Fallstudie über Südtiroler Obstbaubetriebe
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Die Studie untersucht den Wirtschaftszweig der Apfelproduktion in Südtirol als ein wirksames Beispiel eines innovativen Systems in der Landwirtschaft. Sie befasst sich mit der Entwicklung und den Faktoren, die die Entstehung dieses Systems ermöglicht haben. Nachfolgend eine Zusammenfassung.
Produktionszweig mit langer Geschichte
Der Apfelanbau in Südtirol geht als Tätigkeit auf die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg zurück und wurde im Laufe der Jahrzehnte von geschichtlichen, kulturellen, sozialen, politischen, geografischen und wirtschaftlichen Faktoren gekennzeichnet. Diese haben dazu geführt, dass der Apfelanbau zum wichtigsten Beschäftigungszweig in der Südtiroler Landwirtschaft geworden ist, für den eine Gesamtfläche von 19.000 Hektar von über 8000 landwirtschaftlichen Familienbetrieben genutzt wird. Derzeit produziert Südtirol 50 Prozent aller auf dem italienischen Markt verkauften Äpfel, 15 Prozent der Äpfel für den europäischen Markt und zwei Prozent für den Weltmarkt.
Die Erfolgsgeschichte der Südtiroler Apfelwirtschaft fußt auf der effizienten Struktur, in der sich die verschiedenen Beteiligten, die an der Apfelproduktion und der Verkaufspolitik des Apfels interessiert waren, nach dem Zweiten Weltkrieg organisierten. Diese Struktur wird als LINSA-Struktur, ein Lern- und Innovationsnetzwerk für nachhaltige Landwirtschaft, bezeichnet. Ein LINSA ist ein sehr komplexes und anpassungsfähiges System, das aus Produzenten, aus ihren Genossenschaften und Konsortien, landwirtschaftlichen Beratungseinrichtungen und anderen öffentlichen und privaten Akteuren besteht. Es ist durch eine enge Zusammenarbeit aller Mitglieder, sowie das fundierte Wissen dieser um die Probleme des eigenen Wirtschaftszweiges gekennzeichnet.
Die grundlegenden Prinzipien der Selbsthilfe, Selbstverwaltung, Eigenverantwortung und Förderung der Tätigkeit der Mitglieder des Netzwerks stehen an der Basis des LINSA (Friedrich Wilhelm Raiffeisen); der Erfolg des Netzwerks ist durch die Innovationsfähigkeit und den Unternehmergeist der Südtiroler Apfelproduzenten bedingt.
Die Analyse nimmt in erster Linie die Entstehung und Entwicklung der verschiedenen Institutionen und die Schaffung der Verbindungen innerhalb des LINSA unter die Lupe. Seine Entwicklung wird in fünf Phasen analysiert.
• 1945 bis 1960 – Stärkung der Einheit
In dieser Phase war die Apfelvermarktung ein für den Produzenten intransparenter und unbefriedigender Ablauf. Er lieferte einen Großteil seiner Ernte an Privathändler, die die Ernte mit einer Handelsspanne weiter verkauften. Die Produzenten entwickelten das Bewusstsein, dass sie unter sich zusammenarbeiten mussten und so entstand im Jahr 1945 der VOG (Verband der Südtiroler Obstgenossenschaften), in dem neun Genossenschaften von Obstproduzenten zusammengeschlossen waren, um die eigene Wettbewerbsfähigkeit zu steigern und sich auf dem Markt zu positionieren. Gleichzeitig entstanden zahlreiche neue Genossenschaften mit der Absicht, die von ihren Mitgliedern produzierten Äpfel zu lagern und zu vermarkten. Das LINSA verwendete in seinen Anfängen ein informelles System des Ideen- und Wissensaustausches. 1957, als eine spezifische, unabhängige und aktuelle fachmännische Beratung für die Obstbauern immer notweniger wurde, entstand der Beratungsring für Obst- und Weinbau, der einer der Hauptakteure im LINSA wurde.
• 1961 bis 1971 – Intensivierung der Produktion
In den 50er und 60er Jahren erlebte die Apfelwirtschaft in Südtirol aufgrund der Auswanderung von Arbeitskräften und der europäischen Krise des Obst- und Gemüsebereichs einen Anstieg der Arbeitskosten und einen Rückgang des Apfelpreises. Um diesen Problemen Herr zu werden, griff das LINSA auf Institutionsebene ein und gründete im Jahr 1962 die Fachschule für Obst-, Wein- und Gartenbau Laimburg. Die Fachschule Laimburg und der Beratungsring wurden die zwei Hauptakteure des AKIS (Landwirtschaftliches Wissens- und Informationssystem), das zur Unterstützung der landwirtschaftlichen Produktion eingerichtet wurde. Vom fachlichen Standpunkt aus wurde das LINSA aktiv, um das Problem zu lösen, dass die Äpfel nach traditioneller Methode angebaut wurden, was viele Arbeitskräfte erforderte und pro Hektar wenig Ertrag brachte.
Eine Produzenten-Delegation besuchte die Niederlande und beobachtete das Schnittsystem slender spindle (schlanke Spindel), bei dem die Apfelbäume dicht gepflanzt und mit Zwergwuchs-Unterlagen veredelt werden. Die Fachschule Laimburg und der Beratungsring waren von der Effizienz dieser Methode überzeugt und bemühten sich, die Südtiroler Apfelproduzenten für diese Methode zu gewinnen, damit sie die Methode in ihren Pflanzungen anwenden würden. Der Prozess der Verbreitung des slender spindle Systems in der Region dauerte mehrere Jahre. Die Intensivierung der Produktion gab den Impuls zu technischen Neuerungen im Bereich der langfristigen Lagerung der Äpfel. Ab 1970 wurden die älteren Sorten mit modernen Sorten ersetzt, die geeigneter für die neuen Produktions- und Verarbeitungsmethoden waren. In dieser Zeit erhielt das LINSA auch die ersten Förderungen von Seiten der Europäischen Union, um die Infrastruktur seiner Genossenschaften zu modernisieren und so den Anforderungen des Marktes zu entsprechen.
• 1972 bis 1990 – Verbesserung der Qualität
Die Entschlossenheit der autonomen Südtiroler Landesregierung, eine eigene Struktur einzurichten, die die landwirtschaftliche Produktion in der Provinz unterstützt, ließ verschiedene neue Institutionen entstehen. Im Jahr 1976 wurde das land- und forstwirtschaftliche Versuchszentrum Laimburg gegründet, 1973 wurde das Landeskonsortium für den Schutz landwirtschaftlicher Kulturen vor Witterunbilden eingerichtet. Außerdem festigte sich in diesen Jahren die Genossenschaftsstruktur auf der Ebene des VI.P (Verband der Vinschgauer Produzenten für Obst und Gemüse) und des VOG. Ende der Sechzigerjahre verbreiteten sich die Konzepte der integrierten Produktion und des integrierten Pflanzenschutzes.
Im Jahr 1988 wurde in Südtirol der Integrierte Obstanbau institutionalisiert, der darauf abzielt, die Verwendung chemischer Mittel für die Landwirtschaft, unter Beachtung der ökologischen, wirtschaftlichen und toxikologischen Prinzipien, zu minimieren. Es wurde die Innovationsplattform AGRIOS gegründet, die die Hauptakteure des LINSA mit einschloss. Die AGRIOS führte Beratungen durch, um daraus jährliche Richtlinien zu definieren, damit die Apfelproduzenten die Prinzipien des integrierten Obstanbaus umsetzen würden. Auch andere wichtige institutionelle Neuerungen wurden in dieser Phase durchgeführt, wie zum Beispiel die Anerkennung der Marke Südtiroler Apfel als geschützte geografische Angabe im Jahr 1977.
• 1991 bis 2001 – Sorteninnovation und internationale Netzwerke
In den 90er-Jahren lösten institutionelle Neuerungen politischer Natur, besonders die Förderungen, die die Landesverwaltung nur an Genossenschaften einer bestimmten Größe vergab, einen Zusammenschluss der Genossenschaften aus. Dies ermöglichte die Modernisierung der Infrastruktur auf effiziente Weise und schuf eine ausgezeichnete Basis für die Nachhaltigkeit des Systems. Die intelligente Vergabe der Förderungen ist eine der effizientesten Maßnahmen für das Netzwerk. In dieser Zeit öffnete sich das LINSA gegenüber internationalen Bündnissen, indem es mit schweizerischen und österreichischen Forschungszentren zusammenarbeitete.
1998 fand die erste Ausgabe der Messe Interpoma statt, die dem Anbau, der Lagerung und der Verarbeitung des Apfels gewidmet ist und sich als gemeinsame Interessensplattform entwickelte, um Wissen auszutauschen, neue Märkte zu erschließen und auch um neue Zusammenschlüsse auf internationaler Ebene einzugehen. Trotz aller Fortschritte des LINSA übersah das Netzwerk in den 90er- Jahren die Bedeutung der Clubsorten für die Zukunft. Dies waren neue Apfelsorten, die patentiert und mit Marke versehen sind und von einer Gruppe von Unternehmen angebaut und vermarktet werden, die alle dieselbe Produktionsweise und dasselbe Marketing verfolgen (der „Club“). Als das LINSA die Bedeutung dieser Sorten erkannte und nach Möglichkeiten suchte, den wichtigsten Clubs beizutreten, waren die Lizenzen schon in anderen Ländern verteilt worden. Als Folgereaktion auf diesen Fehler schuf das LINSA 2002 eine neue Innovationsplattform, das Sortenerneuerungskonsortium Südtirol (SK Südtirol), das sich zum Ziel setzte, zusammen mit dem Versuchszentrum Laimburg, die Sortenerneuerung in Südtirol zu koordinieren.
• Seit 2002 bis heute – Innovation und Professionalisierung
Im letzten Jahrzehnt gab es eine weitere Festigung der genossenschaftlichen Marketingstruktur als Reaktion auf die Marktkonzentration des Einzelhandels für Obst. Die Genossenschaften sind jetzt für den Marketingbereich in Verbänden und Konsortien organisiert, denen der VI.P und der VOG vorstehen. Das LINSA kann sehr effizient auf Großbestellungen reagieren. Es wurde die spezifische Software „Clickview” entwickelt, die es ermöglicht auf transparente Weise Informationen über die Aktionen jeder Genossenschaft einzuholen, die Teil des Konsortiums unter der Leitung des VOG ist. In dieser Phase wurden die Richtlinien für die integrierte Produktion verschärft und es wurde ein neues Konsortium zur Qualitätskontrolle (Südtiroler Qualitätskontrolle, SQK) geschaffen. Die Produktion von biologischem Obst nahm zu.
Kürzlich schufen der VI.P und der VOG gemeinsam mit zwei Erzeugerorganisationen aus dem Trentino eine neue Vermarktungsorganisation (FROM), die das Ziel hat, neue Märkte zu erschließen und den Apfelexport in Nicht-EU-Länder zu erhöhen. Letztendlich richtete der Beratungsring vor kurzem ein Forum ein, in dem die Forumsmitglieder neue Ideen vorbringen und über sie diskutieren können.
Die Branchenanalyse der Apfelproduktion in Südtirol geht weiter, wobei auch die Mechanismen der LINSA-Netzwerkentwicklung berücksichtigt werden, die man in formelle und informelle Mechanismen unterteilen kann. Beide sind von einem starken sozialen Lerncharakter gekennzeichnet. Die formellen Mechanismen sind auf verschiedenen Ebenen vorzufinden. Auf politischer Ebene hat die Landesverwaltung die Apfelproduzenten mit einer guten Straßeninfrastruktur und einem funktionellen AKIS unterstützt, für welches öffentliche Strukturen eingerichtet und finanziell gefördert wurden. Auf Institutionsebene wurden Verbindungen geschaffen. Die Genossenschaften werden vom AKIS unterstützt. Es wurden Innovationsplattformen wie AGRIOS und SK eingerichtet. Auf individueller Ebene tragen die in das LINSA eingebundenen Personen durch ihre Kompetenz und Motivation dazu bei, das gegenseitige Vertrauen und Verständnis innerhalb des Netzwerks zu erhöhen. Die informellen Mechanismen bestehen im Austausch von Vorschlägen, Informationen, Ideen und Wissen unter den Mitgliedern des LINSA.
Die Aspekte des sozialen Lernens durchdringen das System. In Südtirol ist das Lernen an eine äußere und eine innere Dynamik gebunden, sowohl auf individueller Ebene, als auch auf kollektiver Ebene. Das in diesem geografischen Raum geschaffene Sozialkapital ermöglicht die Entwicklung des Systems, indem bestehendes Wissen von anderen übernommen wird und selbst neues Wissen geschaffen wird. Die Lernmechanismen des LINSA können in drei Phasen unterteilt werden: Lernen durch Erfahrung, durch Nachahmung und durch Erkenntnis. Zwischen 1945 und 1960 war die angewandte Methode die Erfahrung, wobei das neue Wissen empirisch erworben nachfolgend ausprobiert wurde. Ab 1960 wurde die Lernmethode der Nachahmung angewandt, die als Imitationsprozess beginnt und dann schrittweise zur Verbesserung und Konzeptualisierung des erworbenen Wissens führt. Die Anwendung des slender spindle Systems ist ein Beispiel dafür. Neuerlich greift man auf die Methode des Lernens durch Erkenntnis zurück, bei der es im System notwendigerweise entwicklungsfähige Komponenten braucht, die im LINSA nicht vorhanden sind.
Diese drei Lernmechanismen gehen Hand in Hand mit der Forderung nach Innovation und Ideen, die die Ausgangsbasis bilden.
Das LINSA ist als Netzwerk entstanden, das auf menschlichen Beziehungen und Vertrauen fußt und das Ziel hat, die gemeinsamen Interessen seiner Mitglieder zu entwickeln; Informationen und Wissen sind leicht weiterzuvermitteln und werden durch umgehend folgende gemeinsame Maßnahmen gestützt, die der Innovation dienen. Das Wissen und die Ideen sind die treibende Kraft, die dazu geführt haben, dass sich das LINSA anpasst und in einem effizienten, gewinnbringenden und höchst produktiven System weiterentwickelt. Dieses System hat die Apfelproduktion in Südtirol zu einem wirksamen Beispiel eines lebendigen Innovationssystems in der Landwirtschaft gemacht.
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