Freude und Frust im Familienbetrieb
„Landwirtschaft im Familienbetrieb – Friede, Freude, Frust?“ Unter diesem Titel haben in der Oedheimer Kultur- und Festhalle Kochana rund 400 Landwirte und Vertreter der Volksbanken und Raiffeisenbanken (VR) beim diesjährigen VR-Agrartag darüber diskutiert, wie familiäre Konflikte in landwirtschaftlichen Betrieben vermieden und bewältigt werden können.
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Der Familienbetrieb sorgt zum einen für sehr starke und verlässliche Strukturen. Zum anderen birgt die enge Verzahnung zwischen Beruf und Familie großes Konfliktpotenzial. „Generationenkonflikte, schwierige Hofnachfolgen oder Probleme in der Partnerschaft können leicht zu betrieblichen Schwierigkeiten führen“, sagte Monika van Beek, Verbandsdirektorin und Vorstandsmitglied des Baden-Württembergischen Genossenschaftsverbands (BWGV). Der Familienbetrieb basiere auf dem eingespielten Gleichklang von Familie, Eigentum und Betrieb. „Kommt nur einer der Bereiche ins Wanken, kann schnell der ganze Betrieb ins Ungleichgewicht geraten“, warnte van Beek.
Die Referenten des Agrartages beleuchteten das sensible Thema aus den unterschiedlichsten Perspektiven. Dr. Silvia Riehl weiß aus 35-jähriger praktischer Erfahrung als Familienberaterin von den Schwierigkeiten, nicht den Überblick oder gar sich selbst zu verlieren, wenn im Familienbetrieb eine Vielzahl an Rollen einzunehmen sind. Denn das generelle Dilemma des Familienbetriebs besteht darin, dass ein Mensch die Verhaltenserwartungen von drei Personen erfüllen soll. Der Landwirt soll für die Familie seine Rolle als Vater erfüllen. Als Unternehmer wird von ihm erwartet, den Betrieb auf den neusten Stand zu halten und möglichst weiter zu entwickeln. Als Eigentümer soll er das Vermögen vermehren. Dies führt in den Familien immer wieder zu Reibereien.
Familie und Betrieb ins Gleichgewicht bringen
Doch Riehl stellte klar, dass es für dieses Dilemma keine richtige Lösung gibt. Denn sobald man einer Erwartung folgt, verletzt man automatisch die andere. „Es geht auf Dauer nicht gut, wenn der Betrieb immer Vorrang hat und die Familie dadurch zu kurz komm. Wenn umgekehrt die Familie kein Verständnis dafür hat, dass während der Ernte in der Hochsaison keine Ausflüge und Freizeit möglich sind, geht das ebenso wenig.“
Als fundamentalen Wahrnehmungsfehler bezeichnete Riehl die Neigung der Menschen, ihr eigenes Verhalten mit den Umständen zu erklären. Das Verhalten des anderen dagegen mit dessen Eigenschaften. „Klar, dass der Landwirt nicht die Schulaufgaben der Kinder beaufsichtigen kann, denn er muss sich um den Betrieb kümmern. Wenn dagegen seine Frau diese Aufgabe übernimmt und keine Zeit für den Betrieb hat, ist sie eine dumme Zicke.“ Man müsse sich seiner eigenen Position bewusst sein und wissen, dass alle „ihre Rollen auf dem Spielfeld“ haben. Ebenso sollte für sich selbst und andere klar sein, in welcher Rolle man spricht. „Ich muss dir als Betriebsleiter sagen, dass wir am Wochenende nicht wegfahren können, weil diese und jene Arbeiten anstehen.“ Mit solch einer Begründung werde auch dem Ansprechpartner die aktive Rolle verständlicher.
Reden ist Gold – Schweigen macht krank
Im Zusammenspiel von emotionaler Nähe, Distanz, Über- und Unterordnung ist der Familienbetrieb ein System, das leicht ins Ungleichgewicht geraten kann. Sei es durch neue Familienmitglieder, neue Ideen oder andere Positionen. Um das Ganze wieder ins Gleichgewicht zu bekommen, rät Riehl dazu, Rollen und Bewegung und Veränderungen im System zu akzeptieren, sich seiner eigenen Position bewusst zu werden und vor allem miteinander zu reden. Für Riehl gilt der Grundsatz: „“Reden ist Gold. Schweigen macht krank.“ Dann nach ihren Erfahrungen zerstreiten sich landwirtschaftliche Familien selten. Vielmehr schweigen sie sich in ihren Beziehungen zu Tode. Weil keiner sagt, was er an Wünschen, Ängsten, Hoffnungen und Erwartungen hat.
Damit den Familienbetrieb als Erfolgsmodell hat Mediatorin Riehl folgende Empfehlung: Der jungen Generation Mut machen und Vertrauen schenken, wertschätzend kommunizieren und loslassen können.
Wie kann eine Hofübergabe möglichst reibungslos und mit einer Perspektive für möglichst alle Beteiligten gelingen? Marlise und Alfons Notz aus Weipoldshofen bei Leutkirch im Allgäu schilderten ihrer Erfahrungen bei der Hofübergabe und gingen auf die unterschiedlichen Erwartungen ein, mit denen sie tagtäglich konfrontiert worden sind. Sie haben vor drei Jahren ihren 34 Hektar Dauergrünlandbetrieb mit 27 Milchkühen einschließlich Nachzucht und florierender Direktvermarktung schuldenfrei übergeben.
Vom Familienberater wurden sie „in ihren Gefühlen abgeholt“. In seiner „systemischen“ Beratung bestätigte er, dass die Hofübergabe für Eltern zur Quadratur des Kreises wird. Er nahm den Altbauern aus dem Allgäu ihr „ungutes Gefühl gegenüber den weichenden Erben“: Denn das verständliche Anliegen der Eltern, ihr Kinder alle gleich zu behandeln, funktioniert bei der Hofübergabe nicht. Darum hat Familie Notz die Hilfe von außen in Anspruch genommen.
Familienfrieden durch Transparenz erhalten
Denn ihr klares Ziel war, den Familienfrieden nachhaltig zu sichern. Darüber war man sich mit dem jüngsten Sohn einig, der als potentieller Hofnachfolger zusätzlich eine landwirtschaftliche Lehre absolvierte. Alle fünf Kinder hatten zuvor andere Berufe erlernt. In einer „prozessbezogenen Hofübergabe“ sollte vor allem auf emotionaler Ebene nichts unter den Teppich gekehrt werden. Zu diesem Zweck wurde bewusst eine weitere weibliche Beraterin mit geschultem Blick auf den emotionalen Bereich hinzugezogen.
Am runden Tisch wurde der vom Notar entworfene und mit dem Steuerberater abgestimmte Übergabevertrag mit dem Beraterpaar und den Kindern ohne deren Partner mehrmals besprochen, bis alles stimmig war. Wie Marlise Notz sagte, müssen in solch einer Runde alle Sachverhalte offen gelegt werden und alle Fragen erlaubt sein. Für den Hofübernehmer stellt sich zum Beispiel die Frage, wie die Erfahrungen der alten Generation genutzt werden, um in dieser Umbruchphase für ausreichend Stabilität zu sorgen.
Die Kommunikationstrainerin und Landwirtin Martina Grill gab den Besuchern des VR-Agrartags Anregungen, wie „gelingende Beziehungen“ gestaltet werden können. Sie verdeutlichte an anschaulichen Beispielen aus ihrer Familie, wie Kommunikation funktioniert. Da hörte sie zum Beispiel als „eingeheiratete Schwiegertochter“ von ihrer Schwiegermutter, dass „in unserer Familie nicht gestritten wird, weil wir kein Probleme miteinander haben“. „Das mag sein, aber vielleicht gibt es statt dessen einen dicken Knoten unter dem Teppich“, meint dazu Grill.
Sie erklärte, dass die Gesprächsführung immer auf zwei Ebenen stattfindet. Hierbei entfallen nur etwa zehn Prozent auf die Sachebene und dreht sich um das, was wir sagen. Rund 90 Prozent findet auf der Beziehungsebene statt und bestimmt, wie und warum wir etwas sagen. Große Bedeutung für die Kommunikation haben deshalb Gefühle wie Vorurteile, Ängste, Sympathie, Vertrauen, Wertschätzung sowie Einstellung und Haltung des Gesprächspartners.
Um ernsthafte Gespräche führen zu können, bedarf es Raum und Zeit. Vom „Empfänger“ erfordert es die ungeteilte Aufmerksamkeit, das „aktive Zuhören“, damit die Nachricht des „Senders“ ankommt und richtig verstanden wird. Wichtige Voraussetzung für gute Kommunikation seien die positiven Absichten beide Partner, die Grill mit folgendem Grundgedanken beschreibt: „Ich bin ok ‑ du bist ok.“
Leitfaden für erfolgreiches Verhandeln
Für die erfolgreiche Verhandlungsführung gab Grill sieben Schritte als Leitfaden vor:
- Eröffnung: Den Verhandlungsrahmen setzen und vorab klären, welche Punkte anstehen. Wie viel Zeit steht zur Verfügung und wie gehen wir vor?
- Beide Seiten zu Wort kommen lassen. Gut vorbereitet eigener Interessen, Bedürfnisse und Ziele formulieren.
- Vorbereitete Optionen vorstellen und alle Ideen zulassen. Nach Gemeinsamkeiten suchen, vorhanden Probleme ansprechen und auf dieser Basis Lösungsmöglichkeiten suchen.
- Zu den Lösungen nochmals Fragen stellen lassen, Einwände diskutieren und Argumente austauschen.
- Entscheidung fällen und Vereinbarung treffen.
- Das Ergebnis schriftliche Festhalten.
- Abschluss und über Verlauf des Entscheidungsprozesses nachdenken. Was hat er für die Beteiligten gebracht?
Grill räumte ein, dass mit diesem Leitfaden sicher nicht alle Probleme der Welt zu lösen sind. „Solche Probleme muss man akzeptieren“, sagt sie. „Vor allem kann man aber damit aufhören, sich von ihnen weiter ‚faszinieren‘ zu lassen.“
Weitere VR-Agrartage finden statt am 22. November in Sigmaringen, am 27. November in Laupheim und am 30. November in Öhringen.
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