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Sternfahrt in Ravensburg

Schlag ins Gesicht der Bauernfamilien

Mit mindestens 1400 Traktoren waren mehrere Tausend Bäuerinnen und Bauern zur Kundgebung am 8. Januar auf den Ravensburger Marienplatz gekommen. Unter dem Motto „Jetzt reicht´s. Das Fass ist voll“ machten die Teilnehmer ihren Unmut über die Ampelregierung deutlich. In Ravensburg war die Stimmung am ersten Tag der bundesweiten Aktionswoche gut. Ein Verkehrschaos blieb aus.

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Treffpunkt an der Oberschwabenhalle: Los geht´s auf den Marienplatz 
Treffpunkt an der Oberschwabenhalle: Los geht´s auf den Marienplatz Borlinghaus
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„Das Fass ist voll. Und jetzt läuft es über! Allein in den letzten 15 Jahren haben in Deutschland fast 40.000 Höfe ihre Tore zu gemacht. So kann es nicht weitergehen“, meinte Franz Schönberger, Vorsitzender des Bauernverbandes Allgäu-Oberschwaben, auf der Kundgebung und erntete dafür großen Applaus. Die jüngsten Kürzungen beim Agrardiesel und die ursprüngliche Streichung der KfZ-Steuer bezeichnete er als einen Schlag ins Gesicht der Bauernfamilien, die das Fass zum Überlaufen bringen. Schließlich müssten die Bauern ihr Einkommen hart arbeiten und liegen dabei dennoch am unteren Ende der Skala. Sie würden in ihrer Wettbewerbsfähigkeit immer weiter geschwächt. „So geht es nicht weiter“, so der Vorsitzende. Düngeverordnung, immer Bürokratie, weitere Auflagen und immer weniger Fläche: „Wir lassen das nicht mehr zu,“ so Schönberger. Und: „Wir brauchen Lösungen. Wir brauchen Verlässlichkeit. Bitte Regierung! Hört uns endlich zu und seid fachlich und nicht nur ideologisch unterwegs“, rief Schönberger in Richtung Berlin.

Kürzungen so nicht hinnehmbar

Weitere Redner auf der Kundgebung waren Dieter Mainberger, Vorsitzender beim KBV Tettnang; Roswitha Geyer-Fäßler, LBV-Vizepräsidentin; Jakob Sigg, Agrarsprecher der Landjugend Württemberg-Hohenzollern; Gebhard Frick, LSV; Michael Heydt, VdAW; Hubert Hengge, Maschinenring Tettnang sowie Max Haller, Gastronomievertreter Ravensburg. Sie alle waren sich einig, dass die Sparpläne der Regierung so nicht haltbar sind. Begleitet wurden die Reden von Trillerpfeifen, Hupkonzerten und Sprechchören mit „Wir haben die Schnauze voll“, womit Bauern ihre Wut und Enttäuschung deutlich machten.

Grünen-Abgeordnete wird ausgebuht

Als politische Vertreterin der Regierungsparteien war als einzige Agnieszka Brugger, (MdB/Grüne), die in Ravensburg ihren Wahlkreis hat, der Einladung auf den Marienplatz gefolgt. Als letzte Rednerin, mehrfach durch Buhrufe und Pfeifkonzerte unterbrochen, bedankte sie sich bei den Organisatoren für den friedlichen Verlauf. „Das hat mir einmal mehr gezeigt, dass unsere Landwirte anständige Leute sind“, so Brugger.  

Handel diktiert die Preise

Dass den Obstbauern die Produktion massiv erschwert wird, wenn wichtige Pflanzenschutzmittel nicht mehr erlaubt sind und der Mindestlohn weiter steigt, verdeutlichte Dieter Mainberger vom KBV Tettnang. Der Handel spiele die regionalen Erzeuger knallhart gegen globale Mitbewerber aus und diktiere die Preise. „Der Bauer muss nehmen, was übrigbleibt“, kritisierte Mainberger. Gleichzeitig explodieren die Kosten auf den Höfen. „Wir setzen unseren Diesel ein, um hochwertige Lebensmittel zu erzeugen“, so Mainberger.

Heimische Landwirtschaft nicht weiter schwächen

Dass die heimische Landwirtschaft durch immer höhere Auflagen unter Druck gerät, machte Rosi Geyer-Fäßler, LBV-Präsidentin, deutlich. Durch höhere Standards steigen die Produktionskosten in den Betrieben immer weiter. Allein durch die neue Gemeinsame Agrarpolitik hätten die Landwirte 30 Prozent ihrer einkommenswirksamen Leistungen verloren. Einschränkungen beim Pflanzenschutz und die Umsetzung der Düngeverordnung lassen die Kosten explodieren. Einsparungen von fast einer Milliarde Euro seien für die Landwirtschaft nicht zu schultern. In Baden-Württemberg seien die Einkommen der Landwirte wegen der kleinen Strukturen im Bundesvergleich gesehen besonders schwach. Bei weiteren Kürzungen befürchtet sie einen nochmals weiter beschleunigten Strukturwandel. „Die Bauernschaft ist dankbar, dass die grüne Nummer bleibt“, so Geyer-Fäßler. Aber auch beim Diesel müsse die Beihilfe erhalten bleiben, weil die Landwirte in erster Linie auf ihren Feldern unterwegs seien und es zum Diesel bislang keine richtigen Alternativen gebe. „Ich fordere die Regierung auf, die Vorschläge zur Abschaffung der Agrardieselrückerstattung für landwirtschaftliche Fahrzeuge zurückzunehmen“, so Geyer-Fäßler. Gefragt sei eine in die Zukunft gerichtete Politik, mit Chancen für die jungen Landwirte.

Agrardieselrückerstattung muss bleiben

„Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut“, meinte der Agrarsprecher der Landjugend, Jakob Sigg, mit Blick auf die vielen jungen Landwirtinnen und Landwirte, von denen viele bereit seien, Verantwortung zu übernehmen und Bock hätten auf Tiere, auf Technik, auf Umweltschutz und auf nachhaltiges Wirtschaften. Die junge Generation jedoch fühle sich von der Politik ausgebremst und bekäme ständig Steine in den Weg gelegt. Es sei scheinheilig, auf der einen Seite Freihandelsabkommen abzuschließen und Projekte in der ganzen Welt zu fördern, und gleichzeitig die Bedingungen für die inländische Produktion weiter zu verteuern und die Betriebe mit immer mehr Bürokratie und Auflagen zu „bombardieren“.  Die Landwirte machten zwar nur noch ein Prozent Anteil in der Bevölkerung aus, aber wenn es der Landwirtschaft schlecht gehe, gehe es allen schlecht, so Sigg. Deswegen sei es gut, wenn man in Berlin jetzt zurückrudere. Allerdings: „Man kann Fehler korrigieren, aber man kann sie nicht vergessen machen“, so Sigg. Ziel müsse es sein, gerade auch die kleineren Betriebe hier in der Region zu erhalten. „Das Fass ist voll. Wir sehen uns nächsten Montag in Berlin“, kündigte Sigg an.

Mehr Verantwortung gefordert

Begeistert von so vielen Teilnehmerinnen und Teilnehmern zeigte sich Gebhard Frick als Vertreter von „Land schafft Verbindung“ (LsV). Der Feuerwehrkommandant aus Hasenweiler wetterte gegen „massive Steuererhöhungen“, von denen, wie er sagte, vor allem die Landwirte stark getroffen würden. Und dies alles in einer Zeit, in der man ohnehin schon finanziell massiv unter Druck stünde. Schließlich würde alles immer teurer. Diese „Steuererhöhungsorgien“, wie er es nannte, seien der Anlass dafür, dass es seiner Meinung nach zu einem Politikwechsel kommen müsste. „Bürokratieabbau wurde uns versprochen. Davon merken wir gar nichts. Das Gegenteil ist der Fall. Es wird immer mehr“, so Frick. Gefragt seien Politiker „die unsere Sprache sprechen und Verantwortung übernehmen, für das was sie tun“.

Breite Unterstützung für die Anliegen der Bauern

Breite Unterstützung gab es auch von vielen Unternehmen des privaten Agrargewerbes (VdAW) mit seinen Mühlen, dem Landhandel, der Vieh- und Fleischwirtschaft oder den Fruchtsaftkeltereien und den land- und forstwirtschaftlichen Lohnunternehmern. Der Sprecher auf der Kundgebung, Michael Heydt, bekräftigte die Partnerschaft und Solidarität zur Landwirtschaft. „Wir unterstützen Sie in Ihren Forderungen“, so Heydt. Der Gedanke, dass die Landwirtschaft Ursprung unseres täglichen Brotes ist, spielt keine Rolle mehr und führt dazu, dass Nahrungsmittel von überall her importiert werden“, so Heydt. Bemerkenswert sei, dass Chiphersteller mit Milliardensubventionen nach Deutschland zurückgeholt werden, um sich nicht von anderen Ländern abhängig zu machen, und man gleichzeitig bei der Landwirtschaft immer weitere Kürzungen vornimmt. Um die Landwirte, die hier vor Ort etwas bewegen, darum kümmere sich niemand, kritisierte Heydt. „Über viele Jahre gewachsenes Fachwissen wird ignoriert und den verwirrten Gedanken von selbsternannten Heilsbringern geopfert“, so Heydt. Auch Heydt zeigte sich beeindruckt, wie es der Bauernverband und die Agrarverbände insgesamt geschafft haben, in einer doch sehr kurzen Zeit solch eine große bundesweite Protestbewegung auf die Beine zu stellen, die ihresgleichen sucht. Er appellierte an alle, die Landwirte zu unterstützen und künftig noch mehr regionale Produkte zu kaufen. „Lassen Sie die Bäuerinnen und Bauern nicht im Regen stehen", so Heydt.

"Wir stehen nicht am Bahnhof und warten auf ein Schiff"

Hubert Hengge, Maschinenring Tettnang, betonte die vielfältigen Aufgaben der 236 Maschinenringe als professionelle Selbsthilfeorganisation der Landwirtschaft, die mittlerweile in immer mehr Bereichen aktiv ist. Kommunalarbeit, Winterdienst, Landschaftspflege, Gewässerpflege und Energieversorger: als Dienstleister für die Gemeinden sei die Arbeit der Bauern längst nicht mehr wegzudenken. „Das sind alles On-Top-Dienstleistungen für unsere Gesellschaft. Hierfür gibt es keine Dieselhilfe. Brauchen wir nicht. Wollen wir auch nicht“, so Hengge. Auf Veränderungen zu warten, ohne selbst dafür etwas zu tun, sei wie an einem Bahnhof zu stehen und auf ein Schiff zu warten. Die Landwirte machen dies nicht. Sie übernehmen Verantwortung, zum Beispiel wenn sie beim Winterdienst dafür sorgen, dass der Verkehr nicht zum Erliegen kommt. Deutschlandweit seien es über 8000 Landwirte, die allein im Winterdienst aktiv sind.

Innovationen, die ausgebremst werden

Bereits über zehn Prozent der erneuerbaren Energien in Deutschland werde von der Landwirtschaft bereitgestellt. Auch mit Photovoltaik wird immer mehr Eigenstrom erzeugt. Immer mehr Betriebe werden autark gegenüber einer externen Energieversorgung. Auch hier seien die Landwirte Vorreiter. Dass Rapsöl die Schlepper antreibt, dafür wurden die Landwirte von der Politik ausgebremst, ebenso wie beim verstärkten Einsatz von Biogas. „Aber wo bitte sind heute die zuverlässigen Antriebstechniken der Zukunft“, fragte Hengge. Mit einem E-Schlepper, der um mehr als 50 Prozent teurer ist als ein Standardschlepper und der nicht genügend Speicherkapazität hat, könne man keine Landwirtschaft betreiben.

Landwirte sind Macher

„Wir tun, was zu tun ist“, so Hengge. Sei es bei der Feuerwehr, im THW oder im Sozial- und Betriebshilfsdienst.  Das alles seien wichtige Dienste fürs Gemeinwesen, für die kritische Infrastruktur. „Welche Anstrengungen müssen wir noch unternehmen, dass uns diese Rolle für das Gemeinwesen endlich mehr anerkannt, mehr unterstützt und mehr gestützt wird?“, fragte Hengge in Richtung Politik.

Kampf um die Existenz

Max Haller, Gastronomievertreter Ravensburg, ist der festen Überzeugung, dass die Politik, die Rahmenbedingungen falsch setzt. In der Gastronomie gehe die Existenzangst um. Mitarbeiter würden um ihre Jobs bangen. „Wir stehen hier, weil die Politiker in Berlin keinen guten Job machen“, so Haller. Laut Haller habe der Kanzler versprochen, dass die auf sieben Prozent reduzierte Mehrwertsteuer für Gastronomieumsätze „nie wieder abgeschafft“ wird. Dass die Steuer nun seit 1. Januar doch wieder auf 19 Prozent erhöht wird, hält Haller für skandalös.  Die Mehrzahl der Wirte sehen sich als Leidtragende einer verfehlten Politik.

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