Landwirtschaft zwischen Skandal und Landlust
81 Prozent der Besucher des Dritten Landwirtschaftsdialogs in Hohenheim waren der Meinung, dass die Landwirtschaft in der Öffentlichkeit weniger gut wahrgenommen wird, als sie in der Realität ist. Doch welche Faktoren haben dieses Bild geprägt, wenngleich doch ebenfalls eine gesteigerte Sehnsucht nach dem idyllischen Landleben zu verzeichnen ist? Und was kann der gesamte Sektor inklusive vor- und nachgelagerter Industrie unternehmen, um die Landwirtschaft wieder ins rechte Licht zu rücken? Dieser und vielen weiteren Fragen gingen die Referenten aus Wirtschaft, Forschung und Politik am 19. April in Hohenheim nach.
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Weniger als 1,5 Prozent der Erwerbstätigen arbeiten in der heutigen Industriegesellschaft noch in der Landwirtschaft. Das hat zur Folge, dass ein Großteil der Bevölkerung nicht mehr mit der Landwirtschaft in Berührung kommt und somit auch nicht mehr weiß, wie sie funktioniert.
Die Agrarkritik nimmt überhand
Trotzdem wird der Berufsstand zunehmend kritisch gesehen, was letztlich auch an den Medien liegt. Einerseits wird ein romantisches Bild gezeichnet, andererseits sieht sich die Branche einer kritischen Berichterstattung gegenüber. Dadurch entsteht ein zweigeteiltes Bild beim Verbraucher, der beispielsweise Defizite beim Tierwohl und Umweltschutz sieht, den Bauer und seine Hofkultur aber dennoch wertschätzt. Doch warum ist die Berichterstattung derart kritisch? Dr. Ludger Schulze Pals von der Fachzeitschrift top agrar ist zum einen der Meinung, dass Teilbereiche der Landwirtschaft tatsächlich Probleme haben. Zum anderen "erzeugen Skandale mehr Klicks als Jubelmeldungen". Auch gibt er zu bedenken, dass die Berichterstatter meist nicht aus der Landwirtschaft kommen, sondern Umwelt- und Verbraucherjournalisten sind, die einen anderen Blick auf die Zusammenhänge haben. Denn Journalisten schreiben Beiträge eben für ihr Klientel. NGOs und Agrarkritiker bedienen die Medien perfekt, liefern O-Töne und druck- und sendefähige Formate. Das sei in der landwirtschaftlichen Szene, auch bei den Bauernverbänden, nicht der Fall, sagt Pals. Medien werden von unterschiedlichen Bereichen auf eine andere Art und Weise bedient. Somit entsteht durch die Berichterstattung der Eindruck, dass sich die Landwirtschaft in eine völlig falsche Richtung entwickelt und dass es überall Probleme gibt. Für Pals lauten die Kernfragen: Ist die Branche selbstkritisch genug? Ist sie aktiv genug? Und distanziert man sich ausreichend von den schwarzen Schafen? An erster Stelle müsse man sich selbstkritisch hinterfragen und mit Transparenz und Ehrlichkeit, aktive Kommunikation betreiben. Denn der Verbraucher liebt idyllische Bilder und das wird sich nach Meinung Pals auch nicht ändern.
Die Verbraucher werden kultiviert
Idyllische Bilder werden früh generiert, weiß Prof. Dr. Jens Vogelgesang von der Uni Hohenheim. Sie entstehen durch Kinderbücher wie "Heidi" oder "Conny auf dem Bauernhof", in denen die Massentierhaltung nicht vorkommt und praktisch alle Tiere das Privileg der Freilandhaltung genießen. Ein Bild wie dieses lagert sich im Kopf ab, man ist permanent Vorstellungsbildern ausgesetzt. Des Weiteren werden Bauern vorgeführt, nimmt man sich einmal die Sendung "Bauer sucht Frau" zum Beispiel. Das bedeutet einen immensen Imageschaden für die Landwirte. Diese Stereotypen werden immer und immer wieder bedient und schließlich in das Bewusstsein des Konsumenten übernommen. In der Kommunikationswissenschaft wird dieser Effekt als Kultivierung bezeichnet, erklärt Vogelgesang. "Wir wurden romantisch sozialisiert, das trifft dann auf Skandalberichterstattung." Diesbezüglich müsse man wissen, dass Journalisten eine Realität konstruieren. Informationen werden selektiert und aufbereitet, eine Realität wird konstruiert. Es geht oft darum, einen möglichst hohen Nachrichtenwert zu schaffen, der Aufmerksamkeit erregen soll.
Die Landwirtschaft muss Haltung zeigen
Hans-Heinrich Berghorn vom Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverband sieht die Landwirtschaft einem Glaubenskrieg ausgesetzt. Es herrsche die Meinung vor, dass der Bauer rücksichtslos mit Mensch, Tier und Natur umgehe. Diese Anklage ist ideologisch befeuert und richtet sich nicht nach wissenschaftlichen Fakten. Der Protest kommt dabei zum großen Teil aus akademischen Kreisen, etwa von Naturwissenschaftlern und Juristen. Dadurch hat es der Bauernverband besonders schwer, sich der Kritik entgegenzusetzen. Aber woher kommt diese Ideologie? "Es geht um Nährwert und Mehrwert heute", erklärt Berghorn. Konsumentscheidungen werden zunehmend vom guten Gewissen gesteuert. Im Supermarktregal kauft man nicht mehr nur Bier, sondern rettet zugleich den Regenwald. Es geht darum, beim Einkauf etwas Gutes zu tun, an der Weltrettung teilzuhaben. Diesen gesellschaftlichen Wandel gilt es zu akzeptieren und Haltung zu zeigen. Es gilt, nachhaltige Konzeptionen in den Betrieben und Verbänden zu entwickeln und stabile Strukturen aufzubauen. Wenn die Haltung der Branche geklärt ist, Schwachstellen ausgemerzt sind, muss die Agrarkommunikation in die Offensive gehen. Mut statt Angst! Demut statt Hochmut! Entschiedenheit statt Zögerlichkeit!
Der Landwirt ist raus aus der Anonymität
Auch der Lebensmitteleinzelhandel fordert ein Umdenken, denn die Marktbeziehungen sind heute nicht mehr so anonym wie früher. "Es geht um veränderte Beziehungen zwischen Lebensmitteleinzelhandel und den Landwirten direkt", sagt Dr. Heinz Schweer vom Fleischproduzenten Vion. Der Landwirt werde zunehmend Werbeträger für die Fleischindustrie, weil er immer noch das Vertrauen des Verbrauchers genießt. Über QR-Codes auf den Packungen lassen sich per Handy teilweise sogar einzelne Fleischpartien exakt zum Landwirt zurückverfolgen. Der Verbraucher prangere die industrielle Landwirtschaft an und nicht den Bauer an sich. So entstehen immer mehr und mehr Qualitätslabels, die der Lebensmitteleinzelhandel selbst einführt, weil die Politik schleppend reagiert und keine einheitliche Regelungen schafft. Der Lebensmitteleinzelhandel wird dabei von den Landwirten durchaus als Partner auf Augenhöhe wahrgenommen, eine ausreichende Finanzierung für den Mehraufwand durch gestiegene Produktionsstandards werde vom LEH geleistet, sagt Schweer. Es müssten aber langjährige Verträge geschaffen werden, um dem Landwirt Sicherheit zu geben.
Social Media ist ein Sprachrohr für die Landwirtschaft
Werbung sollten die Landwirte auch in eigener Sache machen, findet Rainer Winter von der Deutschen Landwirtschaftlichen-Gesellschaft (DLG). Bei der DLG ist Winter in der Arbeitsgruppe Informationstechnologie tätig und beschäftigt sich ausführlich mit Agrar-Bloggern. "Bauern sind eine der vernetztesten Berufsgruppe überhaupt", betont Winter. Dieses Potenzial gelte es zu nutzen, Kommunikation zu betreiben. Ein wichtiges Instrument ist Social Media. "Social Media ist speed." Facebook ist immens wichtig für die öffentliche Meinung. Sprecherrollen, die früher auf Funktionäre ausgelagert waren, bekleiden heutzutage zunehmend Privatpersonen, die sich über Agrar-Blogs engagieren. Die Amerikaner nutzen Kanäle wie YouTube schon intensiv, es gibt zahlreiche aktive Landwirte wie den Farmer Derek Klingenberg. Offensiv fordert er: "We need to tell the consumer our story, because if we don't, somebody else will!"
Rausgehen und ran an das Greifbare
Wichtig ist, Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben, wie Julia Niessen und Henriette Keuffel vom Forum Moderne Landwirtschaft. Das Forum will Landwirte und Städter ins Gespräch bringen, der Landwirtschaft eine Stimme bei der städtischen Bevölkerung verleihen. So organisierte das Forum unter anderem eine Grillaktion am Stuttgarter Rotebühlplatz direkt in der Stadtmitte. Neben vielerlei Saatgut wurde ein Schlepper mitten in der Fußgängerzone geparkt, der als Publikumsmagnet diente. "Aktiv rangehen durch das Greifbare" lautet die Devise und mit Stolz und Selbstbewusstsein den vielbesagten Betonklotz auf der Brust ablegen.
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