Niedersachsens Geflügelbranche schlägt Alarm
Die niedersächsische Geflügelwirtschaft (NGW) zeigt sich besorgt: Die geflügelhaltenden Betriebe und Familien erzielten schon jahrelang keine ausreichenden Erlöse mehr. Mit einer Resolution wendet sich der Branchenverband an Politik, Verbraucher und LEH.
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Auf seiner Pressekonferenz am 4. Oktober 2022 in Dötlingen erklärt der NGW in einer Resolution, dass wider jeder betriebswirtschaftlichen und politischen Vernunft die Transformation der deutschen Geflügelhaltung ohne Folgenabschätzung und notwendige Übergangsfristen auch in der aktuellen Problemlage weiter vorangetrieben werde. Verdrängt werde bewusst oder unbewusst die Tatsache, dass ohne ökonomische Gewinne keine betrieblichen Investitionen möglich sind – auch nicht in mehr Tierwohl. Stallumbau- oder Neubauten scheiterten im Übrigen nicht nur an mangelnden Finanzierungsmitteln, sondern auch an den notwendigen Baugenehmigungen.
Bioproduktion allein rettet nicht die Welt
Der eigenen Ideologie und entsprechenden Parteiprogrammen folgend werde die ohne Frage zukunftsentscheidenden Themen Klimaschutz und Nachhaltigkeit fachlich oberflächlich zu häufig dafür genutzt, die Biohaltung von Tieren als entscheidenden Lösungsansatz zu propagieren – wohlwissend, dass es so einfach nicht ist und Bio auch nicht pauschal nachhaltiger ist. Hoher Flächenbedarf und geringe Erträge sind als Patentrezept wenig geeignet, für die zukünftige Welternährung zu sorgen. Bio-Ackerbau ohne den Dung der Tiere geht eben auch nicht.
Agrarpolitik müsse Realitätsbezug behalten
Der NGW-Vorsitzende Friedrich-Otto Ripke stellt dazu fest: „Verantwortungsvolle Politiker und LEH-Entscheider müssten längst die logischen Konsequenzen daraus gezogen haben. Wenn diese Negativentwicklung in der nationalen Fleisch- und Eierproduktion nicht aktiv und umgehend gestoppt wird, droht der deutschen Bevölkerung nicht nur bei Gas und Öl die Abhängigkeit von labilen Importen, sondern dann auch bei Lebensmitteln.“
Die in Niedersachsen zuständige Agrarministerin Barbara Otte-Kinast sagt dazu folgendes: „Niedersachsen braucht eine starke Geflügelwirtschaft. Dieser Produktionszweig sichert viele Arbeitsplätze in der Region und sorgt mit seinen beliebten Produkten für eine hohe Wertschöpfung. Mir ist bewusst, dass die Herausforderungen angesichts der Krisen und des anhaltenden Seuchengeschehens enorm sind.“
Impfung gegen Geflügelpest und Energie-Preisbremsen benötigt
„Wir brauchen schnellstmöglich die Impfung und die Handelsfähigkeit geimpfter Tiere in Europa!“ betont der NGW-Vorsitzende F.O. Ripke penetrant seit Jahren und aktuell mit besonderem Nachdruck. Tatsächlich beschleunigen die Geflügelpest und zusätzlich aktuell der Mangel und die Hochpreisentwicklung bei Futter, Gas und Strom den Strukturwandel spürbar.
Die als Einmalzahlung aktuell zum Teil schon ausgeschüttete Anpassungsbeihilfe für Bereiche der Landwirtschaft, in der Summe von 180 Millionen Euro und davon rund 12 Millionen Euro für Geflügelbetriebe, mit Ausnahme der Legehennenbetriebe, wird das nicht verhindern können.“ Es braucht dringend auch für die Land- und Ernährungswirtschaft eine Gas- und Strompreisbremse und die Zusage der Bundesnetzagentur für eine sichere weitere Belieferung“ fordert Ripke. "Eindeutige Prioritäten-Setzungen und entsprechend positive Abwägungsentscheidungen der Bundesnetzagentur sind längst überfällig!"
Zehn Wegmarken des NGW als Wegweiser an die Politik:
- Die langfristig und staatlich gesicherte Finanzierung der Investitions- und Betriebskosten, die die Transformation bei den Tierhaltern/innen verursacht (Tierwohlprämie).
- Die auf die Haltungskriterien-Stufen bezogene Öffnungsklausel im Bau- und Emissionsrecht, damit Stallumbauten und – Neubauten formell überhaupt realisierbar werden.
- Bundesweit einheitliche und konkrete Entscheidungskriterien für die Genehmigungsbehörden auf Landkreisebene im Bereich der neuen TA-Luft vom 1. Dezember 2021, inclusive einer Re-Privilegierung für gewerbsmäßige Geflügelhalter.
- Eine verpflichtende Haltungs- und Herkunftskennzeichnung für alle tierischen Lebensmittel, die bestehende und im Markt etablierte Kennzeichnungssysteme wie das ITW-Label integriert bzw. berücksichtigt und in allen Handels- und Verzehrbereichen Gültigkeit hat.
- Der Verzicht des unter sich konkurrierenden LEH auf in kurzer Folge vorgeschlagene immer neue und weitergehende Tierhaltungsstandards und die Akzeptanz von langfristigen und gegebenenfalls auch staatlichen Vorgaben/Zielen.
- Anerkennung von fachlich begründeten Grenzen der Antibiotika-Reduzierung in der Tierhaltung und der Tierschutzgesetz-Vorgabe, dass erkrankte Tiere einen Anspruch auf Behandlung haben. Konsequente Anwendung des One-Health-Prinzips bei Reserve-Antibiotika wie im neuen EU-Tierarzneimittelrecht geregelt und Verzicht auf nationale Alleingänge.
- Aktiver Einsatz der Bundes- und Landesregierungen für eine Novelle der EU-Vermarktungsnormen – hier zum Beispiel für eine zeitgemäße Haltungskennzeichnung und eine einheitliche Kennzeichnung von Eiern bei wegen Geflügelpest aufgestallten Bio- und Freiland-Legehennen.
- Die intensive Entwicklung und EU-Zulassung von Marker-Impfstoffen gegen die Aviäre Influenza sowie Prüfung einer kurzfristigen Einordnung der Geflügelpest in Kategorie B des einschlägigen EU-Seuchenrechts – statt bisher Kategorie A. Erhalt des bewährten und gerecht finanzierten Tierseuchenkassen-Systems.
- Die sofortige Entscheidung der Politik für eine Gas- und Strompreisbremse für Betriebe/Unternehmen der Land- und Ernährungswirtschaft sowie eine Absicherung der Belieferung der Wertschöpfungskette mit Gas, Strom (und CO2) durch die Bundesnetzagentur, damit die Herstellung von lebenserforderlichen Gütern gewährleistet bleibt.
- Eine glaubwürdige, realitätsbezogene und praktikable Ernährungsstrategie, die einen soliden und sicheren Weg für die Land- und Ernährungswirtschaft in die Zukunft zeigt. Eine Ernährungsstrategie, die auf harten Fakten und nicht auf Wünschen und Ideologien aufbaut. Eine Ernährungsstrategie, die jungen Hofnachfolgern/innen Mut und Überzeugung gibt, weiterzumachen und nicht auszusteigen! Ohne sie kann und wird es zukünftig keine nationale Ernährungssicherheit geben können!