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Kindergarten auf dem Bauernhof

Seit einigen Jahren sprießen „Naturkindergärten“und „Waldkindergärten“ wie Pilze aus dem Boden. Bundesweit gibt es mehr als 1500, allein in Baden-Württemberg rund 160. Die Möglichkeit, einen„Bauernhofkindergarten“ besuchen zukönnen, bieten deutschlandweit derzeit 50 Bauernfamilien, in Baden-Württemberg sind es zwölf. BWagrar hat bei Akteuren nachgefragt, deren Vorgehensweise und Erfahrungen erkundet.

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Für mich ist die Idee des Bauernhofkindergartens die beste und schönste Form, mit Kindern ihren Weg ins Leben zu gehen. Wo sonst, als auf dem Bauernhof, gibt es alle Elemente, Entdeckungs- und Erfahrungsmöglichkeiten, die unser Leben und die Zukunft unserer Erde existenziell ausmachen“, so bringt es Helmut Siegl aus seinem langjährigen Erfahrungsschatz bei der Gründung von Bauernhofkindergärten in Baden-Württemberg auf den Punkt. Der Erzieher, Diakon und Leiter von Kindergärten, engagiert sich seit 2015 im Vorstand des Bundesverbandes der Natur- und Waldkindergärten.

Schwalbennest in Öhningen auf der Höri

Seit vier Jahren gibt es den Bauernhofkindergarten „Schwalbennest“, den 20 Kinder auf dem Linsenbühlhof der Familie Häberle besuchen dürfen. Die Familie betreibt in dritter Generation eine extensive Nebenerwerbslandwirtschaft auf 45 Hektar mit Ackerbau, Grünland für 15 Milchkühe, Wald und Streuobstwiesen. Als die drei Standbeine des Hofs nennt Marion Häberle: Milchviehbetrieb, „Lernort Bauernhof“ und Bauernhofkindergarten. „Wir haben umgebaut zum Boxenlaufstall mit Außenlaufhof und mit Melkstand. Alles schön modern und trotzdem noch klein“, meint sie verschmitzt. 2012 qualifizierte sie sich zur Bauernhofpädagogin. Das weckte bei der Mutter von zwei Söhnen und einer Tochter im Alter zwischen neun und 13 Jahren zunehmend die Begeisterung, mehr mit Kindern auf dem Hof zu arbeiten. 

Sie besuchte die Bundestagung für Bauernhofkindergärten, die von der Bundesarbeitsgemeinschaft „Lernort Bauernhof e.V.“ regelmäßig angeboten wird. Sie sprach potentielle Eltern an und fragte deren Wünsche ab. Derzeit gestaltet das fünfköpfige Kindergartenteam zwischen 7.30 und 13.30 Uhr ein vielseitiges Programm für die Kinder. Da sind die Leiterin und eine weitere Erzieherin in Vollzeit, zwei Teilzeitkräfte, zu denen Marion Häberle zählt, und eine Springerin. Als Landwirtsfrau und Bauernhofpädagogin kann Häberle, die auch als erste Vorsitzende im 2015 gegründeten Trägerverein „Bauernhofpädagogik Linsenbühlhof e.V.“ fungiert, die vielen Fragen der Kinder zu Tieren und Hof beantworten. Sie überlegt sich auch Themen für den Morgenkreis oder Freispielangebote.

Anfangs gab es einen Gruppenraum zum Schutz bei Regentagen oder kalten Tagen. Hinzugebaut wurde später eine Küche, dann kam ein zweiter gemütlicher Raum dazu. Ausgestattet mit einem Sofa und vielen Bilderbüchern, so dass sich die Kinder auch dort zurückziehen können. Stolz kann der Kindergarten auf die große, neue Kaninchenvoliere sein. Hier können die Kinder auf kleinen Hockern bei den freilaufenden Kaninchen und Meerschweinchen sitzen, sie beobachten und aus der Hand füttern.

Sponsorensuche und Wettbewerbe

Der Weg zum derzeitigen Angebot war durchaus steinig. „Anfangs sagte die Gemeinde, das soll sich erstmal etablieren“, berichtet Vorsitzende Häberle. „Wir hätten unser erstes Jahr nicht geschafft, wenn wir nicht eine sehr großzügige Spende der Software AG Stiftung erhalten hätten. Dann ergab sich durch Zuzüge und Neubaugebiete in der Gemeinde der Bedarf nach zusätzlichen Kindergartenplätzen. Damit wurde unser Bauernhofkiga in den Bedarfsplan aufgenommen. Es braucht sehr viel Überzeugungsarbeit bei den Ämtern“, denkt sie an die Anfänge zurück. „Für den Betrieb gilt es, Auflagen zu beachten. Die Familie geht ein gewisses Risiko ein. Einer allein kann keinen KiGa stemmen. Man braucht einen Träger, man braucht Mitarbeiterinnen, man trägt eine große Verantwortung für viele Familien“, zählt Häberle auf. „Aber ich glaube, das allergrößte Hindernis ist die Unwissenheit darüber, dass es überhaupt diese Möglichkeit gibt.“

Der Trägerverein Bauernhofpädagogik Linsenbühlhof ging für seinen Kindergarten intensiv auf Sponsorensuche. Die großzügige Starthilfe der Software AG Stiftung wurde bereits genannt. Die Filialen Singen und Radolfzell von dm-drogerie markt haben die komplette Erstausstattung an Seifen, Reinigungstüchern und anderen Drogerieartikeln gespendet. Dazu einen Bollerwagen, der in reger Benutzung für Ausflüge oder als Transportgefährt für Obst und Gemüse dient. „Außerdem machen wir bei vielen Wettbewerben mit, zum Beispiel von Banken. Man muss sich einfach trauen, über gute Dinge, die man tut, auch zu sprechen“, ist Marion Häberle überzeugt. Die Familie vom Linsenbühlhof darf stolz sein: In der UN-Dekade 2011 - 2020 Biologische Vielfalt wurde sie mit dem Sonderpreis „Natur und Soziales“ ausgezeichnet!

 

Naturkindergarten Hopfenhof in Nürtingen

Die richtige Entscheidung zum richtigen Zeitpunkt fiel bei der Gründung des „Naturkindergartens Hopfenhof“ auf der Oberensinger Höhe in Nürtingen. David und Damaris Traub hatten ihre vier Kinder (zwischen 7 und 11 Jahren) durch diverse kommuale Kindergärten „geschleust“ und dabei erfahren, dass im Ballungsraum das Thema Landwirtschaft nur am Rande behandelt wird. Einer da- hingehend engagierten Erzieherin schlug der Vater vor, doch gemeinsam einen Bauernhof-Kindi aufzumachen. Beide fanden ähnlich tickende Eltern. Aus dieser Initiative wurde im Juni 2018 der Trägerverein gegründet, mit David Traub als 2. Vorstand. Der folgende Prozess bis zur Erteilung der Betriebserlaubnis durch den zuständigen Kommunalverband für Jugend und Soziales (KVJS) im Mai 2019 verlief rasant. Dem kam zugute, dass die Stadt Nürtingen Bedarf an KiGa-Plätzen hatte. Zudem gab es bei der Kommune bereits Überlegungen, mit einem Waldkindergarten schnell und günstig Plätze zu generieren. „Durch Ehrenamt und Elternschaft hat man aber ein Engagement, das weit über normale Arbeitszeiten hinausgeht“, weiß Landwirt Traub. Die Gemeinde hat dann das eigene Projekt vorerst ad acta gelegt und die Gelder zum Bauernhofkindergarten umgeleitet.

Bereits 2014 besuchte David Traub ein Jahr lang einen zehntägigen Kurs zu Bauernhofpädagogik und Konzeptentwicklung für den eigenen Hof. Im selben Jahr kam eine Verbraucher-Initiative zur Gründung einer Solidarischen Landwirtschaft für Gemüse auf den Hopfenhof zu, der seit 1983 nach Bioland-Kriterien wirtschaftet. Dieser Betriebszweig wurde 2015 auch gleich gestartet. Der Hopfenhof liegt auf der Höhe zwischen Neckartal und Fildereben, umfasst rund 45 Hektar Ackerland und 35 Hektar Wiesen. Angebaut werden Getreide, Leguminosen und  Erdbeeren zum Selberpflücken. Ein Bioland-Kollege baut als Kooperationspartner Gemüse an. 

Mindestens 63 Prozent Zuschuss

Laut Kindertagesbetreuungsgesetz (KiTaG) von Baden-Württemberg erhalten freie und privat-gewerbliche Träger von Kindergärten,  die in die Bedarfsplanung aufgenommen sind, von der Gemeinde einen Zuschuss in Höhe von mindestens 63 Prozent der Betriebskosten (Personal- und Sachkosten). Die Stadt Nürtingen fördert die freien Trägern sogar mit 100 Prozent. So ist der Naturkindergarten Hopfenhof derzeit ein „Nullsummenspiel“ für den Trägerverein, wie es Traub nennt. Die Elternbeiträge richten sich nach den vom Gemeinderat festgesetzten Beträgen.  Die zweieinhalb Personalstellen teilen sich gegenwärtig vier Erzieherinnen, dazu gibt es eine „Bufdi-Stelle“ (Bundesfreiwilligendienst).

Die Familie Traub bietet ihren Hof als Plattform, die Wiese für den Bauwagen, die Infrastruktur (Strom, Wasser) oder den Rahmen für ein Hoffest. Aus Zeitgründen können sich David und Damaris Traub nicht pädagogisch mit Projekten einbringen. Für die Bewirtschaftung des Hofgärtles, in dem die Kinder selber Gemüse anbauen, gibt es jetzt eine gute Lösung mit dem externen Dienstleister „AckerKita“. Ab Januar 2021 werden von dort Pädagogen während drei Jahren immer wieder auf den Hof kommen, Erzieherinnen und Kinder anleiten und mit Lehrmaterialien versorgen. Das Projekt wird vom Land Baden-Württemberg und einigen Unternehmen gefördert und ist somit kostenmäßig für den kleinen Verein überschaubar.

Werbung und Imagegewinn

Haben wir einen finanziellen Erlös oder ist der Lohn „nur“ ein ideeller Wert? Das wird sich jede Landwirtsfamilie fragen. David Traub sieht es so: „Wenn ich als Landwirt mit etwas unzufrieden bin, kann ich nicht immer nur mit dem Finger drauf zeigen, sondern ich muss auch aufklären, Kommunikation betreiben. Die meisten Initiativen für Wald- oder Naturkindergärten haben das Problem, einen adäquaten Platz zu finden. Und ein Wiesle, das haben wir Landwirte zu bieten. Dafür bekomme ich eine kleine Pacht. Inwieweit sich die Landwirtsfamilie weiter einbringen will und kann, bleibt jedem selbst überlassen.“ Der Landwirt appelliert an seine Kollegen, doch ein Wiesenstück anzubieten. Wenn der Kindergarten gut läuft, hat das eine Werbefunktion und schafft einen Imagegewinn. 

Ungekürzter Beitrag in BWagrar 38/2020, Seiten 6 - 9 und im Archiv www.bwagrar.de

Mehr Infos zur Gründung eines Bauernhofkindergartens:

www.baglob.de

www.bvnw.de

www.kita-natura.de

www.bauernhofkindergarten-hoeri.de

www.naturkindergarten-hopfenhof.de

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