„Kein Verbot ohne Alternativen!“
In einem Online-Seminar, moderiert von Henrike Schirmacher von Table.Media, beleuchteten Matthias Berninger von der Bayer AG, der Landwirt Mark Heubach und Prof. Ralf Vögele von der Universität Hohenheim den aktuellen Stand der Glyphosat-Diskussion.
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Laut der EU-Kommission steht einer Wiedergenehmigung von Glyphosat aus wissenschaftlicher Sicht nichts im Wege. Sie schlägt vor, den Herbizidwirkstoff für weitere zehn Jahre zuzulassen. Darüber entscheiden die Mitgliedsstaaten am 13. Oktober. Für die Wiederzulassung bedarf es einer sogenannten qualifizierten Mehrheit. Das bedeutet, dass 55 Prozent der Mitgliedstaaten, also 15 von 27, dem Vorschlag zustimmen müssen. Gleichzeitig muss er von Mitgliedstaaten unterstützt werden, die zusammen mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der EU ausmachen.
Matthias Berninger von der Bayer AG erörterte den komplizierten Wiedergenehmigungsprozess von Glyphosat und mögliche Szenarien nach dem 13. Oktober. Bayer habe zusammen mit anderen Unternehmen die erneute Genehmigung in der EU beantragt, weil viele Landwirte und Winzer ohne glyphosatbasierte Produkte wirtschaftlich nicht weitermachen können. „Die Alternative wäre, auf mehr Fläche weniger zu produzieren, was nicht dem Umweltschutz dient, da Landwirtschaft immer in Konkurrenz zu Naturräumen steht.“ Auch darauf wies der Nachhaltigkeitsexperte von Bayer hin.
Bei dem noch umfangreicheren Dossier zur Wiedergenehmigung von Glyphosat habe man sich von drei wesentlichen Grundsätzen leiten lassen:
- Alle Studien, die wissenschaftlichen Standards entsprechen, werden berücksichtigt.
- Es wird mehr Wert gelegt auf Biodiversitätsstudien.
- Sämtliche Studien sind öffentlich zugänglich.
Im Unterschied zum ersten Dossier haben sich nicht nur ein, sondern vier nationale Institute das Dossier angeschaut. Landesbehörden, die Europäische Chemikalienbehörde, ECHA, und die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit, EFSA, haben ihr Urteil abgegeben.
Berninger ging auch auf verschiedene Gegenargumente ein. Bezüglich des Einwandes einer Datenlücke zu Auswirkungen auf die Biodiversität legte er dar, dass zwei Studien zu der Aussage kommen, dass Glyphosat dem Bodenleben schadet. Viele Studien kommen dagegen zum Ergebnis eines viel besseren Bodenlebens durch das No till-Verfahren, wofür Glyphosat die Grundlage ist. Der Glyphosateinsatz helfe überdies dabei, mehr Kohlendioxid im Boden langfristig zu binden. „Wenn man pflügt, setzt man mehr Kohlendioxid frei.“ Das Argument, Glyphosat sei krebserregend, werde mittlerweile ausgeschlossen, die wissenschaftliche Analyse der EU belege das.
Wie geht es in der EU weiter?
Berninger zeichnete für die Zukunft nach dem 13. Oktober drei Szenarien auf:
Szenario 1: Bei einer qualifizierten Mehrheit wird Glyphosat wieder genehmigt in Europa. Dann obliegt es den Ländern, in welchem Umfang glyphosatbasierte Herbizide weiter eingesetzt werden dürfen.
Szenario 2: Eine Mehrheit der EU-Länder stimmt der Wiedergenehmigung zu, diese scheitert aber an der Hürde der Zustimmung von mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung. Dann wird der Vorschlagsentwurf der EU-Kommission an einen Berufungsausschuss verwiesen. Falls es auch hier keine qualifizierte Mehrheit gibt, kann die EU selbst den Wirkstoff genehmigen. Auch dann können die Länder national über den Umfang des Glyphosateinsatzes entscheiden.
Szenario 3: Wenn die EU der Wiedergenehmigung bei Szenario 2 nicht zustimmt oder es überhaupt keine Mehrheit dafür gibt, wird Glyphosat in Europa nicht mehr genehmigt. Dann muss abschließend geklärt werden, ob und wie lange Restbestände gelagert und aufgebraucht, also angewendet werden können. Klärungsbedarf besteht auch beim Thema Abverkaufsfrist. Europäische Landwirte würden dann erheblich unter Druck geraten. Bayer hofft allerdings, dass sich die EU-Kommission auch im Falle des Nichterlangens der qualifizierten Mehrheit auf ihren Vorschlag besinnt.
Die politische Haltung in einzelnen EU-Ländern ist aus Sicht von Bayer sehr unterschiedlich. Allerdings werde in vielen Ländern die Diskussion weit weniger emotional geführt als in Deutschland.
Wie geht es in Deutschland weiter?
In Deutschland ist laut der nationalen Pflanzenschutzanwendungs-Verordnung Glyphosat ab dem 1. Januar 2024 verboten. Das würde allerdings gegen EU-Recht verstoßen, wenn Glyphosat wieder genehmigt wird. Deutschland kann dann nur die Anwendung einschränken. In so einem Fall muss die Pflanzenschutzanwendungs-VO entsprechend angepasst werden. Das kann dauern, Landwirte und vor allem die Winzer brauchen aber schnell Rechtssicherheit. „Momentan ist völlig unklar, wie es in Deutschland ab 2024 weitergeht mit Glyphosat. Wir hoffen hier auf schnelle Beschlüsse“, so Berninger. Er hofft darauf, dass eine EU-Wiedergenehmigung alle Beteiligten wieder an einen Tisch bringt, um darüber sachlich zu diskutieren. Bei der Agrarministerkonferenz stehe das Thema bereits ganz oben auf der Agenda.
Hat Bayer noch Alternativen in der Pipeline?
Laut Berninger könnte ein neuer Herbizid-Wirkstoff 2024/2025 den Behörden zur Genehmigung vorgelegt werden. Er sei kein 100-prozentiger Ersatz für Glyphosat, aber vielversprechend. Es sei überdies das erste Pflanzenschutzmittel, was mit Hilfe von künstlicher Intelligenz entwickelt wurde. Man arbeite auch an „hochspannenden“ biologischen Lösungen, was aber noch mehr Zeit brauche.
Abschließend wünschte sich Berninger, dass es im Sinne der Landwirte kein Verbot ohne Alternativen geben sollte.
Deutsche Diskussion entbehrt wissenschaftlichen Grundlagen
„In Deutschland erfolgt die Diskussion fast vollkommen losgelöst von wissenschaftlichen Grundlagen“, kritisierte Prof. Ralf Vögele von der Universität Hohenheim. Pflanzenschutzmittel seien giftig für bestimmte Organismen, das sei ihr Zweck. Der Pflanzenschutzexperte verwies hier aber auf die langwierigen Zulassungsprozesse, die mittlerweile so komplex seien, dass umweltschädliche Auswirkungen so gut wie ausgeschlossen seien. Weiter zu forschen und auf neue Erkenntnisse zu reagieren, sei wichtig. Bei Glyphosat gebe es aber auch Studien, die er als Wissenschaftler als wenig wissenschaftlich einstuft. Leider komme das in der Öffentlichkeit nicht so an. Aber der Großteil der Studien zeige, dass Glyphosat so gut wie keine Nebenwirkungen auf Menschen und Tiere hat. „Zum gegenwärtigen Zeitpunkt befürworte ich ganz entschieden die Wiedergenehmigung von Glyphosat in der EU. Die Landwirte brauchen das Mittel.“ Bezüglich der Datenlücken speziell im Bereich Artenschutz, auf die die EFSA aufmerksam machte, sagte der Wissenschaftler: „Meiner Meinung wird der Artenschutz durch die neuen Regularien, die mit der Wiedergenehmigung einhergehen, geregelt. Das muss weiter beleuchtet werden. Aber Glyphosat deswegen zu verbieten, dafür gibt es aktuell keine wissenschaftliche Grundlage.“
Landwirte brauchen Glyphosat
Landwirt Mark Heubach kritisierte die Aussage des BMEL, Glyphosat so lange zu verbieten, wie negative Auswirkungen auf die Biodiversität nicht ausgeschlossen werden könnten. „Wir töten Unkräuter ab, damit entziehen wir Insekten die Nahrungsgrundlage – das ist richtig“, stellte Heubach klar. „Aber bei einem Verzicht auf Glyphosat müssen wir wieder pflügen oder grubbern. Dann vernichte ich sofort Pflanzenaufwuchs und damit Insekten in einer viel kürzeren Zeit.“ Das werde in der Diskussion nicht mit betrachtet. „Landwirtschaft ist keine Beschäftigungstherapie. Wir produzieren Nahrungsmittel und dazu brauchen wir Glyphosat.“ Da es keine gleichwertigen chemischen Alternativen gebe, müsste bei einem Verbot der Boden intensiver bearbeitet werden. „Je mehr wir den Boden bearbeiten, desto mehr Feuchtigkeit geht verloren.“ Er sehe das an seinen Kulturen wie Raps, der dieses Jahr schlecht auflief. Aufgrund der Lage im Wasserschutzgebiet sei er vom Glyphosatverbot betroffen.
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