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Trachten

Mehr als ein Kleidungsstück

Trachten sind mehr als reine Kleidungsstücke. Sie drücken Zugehörigkeit aus, symbolisieren Wohlstand und erzählen auch Lebensgeschichten. Genau das greift eine derzeit laufende Ausstellung im Donauschwäbischen Zentralmuseum in Ulm auf. Sie widmet sich noch bis Ende April den Trachten der Donauschwaben.

von Isabella Hafner erschienen am 18.12.2024
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Eines hatten die Frauen in den Ländern entlang der Donau gemeinsam: Dick wollten sie aussehen. Weil aber leider, leider nicht alle üppiger Natur waren – vielleicht auch, weil die Pfunde beim vielen Arbeiten purzelten – schummelten sie. Ein offenes Geheimnis. Sie schichteten mehrere Unterröcke übereinander. In der aktuellen Ausstellung „Schwerer Stoff – Frauen, Trachten, Lebensgeschichten“ im Donauschwäbischen Zentralmuseum in Ulm kann man sich selbst diese weißen Baumwollröcke anziehen. Dann merkt man schnell, wie unpraktisch sie doch eigentlich waren. Doch Schönheitsideal ist Schönheitsideal. Eine dicke Frau hieß automatisch: Ich bin wohlhabend, denn ich habe genug zu essen. Und ich bin in der Lage, viele Kinder auf die Welt zu bringen.

Eigentlich aber war dieses, man könnte es Gefieder nennen, ziemlich unpraktisch. Nichts ging mehr alleine. Nicht hinsetzen, nicht aufstehen, nicht auf Toilette gehen. Doch weil eben auf dem Heiratsmarkt Üppigkeit eine wichtige Währung war, überprüften die Burschen bei der Frau mit einem Blick unter deren Rock, mit wie vielen Schichten sie geschummelt hatte.

Trachten entwickeln sich

Ab Ende des 17. Jahrhunderts folgten mehr als 150.000 Menschen dem Ruf der Habsburgischen Kaiserin Maria Theresia in der Hoffnung auf eine glückliche Zukunft in einer neuen Heimat. Sie brachen von Ulm in sogenannten Schachteln auf, um so auf der Donau in das damalige Ungarn zu fahren. Die Habsburger Krone wollte die Gegend, die heute Ungarn, einen Teil Rumäniens, Kroatiens und Serbiens umfasst, zur Kornkammer der Donaumonarchie machen. Es sei aber eine große Illusion, zu glauben, dass diese sogenannten Donauschwaben (obwohl nur ein Teil von ihnen aus Schwaben stammte) vor 300 Jahren in ihrer Tracht los sind und sich die Tracht dort über Jahrhunderte bewahrt hätte. Henrike Hampe vom Donauschwäbischen Zentralmuseum: „Das, was wir heute Tracht nennen, war eine Entwicklung des 19. Jahrhunderts.“

Zu Zeiten der Einwanderer aber gab es noch eine Ständegesellschaft, Kleidung war nicht frei wählbar. Es gab vorgegebene Gewänder und Stoffe für Adelige, Bürger, Bauern, die Landeigene. „Die Tracht, an die wir heute denken, die von Dorf zu Dorf unterschiedlich ist, die entstand erst im 19. Jahrhundert.“ Als sich die Stadtbevölkerung aus einem romantischen Gefühl heraus begann, fürs Land zu begeistern und es zu verklären. Sie nahm das Gewand der bäuerlichen Bevölkerung zum Vorbild und kreierte daraus unterschiedliche „Mode-Trachten“ (die in der Ausstellung zu sehen sind). Auch in Ungarn. Aber erst später, emigriert nach Deutschland nach dem 2. Weltkrieg, nannten auch die ehemaligen Donauschwäbinnen ihre Gewänder Tracht.

Kluge Heiratspolitik

Ein senfgelbes Seidenkleid mit knallroten, aufgestickten Blumen, verziert mit Spitze und verzierter Schürze ist ein Hingucker zu Beginn der Ausstellung. Das Kleid gehörte Katharina Just aus Kéty/Giek (Schwäbische Türkei/Ungarn). Als 14-Jährige begleitet sie in den Vierzigerjahren ihren Vater in den Nachbarort, wo er eine Kuh verkaufen will. In einem Schaufenster entdeckt sie den „fantastisch gemusterten Stoff“. Sie ist hingerissen. Der Stoff aus Wien ist leider nur sehr teuer. Ihr Vater verspricht, ihr den Stoff unter einer Bedingung zu kaufen: Sie werden die Kuh los. Aus dem senfgelben Stoff wurde ihr Festgewand.

Der Vater war sicherlich auch recht stolz darauf, seine Tochter so zu sehen. Denn es ging ja bei den Bauern um kluge Heiratspolitik, darum, den eigenen Besitz zu vergrößern. Katharinas Chancen dürften also, eingehüllt in die neue, sogenannte Kunstseide, die damals der letzte Schrei war, gestiegen sein.

Wenn dann zwei heirateten, hatte das in Schwarz zu geschehen. Donauschwäbinnen trugen die „Farbe“ zu allen großen Momenten im Leben: Hochzeiten, hohe Kirchenfeste und auf dem Sterbebett dann ein letztes Mal. So ist das bis zum Zweiten Weltkrieg und so ist das auch 1880 bei der Hochzeit von Maria-Anna Tremml aus dem Banat, dem heutigen Rumänien. Ihr Kleid ist ebenfalls ausgestellt.

Noch in den Fünfzigerjahren heirateten traditionsbewusste Bauerntöchter im Banat in Schwarz. Anna Remy ist 1955 die Erste im Dorf, die Weiß wagt, kombiniert immerhin mit ein paar schwarzen Zierstreifen. Später braucht ihre Tochter dann eine Tracht fürs Kirchweihfest. Da lässt sie kurzerhand den weißen Stoff mit bunten Blumen bemalen. Das Muster kann man in dem ausgestellten Kleid noch leicht erkennen. Übrigens: Donauschwäbische Bräute schmückten sich oft mit einem Rosmarinzweig. Und war man dann verheiratet, trug man Kopftuch.

Aus alt mach neu

Zum Arbeiten hatten die Frauen meist einen blau gefärbten Rock an. Und zwar aus Baumwolle oder Leinen. Das Handwerk des Blaufärbens mit Indigoblau aus Indien wird heute noch in Ungarn praktiziert. Damals war es eine Errungenschaft, endlich ein sattes Blau färben zu können. Waren die Frauen aber schon älter, sollten ihre Ärmel lang sein, keine Haut zeigen und das Gewand schwarz sein.

Es geht in den donauschwäbischen Ländern partout immer darum, Wohlstand zu zeigen, vor allem wenn man jung ist. Katharina Burger gelingt das in den Dreißigerjahren im heutigen Serbien. Viele Jahre trägt sie ein rotes, sogenanntes Plüschsamtkleid mit üppigen Blumen und Goldknöpfen. Das bekommt sie schon mit elf, es passt sich aber wegen des an der Taille zusammengebundenen Rocks ihrem Wachstum an. Nach dem ersten Kind trägt sie es noch immer. 1944 muss die reiche Bäuerin Katharina allerdings aus Jugoslawien flüchten. In Deutschland geht es erstmal mit ganz wenig los, mit einem Stück Land.

1944 wird die älteste Tochter der in Ungarn lebenden Familie Märcz zur Zwangsarbeit in die UdSSR verschleppt: die 15-jährige Katharina. Sie kommt ums Leben. Kurz darauf, der Krieg ist zu Ende, muss Familie Märcz nach Deutschland zwangsumsiedeln. Katharinas Kleider kommen mit. Die Mutter erlaubt der jüngeren Tochter Elisabeth, Katharinas Seidenkleider anzuziehen. Die ist erst ziemlich stolz darauf, doch dann will sie aussehen wie die jungen Mädchen in Deutschland. Sie darf aus einigen Röcken neue Outfits schneidern. Etwa das fesche, taillierte grüne Dress mit den bauschigen roten Blumen, das in der Mitte der Ausstellung ins Auge sticht. So wenig Stoff! So leicht!

Ausstellung

Die Ausstellung „Schwerer Stoff – Frauen, Trachten, Lebensgeschichten“ ist noch bis 21. April 2025 im Donauschwäbischen Zentralmuseum (www.dzm-museum.de) zu sehen. Öffnungszeiten: Dienstag bis Freitag, 11 bis 17 Uhr, Wochenende/Feiertag, 10 bis 18 Uhr.

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