„Binde deinen Karren an einen Stern“

Ein seltsamer Satz. Widersprüchlich und faszinierend klingt er und wird Leonardo da Vinci zugeschrieben, der um 1500 in Italien gelebt hat. Er war Künstler, Naturforscher, Baumeister und Konstrukteur. Ein Universalgenie nennt man ihn.

Wenn der Karren im Dreck feststeckt, braucht man doch eher einen Esel, einen Ochsen oder ein paar starke Männer. Landwirte heutzutage würden einen ordentlichen Schlepper nehmen, um den Karren aus dem Graben zu ziehen.

Nach den Sternen zu greifen, wenn es um handfeste, irdische Dinge geht, ist das nicht etwas realitätsfern? Was kann ein Stern ausrichten, wenn der Karren schwer beladen ist, zum Beispiel mit großen Marmorbrocken, so wie ich es mir bei Leonardo da Vinci vorstelle?

Bildhauer erzählen, sie würden aus dem Stein herausmeißeln, was in ihm steckt. Sie sehen etwas, was für normale Augen noch verborgen ist. Sie haben eine Vision. Vielleicht ist es das, was mit dem „Stern“ gemeint ist: ein Bild der Zukunft, das leitet. Heute sprechen viele von Transformation. Transformation bedeutet, etwas von der Zukunft her zu betrachten. Was ist das Ziel? Welche Vision trägt mich? Was muss sich in der Gegenwart verändern, damit diese Zukunft möglich wird? Vor solchen Fragen stehen Unternehmen, landwirtschaftliche Betriebe und auch die Kirche.

Transformation heißt, nicht zu klagen, was alles fehlt, sondern zu fragen, was sein soll, und dann mit kleinen Schritten anzufangen. Schritt für Schritt in Richtung Zukunft – geleitet von der Vision, vom Stern. Pragmatiker halten das für weltfremd. Sich von dem leiten lassen, „was in den Sternen steht“?

Sabine Bullinger, Pfarrerin auf der Transformationspfarrstelle „Kirche im ländlichen Raum“ im Kirchenbezirk Crailsheim-Blaufelden © Luca Kober

Und doch erzählt die Weihnachtsgeschichte von Menschen, die genau so lebten: den Weisen aus dem Morgenland. Als Sternkundige sahen sie eine besondere Konstellation, die für sie auf ein die Welt veränderndes, geschichtliches Ereignis deutete: die Geburt eines neuen Königs der Juden. Noch war alles unsicher, doch sie folgten dem Stern. Sie folgten diesem Hoffnungsschein auf der Spur ihrer Sehnsucht nach einer besseren Zeit. Trotz Mühen und Gefahren kamen sie an, sahen das Kind, beteten es an und brachten ihre Gaben. Ihr Traum wurde Wirklichkeit.

„Binde deinen Karren an einen Stern“ bedeutet: Verlier dein Ziel, deine Vision nicht aus den Augen. Lass dich nicht vom Klein-Klein des Alltags verschlingen. Mach dir klar, wo du hinwillst. Richte deinen Blick auf das, was dir Orientierung gibt, damit du dich nicht im Nebel verirrst. Das hilft, auch wenn der Karren einmal verfahren sein sollte.

„Binde deinen Karren an einen Stern“ – ein Leitsatz für alle, die den Karren nicht einfach laufen lassen wollen.

Möge die Weihnachtszeit und das kommende Jahr unter einem guten Stern stehen, oder mit einem Weihnachtslied gesprochen:

Stern über Bethlehem, zeig uns den Weg, führ uns zur Krippe hin, zeig, wo sie steht, leuchte du uns voran, bis wir dort sind, Stern über Bethlehem, führ uns zum Kind!

Ihre Sabine Bullinger

Pfarrerin auf der Transformationspfarrstelle „Kirche im ländlichen Raum“ im Kirchenbezirk Crailsheim-Blaufelden