Neuabgrenzung für Baden-Württemberg
Seit Mitte der 1970er Jahre fördern die Europäische Kommission und das Land Baden-Württemberg sowie die Bundesregierung die Bewirtschaftung von Flächen in von der Natur benachteiligten Regionen mit dem Ziel der Erhaltung der flächendeckenden Landwirtschaft, aber auch der Offenhaltung und Pflege der Kulturlandschaft. Das Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz (MLR) will die Umsetzung möglichst erst ab 2019 durchführen und Fördervolumen weiterhin stabil halten.
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In Baden-Württemberg stellt diese Förderung insbesondere für die Mittelgebirgslagen ein wichtiges Instrument der Agrarpolitik dar. Die Fördergebiete sind in mehrere sogenannte Gebietskulissen unterteilt (Berggebiete rund 119.000 Hektar, Gebiete mit naturbedingten Nachteilen rund 774.000 Hektar, Gebiete mit spezifischen Benachteiligungen/Kleine Gebiete 23.000 Hektar). Auf Drängen des Europäischen Rechnungshofes mussten die EU-Kommission und die Mitgliedstaaten die Gebietskulissen überprüfen und nach EU-weit einheitlichen Abgrenzungskriterien neu festlegen. Die Entwicklung objektiver und EU-weit anwendbarer Abgrenzungskriterien sowie die Gebietsabgrenzung selbst waren ein langjähriger Prozess, der seit 2004 läuft und bereits im Jahr 2010 hätte abgeschlossen sein sollen.
Die EU-Kommission hat vor wenigen Tagen das Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz informiert, dass die von Baden-Württemberg im April eingereichten Unterlagen zur Methodik und den Datengrundlagen nach mehrstufiger Prüfung von der EU-Kommission akzeptiert werden. Damit können die Informationen der Öffentlichkeit, die Umsetzung in nationales Recht und das eigentliche Genehmigungsverfahren erfolgen.
Die Einführung der neuen Gebietskulisse wurde auf europäischer Ebene mehrfach verschoben, muss aber nach derzeit geltendem EU-Recht nun im Jahr 2018 umgesetzt werden. Allerdings wird derzeit in Brüssel im Rahmen noch laufender Rechtsänderungen an der Möglichkeit einer nochmaligen Verschiebung bis 2019 gearbeitet. Baden-Württemberg sowie der Bund haben den Vorschlag von Irland zur Verschiebung unterstützt. Noch ist allerdings unsicher, ob die Verschiebung rechtzeitig beschlossen wird. Man arbeitet auf europäischer Ebene intensiv daran.
Was wurde neu abgegrenzt?
Neu abgegrenzt werden mussten die Gebiete mit naturbedingten Nachteilen (sogenannte benachteiligte Agrarzone oder benachteiligte Gebiete). Die bisherigen Berggebiete konnten nahezu unverändert erhalten werden. Nur in einigen geteilten Gemarkungen mit unterschiedlichen Kulissenzugehörigkeiten musste eine Bereinigung erfolgen, da in die neue Gebietskulisse nur noch ganze Gemarkungen aufgenommen werden können.
Die bisherigen „kleinen Gebiete“ gehen in der neuen Kulisse für Gebiete mit naturbedingten Nachteilen auf und entfallen als eigenständige Gebietskulisse.
Für die Neuabgrenzung der Gebiete mit naturbedingten Benachteiligungen wurden für die 1. Stufe der Abgrenzung acht einheitliche biophysikalische Indikatoren vorgegeben. Diese gelten EU-weit und sind in der Verordnung (EU) Nr. 1305/2013 zur Förderung der ländlichen Entwicklung festgeschrieben. In der Gemeinschaft wurden in der Vergangenheit laut Informationen der EU rund 150 unterschiedliche Abgrenzungsparameter verwendet.
Für die Neuabgrenzung kamen in Baden-Württemberg die Indikatoren Niedrige Temperatur, Begrenzte Wasserführung im Boden, verschiedene Bodenparameter wie z. B. Skelettanteil im Oberboden, organische Böden, Vertisole (Pelosole), Durchwurzelungstiefe und Steile Hanglage zur Anwendung bzw. waren durch nennenswerte Flächenanteile wirksam.
Die Merkmale Trockenheit, übermäßige Bodenfeuchte und bestimmte Bodenkennwerte (Sand, schlechte chem. Eigenschaften) wirkten bei uns nicht.
Die Gebietsabgrenzung erfolgt auf Ebene der Gemarkungen. Eine Gemarkung gilt als benachteiligt, wenn mindestens 60 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche aufgrund der o. g. Indikatoren als benachteiligt eingestuft werden.
Die technische Abgrenzung erfolgte digital durch den Verschnitt verschiedener Kartenwerke (Bodenkarten, Hangneigungskarten, Karten des Deutschen Wetterdienstes und der landwirtschaftlich genutzten Fläche) durch die Landesanstalt für die Entwicklung der Landwirtschaft und der Ländlichen Räume im Auftrag und in Abstimmung mit dem Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz.
Die nach diesen Kriterien ermittelten benachteiligten Gemarkungen mussten einer 2. Stufe (Feinabgrenzung oder Fine-tuning) der Abgrenzung unterzogen werden, um Flächen, bei denen die Benachteiligung als überwunden angesehen wird, aus der Kulisse und somit der Förderung auszuschließen. Hierbei ist an den Ausschluss von Bewässerungsflächen, durch Drainage verbesserte Flächen oder an Unterglas- und Folienanbau usw. gedacht.
Die EU-Regelungen lassen hierfür verschiedene Abgrenzungs- und Berechnungsmethoden zu, die zum Teil sehr aufwändig und kompliziert sind und bis hin zu einzelbetrieblichen Berechnungen der Ertrags- und Einkommenssituation führen können. Die treffendste Möglichkeit für Baden-Württemberg ist die Anwendung der Ertragsmesszahl – EMZ, untermauert mit weiteren Parametern. Für BW ergibt sich für die Feinabgrenzung ein Schwellenwert von EMZ 46,6 (d.h. in der Stufe 1 abgegrenzte Gemarkungen mit EMZ über 46,6 sind nicht in der neuen Kulisse enthalten).
Neben Berggebieten und den Gebieten mit naturbedingten Nachteilen ist nach EU-Recht noch die Ausweisung einer dritten Gebietskategorie, den „Gebieten mit spezifischen Benachteiligungen“ möglich. Hierfür muss ebenfalls ein auf Indikatoren beruhendes System mit analogen Verfahren (Abgrenzung über zwei Stufen und Genehmigungsverfahren bei der EU-Kommission) durchlaufen werden. Allerdings gibt es für die Indikatoren keine festen Vorgaben. Für Baden-Württemberg sollen auch Gebiete mit spezifischen Benachteiligungen ermittelt und nach Möglichkeit ausgewiesen werden. Die Erarbeitung wirklich tragfähiger Indikatoren ist jedoch schwierig und der Prozess aufwändig. Derzeit können hierzu noch keine näheren Ausführungen gemacht werden. Es sind auch noch keine genehmigten und umgesetzten Indikatoren und spezifische Gebiete in Deutschland bzw. EU-weit bekannt.
Wie sieht die neue Kulisse aus?
In der Karte sind die bisherigen und die neuen benachteiligten Gebiete (nach Abgrenzung 1. und 2. Stufe) dargestellt. Die bisherige Abgrenzung ist gelb schraffiert, Berggebiete sind braun und die Gebiete mit naturbedingten Nachteilen grün eingezeichnet.
Bedingt durch die grundsätzlich neue Herangehensweise und Vereinheitlichung der Abgrenzungskriterien ergeben sich für einige Landesteile deutliche Veränderungen der Gebietskulisse.
Während für die Mittelgebirgslagen im Schwarzwald und auf der Schwäbischen Alb sowie im Allgäu und Teile des Odenwaldes die Einstufung als benachteiligte Agrarzone auch mit den neuen Kriterien erhalten werden kann, können zukünftig Flächen in eher ackerbaugeprägten Gebieten nicht mehr als benachteiligt eingestuft werden. Gleichzeitig kommen aber auch aufgrund der geänderten Abgrenzungsparameter neue Gemarkungen im Umfang von rd. 70.000 Hektar in die Gebietskulisse hinein.
Insgesamt werden landesweit rd. 354.000 Hektar nicht mehr als benachteiligt eingestuft (entspricht einer Reduzierung von 38,65 Prozent von bisher rd. 916.000 Hektar). Bei den Gebieten mit naturbedingten Nachteilen reduziert sich die landesweite Kulissenfläche von rd. 774.000 Hektar auf rd. 450.000 Hektar.
Beim Berggebiet ergibt sich durch die Anpassung bei den geteilten Gemarkungen eine Reduzierung um etwa 7.000 Hektar von rd. 119.000 auf 112.000 Hektar.
Die neue Gesamtkulisse umfasst eine Fläche von rd. 562.000 Hektar. Die Fläche der Gebietskulisse stellt die potentiell förderfähige Fläche dar. Allerdings wurde bereits in der Vergangenheit die Kulissenfläche nie im vollen Umfang beantragt.
Die abschließende Genehmigung der Neuabgrenzung und der angepassten Förderung erfolgt schließlich mit einem Änderungsantrag zum Maßnahmen- und Entwicklungsplan Ländlicher Raum Baden-Württemberg 2014-2020 (MEPL III) durch die EU-Kommission.
Die beigefügte Karte sowie eine Liste mit der Einstufung sämtlicher Gemarkungen einschließlich der relevanten Indikatoren und die ausgewiesenen Flächen sind voraussichtlich ab Freitag (24. November) über das Internet : https://www.landwirtschaft-bw.info/pb/MLR.Foerderung,Lde/Startseite/Foerderwegweiser/Neue+Gebietskulisse öffentlich einsehbar.
Wie sieht zukünftig die Förderung aus?
Bisher stehen für die Ausgleichzulage rund 30 Mio. Euro jährlich zur Verfügung. Dieser Betrag soll auch weiterhin eingesetzt werden. Dabei soll die Förderung in den Berggebieten unverändert erfolgen.
In den Gebieten mit naturbedingten Nachteilen wird die Staffelung der Benachteiligung - wie bereits im Berggebiet - mit Einführung der neuen Kulisse nach der Ertragsmesszahl und nicht mehr nach der Landwirtschaftlichen Vergleichszahl erfolgen. Bei Grünland ist eine Staffelung zwischen 40 und 100 Euro/Hektar in Abhängigkeit der EMZ geplant. Neu eingeführt wird die Förderung auch für Ackerflächen (= alle Kulturen außer Grünland) mit einem Betrag von 25 Euro/Hektar. Dies ist gemäß den EU-Vorgaben zwingend, da aufgrund von Vereinbarungen im Rahmen der WTO keine einseitige produktionsbezogene Förderung erfolgen darf.
Für die Förderung der Ackerflächen in der zukünftigen Kulisse wird der größte Teil der aus der Verkleinerung der Kulisse freiwerdenden Mittel verwendet. Die Grünlandförderung je Hektar kann weiterhin im bisherigen Umfang erfolgen.
Die Darstellungen stehen noch unter dem Vorbehalt der Genehmigung der Änderungen der Ausgleichszulage im Rahmen eines Änderungsantrags, der am Jahresende bei der EU-Kommission eingereicht wird



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