Biodiversität auf der Schwäbischen Alb
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„Wir arbeiten hier mit Warteliste. Die Foren, die wir für unser Biosphärengebiet vorgesehen haben, sind ein Renner, freute sich Regierungspräsident Klaus Tappeser bei der Begrüßung der Vertreter der Landwirtschaft und des Naturschutzes über den guten Besuch und unterstrich die Bedeutung des Zukunftsforums, welches ohne die Fraktionsmittel der Grünen und der CDU so nicht zustande gekommen wäre. Das Biosphärenreservat Schwäbische Alb, von der UNESCO als Weltkulturerbe eingestuft, erstreckt sich von der Albhochfläche mit ihren Wacholderheiden über den Albtrauf mit seinen Hang- und Schluchtwäldern bis in dessen Vorland mit weiten Streuobstwiesen. Es repräsentiert somit eine ungemein abwechslungsreiche Landschaft. Tappeser lobte die gute Zusammenarbeit zwischen allen Akteuren. „Mit 'Bienenstrom' und 'Albgemacht' hat die Landwirtschaft im Kreis einen riesigen Knüller gelandet“, so Tappeser.
Ohne Landwirtschaft geht es nicht
Für Thomas Reumann, Landrat im Kreis Reutlingen und Vorsitzender des Biosphärenvereins, ist die Landwirtschaft der Schlüssel für den ländlichen Raum - für die Gesellschaft in Sachen Ernährung und Erhalt der Kulturlandschaft. „Ohne die Landwirtschaft geht es nicht“, so Reumann. Im Forum ging es um die Verankerung der Biodiversität, um Akzeptanz, um Wahrnehmung und um Wertschätzung. Die bäuerliche Landwirtschaft mit familiengeführten Betrieben, brauche eine gute Zukunft, forderte Reumann. Der Landkreis Reutlingen sei bundesweit einer von drei Landkreisen in denen Langzeituntersuchungen zur Artenvielfalt laufen, die Ergebnisse werden 2020 erwartet. Nachhaltige Land- und Forstwirtschaft, Imkerei, Schäferei, extensive Grünland-Nutzung: „Wir haben schon viel getan für den Erhalt der Artenvielfalt, viel auf den Weg gebracht und sind uns der Verantwortung bewusst“, so Reumann.
In Sachen Naturschutz schon viel gemacht
Das machte auch Gebhard Aierstock deutlich: „Die Landwirte haben in Sachen Naturschutz schon sehr viel getan.“ Der Vorsitzende vom Kreisbauernverband Reutlingen ist im Vorstand und im Beirat des Biosphärengebiets und hat damit auch einen Sitz im Lenkungsausschuss. Im Verein Blumenwiesen-Alb ist er ebenfalls im Vorstand. Der Vorsitzende in diesem Verein ist Professor Dr. Rainer Oppermann vom Institut für Agrarökologie und Biodiversität aus Mannheim. Er brachte in den Diskussionsrunden unter anderem sein Wissen in Sachen Blühmischungen ein. Weiteren fachlichen Input gab es von Professorin Dr. Maria Müller-Lindenlauf von der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen.
Landwirte müssen Geld verdienen und brauchen den Pflanzenschutz
Gebhard Aierstock setzt sich dafür ein, dass die Landwirte mit Biodiversität auch Geld verdienen können. „Wie wird aus Wertschätzung auch Wertschöpfung“, lautete eine zentrale Frage, die sich wie ein roter Faden durch die Veranstaltung zog. Gerade bei der Grünlandnutzung sei man im Kreis schon sehr ökologisch unterwegs. 44,7 Prozent der Kreisfläche wird landwirtschaftlich genutzt, darunter sind 25.000 Hektar Grünland und 20.000 Hektar Acker. Auf 34 Prozent der Ackerfläche gibt es eine fünfgliedrige Fruchtfolge. Das Grünland wird heute schon zu großen Teilen extensiv und zu fast 60 Prozent ökologisch bewirtschaftet. Der FFH-Schutzstatus sollte auf keinen Fall noch weiter ausgeweitet werden, sonst werden die Landwirte in ihrer Wirtschaftlichkeit gefährdet, meinte Aierstock. Unter anderem gehe es auch darum, neue Nutzungsmöglichkeiten fürs Grünland zu finden, zum Beispiel die Produktion von Graspapier. Die Düngung im Frühjahr, die Schnittzeitpunkte: „Da gibt es viele Dinge, die zusammen kommen“, sagt Aierstock. Von magerem Blumenwiesenheu jedenfalls könnten die Milchkühe und damit auch die Landwirte nicht überleben. So müsse jeder Betrieb für sich herausfinden, wie er Ökonomie und Ökologie in Einklang bringt. Besonders gefürchtet im Heu ist die Herbstzeitlose, sie macht das Futter ungenießbar. Aierstock erklärte den Zuhörern, dass Pflanzenschutz in der Landwirtschaft keinesfalls ein Selbstzweck ist, sondern seit je her wichtig ist. Als Beispiel nannte er den Kampf gegen das Auftreten von gefährlichen Schimmelpilzen (Mykotoxinen) im Getreide.
Schwäbische Alb nicht unter Wert verkaufen
Das Biosphärengebiet ist eines von drei Langzeituntersuchungsgebieten in denen der Einfluss von Landnutzung und Landmanagement auf die Biodiversität untersucht wird. „Biodiversität ist Teil unserer Kulturlandschaft und Kulturgeschichte,“ so der Münsinger Bürgermeister Mike Münzing. Wenn es darum geht, einen besseren Preis für Streuobst-Apfelsaft oder Getreide von der Alb durchzusetzen sei das in der Praxis eine große Herausforderung. Für ihn lautet die Frage: „Wie verkaufen wir Schwäbische Alb?“ Die Antwort für ihn lautet: Vielfalt. „Wir konnten nie nur Milch oder nur Getreide machen, sondern von allem etwas und davon das Beste, das war immer schon notwendig um auf der Schwäbischen Alb zu überleben“, so Münzing.
Biodiversität als Teil der Kulturlandschaft
Der Grünen-Abgeordnete Markus Rösler lobte die gute Zusammenarbeit zwischen Agrariern, Naturschützern und der Politik, nach dem Motto: Vertrauen in etwas Gutes oder Kooperation stand Konfrontation. Er forderte: „Wenn Landwirte bestimmte Flächen aus welchen Gründen auch immer nicht nutzen, dürfen sie nicht bestraft werden, indem ihnen Prämien gekürzt werden“. Neben einem guten Dialog und einem guten Miteinander komme es für ihn jetzt darauf an, dass noch mehr konkrete Projekte entstehen.
Rückgang der Insekten weltweit
Daten und Fakten, wie es mit dem Insektensterben weltweit tatsächlich aussieht, lieferte Professor. Dr. Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Halle. Er gilt als einer der führenden Biodiversitätsforscher. „Es gibt gut dokumentierte Rückgänge der Insekten“, so Settele. Gerade als Bestäuber seien die Insekten für die Menschen sehr wichtig. Diese Bestäuber seien weltweit in Gefahr. Den ökonomischen Marktwert der Bestäubung bezifferte Settele in Münsingen auf jährlich 250 bis 600 Mrd. Euro weltweit (siehe Vortrag). Bemerkenswert sei, dass die Zahl der Honigbienen als wichtiger Bestäuber weltweit sogar zunimmt. Gleichzeitig aber seien über 40 Prozent der Bienenarten gefährdet, es gibt deutliche Rückgänge bei vielen Bienenarten, bei Schwebfliegen und Tagfaltern. Bei der Bestäubung ist jede Kulturpflanze anders: Während die Erdbeere etwa zur Hälfte von Honigbienen bestäubt wird, werden die Ackerbohnen zu rund 80 Prozent von Hummeln bestäubt.
Ursachen sind vielfältig
Settele betonte, dass es sehr schwierig ist, die Rückgänge bei den Insekten ganz bestimmten Ursachen zuzuschreiben. Gründe für die Rückgänge beziehungsweise Bedrohungen der Bestäuber-Tiere sind: Landnutzungswandel (Reduzierung von Nahrung und Nistmöglichkeiten), intensive Bewirtschaftung, Pestizide, genetisch modifizierte Kulturen, Krankheiten und Schädlinge, Klimawandel, invasive Arten und verschiedene Interaktionen zwischen den Populationen. Ziel sei die Pflege und Wiederherstellung ursprünglicher Habitate. Sinnvolle Maßnahmen seien das Einrichten von Nistmöglichkeiten und Schutzgebieten sowie blütenreichen Lebensräumen. Vor Ort könne man einiges tun. Wichtig seien möglichst viele heimische Pflanzen und Bestäuber. Dabei komme es aber längst nicht nur auf die Landwirte an. „Wir haben auch Forstwirte, Landschaftsplaner und Kleingärtner: Alle haben ihren Anteil daran und alle können gegensteuern“, so Settele. Auch der Klimawandel beeinflusse die Insekten. Das Klima wandere schneller als viele Arten in der Lage seien nachzuwandern. Oft fehlten den Tieren dann die Lebensräume.
Gutachten vom Weltbiodiversitätsrat
Josef Settele, der im Allgäu in Marktoberdorf aufgewachsen ist und dessen Vater bei Fendt gearbeitet hat, wurde Ende 2016 zu einem der Vorsitzenden für das Globale Assessment des Weltbiodiversitätsrates (IPBES) berufen. Der Weltbiodiversitätsrat ist vergleichbar mit dem Weltklimarat. Gemeinsam mit zwei weiteren Professoren-Kollegen leitet er ein interdisziplinäres Team von mehr als 150 Expertinnen und Experten aus aller Welt. „Wir versuchen gerade den globalen Stand des weltweiten Wissens über Biodiversität zu erfassen. Da sind wir in den letzten Zügen dieses Dokument zu erstellen - das ist sehr spannend, aber auch mit ziemlich viel Arbeit verbunden,“ berichtet Settele am Rande der Veranstaltung.
Terminhinweise für die weiteren Foren unter http://www.zukunftsforum-biosphaerengebiet.de
Weitere Fachinfos unter https://www.de-ipbes.de/media/content/Bestaeuber-Broschuere_ipbes_KS.pdf
Prof. Dr. Josef Settele im Live-Gespräch mit BWagrar
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