtiger Grund, warum die Milchpreise bereits seit 2020 tendenziell wieder ansteigen, ist das moderate Milchangebot. So reduzierten sich die Milchanlieferungen 2021 europaweit um 0,4 Prozent. Die Produktivität legte um 1,2 Prozent zu und die Milchkuhbestände gingen um 1,5 Prozent zurück. „Wir glauben, dass die Milchanlieferung weiter schwach bleibt und eher stagniert als steigt“, meinte Thiele.
Verlässliche Daten von der Börse
Thiele lobte die Verlässlichkeit der Kemptener Notierungen. Die Datenqualität sei hoch. Das ife Institut für Ernährungswirtschaft Kiel e. V. nutze die Kemptener Butter- und Magermilchnotierungen unter anderen zur Erstellung des Kieler Rohstoffwertes Milch. Der Rohstoffwert gilt als Frühindikator für die Milcherzeugerpreise. Er ist seit einem Jahr gestiegen und erreichte im April 2022 mit 67,5 Cent/kg einen Höchststand. Ab Mai ging er leicht zurück auf zuletzt 65,8 Cent im Juni. Und wie geht es weiter? „Einen Absturz wird es aus unserer Sicht nicht geben“, verrät Thiele. Allerdings nur, solange die Gasversorgung aus Russland auf niedrigem Niveau stabil bleibt.
Gas-Lieferstopp würde die Verarbeitung gefährden
Bei einem kompletten Lieferstopp dürfte es zu einschneidenden Maßnahmen kommen. In so einem Szenario wäre die Milchverarbeitung insgesamt in Gefahr. Sämtliche Prozesse müssten auf Gaseinsparungen überprüft, einzelne Anlagen runtergefahren und die Milch auf mehrere Verarbeiter verteilt werden. Für so eine Notsituation versprechen sich die Molkereien in Süddeutschland gegenseitige Solidarität, in dem sie möglichst eng zusammenarbeiten wollen, hieß es auf der Versammlung.
Höhere Auszahlungspreise im Norden
Ein weiteres Novum am Milchmarkt ist, dass die Auszahlungspreise im Norden Deutschlands höher ausfallen als im Süden. Der Grund: „Im Norden gibt es viele Produkte mit wenig Wertschöpfungstiefe. Das ist verkehrte Welt. Aber derzeit die Realität“, so Thiele. In solchen Zeiten, in denen die Rohstoffpreise hoch sind, verlieren Marken- und die Bioprodukte Marktanteile. Sollte die Knappheit länger anhalten, könnte sich die Lage möglicherweise noch verschärfen, falls die Zahlungsbereitschaft der Verbraucher weiter zurückgeht. Bislang habe es jedoch recht gut funktioniert, die Kostensteigerungen an den Endverbraucher weiterzugeben. Aldi hat zum Beispiel ab 1. Juli den Einstiegspreis für einen Liter Vollmilch mit 3,5 Prozent Fett auf 1,09 Euro erhöht, zuvor waren es 92 Cent. Seit Jahresbeginn sind das immerhin 29 Cent mehr. Am Spotmarkt mit einer Verwertung von Magermilchkonzentrat und Rahm liegen die Preise bei 60 Cent/kg also 20 bis 30 Cent über dem Vorjahresniveau. Dabei scheint der Preisgipfel überschritten zu sein, zumindest beim Blick auf den Terminmarkt. Lagen dort die Erwartungen für den Dezembermilchpreis 2022 im März noch bei 67 Cent, haben sie sich mittlerweile abgekühlt. Für Dezember rechnet man aktuell mit Preisen deutlich unter 60 Cent.
Wahlen und Grußworte
Zum neuen Vorsitzenden wählten die 21 anwesenden Mitglieder Dr. Valentin Sauerer, ehemaliger Schulleiter des Lehr-, Versuchs- und Fachzentrums für Molkereiwirtschaft in Kempten. Er tritt die Nachfolge von Heinz Hahn an, der seit 2012 die Geschicke des Vereins lenkte. Hahn, der aus persönlichen Gründen zurücktritt, bedankte sich für das langjährige Vertrauen. In der Laudatio würdigte ihn Ministerialdirigent Ludwig Wanner für sein Engagement: „Sie haben die Aufgabe als Vorsitzender sehr verantwortungsvoll mit Ihrer bekannten akribischen Arbeitsweise wahrgenommen und dabei nach innen und nach außen gewirkt.“ Wanner gratulierte der Börse zu ihrer 100-jährigen Erfolgsgeschichte und meinte mit Blick auf das gesamte Team der Börse: „Sie haben einen wertvollen Beitrag für die gesamte Milchbranche geleistet.“
Kempten ist stolz auf die Börse
Großes Lob für seine Arbeit erhielt Hahn auch von Vorstandsmitglied Alfons Hasreiter. Akzeptanz und Ansehen der Börse haben sich in Hahns Amtszeit weiter verbessert, so Hasreiter. Grüße und Glückwünsche von Oberbürgermeister Thomas Kiechle überbrachte Gertrud Epple, Stadträtin der Stadt Kempten und Beauftragte für Landwirtschaft, Umwelt- und Klimaschutz. „Dass Kempten nun seit über 100 Jahren Börsenstandort ist, macht uns sehr stolz“, so Epple. Allgäuer Milch und Käseprodukte haben die Märkte in den rasch wachsenden Städten bereits Mitte des 19. Jahrhunderts erobert - ein historischer Höhenflug, der trotz Globalisierung bis heute anhält, beziehungsweise derzeit wieder aktuell ist. Angesichts der Herausforderungen durch die Teuerungen und die Energie- und Rohstoffknappheit forderte sie die Mitglieder auf, ihren Mut zu bewahren und gemeinsam nach vorne zu gehen. „Die Landwirtschaft ist das Wichtigste, was wir Verbraucher haben. Sie sind diejenigen, die uns jeden Tag den Teller füllen. Dafür lohnt es, sich einzusetzen“, so die Stadträtin.
Blick auf die Marktverläufe
Pulver: Bei Vollmilchpulver in Lebensmittelqualität stieg der Preis von rund 3 Euro 2021 auf zuletzt bis 5,40 Euro/kg. Bei Magermilchpulver lag der Preis bei zuletzt bei über 4000 Euro pro Tonne, 2021 waren es fast das ganze Jahr über unter 3000 Euro. Süßmolkenpulver notiert 2021 etwa 1200 Euro pro Tonne in der Spitze. In den beiden Vorjahren lag der Preis stets unter 1000 Euro. Und 2022 ging er hoch bis auf über 1600 Euro/t und fiel in den letzten Monaten wieder leicht auf rund 1150 Euro.
Butter: Der Butterpreis (250 g Päckchen) schaffte es im Mai bis auf 7,70 Euro pro kg in der Spitze, das waren fast 4 Euro mehr als Vorjahr. Das Milchfett ist nach wie vor meist knapp und wird auf einem hohen Niveau gehandelt.
Käse: Die Linien der Notierungen für Schnittkäse für Allgäuer Emmentaler, Emmentaler und auch Edamer Blockware und Edamer Brotware zeigen tendenziell nach oben. Die verminderte Milchanlieferung hat die Lagerbestände bei den Pulver- und Käseherstellern weiter bis nahe oder schon unter die Mindestgrenze sinken lassen. Bis dato wurden nur noch die Kontrakte abgearbeitet, für zusätzliche Anfragen gab es wenig bis keinen Spielraum.
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