Branche freut sich auf den Jahrgang 2020
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Bevor der Minister ein paar Worte an die anwesenden Pressevertreter richten konnte, nutzte Weinbaupräsident Hermann Hohl die Gelegenheit, zunächst das Weinbaujahr 2020 Revue passieren zu lassen. Nach einem milden Winter und einem erneut viel zu frühen Austrieb stand den Reben im Frühjahr dennoch genügend Wasser zur Verfügung. Das sollte sich jedoch im Laufe der Vegetationsperiode noch ändern.
Frost – aber nicht überall
Anfang Mai wurden zahlreiche Lagen von erheblichen Spätfrostschäden getroffen. Einzelne Betriebe meldeten Ausfallquoten von bis zu 80 Prozent ihrer Flächen während andere Wengerter nahezu vollständig vom Frost verschont blieben. Daher sprach Hohl auch von einem „Neidherbst“ für manche Betriebsleiter.
All jene, die sich über Traubenbehang in ihren Weinbergen freuen dürfen, rechnen mit einem qualitativ sehr guten Jahrgang. Die Reben befinden sich laut Hermann Hohl in einem Top-Zustand. Nur vereinzelt macht der Echte Mehltau in diesem Jahr Probleme. Der gute Gesundheitszustand gibt den Wengertern die Möglichkeit, die Trauben bis zur optimalen Reife hängen zu lassen, um auch die letzten Qualitätsreserven herauskitzeln zu können. Die Hauptlese wird laut Weinbauverband dennoch voraussichtlich Anfang Oktober abgeschlossen sein.
Etwas kleiner – dafür feiner
Vom 2020er-Jahrgang werden fruchtige, elegante und spritzige Weißweine sowie kräftige Rotweine erwartet. Gleichzeitig wird die Menge auf rund 96 Millionen Liter, also etwa 85 bis 90?hl/ha geschätzt. Damit dürfte der Jahrgang 2020 mengenmäßig circa 20 Prozent unter dem langjährigen Mittel liegen.
Da das Lesefenster durch die frühe Reife immer enger wird, könne man im Weinbau kaum mehr auf den Vollerntereinsatz verzichten. Zusätzlich helfen jährlich rund 12.000 bis 15.000 Lesehelfer in Württemberg, die Ernte rechtzeitig einzuholen. Neben Arbeitskräften aus Polen und Rumänien setzen die Betriebe coronabedingt in diesem Jahr vermehrt auf einheimische Helfer.
Viele Freiwillige seien den Aufrufen der Wengerter in diesem Jahr gefolgt, so Hohl. Allerdings machte unter den Betrieben das Gerücht die Runde, dass auch heimische Helfer, Familie und Freunde vor Arbeitsaufnahme im Betrieb einen negativen Coronatest vorzuweisen hätten.
Verwirrung um Corona-Testpflicht
Diesen Aussagen widersprach der anwesende Landwirtschaftsminister Peter Hauk eindringlich und zitierte bei dieser Gelegenheit auch aus der dem Gerücht zugrundeliegenden Verordnung des Solzial- und Wirtschaftsministeriums. Hauk stellte nochmals heraus, dass sich die Testpflicht ausschließlich auf Betriebe mit zehn oder mehr Saisonarbeitskräften bezieht, die ihrerseits mehrwöchig ununterbrochen im Betrieb tätig sind. Tageweise Lesehelfer seien von dieser Verordnung also ausgenommen. Der Minister fügte an: „Laut der übergeordneten Corona-Verordnung des Landes dürfen bei Privatfeiern ja auch 20 Personen zusammenkommen.“
Versicherung kommt gut an
Positives hatte Hauk auch in Sachen vom Land geförderter Mehrgefahrenversicherung zu vermelden. „In diesem Jahr wurden bereits über 5000 bis 6000?ha versichert. Das hat unsere Erwartungen übertroffen“, so der Minister. Gleichzeitig beruhigte er: „Aber das Geld reicht aus!“
Bei dieser Versicherungslösung entscheidet der Betrieb selbst, welche Flächen und in welchem Umfang er sich versichern will und erhält dafür vom Land 50 Prozent Zuschuss zum Versicherungsbeitrag.
Baden-Württemberg sei bislang das einzige Bundesland mit dem Ansatz einer Mehrgefahrenversicherung, die auch den Frost erfasse. Ziel des Ministeriums sei es nun, das Angebot auf eine „echte“ Mehrgefahrenversicherung auszuweiten. Bislang werden nur die Gefahren Spätfrost, Starkregen und Sturm bezuschusst. Je nach Haushaltslage im Land sollen künftig auch Hagel und Dürre subventioniert versicherbar sein. Wobei in Sachen Dürre mehr der Fokus auf Förderung von Präventionsmaßnahmen wie Bewässerungsanlagen liegen soll.
Corona und der Wein
Neben den Coronatests für Lesehelfer ging es auch um die allgemeinen Auswirkungen der Pandemie auf das laufende Jahr. Weinbaupräsident Hermann Hohl geht davon aus, dass die Betriebe im Mittel rund acht bis zehn Prozent weniger Umsatz im Jahr 2020 machen werden. Allerdings gebe es von Betrieb zu Betrieb je nach Vermarktungsausrichtung starke Unterschiede. Wer stark an der Gastronomie hängt, wird stärker betroffen sein, als Weingüter und Genossenschaften, die viel über den Lebensmitteleinzelhandel (LEH) absetzen. Diese dürften „0 auf 0“ aus dem Jahr herausgehen.
Aber auch im LEH ist nicht alles Gold, was glänzt. Die allgemeinen Absatzzahlen für Weine stiegen zwar im Zuge der Pandemie, allerdings profitieren davon hauptsächlich Weine im unteren Preissegment. Hier sind die Württemberger eher seltener vertreten. Zusätzlich erschweren ausländische Weine, die vermehrt auf den deutschen Markt drängen, die Vermarktung.
Qualität schnell und effektiv messen
Zum Abschluss des Pressegesprächs stelle Ute Bader vom Baden-Württembergischen Genossenschaftsverband (BWGV) noch die Trabenqualitätsmessung mittels Nahinfrarotspektroskopie (NIRS) vor. Das Forschungsprojekt wird vom Land Baden-Württemberg gefördet und bietet an Traubenanahmestellen die Möglichkeit, sekundenschnell und ohne Probenentnahme die angelieferte Traubenqualität festzustellen.
Somit können die Partien objektiv bewertet und beispielsweise mit entsprechenden Zu- oder Abschlägen abgerechnet werden. Auch ist es möglich, die besten Partien sofort abzutrennen, um mit ihnen besondere Premiumweine herzustellen.
Mittlerweile sind in Genossenschaftsbetrieben in Baden-Württemberg bereits elf Sensoren erfolgreich in Betrieb. Das Interesse weiterer Kellereien ist ungebrochen, sodass sich das Verfahren nach Ende der offiziellen Projektlaufzeit im Dezember 2021 vermutlich in der Praxis durchgesetzt haben dürfte.
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