Wenig Zufriedenheit bei den Verbänden
Zahlreiche Agrarverbände haben nach der Bekanntmachung des Koalitionsvertrages Mitte der Woche eine erste Auswertung vorgenommen. Es gab Lob, jedoch auch viel Kritik. Der Deutsche Bauernverband vermisst den echten Politikwechsel.
von Redaktion erschienen am 10.04.2025Der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Joachim Rukwied, begrüßt den zügigen Abschluss der Koalitionsverhandlungen und stellt in einer ersten Bewertung fest, dass der Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD trotz einiger positiver Punkte den erheblichen Herausforderungen für die Agrarwirtschaft nicht gerecht wird: „Die deutsche Landwirtschaft befindet sich in einem tiefgreifenden und schwierigen Veränderungsprozess und gleichzeitig in einem harten europäischen Wettbewerb. Diese Herausforderungen können mit dem Koalitionsvertrag nicht bewältigt werden. Der notwendige Politikwechsel ist nur in Ansätzen erkennbar; zudem findet sich nur ein Teil der Punkte wieder, die die gesamte deutsche Wirtschaft in den vergangenen Wochen gefordert hat.“
Agrardieselbesteuerung gibt Hoffnung
Positiv bewertet der Deutsche Bauernverband die Pläne, die Agrardieselbesteuerung wieder auf den europäischen Durchschnitt zurückzuführen. Zudem ist positiv zu bewerten, dass genehmigungsrechtliche Hürden beim Stallbau abgeschafft, ein Bestandsschutz für neu- und umgebaute Tierwohlställe für mindestens 20 Jahre fixiert und ein unkomplizierter Tierartenwechsel im Baugesetzbuch (BauGB) ermöglicht werden soll. Weiter wird es den landwirtschaftlichen Betrieben helfen, wenn auf die Substanzbesteuerung reduziert wird.
Sehr kritisch sieht der Deutsche Bauernverband die Festlegung des Mindestlohns auf 15 Euro: „Damit macht man die Mindestlohnkommission überflüssig und setzt die Tarifautonomie außer Kraft. Äußerst kritisch sehen wir das Vorhaben eines Naturflächenbedarfsgesetzes, mit dem der Landwirtschaft und anderen Landnutzern in großem Stil Flächen entzogen werden. Eine gesetzlich verordnete Ausweisung von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen oder Vernetzung von Ausgleichsmaßnahmen (Biotopverbund) ist aus Sicht der Landwirtschaft hochgradig bedenklich.“
An einigen Stellen des Koalitionsvertrags wünscht sich der Deutsche Bauernverband mehr Verbindlichkeit anstelle von diffusen Prüfaufträgen, insbesondere beim Bürokratieabbau. Einige Themenfelder bieten Spielraum für unterschiedliche Interpretationen und bedürfen noch der Präzisierung.
Mit Blick auf die Ressortverteilung fordert der Bauernpräsident: „Es darf nicht erneut dazu kommen, dass ein Dauerstreit zwischen Umwelt- und Landwirtschaftsministerium jeden Fortschritt lähmt und die Landwirtschaft ausbremst. Wichtiges Ziel muss es sein, die heimische Landwirtschaft zu sichern und Strukturbrüche zu verhindern. Die neue Bundesregierung muss auch die Veränderungen, die die deutsche Landwirtschaft in den zurückliegenden Jahren angestoßen hat, positiv begleiten und insbesondere die Wettbewerbsfähigkeit stärken.“
Selbstversorgung in Gefahr
Positive Ansätze sieht der Gesamtverband der deutschen land- und forstwirtschaftlichen Arbeitgeberverbände (GLFA) im Koalitionsvertrag. Dazu zählen dem Verband zufolge die Einführung einer Wochenhöchstarbeitszeit oder die Entbürokratisierung, Digitalisierung und Beschleunigung bei der Fachkräfteeinwanderung oder die vorgesehene Ausweitung der Zeitgrenze für eine sozialversicherungsfreie kurzfristige Beschäftigung von 70 auf 90 Arbeitstage. Dies seien jedoch keine Selbstläufer, gab GLFA-Präsident Hans-Benno Wichert, zu Bedenken. Für Betriebe mit arbeitsintensivem Anbau von Sonderkulturen wie Obst, Gemüse und Wein fordert er Rahmenbedingungen, die ihre Wettbewerbsfähigkeit gegenüber ausländischen Produzenten sichern und stärken. „Ein Mindestlohn von 15 Euro würde das Gegenteil bewirken“, warnte der Arbeitgeberpräsident. Die Lohnkosten machten bei Sonderkulturen bis zu 60 Prozent der Produktionskosten aus und seien in anderen Staaten mit erheblich geringeren Mindestlöhnen wesentlich niedriger. Allein in den letzten vier Jahren seien in Deutschland rund zehn Prozent Anbaufläche beim Baumobst und jeweils über 13 Prozent beim Beerenobst und Spargel verloren gegangen. Diese Entwicklung werde bei zunehmendem Mindestlohn voranschreiten. „Der Mindestlohn darf deshalb nicht weiter steigen“, betonte Wichert.
Die Regierung muss nun liefern
Den echten Wechsel erkennt auch Franz-Josef Holzenkamp, Präsident des Deutschen Raiffeisenverbands (DRV) noch nicht: „Ist das der von den Wählern geforderte und für die Wirtschaft zwingend notwendige Politikwechsel?“ Er erkennt richtige und wichtige Ansätze für eine Entlastung und Stärkung der Wirtschaft und für die Agrar- und Ernährungswirtschaft. Auf der anderen Seite werde die Erhöhung des Mindestlohns auf 15 Euro ohne eine Ausnahme für die Landwirtschaft Betriebsaufgaben und eine weitere Verlagerung der Lebensmittelproduktion ins Ausland zur Folge haben. Für Holzenkamp steht fest: „Letztendlich kommt es auf die konkrete Umsetzung an. Dann kann eine valide Bewertung stattfinden, wie viel Wechsel in der Politik stattgefunden hat.“
Landfrauen betonen Gleichstellung
Der Deutsche LandFrauenverband e.V. (dlv) begrüßt die Zielsetzung der Koalitionäre, Brücken zu bauen und Vertrauen zu schaffen. „In Sachen Gleichstellung gehen insbesondere die Vorhaben im Gewaltschutz und deren Erweiterung auf den digitalen Raum absolut in die richtige Richtung,“ bekräftigt dlv-Präsidentin Petra Bentkämper. Positiv zu bewerten sei zudem die Stärkung der ressortübergreifenden Gleichstellungsstrategie. Kritisch sieht der dlv, dass eine Reform des Ehegattensplittings erneut ausgeblieben ist. „
Die wirtschaftliche Stärkung von Frauen zu realisieren bedeutet auch, den Gender Pay-Gap endlich zu schließen. Die Koalitionäre wollen gleichen Lohn für gleiche Arbeit bis 2030 ermöglichen. Die Umsetzung der EU-Transparenzrichtlinie in nationales Recht umzusetzen sei ein Schritt in die richtige Richtung. Auch die Einführung einer gesamtgesellschaftlich finanzierten Mütterrente – eine zentrale dlv-Forderung – ist ein wichtiger Erfolg, ebenso wie die Weiterentwicklung des Elterngeldes mit Anreizen für mehr väterliche Beteiligung. Der dlv wird die Umsetzung kritisch begleiten – besonders vor dem Hintergrund der gescheiterten Familienstartzeit.
Wo bleibt der ländliche Raum?
Die Belange ländlicher Räume hingegen sind nur unzureichend berücksichtigt. „Die Chance, diese wichtigen Wirtschafts- und Lebensorte durch stärkere politische Verankerung – etwa im Ministeriumstitel – hervorzuheben, wurde vertan,“ bemängelt dlv-Präsidentin Petra Bentkämper.
Die Prüfung eines jährlichen Familienbudgets für Familien mit kleinen Kindern und/oder pflegebedürftigen Angehörigen mit kleinen und mittleren Einkommen bewertet der dlv als positiv. Hier wird erwartet, dass im Nachgang konkrete Schritte eingeleitet werden, um tatsächlich sozialversicherungspflichtige Beschäftigung bei haushaltsnahen Dienstleistungen zu fördern.
Mit Freude nimmt der dlv die angekündigte Berücksichtigung der „Studie zur Lebens- und Arbeitssituation von Frauen in der Landwirtschaft“ in der Agrarsozialpolitik wahr. Jetzt müssen die konkreten Handlungsempfehlungen der Studie durch gezielte politische Maßnahmen umgesetzt werden, um die Gleichstellung in der Landwirtschaft voranzubringen.
Zentrale Anliegen zur tatsächlichen Stärkung der Autonomie von Frauen bleiben jedoch auf der Strecke. Die Koalitionspartner schenken der Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen keine Beachtung. Das Selbstbestimmungsrecht von Frauen darf nicht durch Ignorieren wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Realitäten infrage gestellt werden.
Den Erhalt eines eigenständigen Ministeriums für Entwicklung bewertet der dlv grundlegend als positiv. Die Ankündigung zur Absenkung der Mittel für die staatliche Entwicklungszusammenarbeit erfüllen den dlv hingegen mit großer Sorge. Denn für den dlv ist klar, dass nachhaltige Entwicklungsziele nur mit staatlicher finanzieller Unterstützung erreicht werden können.
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