Leben in postfaktischen Zeiten
Kreisvorsitzender Eberhard Zucker hat das Thema des Bauerntags richtig gewählt, wie die vollbesetzte Halle in Schwieberdingen zeigt: „Lebensmittelskandale – tatsächliches Risiko oder mediale Scheinwelt?“. Was ist dran an Skandalen wie EHEC, Pflanzenschutzrückständen oder ähnlichem? Was sagen Fakten, was wird in der Presse geschrieben?
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„Zurzeit hat man den Eindruck, die Welt gerät aus den Fugen.“ Mit diesen Worten begrüßt Zucker die Mitglieder des Bauernverbands Heilbronn-Ludwigsburg und spricht damit die Missstände in der Politik, den Agrarmärkten und der Gesellschaft an. In den letzten zwei Jahren haben sich Gesellschaft und Landwirtschaft sehr weit voneinander entfernt. Der Druck auf die Landwirtschaft ist stark gestiegen: volatile Märkte, Anfeindungen gegenüber der Tierhaltung, zunehmende Bürokratie, Siedlungsdruck, Lebensmittelpreis um nur einige Beispiele zu nennen. Zucker empfiehlt, die moderne Landwirtschaft und die Verbraucher einander wieder näher zu bringen. Dazu stellt er, im Jahr der Bundestagswahl, einige Forderungen und Anliegen an die Politik:
- Erhalt der 1. Säule und Einsatz der Mittel aus der 2. Säule nur für landwirtschaftliche Umweltmaßnahmen
- Durchführung von Pflanzenschutzmaßnahmen beim Anbau von Eiweißpflanzen auf ökologischen Vorrangflächen
- Einstellen von ausreichend Geldern in das AFP-Programm, um die neue Düngeverordnung umsetzen zu können
- Änderung des Landesjagdgesetzes (Wildschadensersatz)
- Unterstützung der Landwirtschaft in „stürmischen Zeiten“
Aber auch die Berufskollegen, die Landwirte, sind gefordert. Sie sollen gemeinsam für den Berufsstand eintreten, da Grabenkriege, Neid und Missgunst nicht weiterhelfen und diejenigen, die dem Berufsstand nicht so wohlgesonnen sind, stärken, so der Kreisvorsitzende.
Keine pauschale Verurteilung
Staatssekretärin Friedlinde Gurr-Hisch, als Vertreterin des Ministeriums für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz, weist darauf hin, dass die Landwirtschaft derzeit sehr stark mit Sektor spezifischen Problemen zu kämpfen hat. Auf den Betrieben wird zu wenig verdient, der Lohn entspricht nicht dem Verdienst für die geleistete Arbeit. „Es muss Schluss damit sein, Landwirte pauschal an den Pranger zu stellen“, so Gurr-Hirsch und spricht damit das Akzeptanzproblem in der Gesellschaft an. Selbst in dem „kleinstrukturierten Baden-Württemberg“ haben Betriebe mit den Vorwürfen der Massentierhaltung zu kämpfen.
Über die Probleme im Landkreis Ludwigsburg klärt Landrat Dr. Rainer Haas auf. „Die Auswirkungen des zunehmenden Flächenverbrauchs auf die Betriebe können nicht übergangen werden“, so der Landrat. Die meisten Verbraucher haben heute keine Kenntnisse und Bezugspunkte mehr zur landwirtschaftlichen Produktion, so der Politiker weiter. Vielen Bürgern sei nicht bewusst, dass die Landwirte nicht nur hochwertige Lebensmittel produzierten, sondern auch einen wichtigen Beitrag zum Naturschutz und zur Kulturlandschaft leisten.
Lebensmittel – qualitativ hochwertiger und sicherer denn je
Mediale Schlagzeilen verdunkeln den Himmel – Menschen sind besorgt, wenn es um ihre Gesundheit geht. Kann man heutzutage noch unbesorgt Fleisch und Gemüse essen, oder sind Reste von Antibiotika oder Pflanzenschutzmitteln (PSM) in gesundheitsschädlichen Mengen enthalten, die den Appetit verderben. Mit diesen Fragen wird PD Dr. Gaby-Fleur Böl vom Bundesinstitut für Risikobewertung regelmäßig konfrontiert, auch in Zeiten in denen es keine Skandale gibt. Aus Sicht der Risikobewertung sind Lebensmittel heute im Vergleich zu früher signifikant sicherer und qualitativ hochwertiger. Optimierte Anbaumethoden sowie moderne technologische und analytische Verfahren tragen zur stetigen Steigerung von Qualität und Sicherheit bei. Kritisch sieht sie Wissenschaftlerin allerdings die Möglichkeit kleinste Mengen an Stoffen nachweisen zu können. Das schaffe Verunsicherung bei den Verbrauchern, so Böl. Wenn Medien berichten, fällt es Laien oft schwer zu beurteilen, ob und ab welcher Verzehrmenge ein tatsächliches Risiko besteht. Manche Menschen überschätzen beispielsweise das gesundheitliche Risiko von PSM in Lebensmitteln, während Risiken durch Hygienemängel in der eigenen Küche unterschätzt werden.
Aus naturwissenschaftlicher Sicht, und danach arbeitet das Bundesinstitut, beschreibt ein Risiko die Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines Schadens, die maßgeblich vom Gefährdungspotenzial und der Exposition des Menschen abhängig ist. Laien machen ihre Risikowahrnehmung abhängig von Parametern wie Bekanntheit des Risikos, Kontrollierbarkeit, Katastrophenpotenzial, Freiwilligkeit, Schrecklichkeit sowie Unmittelbarkeit abhängig. So entstehen gefühlte Risiken, die weder auf Mathematik noch Statistik beruhen. „Menschen leben in der Illusion, dass bei entsprechendem technologischem und administrativen Aufwand wie beispielsweise umfangreichen staatlichen Kontrollen im Lebensmittelbereich Risiken und damit Unsicherheiten vollständig beseitigt werden können“, gibt Böl zu bedenken. Gefühlte, also nicht wissenschaftliche Risiken gehören zum gesellschaftlichen Leben und prägen das Verhalten der Menschen im Alltag. Von zentraler Bedeutung ist deshalb eine offene und verständliche Risikokommunikation, welche einerseits Positionen der Wissenschaft und andererseits die Positionen der verschiedenen Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Verbänden, Medien und Nichtregierungsorganisationen in die Diskussion eines Risikos einbezieht.
Aktuelle Entwicklungen an Agrarrohstoff- und Betriebsmittelmärkte
„Bulle oder Bär?“, fragt sich Gerd Mezger, Geschäftsführer BayWa AG Spartenregion Württemberg Nord, wenn es um die Entwicklungen an den Börsen geht. Agrarmärkte lassen sich nicht jahresweise im Voraus prognostizieren. Mezger spricht die aktuellen Entwicklungen am Weizen-, Braugersten- und Ölsaatenmarkt an. Ein einziges Ereignis, wie beispielsweise die Wahl von Trump zum Präsidenten der USA, habe bereits eine große Auswirkung auf den Getreidemarkt.
Der Braugerstenmarkt wird sich nicht weiter abkoppeln, da die Prämie schon am oberen Ende angekommen ist, ist sich Mezger sicher. Für den Anbau empfiehlt er für viele Regionen die Sorte Planet, die bis zu zehn Prozent Mehrertrag verspricht und in der Praxis voll überzeugt hat. Sein Unternehmen habe einen guten Vermarktungsweg für die Sorte auf den Weg gebracht.
Bei Dünger, so ist sich der Agrarmarktkenner sicher, hat Preis noch nicht das Hoch erreicht. „Wir sind mit relativ niedrigen Preisen in das Jahr gestartet. Aufgrund des gestiegenen Harnstoffpreises haben jedoch auch die Preise für KAS stark angezogen“, so Mezger weiter. Er erwartet weitere Preissteigerungen von bis zu einem Euro pro 100 kg. Die Strategie die erste und zweite Gabe durch Frühbezug abzusichern, habe sich auch in diesem Jahr wieder ausbezahlt. Erste Probleme ergeben sich derzeit aber bei Händlern mit der Bedienung der Frühjahrsbestellungen. Viele Betriebsmittel werden per Schiff nach Baden-Württemberg geliefert, doch die Anlieferung über den Rhein gestaltet sich von Jahr zu Jahr schwieriger. Aktuell baut die BayWa die Logistik hin zum Bahntransport um.
Lob an Meister und Gesellen
Eberhard Zucker konnte zahlreichen Junglandwirten aus den Landkreisen Heilbronn und Ludwigsburg zum erfolgreichen Berufsabschluss gratulieren. Beim Bauerntag des Bauernverbands erhielten die frischgebackenen Gesellen und Meister Buchgutscheine und eine Junior-Mitgliedschaft beim Bauernverband für die geleistete Arbeit. Georg Kümmerle (Eppingen, Meister), Nico Remmele (Heilbronn), Marcus Angelberger (Bad Wimpfen), Christian Frank (Ilsfeld), Jan Dieterle (Eberdingen), Anna Rudy ( Kirchardt), Dominic Schmalzried (Vaihingen/Enz), Stefan Schmidt (Bad Friedrichshall, Meister), Andreas Guse (Neuenstadt, Meister), Andreas Obenland (Ilsfeld), Thomas Lang (Möckmühl), Heiko Durchlaub (Erdmannshausen) und Thorsten Kissinger (Schwaigern) (v.l.) erhalten von Eberhard Zucker (5. v. r.) die Auszeichnungen.







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