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Bauern prägen selbst ihr Bild

Dialog für reale Bilder in der Öffentlichkeit

Viele Wunsch-, Traum- und Zerr-Bilder gibt es in der Öffentlichkeit über die Landwirtschaft. Was können Landwirte tun, um ein reales Bild zu zeichnen? Sie selbst, nicht der Bauernverband oder die Kirche, müssen sich über ihr eigenes Bild klar werden. Sie können es im Dialog mit den Mitbürgern bilden und festigen. Das erklärte Dr. Clemens Dirscherl, Geschäftsführer des Evangelischen Bauernwerks in Württemberg, beim Kreisbauerntag Böblingen am Samstag, dem 23. Januar 2016, in Ehningen.
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Beim Kreisbauerntag Böblingen (von rechts): Kreisvorsitzender Andreas Kindler, Hauptredner Dr. Clemens Dirscherl, Geschäftsführerin Sabine Drüppel; links Vize-Vorsitzender Hans-Georg Schwarz.
Beim Kreisbauerntag Böblingen (von rechts): Kreisvorsitzender Andreas Kindler, Hauptredner Dr. Clemens Dirscherl, Geschäftsführerin Sabine Drüppel; links Vize-Vorsitzender Hans-Georg Schwarz.Krehl
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Ehningen (Landkreis Böblingen), 23. Januar 2016

Es ist nicht selbstverständlich, einen kirchlichen Vertreter zum Bauerntag einzuleiten, meint Dirscherl gleich zu Beginn. „Haben die Landwirte Trost nötig?", fragt der Agrarbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). So, wie es in der diesjährigen Jahreslosung heißt:

  • „Gott spricht: Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.“

Angesichts der miserablen Einkommenssituation wäre das verständlich. Doch würde Landwirte ihr „trostloses Bild" in der Öffentlichkeit oft noch stärker belasten, berichtet Dirscherl aus seinen Gesprächen. Deshalb gelte es, „nüchtern anzuschauen, was die Landwirte selbst ändern und was sie als unveränderbar anzunehmen" hätten.

Wunsch und Wirklichkeit klaffen auseinander

Wunsch und Wirklichkeit klaffen in der Öffentlichkeit häufig auseinander, so beim Bild über die Landwirtschaft. In der Tierhaltung wird dies derzeit besonders deutlich. Während beispielsweise in Osteuropa Tiere als materielle Möglichkeit gesehen werden, die Produktivität zu verbessern – weshalb auch unsere Käfige aus der Legehennenhaltung seinerzeit nach Osteuropa verfrachtet wurden – geht es in Deutschland in der öffentlichen Debatte intensiv um die Verbesserung des Tierwohls. "Das macht es in der EU für uns so schwierig, weil unterschiedliche Kulturbilder in den einzelnen Staaten existieren, jedoch in der gesamten Gemeinschaft gleiche Standards gelten", erläutert Dirscherl, weshalb es in Folge davon in Deutschland zu Wettbewerbsverzerrungen kommen kann.

Brüchige Übereinstimmung in Krisen

Die Übereinstimmung in der Gesellschaft, die bisher nie hinterfragt wurde, kann in solchen Krisen brüchig werden und gar aufbrechen. In der Bankenkrise wurde das deutlich, als Banker plötzlich im Image nach hinten rutschten und andere Berufe im Ranking der öffentlichen Wertschätzung wieder nach vorne kamen.

Die idyllische Landwirtschaft, welche in der Bevölkerung und teils noch in Schulbüchern vorherrscht, wird heute von vielen Unternehmen und in der Werbeindustrie ganz bewusst immer noch gepflegt. „Der Käse wird heute nicht mehr gestampft, historische Milchkannen nicht mehr verwendet, finden sich jedoch auf zahlreichen Milchprodukten und Werbeanzeigen“, gibt Dirscherl zu bedenken: „Wünsche, die wir haben, werden so gepflegt, Zerrbilder treffen aufeinander.“

Das Selbstbewusstsein stärken

Der Berufsstand sei selbst gefordert zu überlegen, welches Bild der Landwirtschaft er haben möchte.

Dirscherl erzählt von einer Befragung, welche junge Landwirte an der Autobahnraststätte Hohenlohe durchführten, ohne sich selbst als Landwirt auszugeben. Abschließend fragten sie, aus welcher Berufsgruppe sie wohl kämen.

  • Ergebnis: die Befragten sahen den jungen Landwirten „den Landwirt“ nicht an. Dieselben freuten sich darüber riesig.
  • "Waren Sie etwa froh, dem manchmal schlechten Image von Jungbauern nicht zu entsprechen?"
  • "Oder sind sie im Selbstbewusstsein angeknabbert?“

Dirscherl folgert: „Wir müssen nachdenken, wie wir das Selbstbewusstsein in unserem Berufsstand stärken!“

„Industrie“ passt ganz gut

Den vielfach negativ ausgelegten Begriff „Agrarindustrie“ findet der EKD-Agrarbeauftragte „gar nicht schlecht“. Denn die Technik hat in der Landwirtschaft wie in anderen Industriezweigen die Produktivität immens erhöht. Dort allerdings wird die Steigerung der Arbeitsproduktivität und der Anwendung technischen Fortschrittes überwiegend als positiv angesehen.

Landwirtschaft wird instrumentalisiert

Die Landwirtschaft bekommt jedoch die Folgen der zu beobachtenden „Infantilisierung“ der Gesellschaft ab, welche sich auch in der Flut von Spiel- und Rate-Shows im Fernsehen widerspiegelt. So werden Jungtiere als „süß, putzig, goldig, niedlich“ bezeichnet, was den Bedürfnissen von Teilen der Gesellschaft entspricht. „Die Landwirtschaft wird instrumentalisiert, um Sehnsüchte zu erfüllen, und gleichzeitig, um möglichst billige Lebensmittel zu erzeugen!“, erklärt Dirscherl. Und schon ist der Konflikt Agrarkultur contra Agribusiness da.

Bild, das der Realität nahe kommt

Wenn jetzt Vertreter der Landwirtschaft und ihre Kritiker an einen Tisch sitzen, wozu Bundesminister Christian Schmidt im Februar eingeladen hat, müsse es Aufgabe sein, „ein Bild zu zeichnen, dass möglichst nahe an die Realität herankommt. Dazu ist die Lebenswirklichkeit auf den Höfen wahrzunehmen“, meint Dirscherl.

Eine „Agrarwende“ ohne Berücksichtigung der Anliegen der Betroffenen „kann man nicht bringen“, betont er. Ebenso wenig könne das Kopieren der Schwänze verboten werden, solange keine Alternative in der Realität bestünde.

Den Dialog über das eigene Bild selbst führen

„Welches Bild haben Sie selbst vom Ihrem Berufsstand?“, fragt Dirscherl die Zuhörer. „Gehen Sie mit diesem Bild in die Zukunft und die Öffentlichkeit. Dieser Dialog kann nicht nur vom Bauernverband oder der Kirche geführt werden, dazu bedarf es leibhaftiger Bäuerinnen und Bauern!“, betont der EKD-Agrarbeauftragte.

Kernaufgabe Landschaftspflege

Es dürfe nicht sein, dass Landwirte „die letzten Mohikaner“ werden. Zu ihren Kernaufgaben gehöre die Pflege der Naturlandschaft. Dieser Aufgabe „müssen wir uns noch mehr stellen“, betont Landrat Roland Bernhard. „Die Tore für die Gläserne Produktion öffnen, damit Verbraucher wissen, wie die Landwirtschaft tickt, Landwirtschaft mit allen fünf Sinnen und nicht nur mit dem Geruchssinn erfahren“. Das sei im hart umkämpften Markt eine wichtige Maßnahme. Bernhard dankt allen Landwirte und Jägern und deren Familien, die sich in der Gläsernen Produktion engagieren. So könnten sie Verständnis für die Landwirtschaft schaffen und „das Herz der Menschen erreichen“.

Im Ballungsraum, wo landwirtschaftliche Nutzfläche immer knapper werde, „müssen wir uns zusammensetzen, wie wir den Flächenverbrauch mindern können“, räumt der Landrat ein. Er lobt das Landwirtschaftsamt, dessen Chefin Regina Meier und deren Mitarbeiter. Sie hätten 640 Landwirten im Landkreis Böblingen noch bis Ende vergangenen Jahres 6,4 Millionen Euro an Ausgleichszahlungen und 43 Landwirten 0,25 Millionen Euro Ausgleichszulage ausbezahlen können. Das sei gutes Geld für von den Landwirten erbrachte Leistungen, unterstreicht Bernhard.

Bauern müssen achtsam sein

Zuvor hatte der Gastgeber, Ehningens Bürgermeister Claus Unger, die Bäuerinnen und Bauern zum Kreisbauerntag in der Turn- und Festhalle willkommen geheißen. Er habe schon etwas gelernt: „Sei wachsam, auf der Hut!“ Darum war es zu Beginn des Kreisbahntages in dem aufgelegten Lied von Reinhard May gegangen, das Kreisvorsitzender Kindler hinsichtlich der Achtsamkeit auf die aktuelle Situation der Landwirtschaft bezog. „Bauern müssen schon immer wachsam sein, um bestehende zu können“, hatte Andreas Kindler gesagt.

Dem stellvertretenden Kreisvorsitzenden Hans-Georg Schwarz blieb es zum Ende des Kreisbauerntages vorbehalten, dem Hauptreferenten, allen Teilnehmern, dem örtlichen landwirtschaftlichen Ortsverein für dessen Organisation und Hallenschmuck sowie allen Mitwirkenden zu danken.

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