Heimspiel in Oberschwaben
Die Produktion von Nahrungsmitteln zog sich wie ein roter Faden durch die Rede von Norbert Lins, dem Vorsitzenden des Agrarausschusses des EU-Parlaments, auf der Bauernkundgebung am 23. Oktober in Ravensburg. Lins, der selbst aus Oberschwaben kommt, machte vor hunderten von Zuhörern in der Halle 9 deutlich, wie die neue GAP ausgehandelt wurde, welche Auswirkungen der russische Angriffskrieg auf die EU-Agrarpolitik hat, wenn Nahrungsmittel weltweit knapp werden, und was dies alles für die Region bedeutet.
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Nach den Reden von Franz Schönberger, dem Vorsitzenden des Bauernverbandes Allgäu Oberschwaben, dem Ersten Landesbeamten Dr. Andreas Honikel-Günther, der Landfrauenvorsitzende Christ Fuchs und einer Aktion des Agrargesprächskreises konnte Hauptredner Norbert Lins die LBV-Vizepräsidenten Rosi Geyer-Fäßler und Hans Benno Wichert sowie zahlreiche Abgeordnetenkollegen begrüßen, darunter Josef Rief, Klaus Burger, Axel Müller und August Schuler, ebenso viele Ehemalige wie Waldemar Westermayer, Ulrich Müller, Helmut Kiefl oder Gerhard Glaser. Ein besonderer Gruß galt seiner Vorgängerin im Amt, der langjährigen Europaabgeordneten Elisabeth Jeggle.
Zufrieden mit der neuen GAP
Wenngleich die endgültige Genehmigung des Strategieplans noch aussteht: Lins zeigte sich zufrieden, dass die neue GAP auf den Weg gebracht wurde. Bei einem Budget von 50 Mrd. Euro jährlich und 6,3 Mrd. Euro allein für Deutschland, sei klar, dass die Verteilung dieser Gelder kontrovers zwischen den Mitgliedstaaten diskutiert werde. Die Begehrlichkeiten seien unterschiedlich gewesen - den einen war die GAP nicht grün genug, andere Länder wollten überhaupt keine Vorgaben mehr haben und alle Entscheidungen selbst treffen. Unterm Strich sei es ein gutes Ergebnis, bei aller Kritik, für die Lins im Einzelnen auch viel Verständnis aufbringe.
Unterschiedliche Meinungen unter einen Hut bringen
Schwierig mit umzugehen waren bei den GAP-Verhandlungen die Extrempositionen, wie sie unter anderen Frans Timmermans, Vizepräsident der Europäischen Kommission, vertrat. „Es tut mir leid. Aber von Landwirtschaft hat dieser Mann aber schon gar keine Ahnung“, berichtete Lins. In den Verhandlungen nämlich, so Lins, forderte Timmermans zehn Prozent der Acker- und Grünlandflächen in der Europäischen Union stillzulegen, was umgerechnet 10 Mio. Hektar landwirtschaftliche Fläche gewesen wären. Am Ende habe man sich auf drei Prozent geeinigt, und in Deutschland wurden dann vier Prozent daraus gemacht.
Für Lins ein Erfolg der Unionsparteien
Für Lins persönlich seien schon die drei Prozent extrem schmerzlich gewesen. „Aber am Ende brauchst du Mehrheiten“, erläuterte er das Zustandekommen dieser Kompromisslösung für die neue GAP. Dabei war das noch alles im Jahr 2021: Als im Februar dieses Jahres die Ukraine angegriffen wurde, habe sich die Frage zur Ernährungssicherung völlig neu gestellt, worauf die Agrarpolitik rasch und dringend reagieren musste. Lins bedankte sich bei seinen Parteikollegen in der CDU/CSU, dass es gelungen sei, die bereits beschlossene Stilllegung und den vorgeschriebenen Fruchtwechsel aufgrund des Krieges jetzt erst einmal auszusetzen. Dabei ging die Initiative hierfür seiner Ansicht nicht vom Landwirtschaftsminister Cem Özdemir aus. Im Gegenteil. „Erst als er gemerkt hatte, dass er es nicht mehr verhindern kann, hat er sich auf das Thema gesetzt und so getan, also ob er es selbst in Brüssel durchgesetzt hätte“, griff Lins den Bundesminister scharf an. Denn laut Lins seien es vielmehr die "schwarzen" Ministerinnen und Minister in Deutschland gewesen, die es gemeinsam mit den Unions-Kollegen aus den Landtagen und im Bundestag sowie mit den europäischen Agrarministerinnen und Ministern möglich gemacht hätten, die Agrarproduktion in der EU aufrechtzuerhalten und nicht wie ursprünglich geplant zurückzufahren. „Da geht es nicht um wenig. Da geht es immerhin um die Hälfte des bisherigen EU-Exports an Getreide“, so Lins. Beim Weizen zum Beispiel seien es 15 Mio. Tonnen. Damit könne man knapp 100 Millionen Menschen versorgen.
Klares Zeichen an die bäuerliche Landwirtschaft
Lins hob hervor, dass es im Rahmen der GAP-Verhandlungen gelungen sei, gerade auch für die eher klein strukturierte Landwirtschaft in Süddeutschland einiges herauszuholen. Die stärke Förderung der kleinen Betriebe sei ihm stets ein Anliegen gewesen und er sagte: „Ich freue mich sehr, dass es europaweit gelungen ist, eine Umverteilung von groß nach klein hinzubekommen. Das sind insgesamt zehn Prozent und in Deutschland sogar zwölf Prozent der Mittel in der Ersten Säule für Kleinbetriebe, in Bayern sind das 60 Mio. Euro zusätzlich und für Baden-Württemberg 30 Mio. Euro mehr. „Eine Verschiebung von 100 Mio. Euro vom Norden und Osten in den Süden Deutschlands. Ich finde, damit kann man sich sehen lassen. Das ist uns bisher noch nie gelungen“, freut sich Lins.
Was noch alles erreicht wurde
Viel getan habe man in der neuen GAP auch für die Junglandwirte. Drei Prozent der Gelder aus der Ersten Säule sind zur stärken Förderung der Bäuerinnen und Bauern bis 40 Jahre alt vorgesehen. „Ich weiß, dass da nicht ausreicht. Aber dennoch ist es ein klares Zeichen in Richtung Zukunft.“ Ebenfalls gelungen ist es, die Zahlungsansprüche abzuschaffen, ein wichtiger Beitrag zum Bürokratieabbau. Auch die Sanktionsmechanismen bei den Ohrmarken - wenn man eine Ohrmarke zu spät erst angebracht hat - konnten abgemildert werden.
Klimawandel und Artenvielfalt: Hier spiele die Landwirtschaft weiterhin eine wichtige Rolle. Seit dem 24. Februar müsse für Lins aber auch die Ernährungssicherheit verstärkt mit auf den Tisch. Alle Krisen müssten gleichzeitig bekämpft werden. „Das ist leicht gesagt. Und am Ende schwer getan.“ Bei allen Fragen zur nachhaltigen Bewirtschaftung und zum Pflanzenschutz müsse immer auch die Produktion aufrechterhalten bleiben. Für Lins ist die Sorge berechtigt, dass die Produktion abwandert, wenn die Kommissionspläne eins zu eins umgesetzt werden und immer mehr Betriebe aufgeben.
EU-Vorschläge lassen sich so nicht umsetzen
Die EU-Verordnungen zur Verbesserung der Biodiversität, zur Wiederherstellung der Natur und zur nachhaltigen Verwendung von Pflanzenschutzmitteln seien aller Ehren wert. Der Weg, den die EU-Kommission hier gewählt habe, sei jedoch „absolut falsch.“ Denn in dem Gesetzesentwurf zur Wiederherstellung der Natur stehen wieder die zehn Prozent Stilllegungsflächen. Also genau das, was man aus Unionssicht unbedingt verhindern wollte. Auch die vollständige Wiedervernässung ehemaliger Feuchtgebiete hält Lins für völlig überzogen. Hier sei gerade in Oberschwaben in der Vergangenheit bereits sehr viel getan worden. Am Ende dieser Maßnahmen stehe ein Rückgang der Nahrungsmittelproduktion. Beim Pflanzenschutz soll in sensiblen Gebieten ein totales Anwendungsverbot ausgesprochen werden.
Anreize statt Verbote
Doch wem ist geholfen, wenn wir die regionale Produktion von Lebensmittel künftig einstampfen und Flächen verunkrauten lassen und in anderen Teilen der Welt Raubbau an der Natur betrieben wird, fragt Lins. Der mühsame Weg, den man in Baden-Württemberg mit dem Biodiversitätsstärkungsgesetz eingeschlagen habe, werde durch die Vorschläge der EU-Kommission gefährdet. Und: „Ich sehe die Gefahr, dass alte Gräben wieder aufgerissen werden: die Landwirtschaft auf der einen Seite und die Umweltverbände auf der anderen. Dabei waren wir doch eigentlich auf einem guten Weg“, so Lins. Er betonte, dass es für Veränderungen Anreize braucht und keine Verbote. Auf der Bauernkundgebung versprach er, alles in seiner Macht Stehende zu tun, die beiden Verordnungsvorschläge der Kommission so am Ende nicht in Kraft treten zu lassen. „Bitte stellen Sie mit mir Öffentlichkeit her, was es bedeuten würde, wenn dieses so kommen würde.“ Nach Berechnungen des Stuttgarter Landwirtschaftsministeriums wären 48 Prozent der Agrarflächen von einem Pflanzenschutzmittelverbot betroffen.
Lins erinnerte daran, dass in Deutschland immer mehr Lebensmittel importiert würden. Bei Weizen liege der Selbstversorgungsgrad bei 100 Prozent, sogar etwas mehr, auch Äpfel gibt es in Baden-Württemberg viele, aber bei allen anderen Produkten würden es immer weniger: Kartoffeln 40 Prozent, Gemüse 20 Prozent, Schweinefleisch auf dem Weg zu 40 Prozent, Rindfleisch 50 Prozent, Milch unter 60 Prozent. „Wir müssen uns wieder stärker selbst versorgen. Den Beitrag müssen wir leisten“, findet Lins. Denn dies sei doch am Ende die beste Nachhaltigkeit, die es gibt.
Weniger Fleisch und weniger Tiere sind für Lins nicht der Weg, der eingeschlagen werden sollte. Dass der Freiburger Gemeinderat jüngst beschlossen hat, in den Freiburger Schulen und Kitas nur noch vegetarische Kost zum Mittagstisch anzubieten, kritisierte Lins heftig: „Ich will eine ausgewogene Ernährung und keine Vorschrift, was auf den Tisch kommt."
Bei der Kennzeichnung noch viele Fragen auf EU-Ebene offen
Bei der Haltungs- und Herkunftskennzeichnung müsse man auf europäischer Ebene gemeinsam vorgehen, forderte Lins. Hier sei noch viel Überzeugungsarbeit erforderlich, denn in vielen anderen EU-Ländern würden diese Themen längst noch nicht so stark diskutiert wie in Deutschland. Özdemir nehme mit seinen Positionen hier eher eine Außenseiterrolle ein. Im Stallbau gehe es um Planungssicherheit und um Baugenehmigungen. Innerhalb der Ampelkoalition gebe es hier zu viel Streit. Da sei die Gefahr groß, dass Özdemirs an sich gute Vorschläge ins Leere laufen, fürchtet Lins.
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