Eine epochale Agrar- und Firmengeschichte
Die Geschichte der Medienbranche und der Wirtschaftszweige Landwirtschaft, Gartenbau und Naturschutz zusammenbringen. Das gelingt Matthias Ulmer im „Medienbauer“ auf einzigartige Weise. Eine Rezension von Heinrich Maurer, früherer Chefredakteur von BWagrar Landwirtschaftliches Wochenblatt (BWagrar 13/2019, Seiten 12-13). Ein Interview mit Matthias Ulmer zur Entwicklung der Landwirtschaft und der Medienbranche lesen Sie in BWagrar 9/2019, Seite 10, und hier.
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Matthias Ulmers „Medienbauer“ – eine epochale Agrar- und Firmengeschichte
Rezension von Heinrich Maurer
Matthias Ulmer, der Verleger von BWagrar, anderen Fachzeitschriften und vielen Büchern, hat zu dem im vegangenen Jahr 2018 gefeierten 150-jährigen Jubiläum des Verlages Eugen Ulmer unter dem Titel „Medienbauer“ ein Buch geschrieben, das nicht nur vom Umfang, sondern auch vom Inhalt her als sehr gewichtig zu bezeichnen ist. 792 Seiten liegen nicht nur schwer auf der Hand, sie zu lesen erfordert auch wesentlich mehr Zeit und Aufmerksamkeit, als man üblicherweise für ein Buch aufbringt.
„Das Lesen lohnt sich. Matthias Ulmer beschreibt unterhaltsam und spannend nicht nur die Geschichte des Verlages, sondern geht auch umfassend auf die Zeitgeschichte der eineinhalb Jahrhunderte in Deutschland ein.“
Doch das Lesen lohnt sich. Matthias Ulmer beschreibt unterhaltsam und spannend nicht nur die Geschichte des 1868 in Ravensburg gegründeten Verlages, sondern auch die des Buchhandels, der in Deutschland ab Mitte des 19. Jahrhunderts einen gewaltigen Aufschwung nahm. Weit darüber hinaus geht er umfassend auf die Zeitgeschichte der eineinhalb Jahrhunderte in Deutschland ein.
Die für eilige Leser manchmal etwas trockene Historie wird durch eingeschobene, als Exkurs bezeichnete Zwischentitel aufgelockert. Dort wird beispielsweise beschrieben, wie die 1853 als illustriertes Familienblatt gegründete „Gartenlaube“ zum Vorbild für die 2006 gegründete Zeitschrift „Landlust“ wurde, die es innerhalb von sechs Jahren auf eine Auflage von über eine Million brachte. Herausgeber ist der auf die gleiche Branche ausgerichtete Landwirtschaftsverlag Münster. Insider fragen sich noch heute wehmütig, warum wurde so etwas nicht von Ulmer aufgegriffen?
„Ausführlich - und manche werden auch sagen schonungslos - beschreibt Ulmer die Verquickung von NS-Ideologie und landwirtschaftlichem Berufstand mitsamt seinem Organ, dem Wochenblatt.“
Die Geschichte des Verlages und der mit ihm verbundenen Landwirtschaft wurde bereits, allerdings wesentlich kürzer, in den Jubiläumsausgaben des Wochenblattes von 1984 und 2009 aufgezeigt. Matthias Ulmer hat in seinem Werk nicht nur wesentlich weiter ausgegriffen, sondern auch damals Versäumtes nachgeholt. Auf fast 40 Seiten beschreibt er ausführlich - und manche werden auch sagen „schonungslos“ - die Verquickung von NS-Ideologie und landwirtschaftlichem Berufstand mitsamt seinem Organ, dem Wochenblatt. Es ist schon erschreckend, wie willfährig und teilweise verblendet Funktionäre, Autoren und Wissenschaftler die Blut- und Boden-Ideologie der Nazis übernommen haben.
Erschreckend ist auch, wie die dort verbreiteten Thesen schon wieder in die Neuzeit passen. Mit dem Satz: „Von jetzt an kommt es nicht darauf an, ob etwas wahr ist, sondern ob es im Sinne der nationalsozialistischen Revolution ist“, forderte 1935 ein NS-Kulturpolitiker von den Professoren der Universität München Linientreue, die auch bereitwillig gewährt wurde. Auch heute wird mit Fake News Politik befördert.
„Der Verleger beschreibt, wie sich das Verhältnis der Menschen zur Natur seit dem 19. Jahrhundert verändert hat.“
Neben der Landwirtschaft sind Gartenbau und Landschaftspflege die wichtigsten Säulen im Mediengebäude des Ulmer Verlages. Ausführlich beschreibt der Verleger, wie sich das Verhältnis der Menschen zur Natur seit dem 19. Jahrhundert verändert hat und wie der Naturschutz zusammen mit dem Begriff Heimat immer wieder ideologisch missbraucht wurde. Während die einen Autobahnen organisch mit der Natur verbinden wollten, zielten andere darauf, die Natur der Technik zu unterwerfen und mit der Straße die Landschaft zu beherrschen. Ein Widerspruch, der allgemein auch heute nicht nur beim Straßenbau immer wieder zu beobachten ist.
Noch in den Sechzigerjahren haben die Flurbereinigungen die Landschaft oft rücksichtslos der Technik unterworfen. Erst als in dieser Zeit der Begriff der Landschaftspflege aufkam, hat sich vieles geändert.
Mit vielen Zitaten weist Matthias Ulmer auf den Zusammenhang von Naturschutz und Landschaftspflege mit zivilisatorisch bedingten Störungen und Krankheiten der modernen Menschen hin. Auch hier stellte er vielfache Verbindungen zur nationalsozialistischen Ideologie fest.
Maßnahmen zur Gesundung wurden in pragmatischer Form 1961 auf der Insel Mainau in der „Grünen Charta“ zusammengefasst, die teilweise als eines der wichtigsten 1000 Dokumente der Menschheit gilt. Weiterführend wurde bei Ulmer 1963 die Zeitschrift Naturschutz und Landschaftspflege gegründet.
„An seine Beschreibung über die historische Entwicklung der Landwirtschaft fügt Matthias Ulmer eine Bewertung der landwirtschaftlichen Produktionsverfahren an, die eine sehr persönliche Note zeigt.“
Die Geschichte der Landwirtschaft und ihrer Medien beleuchtet der Verleger im Zusammenhang mit der Gründung der Hochschule Hohenheim 1819 und des Wochenblattes 1834. Zum Verlag Ulmer kam das Blatt aber erst 1945 nach der Auflösung des Reichsnährstand Verlags. Herausgeber wurde 1947 der neu gegründete Bauernverband Württemberg-Baden.
An seine ausführliche Beschreibung über die historische Entwicklung der Landwirtschaft und ihrer Organisationen vom Landwirtschaftlichen Verein über den Hauptverband, die Landwirtschaftskammer bis zum Landesbauernverband und den Genossenschaften fügt Matthias Ulmer eine Bewertung der landwirtschaftlichen Produktionsverfahren an, die eine sehr persönliche Note zeigt.
„Ulmer bezeichnet den Weg zur spezialisierten ressourcenintensiven Agrarproduktion als Agrarrevolution,
die niemand erahnt,
geschweige denn gewollt habe.“
Die erste grundlegende Veränderung der Landwirtschaft macht Ulmer am Zeitraum 1950 bis 1960 fest, als die Zahl der Beschäftigten auf den Bauernhöfen von fünf auf drei Millionen zurückging. Seine Aussage: „Der Weg zur Spezialisierung und zum Großbetrieb war eingeschlagen.“ Sein Bedauern und die Kritik an dieser Entwicklung gründet stark auf dem Buch des Wissenschaftlers Frank Uekötter mit dem Titel „Die Wahrheit ist auf dem Feld“ von 2010. Er bezeichnet den Weg zur spezialisierten ressourcenintensiven Agrarproduktion als Agrarrevolution, die niemand erahnt, geschweige denn gewollt habe.
Ulmer: „Es war schwierig, von der von der Beratung und den Fachmedien angesagten normalen Linie abzuweichen. Wer es dennoch wagte, einen alternativen Weg zu gehen, hatte die große Mehrheit geschlossen gegen sich.“
Etwas pauschal und wieder von Uekötter souffliert, verurteilt der Verleger die Intensivierungen in Tierhaltung und Tierzucht, Pflanzenbau und Pflanzenzüchtung sowie beim Einsatz der Chemie. Er bedauert: „Die Folge der Kriegswirtschaft hätte nach 1945 eine Renaissance des ganzen (vielseitigen) Landwirts sein können.“
„Ein Werk, das in seiner Fülle und historischenVielfalt einzigartig ist.“
Insgesamt hat Matthias Ulmer mit unvorstellbarem Fleiß ein Werk geschaffen, das in seiner Fülle und historischen Vielfalt einzigartig ist. Wer sich damit beschäftigt, sitzt an einer Quelle die strömt und nicht aufhört, das Verlangen nach dem Wissen über Gewesenes, Wichtiges und Zukünftiges weit über die Landwirtschaft hinaus zu stillen.
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